schockierende Zahlen aus Bayern....

  • Das ist auch das, was mich - bei allem Verständnis und Mitgefühl - immer am meisten aufregt, wenn sich junge Lehrämtler über die schlechte Stellensituation beschweren: Dass sie wie mit Scheuklappen nur auf ein Berufsziel hin studiert haben, ohne zu wissen, ob sie eine Stelle bekommen oder ob der Job überhaupt etwas für sie ist.

    Bingo. Es ist absolut absurd, dass ...


    a) ... es in Deutschland eine akademische (!) Ausbildung mit nur einem einzigen Berufsziel, nämlich "Lehrer", gibt.
    b) ... in keinem anderen Berufsstand als dem des Lehrers irgendwie alle davon ausgehen, dass die abgeschlossene Ausbildung automatisch (!) in eine Festanstellung übergeht.


    Ich frage mich, wie lange es noch dauert, bis endlich die Feedback-Schleife "keine Anstellung nach dem Ref - weniger Studienanfänger im Lehramt" greift. Oder sind in D die Lehrämtler am Ende doch alles Lemminge? ;)

  • Das Problem unserer Schüler sind die mangelnden Alternativen. Viele Studiengänge (BWL, Jura, Lehramt, ...) sind durch die gestiegene Anzahl an Abiturienten massiv überfüllt. Die Zeit von hoch dotierten Stellen für die breite Masse der Absolventen ist eben vorbei.


    Ich bin interessiert an der Unterrichtseinheit zur Arbeitsmarktlage. Bitte sende sie mir per PN.

  • a) ... es in Deutschland eine akademische (!) Ausbildung mit nur einem einzigen Berufsziel, nämlich "Lehrer", gibt.

    Du kannst auch bei zig anderen Arbeitgebern damit anfangen, da spricht ja nichts gegen. Der AG muss die Person nur haben wollen, dann wird die auch eingestellt.


    Die Zeit von hoch dotierten Stellen für die breite Masse der Absolventen ist eben vorbei.


    Akademiker werden im Durchschnitt immer noch deutlich besser als Leute mit Ausbildung bezahlt. Das war schon immer so und wird auch so bleiben.

  • Das Problem ist doch auch einfach, dass man als Lehrer mit seinem Abschluss auf dem Arbeitsmarkt fast nichts wert ist. Mal abgesehen von Naturwissenschaften, aber diese werden natürlich auch weniger auf Lehramt studiert, weil es in der Wirtschaft attraktivere Möglichkeiten gibt. Auch ist der Anteil eines Jahrgangs, der überhaupt die Fähigkeiten hat eine Naturwissenschaft (Bio vielleicht mal ausgenommen) zu studieren, verschwindend klein gegenüber den geisteswissenschaftlichen Fächern.
    Aber selbst in technischen Berufsfeldern ist ein Lehrämtler mit entsprechenden Fächern (z.B. Chemie, Physik, Mathe) mit Sicherheit nicht die erste Wahl gegenüber anderen Bewerbern.
    Ausserhalb des Lehrerberufs gibt es eben keinen echten (!) Bedarf an Germanisten, Philosophen, Historikern oder Leuten, die ein Hauptstudium in Latein abgeschlossen haben.


    Die Problematik spitzt sich in diesen Fächern besonders zu, weil die Diskrepanz zwischen dem Wichtigkeitserleben in der Schule aus Schülersicht und der Wichtigkeit in der Arbeitswelt in diesen Fächern besonders extrem ist:
    Als Schüler bekommt man z.B. eingetrichtert, dass Deutsch ein wichtiges Hauptfach ist, oder, dass Geschichte bedeutsam ist, weil es so viele Stunden über die ganze Schullaufbahn unterrichtet wird, Physik, Informatik und Chemie aber nur sehr wenige und eher eine Randerscheinung sind. Dieses Empfinden extrapolieren fast alle Schüler automatisch und werden dann von einer Realtität eingeholt, in der erstere Fächer auf dem Arbeitsmarkt fast wertlos sind, letztere durchaus sehr gute Berufsaussichten, eben zum Teil auch ausserhalb des Lehramts, geboten hätten.


    Ich kann die Lehramtskandidaten da schon verstehen, das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich selbst unterlag, trotz eines sehr guten Abiturs, häufigem Querdenken und einer starken Begabung für Mathematik, der Illusion, dass ein Mathestudium auf Diplom wohk kaum Aussicht auf Anstellung bringen würde, da mir schlicht überhaupt nicht klar war, in welchen Berufen man als diplomierter Mathematiker arbeiten könnte.


    Das Schlimme zu meiner Schulzeit war auch, dass die Lehrer da auch schlicht nicht erkannt haben, dass Schüler Informationen darüber brauchen, welche Fächer nur in der Schule wichtig sind, und welche Fächer auch gute Berufschancen ergeben und gefragte Qualifikationen darstellen. So wurde eine Schülerin bei uns, die ebenfalls ein 1er Abiturdurchschnitt hatte, von einer Deutschlehrkraft sogar noch ermutigt ihrem Impuls Theaterwissenschaft zu studieren zu folgen. Und das, obwohl sie auch in Naturwissenschaften sehr gute Noten und Interesse hatte. Noch heute ärgert sie sich, dass sie nicht Pharmazie studiert hat, wie sie auch erwägte.
    Ebenso ein Schüler mit Politikwissenschaft, der jetzt auch ziemlich in die Röhre guckt.
    Wir als Lehrer haben also auch eine große Verantwortung, als MINT-Lehrer die Schüler zur Orientierung in diesen Fächerbereich zu ermutigen, und als Geisteswissenschaftlicher Lehrer Schüler vor ihrem Fächerbereich zu warnen und Alternativen aufzuzeigen. Auch so etwas kann Einfluss auf die Bewerberzahlen der verschiedenen Fachbereiche haben.

  • Zitat von Karl-Dieter

    Akademiker werden im Durchschnitt immer noch deutlich besser als Leute mit Ausbildung bezahlt. Das war schon immer so und wird auch so bleiben.

    Man muss sich aber dennoch bewusst sein, dass heutzutage nur noch vergleichsweise wenige den Hauptgewinn (verbemateter Lehrer, Konzernmitarbeiter, ...) bekommen.


    Zitat von Firelilly

    Wir als Lehrer haben also auch eine große Verantwortung, als MINT-Lehrer die Schüler zur Orientierung in diesen Fächerbereich zu ermutigen, und als Geisteswissenschaftlicher Lehrer Schüler vor ihrem Fächerbereich zu warnen und Alternativen aufzuzeigen. Auch so etwas kann Einfluss auf die Bewerberzahlen der verschiedenen Fachbereiche haben.

    Auch hier muss man vorsichtig sein: Auch die MINT-Blase (angeheizt durch den angeblichen Fachkräftemangel) wird früher oder später platzen.

  • Das Schlimme zu meiner Schulzeit war auch, dass die Lehrer da auch schlicht nicht erkannt haben, dass Schüler Informationen darüber brauchen, welche Fächer nur in der Schule wichtig sind, und welche Fächer auch gute Berufschancen ergeben und gefragte Qualifikationen darstellen. So wurde eine Schülerin bei uns, die ebenfalls ein 1er Abiturdurchschnitt hatte, von einer Deutschlehrkraft sogar noch ermutigt ihrem Impuls Theaterwissenschaft zu studieren zu folgen. Und das, obwohl sie auch in Naturwissenschaften sehr gute Noten und Interesse hatte. Noch heute ärgert sie sich, dass sie nicht Pharmazie studiert hat, wie sie auch erwägte.
    Ebenso ein Schüler mit Politikwissenschaft, der jetzt auch ziemlich in die Röhre guckt.
    Wir als Lehrer haben also auch eine große Verantwortung, als MINT-Lehrer die Schüler zur Orientierung in diesen Fächerbereich zu ermutigen, und als Geisteswissenschaftlicher Lehrer Schüler vor ihrem Fächerbereich zu warnen und Alternativen aufzuzeigen. Auch so etwas kann Einfluss auf die Bewerberzahlen der verschiedenen Fachbereiche haben.

    Also sollte ich als Geisteswissenschaftler frühzeitig damit anfangen, den Leuten klarzumachen: "Das ist ein Fach, das braucht ihr nie wieder - lernt lieber was anderes!"??? Ich warne doch keinen vor meinem Fachbereich, was nicht heißt, dass ich durchaus, wenn ich gefragt werde, die Problematik am Arbeitsmarkt darstelle. Oder sollte ich mir vll. auch klarmachen, dass man nur für den Beruf zur Schule geht und Bildung sich am Marktwert misst? Diesen Eindruck habe ich leider zunehmend und er wird in hohem Maße von MINT-Kollegen vermittelt. Ich kenne übrigens ehemalige Schüler, die sowohl Politik als auch Theaterwissenschaften studiert haben und jetzt erfolgreich im Job sind. Besser als dauerhaft frustrierte MINTler. Von daher finde ich Firelillys Forderung "Geisteswissenschaftler, warnt vor euren Fächern! Die braucht man später nie mehr!" ehrlich gesagt anmaßend und unreflektiert.

  • Naja, Firelilly hat schon recht. Hier in Niedersachsen wird mit der Umstellung auf (wieder) G9 zum Beispiel das Fach Politik aufgewertet (gewinnt Stunden), während die Naturwissenschaften letztendlich schlechter als beim alten G9 darstehen, d.h. sie gewinnen keine Stunden im Vergleich zum G8 (beim Übergang G8 -> G9 wurde wegen der wegfallenden 11. Klasse gekürzt). Die Arbeitsmarktrelevanz der MINT-Fächer spiegelt sich absolut nicht in der Stundenverteilung wieder (bis auf Mathematik).


    Ein zweiter Punkt ist natürlich der "Wohlfühlfaktor": Bei den MINT-Fächer gibt's über nicht ausreichende Leistungen oder falsche Lösungen relativ schnell eine Rückmeldung, ebenso stellen sich Erfolge nicht so schnell wie in den "Wohlfühlfächern" ein bzw. man kann relativ schnell abgehängt werden. Bei unserer Schülergeneration, die auch durch die Medien auf schnelle "Belohnungen" konditioniert ist, führt das oft zu Frustrationen. Da wählt man dann den vorgeblich leichteren Weg.


    Und wem sowieso schon klar ist, dass er was "mit Medien" oder Jura oder BWL machen will, der strengt sich in den MINT-Fächern sowieso wenig an


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    • Offizieller Beitrag

    es nützt ja auch nichts:


    nicht jeder ist geeigent für Naturwissenschaften. Nicht, weil er/ sie zu blöde dafür wären, sondern einfach die Begabungsschwerpunkte ganz woanders liegen.


    Im Leben werde ich keinem Schüler dazu raten, ein MINT -oder Technikfach zu studieren, der dafür so gar keine Eignung hat.

  • Es geht ja am Ende auch nicht darum, dass alle E-Technik studieren sollen. Ich würde auch niemandem raten, entgegen seiner (vermeintlichen) Interessen zu studieren.



    Ich gehe aber einmal davon aus, dass wir uns alle darüber einig sind informierte Studienentscheidungen zu treffen. Selten sind die Interessen von SuS ja so eng und stark spezifisch, um z.B. einzig und allein Deutsch/Geschichte auf Lehramt in Betracht zu ziehen.



    Als persönliche Daumenregel rate ich bei Rückfragen zu dem Thema mittlerweile zu empfehlen, sich 5 Studienrichtungen zu notieren, für die jemand glaubt sich besonders zu interessieren und davon den Studiengang mit den voraussichtlich besten Arbeitsmarktchancen zu nehmen (von den tatsächlichen Studieninhalten und dem Arbeitsalltag haben die meisten ja nicht immer eine zutreffende Vorstellung).



    Falls jemand dann immer noch informiert D/G-Lehramt studieren will - bitte. Man darf ihm dann aber getrost vor Augen führen, dass ihm die schlechten Chancen, bedingt durch das erhebliche Überangebot, bereits vor Jahren klar waren und er nun keinen Grund hat sich zu beklagen.

  • Es ist absolut absurd, dass ...
    ... es in Deutschland eine akademische (!) Ausbildung mit nur einem einzigen Berufsziel, nämlich "Lehrer", gibt.

    Für den Staat doch eine wunderbare Sache. Er schafft sich eine Abhängigkeit und kann die Arbeitsbedingungen quasi einseitig festlegen. Das äußerst sich dann darin, dass Ministerpräsidenten Lehrer als "faule Säcke" beschimpfen können und Lehrer teilweise mit Zeitverträgen ausgestattet über die Sommerferien entlassen werden, weil das ein paar Euro billiger ist.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Du kannst auch bei zig anderen Arbeitgebern damit anfangen, da spricht ja nichts gegen. Der AG muss die Person nur haben wollen, dann wird die auch eingestellt.

    Was theoretisch möglich ist und in der Praxis geschieht, sind ja zwei verschiedene Paar Schuhe. Ein Master of Education hat als Berufsziel ganz klar "Lehrer", ein Master of Sciences oder wie immer es im Phil-I-Bereich heisst, lässt das Berufsziel offen.



    Aber selbst in technischen Berufsfeldern ist ein Lehrämtler mit entsprechenden Fächern (z.B. Chemie, Physik, Mathe) mit Sicherheit nicht die erste Wahl gegenüber anderen Bewerbern.

    So gross ist die Not noch lange nicht. Ich halte es in meinem Fachgebiet für absolut ausgeschlossen, dass jemand mit einem Master of Education z. B. für die chemische Produktion eingestellt wird. Keine Ahnung, wie es im Phil-I-Bereich ausschaut.



    Als Schüler bekommt man z.B. eingetrichtert, dass Deutsch ein wichtiges Hauptfach ist, oder, dass Geschichte bedeutsam ist, weil es so viele Stunden über die ganze Schullaufbahn unterrichtet wird, Physik, Informatik und Chemie aber nur sehr wenige und eher eine Randerscheinung sind.

    Ist das so? Wenn ja ist es grob fahrlässig. Ich trichtere niemanden irgendwas ein. Die chemische bzw. pharmazeutische Industrie ist bei uns in der Region der wichtigste Arbeitgeber. Das wissen meine SuS selbst, jeder von denen hat irgendwo in der unmittelbaren Verwandschaft jemanden, der da arbeitet. Die Diskussion was "wichtig" oder "unwichtig" ist erübrigt sich damit. Die meist gewählten Schwerpunktfächer an meiner Schule sin Bio/Chemie und Wirtschaft/Recht.



    Im Leben werde ich keinem Schüler dazu raten, ein MINT -oder Technikfach zu studieren, der dafür so gar keine Eignung hat.

    Dito. Wenn ich gefragt werde, sage ich immer "machen Sie das, was Sie am besten können, dann ist auch die Wahrscheinlichkeit am grössten, dass Sie hinterher einen guten Job bekommen". Meiner ganz persönlichen Erfahrung nach ist am Ende leider in den Phil-I-Fächern der Anteil derjenigen deutlich höher, die eben nicht so genau wissen, was sie eigentlich können und dann mal so vor sich hinstudieren. Wahrscheinlich ist das der eigentliche Grund dafür, warum in diesen Bereichen die Arbeitslosenzahlen höher sind, als im MINT-Bereich. Es kommt einfach (fast) keiner auf die Idee Physik zu studieren, wenn er nicht gut rechnen kann, oder?

  • Und wem sowieso schon klar ist, dass er was "mit Medien" oder Jura oder BWL machen will, der strengt sich in den MINT-Fächern sowieso wenig an

    Das kann man so nicht sagen. Meine besten Grundlagenfachschüler sind tatsächlich die mit Schwerpunktfach Wirtschaft/Recht. ;) Ich habe auch viele Studienkollegen die später Fortbildungen im Bereich BWL gemacht haben - ist eine hervorragende Kombination!

  • Nach ökonomischen Gesichtspunkten ist es doch generell riskant überhaupt noch irgendein geisteswissenschaftliches Studienfach zu belegen, egal ob auf Lehramt oder nicht. Die beruflichen Chancen sind immer sehr gering. Unbeschränkte räumliche Flexibilität ist eigentlich schon eine absolut zwingende Voraussetzungen um nach einem geisteswissenschaftlichen Studium überhaupt irgendeinen Arbeitsplatz zu bekommen.


    MINT ist gefragt, egal ob im Lehramt oder in der Wirschaft. Von daher müsste man wohl allen Studienanfänger empfehlen etwas in dem Bereich zu machen, um später auch aussichtsreiche berufliche Chancen zu haben.


    Aber was, wenn man nunmal weder Interesse noch Talent in dem Bereich hat? Die Vorstellung ein 5jähriges Studium in Physik, Chemie, Informatik oder Mathematik zu absolvieren und anschliessend 40 Jahre lang ein solches Fach zu unterrichten, für das ich überhaupt kein eigenes Interesse aufbringen kann, stelle ich mir sehr unbefriedigend vor. Ich glaube auch nicht, dass man so glücklich wird.

  • Auch die MINT-Blase (angeheizt durch den angeblichen Fachkräftemangel) wird früher oder später platzen.

    Was für eine MINT-Blase? Mit Philosophie lässt sich eben kein Auto bauen.


    Das wir keinen Fachkräftemangel haben, da gebe ich dir Recht. Wir haben nur einen Mangel an Fachkräften, die sich nicht unter Wert verkaufen wollen.


    Ich sehe da noch ein anderes Problem: Mein Eindruck ist, dass in besonders allgemeinbildenden Schulen viel Wert Wert auf auswendig lernen gelegt wird. Damit bekommt man aber in den MINT-Fächeren ganz schnell ein Lastproblem.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Ich sehe da noch ein anderes Problem: Mein Eindruck ist, dass in besonders allgemeinbildenden Schulen viel Wert Wert auf auswendig lernen gelegt wird. Damit bekommt man aber in den MINT-Fächeren ganz schnell ein Lastproblem.

    Jetzt geht es aber schon ein bisschen in Richtung Fächer-Bashing, oder? Wenn ich jetzt mein Fach als Beispiel nehme - das kann ich auch so und so unterrichten. Ich kann meine SuS ganz stupide Stöchiometrie und pH-Werte rechnen lassen, das kann jeder bzw. wer es wirklich nicht kann, der gehört wohl auch wirklich nicht ans Gymnasium. Ich kenne leider immer noch viele Kollegen "vom alten Schlag", die Chemie genau so unterrichten und sich dann wundern, warum keiner Bock drauf hat. Halte ich jetzt nicht für besonders geistreich. Oder nehmen wir die Physik ... was ist so wahnsinnig intellektuell dran, die ganze Stunde Aufgaben rechnen zu lassen, für die man jeweils nur den richtigen Buchstaben in der Formelsammlung finden muss? "Suche F = m x a und stelle die Formel nach einem beliebigen Buchstaben um". Da ich sowas eben schon oft genug bei den Kollegen gesehen habe, wage ich mich nicht nicht mich selbst allzuweit aus meinem MINT-Fensterchen rauszulehnen um die Phil-I-er zu verhöhnen.

  • Also sollte ich als Geisteswissenschaftler frühzeitig damit anfangen, den Leuten klarzumachen: "Das ist ein Fach, das braucht ihr nie wieder - lernt lieber was anderes!"??? Ich warne doch keinen vor meinem Fachbereich,


    Ich mache das immer, in deutlichen Worten. Ich weiß, doch, wie es im Regelfall mit so einem sinnlosen Studium wie z.B. der anglistischen Literaturwissenschaft und der neueren Geschichte auf Magister wird; da wird man dann hinterher als Möbelpacker und -monteur arbeiten muss, um seine Brötchen zu verdienen, wenn sich nicht zufällig eine gute Chance auftut, in den Lehrerberuf zu wechseln. Ich rate aktiv von einem Studium geisteswissenschaftlicher Fächer ab und zeichne dabei auch realistische Bilder.


    Denjenigen meiner Schüler, denen diese Fächer so am Herzen liegen, dass sie die Fächer unbedingt studieren müssen, werden das auch gegen meinen Rat tun. Und ich finde es auch besser, diejenigen zu entmutigen, die ein geisteswissenschaftliches Studium ohnehin nur lauen Herzens beginnen, weil ihnen nichts besseres einfällt und "weil sie in der Schule schon immer gut in dem Fach waren", als ob das was aussagen würde.


    Um ehrlich zu sein, fände ich es auch ganz gut, wenn die geisteswissenschaftlichen Institute von solchen Leuten verschont blieben und die nicht auch noch Lehrer würden (sicherer Indikator ist das Gemeckere über "das will ich nicht lernen, brauche ich auf der Schule ohnehin nicht" oder schlimmstenfalls sogar ein "ich lese nicht gerne".)


    Zitat

    Oder sollte ich mir vll. auch klarmachen, dass man nur für den Beruf zur Schule geht und Bildung sich am Marktwert misst? Diesen Eindruck habe ich leider zunehmend und er wird in hohem Maße von MINT-Kollegen vermittelt. Ich kenne übrigens ehemalige Schüler, die sowohl Politik als auch Theaterwissenschaften studiert haben und jetzt erfolgreich im Job sind. Besser als dauerhaft frustrierte MINTler. Von daher finde ich Firelillys Forderung "Geisteswissenschaftler, warnt vor euren Fächern! Die braucht man später nie mehr!" ehrlich gesagt anmaßend und unreflektiert.


    Erstens war Bildung immer ein Marktgegenstand - in der bürgerlichen Gesellschaft sogar noch mehr als sonst. Das humboldtsche Bildungsideal, auf das du anspielst, war ein Luxusgegenstand des arrivierten, wirtschaftlich abgesicherten Mittelstandes, der mit ihr einen social marker verfügte, der mit dem Klavier im bürgerlichen Haushalt vergleichbar war. Auch heute noch ist dieses "klassische" Bildungsideal primär Definitionsmerkmal einer sozialen Elite, die sich als Minderheit damit von einer Mehrheit diskursiv absetzt und nach außen hin abgrenzt ("Wer über Theater, Literatur und klassische Musik sprechen kann, gehört dazu.") und auch über eine eigene Schulform zur Reproduktion verfügt, das Gymnasium. Offensichtlich gibt es die Tradition der Bohème, die ist aber eine interessante, wenngleich nicht repräsentative Randerscheinung.


    Zweitens; obwohl der Funktion von Bildung als gesellschaftlichem Selektionsmerkmal sicherlich ihre intrinsische Wertigkeit gegenübersteht, muss man doch noch ein Stück weiterdenken bei der Frage, ob man tatsächlich ein Hochschulstudium anböte. Wenn jemand hell in der Birne ist und (auch) in den geisteswissenschaftlichen Fächern begabt, wozu dann z.B. ein Literaturstudium? Bildung findet zum allergrößten Teil nicht institutionell sondern privat statt. Die Schule legt die einfachen Grundlagen, im Studium erfolgt eine Spezialbildung. Bücher Lesen, symphonische Musik hören, Bühnenstücke ansehen sind ein feines Freizeitvergnügen, aber um diesem Hobby befriedigend nachzugehen, braucht es kein Studium. Tatsächlich hatte ich schon mit Juristen, Physikern, Ärzten interessantere und intellektuell anregendere Gespräche über neuere Literatur als ich es mit vielen meiner damaligen Komilitonen oder heutigen Kollegen hatte und habe. Es ist ja nun leider de facto so, dass gerade die Geisteswissenschaften, die Schulfächer abbilden, sehr anziehend für Kandidaten sind, die man nicht unbedingt zu den kognitiven High-Performern zählen möchte. Ich würde solchen Leuten nicht auch noch zu so einem Studium zuraten.

  • Erstens war Bildung immer ein Marktgegenstand - in der bürgerlichen Gesellschaft sogar noch mehr als sonst. Das humboldtsche Bildungsideal, auf das du anspielst, war ein Luxusgegenstand des arrivierten, wirtschaftlich abgesicherten Mittelstandes, der mit ihr einen social marker verfügte, der mit dem Klavier im bürgerlichen Haushalt vergleichbar war. Auch heute noch ist dieses "klassische" Bildungsideal primär Definitionsmerkmal einer sozialen Elite, die sich als Minderheit damit von einer Mehrheit diskursiv absetzt und nach außen hin abgrenzt ("Wer über Theater, Literatur und klassische Musik sprechen kann, gehört dazu.") und auch über eine eigene Schulform zur Reproduktion verfügt, das Gymnasium. Offensichtlich gibt es die Tradition der Bohème, die ist aber eine interessante, wenngleich nicht repräsentative Randerscheinung.

    Wo unterscheiden sich da jetzt Geistes- von Naturwissenschaften? Zu wissen, wie ein Atom aufgebaut ist (oder zumindest wie die meisten Naturwissenschaftler sich heute vorstellen, wie es aufgebaut ist) hat für die meisten von uns auch nur so viel intellektuellen Wert, als dass man damit auf irgendeiner Studentenparty rumnerden kann.


    Wenn mich am Gymnasium meine Schüler fragen "wozu muss ich das jetzt wissen?" antworte ich immer "Sie müssen gar nicht. Was Sie wirklich müssen ist lesen, schreiben und Dreisatz rechnen. Aber das konnten Sie auch vor dem Gym schon." Für mich ist das von Dir zitierte "klassische Bildungsideal" in der Tat eine Geisteshaltung. Entweder man ist gewillt sich mit abstrakten und/oder gar vermeintlich "nutzlosen" Dingen auseinander zu setzen, weil es das Denken an sich lehrt, oder man ist am Gymnasium am falschen Ort und sollte sich lieber in Richtung Berufslehre orientieren. Ich meine das überhaupt nicht abwertend im Sinne von "Azubis sind zu doof fürs Gym", ich habe selbst schon Berufslernende unterrichtet und war äusserst angetan von denen.

  • Auch heute noch ist dieses "klassische" Bildungsideal primär Definitionsmerkmal einer sozialen Elite, die sich als Minderheit damit von einer Mehrheit diskursiv absetzt und nach außen hin abgrenzt ("Wer über Theater, Literatur und klassische Musik sprechen kann, gehört dazu.") und auch über eine eigene Schulform zur Reproduktion verfügt, das Gymnasium.

    Was soll dieser Klassenkampf? Und falls das Gymnasium wirklich "eine eigene Schulform zur Reproduktion" einer sozialen Elite sein sollte, dann können wir stolz sein, dass diese Elite mittlerweile 40% der Bevölkerung umfasst, in Großstädten sogar über 50%. Mehr Erfolg kann sich eine Schulform in einer Demokratie nicht wünschen.


    Gruß !


    ps: Wie ist das eigentlich am "Weiterbildungskolleg"? Habt ihr da auch Inklusion und Ganztagsschule? Oder schließt ihr ganz elitär diejenigen mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus und diejenigen, die nur zu bestimmten Zeiten zur Schule gehen könnten?

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

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  • Jetzt geht es aber schon ein bisschen in Richtung Fächer-Bashing, oder?

    Überhaupt nicht.
    Ich sehe viele Schüler/innen an den beruflichen Schulen, die Formeln auswendig lernen und zwar in jeder umgestellten Variante, oder, die keine Aufgaben bearbeiten können, wenn eine Formal nicht in allen umgestellten Varianten in der Formalsammlung steht.
    Und das nur, weil sie nicht in der Lage sind eine Formel umzustellen.


    Und hier stehen eben zwei Strategien gegenüber:

    • Ich lerne alles in allen Varianten auswendig, damit es für die Klausur reproduzierbar ist. Dann bekomme ich irgendwann ein Lastproblem. ...oder...
    • Ich verstehe, wie man Formeln umstellt, behersche also ein Verfahren, das ich in beliebigen Fällen immer wieder anwenden kann. Dann lerne ich einmal und habe eben dann noch Kapazitäten frei um auch den Inhalt zu verstehen (was sagt die Formel aus, wie ändert sich das Ergebnis bei Änderung einzelner Parameter, praktische Anwendung usw.)

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

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