Junge nicht beschulbar - wie geht man vor?

  • Hallo zusammen,



    ich bräuchte einen Rat. Meine Situation ist folgende:



    Ich bin neuerdings Klassenlehrerin einer zweiten Klasse (meine erste eigene Klasse) und habe ein Kind, das den gesamten Unterricht sprengt. Mittlerweile verzweifle ich an diesem Jungen. Er kommt immer erst zur dritten Stunde, da bei ihm eine Kurzbeschulung verordnet ist. In den ersten beiden Stunden ist also Unterricht möglich, danach kommt es zum Beispiel zu folgendem Verhalten:


    Er beschimpft Lehrer, verprügelt Kinder in der Pause, verweigert KOMPLETT die Arbeit, hat auch schon einmal ein Kind mit einem Messer bedroht, schwänzt die Schule, haut mitten im Unterricht ab, knallt Türen und lässt sich von mir rein gar nichts sagen.


    Der Förderbedarf ESE ist bei ihm seit Tagen bestätigt.


    Meine Fragen:

    • Was sind meine Aufgaben, wenn er einfach den Unterricht verlässt? Ich habe es bisher so gemacht: Als erstes suche ich ihn kurz (dabei sind aber dann 23 Kinder unbeaufsichtigt), wenn ich ihn nicht finde, rufe ich die Eltern an (die gehen nicht ans Telefon, wenn sie die Nummer der Schule sehen), …was mache ich dann, so dass ich meine Aufsichtspflicht diesem Kind gegenüber nicht verletze? Gibt es dazu irgendwelche gesetzlichen Regelungen?
    • Wie geht ihr mit solchen Kindern um, die euch beschimpfen? Mit ihm reden kann man absolut nicht. Da beschimpft er einen nur noch mehr
    • An der Schule heißt es, dass es durch die Gesetze der Inklusion nicht möglich ist, den Jungen ohne die Erlaubnis der Eltern auf die Förderschule zu schicken. Meiner Meinung nach, ist der junge an der „ganz normalen“ Grundschule aber nicht beschulbar.
    • Wann bekommt man denn einen I-Helfer? Das sei angeblich bei ihm auch nicht möglich, da müssten die Eltern erst zustimmen?! Ich kann mir das allerdings nicht vorstellen. Es kann doch nicht möglich sein, dass der Junge machen kann was er will?


    Über ein paar Ratschläge wäre ich sehr dankbar!

  • Hallo,


    ohje, das ist ka kein so schöner Einstieg mit der neuen Klasse. Da er ja schon kürzer beschult wird, sind schon Maßnahmen gelaufen, das passiert ja nicht einfach so. Also würde ich mir zuerst mal die Akte schnappen und nachsehen, was bisher passiert ist (nicht nur an Vorfällen, auch an Konsequenzen). Vielleicht ist ja auch ein Gespräch mit der vorherigen Klassenleitung möglich?


    Bedroht er Mitschüler mit dem Messer, ist das in dem Moment eine klare Gefährdung und ein Verstoß gegen die Hausordnung, aber mit Sicherheit auch weitere Gesetze. War das schon zu deiner Zeit oder davor?


    Ich kenne es zu gut, dass man, wenn so ein Schüler abhaut, erstmal versucht ist, ihm hinterher zu rennen, um die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Das Problem ist aber, wie du selbst schon schreibst, dass du in dem Moment den Rest der Klasse unbeaufsichtigt lässt. Also entweder in der Nachbarklasse Bescheid sagen und Tür auf lassen solange du weg bist, oder aber einen Mitschüler bitten, im Sekretariat/bei der Schulleitung Bescheid zu geben, dass der Junge weggelaufen ist. Ihm sollte auch nochmal klar gemacht werden, dass so ein Verhalten nicht akzeptabel ist (das wird ihn nicht interessieren, ich weiß, aber du kannst die Belehrung aktenkundig machen und bei späteren Maßnahmen darauf verweisen, dass der Junge XY am ..., ....und .... belehrt worden ist, dass er sich der Aufsicht durch die Lehrkraft nicht entziehen, das Schulgelände nicht verlassen etc. darf.)
    Notfalls Polizei rufen. Ist ein doofes Gefühl, aber es ist nicht den Job, den ganzen Tag Kinder einzufangen.


    Lehrer beschimpfen, Kinder verprügeln usw. sind alles Dinge, die mündliche und schriftliche Verwarnungen sowie Verweise, Versetzungen in Parallelklassen bzw. einen Ausschluss vom Unterricht wert sind. Ich weiß, das packt das Übel nicht an der Wurzel, aber wenn der kleine Kerl des Öfteren mal zu hause war für mehrer Tage, sehen vielleicht auch die Eltern ein, dass Handlungbedarf besteht.


    Bevor sich jetzt andere Forenmitglieder auf mich stürzen, ja, ich weiß, man muss die Ursache finden und versuchen, das Verhalten des Jungen in den Griff zu bekommen. Für mich ist es aber eine Grundvorraussetzung, dass Elternhaus und Schule an einem Strang ziehen, sonst wird das nur selten was. Und ich bin mittlerweile auch dazu übergegangen, den "Rest" der Klasse wieder mehr in den Fokus zu rücken, nicht umsonst steht doch im Schulgesetz sowas wie "sowohl Schüler als auch Lehrer haben ein Anrecht auf ungestörten Unterricht".
    (klingt das nur in meinen Ohren sehr ironisch?)


    Das mit dem Beschimpfen ist ne schwierige Kiste. In dem Moment, in dem er so aufgebracht ist, bringt es nichts mit ihm zu reden. Oft geht das später oder am nächsten Tag. Aber es sollte ihm doch deutlich aufgezeigt werden, dass er hier eine Grenze überschreitet.


    Und ansonsten gilt wie bei allem anderen auch: Notieren, notieren, notieren. Vielleicht ein kleines Schulheft ins Klassenbuch, wo die alle Vorfälle dokumentiert werden (auch von den Kollegen, vielleicht auch Dinge der anderen Schüler, sowohl gute als auch schlechte. Dann bleibt es zumindest nach außen hin fair. ;) ) Erfahrungsgemäß reicht der dafür vorgesehene Platz im Klassenbuch bei Weitem nicht aus. ;)

  • Das hört sich ja wirklich übel an! Allerdings kann man an der Situation erst dann etwas ändern, wenn auch die Schulleitung mit im Boot ist.


    Zu deinen Fragen:
    Einen Integrationshelfer können nur Eltern bzw. die Erziehungsberechtigten beantragen. Der wird allerdings nur bewilligt (Kostenübernahme), wenn eine entsprechende Bescheinigung (Psychologe) vorliegt, dass eine seelische Behinderung vorhanden oder unausweichlich ist. An unserer Schule helfen wir den Eltern, diese Kräfte zu beantragen und vermitteln die Kontakte, aber wir können eigenständig keine Anträge stellen.


    Wenn dein Schüler sich vom Schulgelände entfernt und du ihn nicht mehr findest, informierst du selbstverständlich die Eltern. Sollten die nicht in der Lage oder Willens sein, das Kind zu suchen, musst du die entsprechende Polizeidienststelle anrufen und dort das Verschwinden des Kindes melden. Das ist an unserer Schule schon passiert und war so mit den Erziehungsberechtigen abgesprochen, bzw. ihnen angekündigt.


    Bei uns werden Kinder, die durch ihr Verhalten den Unterricht für sich und andere derartig sprengen, vom Unterricht ausgeschlossen. Das passiert in Absprache mit der Schulleitung wenn alle anderen Maßnahmen (bei uns gibt es einen entsprechenden Katalog) an diesem Tag zu keinem Erfolg geführt haben. Sollten die Eltern tatsächlich mehrfach nicht erreichbar sein, habe ich auch schon das Jugendamt angerufen. Der Familienzusammenhang war dort bekannt und es wurde dann auch von dieser Seite thematisiert, dass ein Verleugnen nichts bringt. Allerdings geht das natürlich nur bei massiven Unterrichtsstörungen. Das Beschimpfen allein ist kein Grund, auch wenn es dich berechtigterweise ärgert und frustriert.


    Zum guten Schluss gibt es in NRW im Schulgesetz die §§53 und 54 (Ordnungsmaßnahmen und Schulgesundheit). Im Falle einer Bedrohung oder eines derartigen tätlichen Angriffs wäre bei uns der Schultag sofort beendet und die Eltern müssten das Kind abholen. Sollten sie telefonisch nicht erreichbar sein (oder sich verleugnen, Telefon abstellen usw.) würden wir uns wieder an die nächste Stelle wenden (Jugendamt, Schulamt usw. und weitere Maßnahmen besprechen.


    Wichtig ist in diesen Fällen eigentlich immer, dass alle ins Boot geholt werden, die greifbar sind: Schulamt, Kollegen der zuständigen Förderschule, Schulsozialarbeit, Jugendamt usw. und das alles entsprechend dokumentiert wird.

  • Was sagt denn die Schulleitung zu der Situation?


    Da der Junge ja sogar schon verkürzt beschult wird, ist vermutlich zuvor schon einiges gelaufen.
    Also zeigen die erzieherischen Maßnahmen keinen Erfolg.
    Dann eben Ordnungsmaßnahmen -- Schulauschluss für einen Tag, für mehrere Tage, am Ende gar Auschluss von der Schule!
    Bei Bedrohungen und Fremdgefährung ist das doch allemal möglich.


    Einen I-Helfer zu bekommen ist ein schwieriger Weg, dauert meist sehr lang, mindestens ein Schuljahr (so meine Erfahrung) und hilft dir somit augenblicklich nicht weiter.
    Die Eltern müssen dem ausdrücklich zustimmen, wobei ich auch schonmal gehört habe, dass die Schule selbst in sehr schwierigen Fällen einen I-Helfer beantragen kann...
    Allerdings gehört so ein Kind auch mit I-Helfer nicht an eine Regelschule, wenn du mich fragst.


    Der erste Weg wäre jetzt m.E. der zur Schulleitung, falls es noch nicht geschehen ist. ;)

  • Hallo eva1987,


    wenn du den Jungen und die Klasse nicht gleichzeitig beaufsichtigen kannst, solltest du eine Überlastungsanzeige (manchmal auch Entlastungsanzeige genannt) abgeben, um aus der Haftung zu kommen.


    Gruß
    Nitram

  • Erstmal, ... sowas ist ätzend! Ich wünsche Dir, dass Du bald einen guten Weg findest bzw. ein guter Weg gefunden wird.


    Was meinst Du mit "Der Förderbedarf ESE ist bei ihm seit Tagen bestätigt."? WER hat Förderbedarf bestätigt? Wahrscheinlich meinst Du, dass er durch einen Gutachter festgestellt wurde, oder? Das nützt leider so lange nichts, bis das Schulamt dies bestätigt hat. Sonderpädagogischer Förderbedarf wird in einem AOSF immer nur VORGESCHLAGEN, nie entschieden.


    Zu dem Problem mit dem Weglaufen. Du sicherst Dich darüber etwas ab, indem Du dem Schüler sagst, dass er nicht weglaufen darf (ich weiß, dass dies doof klingt). Danach informierst Du Schulleitung und Eltern und notierst es zusätzlich. Kläre über Deine Schulleitung ab, ob Du die Möglichkeit hast, dass "abhauen" als unentschuldigte Zeit gewertet werden kann.


    Ich würde außerdem die Eltern SCHRIFTLICH zu einem Gespräch in die Schule einladen.


    Integrationshelfer bekommt man nicht so einfach und muss tatsächlich über die Eltern bei der entsprechenden Stelle angefordert werden. (Die Frage ist auch, ob der I-Helfer in Deiner Situation Sinn macht).


    Bitte Deine Schulleitung um Mithilfe. Evtl. kann sie Dir weitere Möglichkeiten nennen, wie Du mit diesen Schwierigkeiten rechtlich abgesichert umgehen kannst (Möglichkeit einer pädagogischen Konsequenz).

  • Welche Konsequenzen werden denn nun aus der Feststellung des Förderbedarfs ESE gezogen? Dann muss doch nun ein Förderschulkollege zumindest beratend mit ins Boot.
    Was unternimmt denn Deine Schulleitung? Deren Aufgabe ist es nun, den "Förderbedarf" zu decken.


    Wenn das Kind eine Gefahr für andere Menschen ist, kann man es vom Unterricht ausschließen. Diese Ordnungsmaßnahme sollte die Schulleitung nun verhängen. Dringend. Und schön dokumentieren. Bei Gefährdung anderer und/oder Selbstgefährdung kann die Bewilligung des Förderschwerpunkts nämlich nicht so einfach verweigert werden.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Hallo eva,
    ich hatte auch so ein Kind. Kann mich den Vorschreibern anschließen u rate dir dringend, die Schulleitung ins Boot zu holen: gemeinsame Gespräche mit den Eltern führen (der Hinweis auf die Kontakaufnahme zum Jugendamt bei Weigerung der Zusmmenarbeit kann hier viell bei den Eltern auch etwas bewirken ?), Vorgehen bei Weglaufen aufschreiben, Jungen versuchen mit Belohnungssystem zu erreichn, aber genauso klare Konsequenzen (Klassenausschluss) bis hin zum Schulausschluss..
    Habt ihr viell Sozialarbeiter, die noch Übungen mit der Klasse druchführen können zum Umgang mit Störungen?
    Ein I-Helfer bringt schon sehr viel, aber das ist leider ein langer Kampf, bis man einen evtl bekommt. Leider muss das über die Eltern laufen. Wirkungsvoll ist auch, das Schulamt zu verständigen (über die Schulleitung). Da der Junge ja so auch den Unterricht stört, evtl die Klassenelternsprecher ins Boot holen. Kann SEHR wirkungsvoll sein, wenn die anderen Eltern mit dem Amt sprechen. Leider bringt sowas manchmal mehr, als wenn man als Lehrer monatelang ALLES versucht. Aber bitte gib nicht auf!
    GLG

  • Meine Fragen:Was sind meine Aufgaben, wenn er einfach den Unterricht verlässt? Ich habe es bisher so gemacht: Als erstes suche ich ihn kurz (dabei sind aber dann 23 Kinder unbeaufsichtigt), wenn ich ihn nicht finde, rufe ich die Eltern an (die gehen nicht ans Telefon, wenn sie die Nummer der Schule sehen), …was mache ich dann, so dass ich meine Aufsichtspflicht diesem Kind gegenüber nicht verletze? Gibt es dazu irgendwelche gesetzlichen Regelungen?

    • Wie geht ihr mit solchen Kindern um, die euch beschimpfen? Mit ihm reden kann man absolut nicht. Da beschimpft er einen nur noch mehr
    • An der Schule heißt es, dass es durch die Gesetze der Inklusion nicht möglich ist, den Jungen ohne die Erlaubnis der Eltern auf die Förderschule zu schicken. Meiner Meinung nach, ist der junge an der „ganz normalen“ Grundschule aber nicht beschulbar.
    • Wann bekommt man denn einen I-Helfer? Das sei angeblich bei ihm auch nicht möglich, da müssten die Eltern erst zustimmen?! Ich kann mir das allerdings nicht vorstellen. Es kann doch nicht möglich sein, dass der Junge machen kann was er will?


    Über ein paar Ratschläge wäre ich sehr dankbar!


    Auch wenn sich hier einiges wiederholt:-> weglaufen: 1. dem Kind sagen, dass es dableiben muss 2. Klassenbucheintrag 3. KIassensprecher gibt im Sekretariat Bescheid oder du rufst dort an.
    -> Akteneinsicht "was bisher geschah..."
    -> Jugendamt einschalten, allerdings mit Schulleiterunterschrift
    -> wertschätzende aber klare Elterngespräche
    -> Im Trotzanfall das Kind ggf. ignorieren, ansonsten üben, in Worte zu fassen, was du jetzt noch selbstverständlich findest und daher unkommentiert lässt. "dass dein Heft weg ist, macht dich jetzt richtig wütend, stimmts?" oder "ich möchte, dass du freundlich mit mir sprichst" oder "wenn du dein Heft nicht finden kannst, ist hier ein Blatt zum Schreiben" morgen dann: "erinnerst du dich, was man machen kann, wenn man kein Heft dabei hat?" ... auch wenns gut läuft: "du sitzt gerade auf deinem Platz und schreibst ab", "ich finds klasse, wie du deine Kekse geteilt hast, das kann nicht jeder in der Klasse".
    -> Auszeiten mit Sanduhr vereinbaren, wenns gar nicht mehr geht


    Schulausschluss bleibt euch immer noch. Ansonsten ist die Kacke bei einem Achtjährigen in diesem Zustand gewaltig am dampfen und ihr braucht Hilfe von außen!

  • Er beschimpft Lehrer, verprügelt Kinder in der Pause, verweigert KOMPLETT die Arbeit, hat auch schon einmal ein Kind mit einem Messer bedroht, schwänzt die Schule, haut mitten im Unterricht ab, knallt Türen und lässt sich von mir rein gar nichts sagen.


    Liest sich nach einem Fall für äußere Differenzierung.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Erst einmal vielen Dank für die aufmunternden und informativen Worte. Nun bin ich schon 3 Wochen in der Klasse und habe mich etwas eingelebt und an manche Dinge "gewöhnt". Wenn der Junge abhaut, habe ich ein klares Ablaufschema mit einer Lehrerin erarbeitet, so dass mich das schon gar nicht mehr aus der Fassung bringt. Trotzdem benimmt sich der Junge weiterhin völlig daneben. Die Bedrohung mit dem Messer war schon vor meiner Zeit.


    Ich habe mit der Schulleitung gesprochen. Das Jugendamt ist eingeschaltet. Das Problem ist nur, dass die Eltern sich gegen jegliche Hilfe wehren. Das ist wohl das größte Problem. Meine Aufgabe ist es nun - so die Schulleitung - alles zu dokumentieren und in regelmäßigen Abständen einen Brief zum Jugendamt schicken. Handhabt ihr das auch so?


    @ Jole: Der Förderschwerpunkt ESE ist bei dem Kind diagnostiziert. Es fehlte bisher aber noch eine Unterschrift der Eltern, so dass nun auch eine Förderung stattfinden kann. Die ist nun vorhanden.


    @ Pausenbrot: Könntest du das mit den Auszeiten im Zusammenhang mit Sanduhren noch einmal genauer erklären?

  • "Jason, hier ist eine Sanduhr, die läuft 6 min. Wenn du das nächste Mal wütend wirst, nimmst du diese Sanduhr und gehst vor die Tür/ in die Wutecke/ins leere Zimmer nebenan und regst dich ab, danach, wenn der Sand durch ist, kannst du wieder reinkommen." Je besser du das Kind kennst, desto besser kannst du einschätzen, wann er ausflippen wird.


    Unabhängig davon, ob das Kind nun "weg muss" oder nicht- im Moment hast du ihn jeden Tag. Versuche diese Zeit als Kennenlernzeit zu sehen- er findet gerade heraus, wie du tickst, wann du wie reagierst. Es wird wieder mehr Ruhe einkehren, je besser ihr euch kennt. Er erlebt seit Jahren Chaos, unzuverlässige Reaktionen der Eltern, möglicherweise Gewalt etc. Er kann im Moment nicht anders, als sein Verhaltensrepertoire einsetzen, womit er sich zu Hause durchsetzt oder schützt. Nun braucht er eine starke Schule, die in Ruhe sagt, wann was passieren wird. Sobald er sieht, dass du immer wieder Frau X bist, die (mehrheitlich ;) ) gelassen bleibt, egal ob er brüllt, Schimpfwörter benutzt oder sein Zeug kaputt macht, wird es besser werden. Rede mit ihm alleine in der Pause oder einer Förderstunde. Werde nicht müde, ihm deine Verhaltenserwartungen zu erklären, auch wenn du denkst, dass das ein 8-Jähriger längst wissen müsste. Etwa so, wie bei einem 3-Jährigen "das geht hier, das geht hier nicht".
    Wenn irgend möglich, lasse ihn simple Wiederholungssachen machen, bei denen er weiß, was zu tun ist. Ziel im Moment: den Tag angemessen und gewaltfrei durchstehen. Kein Ziel im Moment: gute Noten, saubere Hefteinträge, freundliche Wortwahl im Falle eines Wutausbruchs.


    Viel Erfolg dir, ich weiß, wieviel Kraft das kostet!

  • Oh je, zunächst Mal: viel Kraft und Ausdauer wünsch ich dir. :geschenk:
    Du machst alles richtig, reflektierst dein Handeln und wägst deine Möglichkeiten ab. Mehr kannst du im Grunde kaum tun.


    Ich werde nicht alles wiederholen, was die anderen hier schon an hilfreichen Vorschlägen für dich hatten. Nur eines noch: ja, Eltern haben grundsätzlich das Wahlrecht, wenn es um die passende Schulform für ihr Kind geht. Bei Selbst- und/oder Fremdgefährdung kann in NRW ein AOSF auch ohne Einwilligung der Eltern von der Schule beantragt werden. Wenn der Junge wegläuft, dann liegt hier die Selbstgefährdung vor. Die Fremdgefährdung liegt zu weit zurück, als dass man sie noch geltend machen könnte, sollte in etwaigen Anträgen/Protokollen/Entwicklungsberichten aber erwähnt werden.
    Daher nehme ich an, dass sich in solch einem Fall auch die Beschulung in einer Förderschule gegen den Willen der Eltern noch durchsetzen lässt.(Belegen kann ich das allerdings gerade nicht!)


    Als allerletztes Mittel,dann müsste aber auch die Förderschule bereits gescheitert sein, steht noch die Aufhebung der Schulpflicht als Möglichkeit offen, auch das wird im FSP ESE ab und an als letzte Möglichkeit genutzt. Es gibt auch Kinder, die an der Förderschule ESE scheitern. :(

    Schöne Grüße,
    dzeneriffa



    Am Ende wird alles gut! Wenn´s noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende =)

  • Alle Vorfälle protokollieren und immer wieder auf einer Beschulung in der Schule für emotional-soziale Entwicklung einfordern. Dabei musst du auch dem Schulamt gegenüber sehr hartnäckig sein. Das kann auch über den Kopf der Eltern hinweg eine Zwangsbeschulung anordnen. Aber nicht locker lassen immer wieder anrufen, protokollieren usw.

  • Ich bin aufgrund massiver Probleme meines Kindes (ziemlich sicher Asperger-Syndrom) auf diesen Thread hier gestoßen. Heute bekam ich einen Anruf der Rektorin, dass mein Kind in einer 4. Klasse einer Regelgrundschule so wie das Verhalten diese Woche gewesen sei weiter nicht beschulbar wäre. Daheim klappt alles relativ gut und alles ist friedlich. Die ärztliche Diagnose wird in zwei Wochen vorliegen, aber solange sie nicht vorliegt wird das Kind in der Schule leider behandelt als wäre es völlig gesund. Die Lehrkräfte wissen über den Verdacht auf Asperger Bescheid.


    Ich kenne die Situation im Umgang mit sehr schwierigen Schülern aus der Förderschule als Lehrer und nun stehe ich auch aus Sicht der Eltern mit so einem Problemkind da. So ein Anruf fährt einem ganz schön in den Bauch. Ohne Diagnose gibt es leider keinen Helfer für die Schule, aber wir sind dran.


    Beim obigen Fall sehe ich einerseits die Schwierigkeiten, die das Kind im Schulalltag hat. Das Verweigern von Hilfe seitens der Eltern sorgt dafür, dass das Kind praktisch keine Hilfen bekommt und sich sehr wahrscheinlich auch in Zukunft nichts ändert. Der Leidtragende ist hier das Kind selbst - was mir sehr leid tut. Dass die Lehrkraft hierbei sehr belastet wird kann ich auch nachvollziehen. Wären die Eltern wenigstens einsichtig und würden zur Besserung der Situation beitragen. Bringt es wirklich nichts mit dem Kind einmal unter vier Augen in Ruhe zu sprechen? Es würde mich interessieren, in welchen Momenten das Kind austickt - was sind die Auslöser? Vielleicht kann man diese Auslöser minimieren oder vermeiden. Vielleicht ist es sogar ein Aspergerkind? Das würde einiges erklären.


    In meinem Fall werde ich alles in meinen Kräften stehende tun, damit mein Kind in der Regelschule verbleiben kann. In Zeiten der Inklusion wird es der Schule nicht so einfach gelingen, mein Kind in die Förderschule abzuschieben. Aufgrund seiner hohen geistigen Leistungsfähigkeit wäre er da auch völlig falsch. Leider weiß ich nicht wie lange es dauert bis nach Diagnosestellung ein Schulhelfer gewährt wird. Der Unterschied zum obigen Fall ist, dass wir Gespräche mit der Schule führen und aktiv mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln mitwirken, um die Situation zu verbessern.


    Alles Gute und viel Kraft,
    Herbert

  • In meinem Fall werde ich alles in meinen Kräften stehende tun, damit mein Kind in der Regelschule verbleiben kann. In Zeiten der Inklusion wird es der Schule nicht so einfach gelingen, mein Kind in die Förderschule abzuschieben. Aufgrund seiner hohen geistigen Leistungsfähigkeit wäre er da auch völlig falsch.

    -> Es gibt Förderschulen für Kinder mit Verhaltensproblemen, die nach dem normalen Lehrplan unterrichten


    -> die Frage ist immer, was ist für das Kind am Besten und da mag es hilfreich sein, einen Förderschullehrer einzuschalten, der sich die Klassensituation anschaut. Vielleicht wäre eine Förderschule ein geschützter Ort, an dem Lehrer auf das Kind eingehen wollen und auch wissen, wie das am Besten zu bewerkstelligen ist. Förderschulen sind durchlässig, das Ziel ist, Kinder wieder in die Regelschule zu bringen. Und da an Förderschulen Platzmangel herrscht, wird dies, wenn möglich, auch geschehen.


    -> Wenn Eltern sagen, zu Hause sei alles supi und nur in der Schule läufts nicht, bin ich skeptisch. Fachärztliche Diagnose hin oder her, Verhalten ist erlernt, verfolgt ein Ziel und hat eine Ursache- m.a.W. es ergibt einen Sinn für das Kind in seinem System. Mit einer Bezeichnung, à la ADHS/ Asperger etc. hat man einen Sammelbegriff für Symptome gefunden, hat jedoch über Ursachen rein gar nichts herausgefunden und ist vor allem keinen Schritt weiter in der Lösung der eigentlichen Probleme.


    -> Die im Eingangsthread beschriebenen Probleme, bis hin zu "mit dem Messer bedrohen anderer Kinder" können wir hier nicht analysieren. Jedoch ist das Kind objektiv betrachtet eine Gefahr für sich und andere und müsste eigentlich in die geschlossene Psychiatrie. Jeder Tag, den die Lehrerin mit dem Kind positiv gestalten kann ist ein Gewinn, eine enorme Herausforderung und liegt eigentlich außerhalb des Leistbaren im normalen Grundschulalltag.


    -> und zu guter Letzt: Schule und Eltern wollen beide das Beste für die Kinder. Nur eskaliert die Kommunikation häufig, weil die Schule oft Schuldvorwürfe erbringt und die Eltern dann meist dicht machen. Schade, wenn Lehrer die Erziehungsleistung der Eltern nicht wertschätzen können. Und schade, wenn Eltern nicht zugeben können, dass die Familie ein Problem hat. Völlig frei von Schuldvorwürfen beider Seiten eine Lösung für das Kind suchen.

  • Ich hänge mich hier mal gerade dran, weil ich seit ca zwei Wochen ein ähnliches Kind in der Klasse habe. Eine Messerattacke hatten wir noch nicht, wird aber wahrscheinlich nicht mehr lange dauern. Wenn das Kind etwas nicht machen möchte, schreit es durch die Klasse, wirft mit seinen Materialien, zerreißt seine Bücher und Hefte etc. Wenn man ihm alles abnimmt (geht manchmal nur mit "Gewalt", weil er alles festhält und teilweise nach mit und meinen Kollegen tritt oder schlägt) fängt er an mit seinem Stuhl auf den Boden zu schlagen oder versucht den Tisch umzuschmeißen. Die anderen Kinder der Klasse beschweren sich in meinen Augen zurecht über das neue Kind und wollen schon jetzt nichts mehr mit ihm zu tun haben, weil es sie ständig anfasst (kitzeln, Finger in die Ohren des anderen stecken u.v.m.)
    In seiner letzten Schule waren die Probleme auch vorhanden. Es ging dann letztlich soweit, dass das Kind dort jeden Tag nach der zweiten Stunde von der Mutter abgeholt werden musste (Ich kann mir aber irgendwie nicht vorstellen, dass man das als Schulleitung bzw. Klassenleitung so festlegen darf?!)
    Die Mutter zeigte sich im ersten Gespräch sehr einsichtig und hielt meinen Vorschlag in Richtung Förderschule ES für angebracht. Nun war sie aber bei einem Psychologen mit dem Kind und der sagt " Nein, das liebe Kindchen hat nur ADHS, dem geben wir Ritalin und dann klappt das. Es darf unter keinen Umständen auf die Förderschule, es ist ja nicht lernbehindert!" :autsch:
    Und jetzt will die Mutter natürlich auf gar keinen Fall mehr, dass ihr Kind auf eine Förderschule geht. So, jetzt stehe ich da mit diesem Kind, das ich einfach nicht in den Griff bekomme. Es zieht einfach GAR nichts ( an der anderen Schule wurden auch schon sämtliche Fördrpläne etc ausprobiert, ich habe schon ein Belohnungssystem versucht, Nacharbeiten im Schulleiterbüro (da hat das Kind übrigens auch nur gestört und während die SL telefoniert hat dazwischen gerufen, seinen Schulranzen demoliert etc), Nacharbeiten in anderer Klasse, Einzelbetreuung mit mir auf dem Flur während die LAA unterrichtet hat...)
    Seit zwei Wochen habe ich kaum noch Unterricht machen können, da dieses Kind NUR stört! Was mache ich jetzt? Schließlich WOLLEN 15 andere Kinder ja etwas lernen und beschweren sich zurecht über die Zustände.
    Leider muss ich dazu sagen, dass unsere SL mich da relativ alleine lässt... :(
    Hat jemand irgendwelche Tipps?
    Schon mal Danke im Voraus!


    Ach so, es ist übrigens auch eine 2. Klasse...

  • Da hast du ja wirklich das große Los gezogen!


    Bei uns in SH würde das so laufen:


    1. Die Klassenkonferenz beschließt, dass für das Kind ein Lernplan ese geschrieben wird.


    2. Im Lernplan wird u. a. festgehalten, dass das Kind verkürzten Unterricht erhält (z. B. täglich die ersten 3 Stunden) und für die anderen Stunden Aufgaben mit nach Hause bekommt, die es am nächsten Tag abzugeben hat. Dieses Vorgehen muss deine SL warscheinlich mit dem Schulamt abstimmen.


    3. Weiterhin muss unbedingt darin stehen, dass das Kind bei selbst- oder fremdgfährdendem (Tritte!) sowie grenzverletzendem (Finger in die Ohren stecken) Verhalten umgehend abgeholt wird.


    4. Für den Psychologen eine Schweigepflichtsentbindung geben lassen und Kontakt aufnehmen.


    5. Bei anerkannntem Förderbedarf steht dir doch die Unterstützung durch einen Förderschulkollegen zu. Wir melden solche Fälle der zuständigen Förderschule.


    Du solltest täglich bei der SL auf der Matte stehen, alles berichten und um Unterstützung bitten. Halte das auch für dich als Aktennotiz fest. Wenn wirklich etwas passiert, wird man sich nämlich zuerst an dich als KL wenden und fragen, was du denn unternommen hast. Dann kannst du belegen, dass du alle Vorkommnisse an deine übergeordnete Stelle weitergegeben hast.


    Viel Erfolg!

Werbung