schockierende Zahlen aus Bayern....

  • Ich kann meine SuS ganz stupide Stöchiometrie und pH-Werte rechnen lassen, das kann jeder bzw. wer es wirklich nicht kann, der gehört wohl auch wirklich nicht ans Gymnasium. Ich kenne leider immer noch viele Kollegen "vom alten Schlag", die Chemie genau so unterrichten und sich dann wundern, warum keiner Bock drauf hat. Halte ich jetzt nicht für besonders geistreich. Oder nehmen wir die Physik ... was ist so wahnsinnig intellektuell dran, die ganze Stunde Aufgaben rechnen zu lassen, für die man jeweils nur den richtigen Buchstaben in der Formelsammlung finden muss? "Suche F = m x a und stelle die Formel nach einem beliebigen Buchstaben um". Da ich sowas eben schon oft genug bei den Kollegen gesehen habe, wage ich mich nicht nicht mich selbst allzuweit aus meinem MINT-Fensterchen rauszulehnen um die Phil-I-er zu verhöhnen.

    Auf der anderen Seite gibt es auch Chemielehrer, und den Eindruck bekommt man beim Lesen dieses Abschnitts, die sich um Formeln, Rechnungen, Reaktionsmechanismen und komplexere Modelle wenig scheren und auch in der Oberstufe noch sehr phänomenologisch unterrichten. Habe auch so Kolleginnen, da ist wirklich alles schön bunt, es werden im Chemieunterricht Rollenspiele gemacht und in erster Linie spannende Showexperimente durchgeführt.
    Von tiefgehender Auswertung dann aber keine Spur, da müsste man ja rechnen oder Formeln verwenden.
    Auch werden da unzählige Stunden damit verbracht Internetrecherche zu betreiben und dann in weiteren Stunden bunte Plakate darüber zu erstellen, die in weiteren Stunden dann präsentiert werden.
    Dadurch bleibt das Verständnis für Chemie sehr oberflächlich.
    Man sollte mich nicht falsch verstehen, auch ich setze die von mir so negativ dargestellten Methoden ein, aber sehr punktuell.
    Zur Chemie gehören Formeln, Rechnungen und Modelle. Man sollte diese natürlich in einen Kontext einbetten, sich eine Aufgabe überlegen, ein Problem, das es zu lösen gilt. Aber pH-Wert Berechnungen zu diskreditieren halte ich für falsch.
    Sich mündig über chemische Sachverhalte äußern zu können, und das ist eine Kompetenz die SuS erlernen sollen, kann man nur, wenn man auch versteht was da chemisch vor sich geht. Um zu verstehen was passiert, muss man eben auch einen pH-Wert berechnen können.
    Ist natürlich jetzt etwas off topic, aber was findest Du intellektuell fordernd, wenn nicht, dass SuS in Physik und Chemie auch Aufgaben rechnen?
    Motivation ist nicht alles, es geht auch um den konkreten Erwerb von Kompetenzen.
    Ein Beispiel aus dem Sportunterricht: Wir hatten einen Lehrer, der mit uns ganz viel Ballsportarten einfach nur gespielt hat, keine Vermittlung von Technik. Da konnten wir Jungs einfach Fußball zocken und hatten tierisch Spaß und haben uns wie Bolle auf die Sportstunden gefreut. Unbeliebte Themen wie Stöchiometrie äh ich meine Bodenturnen wurde da ganz klein gehalten. Dann gab es einen Lehrerwechsel und wir hatten jemanden der "alten Schule", nix mit einfach nur Spielen, höchstens zum Abschluss als Belohnung. Da ging es vor allem darum Übungen zu machen, Techniken (z.B. beim Volleyball) zu erlernen, das war "langweilig, anstrengend", wir wollten doch viel lieber einfach rumdaddeln.
    Ich verstehe nichts von Sportdidaktik, aber auch dort kann man offensichtlich die Motivation auf Kosten der zu erwerbenden Kompetenzen erhöhen.
    Auch dort macht es sicher die Mischung, die von Dir verunglimpfte "alte Schule" mit den "motivierenden Methoden" auszubalancieren.

  • Ich mache das immer, in deutlichen Worten. Ich weiß, doch, wie es im Regelfall mit so einem sinnlosen Studium wie z.B. der anglistischen Literaturwissenschaft und der neueren Geschichte auf Magister wird; da wird man dann hinterher als Möbelpacker und -monteur arbeiten muss, um seine Brötchen zu verdienen, wenn sich nicht zufällig eine gute Chance auftut, in den Lehrerberuf zu wechseln. Ich rate aktiv von einem Studium geisteswissenschaftlicher Fächer ab und zeichne dabei auch realistische Bilder.


    Denjenigen meiner Schüler, denen diese Fächer so am Herzen liegen, dass sie die Fächer unbedingt studieren müssen, werden das auch gegen meinen Rat tun. Und ich finde es auch besser, diejenigen zu entmutigen, die ein geisteswissenschaftliches Studium ohnehin nur lauen Herzens beginnen, weil ihnen nichts besseres einfällt und "weil sie in der Schule schon immer gut in dem Fach waren", als ob das was aussagen würde.


    Um ehrlich zu sein, fände ich es auch ganz gut, wenn die geisteswissenschaftlichen Institute von solchen Leuten verschont blieben und die nicht auch noch Lehrer würden (sicherer Indikator ist das Gemeckere über "das will ich nicht lernen, brauche ich auf der Schule ohnehin nicht" oder schlimmstenfalls sogar ein "ich lese nicht gerne".)


    Das halte ich für eine gesunde Einstellung, Doppeldaumen hoch!

  • Das halte ich für eine gesunde Einstellung, Doppeldaumen hoch!

    Ich bin inzwischen sehr vorsichtig bei Prognosen und Empfehlungen geworden, auch aus eigener Erfahrung. Als ich anfing zu studieren, bekam ich überall gesagt, ich könnte mir ja schon mal einen Taxischein besorgen, weil ich mit Geisteswissenschaften auf Lehramt ohnehin arbeitslos würde. Als ich mit dem Studium und Referendariat fertig war, rissen sich die Schulen plötzlich um meine Fächerkombi. Später machte Hessen massiv Werbung für Mangelfächer, auch Schüler von mir wählten danach ihre Fächer aus - und stehen jetzt auf der Straße, weil nicht eingestellt wird. Als ich Abitur machte, galten BWL und Jura als "sichere Bank", als meine Mitschüler dann fertig waren mit dem Studium dieser Fächer, sah das wieder ganz anderes aus. Ich rate jedem Schüler, sich über den Stand des Arbeitsmarktes zu informieren. Wer Geisteswissenschaften studiert, sollte sich bewusst sein, dass er es evtl. schwerer haben wird, sofort eine feste Anstellung zu finden. Aber ich habe auch ehemalige Schüler, die mit Einfallsreichtum, frühzeitiger Orientierung und Praktika im Studium und sehr guten Studienleistungen auch in den Geisteswissenschaften ihren Arbeitsplatz gefunden haben. Und zwar nicht als Möbelpacker oder -monteur. Ich finde auch die Stärkung der MINT-Fächer wichtig, aber im Moment sehe ich da wieder einmal die für unser Schulsystem so typische Einseitigkeit. Gefördert wird nur noch, was auf den ersten Blick "berufsrelevant" erscheint, die Geisteswissenschaften kämpfen zunehmend gegen eine Abwertung, wie ich sie leider auch hier im Forum lese. Damit wären wir dann wieder bei der guten alten Frage, was gymnasiale Bildung soll - meiner Meinung nach eben nicht nur "Skills" für die Wirtschaft liefern. Ich bin auch der Auffassung, dass leider einige, die in die Geisteswissenschaften gehen, das als "Notlösung" nehmen (nach dem Motto "ich kann Deutsch - studier ich doch mal Germanistik"). Das hängt aber nicht daran, dass dem in der Schule zu viel Bedeutung zugemessen wird.

  • Ist natürlich jetzt etwas off topic, aber was findest Du intellektuell fordernd, wenn nicht, dass SuS in Physik und Chemie auch Aufgaben rechnen?

    Ja ... meine SuS müssen selbstverständlich AUCH mal Aufgaben rechnen. Wir rechnen Stoffumsätze, Energieumsätze, Gleichgewichte, pH-Werte ... wir rechnen immer mal wieder, wenn es eben so passt. Ich schreibe hier über die, die nichts anderes können oder wollen, als zu rechnen und Stöchiometrie für das chemischste halten, was es überhaupt nur gibt. Letztens erst bei einer Kollegin gesehen (die ich abgesehen davon sehr schätze!) - eine Prüfung zum Thema "Säuren und Basen" mit 8 Rechenaufgaben und sonst nichts.


    Was ich intellektuell fordernd finde? Wenn wir uns z. B. in die abstrakte Welt der Quantenmechanik hineindenken und versuchen nachzuvollziehen, wie man sich ein Orbital als dreidimensional stehende Welle vorstellen kann. Oder wenn wir überlegen, ob die Entropie nur ein "böser Lückenfüller" ist wenn es mit den Kräften und der Energie nicht aufgeht oder ob sie vielleicht als statistische Grösse definiert am Ende doch für den ein oder anderen verträglich wird. Ich diskutiere mit meinen Schülern vor allem gerne die Grenzen der Modelle, die wir so gerne an der Schule lehren. Modelle sind dazu da, die Natur verständlich zu beschreiben und Vorhersagen zu erlauben. Was ist so schlecht am Phänomen? Die Natur IST ein Phänomen und wir konstruieren die Modelle drumherum, so dass sie möglichst gut zu diesem Phänomen passen.



    Auf der anderen Seite gibt es auch Chemielehrer, und den Eindruck bekommt man beim Lesen dieses Abschnitts, die sich um Formeln, Rechnungen, Reaktionsmechanismen und komplexere Modelle wenig scheren und auch in der Oberstufe noch sehr phänomenologisch unterrichten.

    Ach, was manche Leute gleich für Eindrücke bekommen, wenn man mal zwei Zeilen voll hier irgendwas hinschreibt. Ich schrieb vom stupiden Rechnen und daraus werden gleich noch Reaktionsmechanismen und komplexere Modelle. Ich sag meinen Schülern immer "interpretieren Sie nur, so viel wie möglich ist und erfinden Sie nichts dazu, was Sie gar nicht wissen können".


    Zurück zum Thema ...



    Ich finde auch die Stärkung der MINT-Fächer wichtig, aber im Moment sehe ich da wieder einmal die für unser Schulsystem so typische Einseitigkeit. Gefördert wird nur noch, was auf den ersten Blick "berufsrelevant" erscheint, die Geisteswissenschaften kämpfen zunehmend gegen eine Abwertung, wie ich sie leider auch hier im Forum lese. Damit wären wir dann wieder bei der guten alten Frage, was gymnasiale Bildung soll - meiner Meinung nach eben nicht nur "Skills" für die Wirtschaft liefern.

    Da bin ich als Hardcore-Naturwissenschaftlerin ganz bei Dir. :) Bei uns gab es gerade eine Lehrplanumstellung, die insbesondere die Chemie extrem aufgewertet hat. Wir freuen uns in der Fachschaft da natürlich schon drüber, haben aber einstimmig beschlossen, dass wir die unglaublich vielen Mehrstunden nicht primär mit mehr Fachinhalten füllen wollen, sondern mehr Zeit ins Verständnis der existierenden Lerninhalte und in so schöne Dinge wie Propädeutik und Lernmethoden investieren wollen. Wir können nicht ständig alle vom "selbstregulierten Lernen" reden und es dann nicht auch einfach mal anpacken, wenn wir schon die Zeit und die personellen Ressourcen dazu haben. Ich gestehe: Ich bin Bildungsromantikerin. Noch habe ich die gute Hoffnung, dass aus meinen Schafen mal was Gescheites wird uns Sie am Ende eben nicht in so einer kläglichen Statistik wie der im Eingangspost erwähnten gelistet werden.

    • Offizieller Beitrag

    In Zeiten der zunehmenden Unfähigkeit, zielgerichtet zu kommunizieren, Texte und Subtexte so zu verstehen, dass man nicht über den Tisch gezogen werden kann, in Zeiten von Querfronten und Chemtrailgläubigen und Menschen, die in keiner Zeitung mehr die Faktenlage von der bauchgefühlten Wahrnehmung trennen können und deshalb reflexartig mit "Lügenpresse!" reagieren, in Zeiten, wo Menschen glauben, dass Homosexualität eine durch Homöopathie heilbare Erkrankung sei, in Zeiten wo sich "Reichsbürger" selbst Pässe ausstellen, weil sie glauben, in einer Besatzungszone zu leben, wo man die gesammelte Rechte bei "Friedensdemonstrationen" findet und irgendwelchen armen Friedenswilligen nichtmal merken, dass da nur ein geklautes Label draufsteht, und in Zeiten, wo Menschen glauben, dass die Kanzlerin einen Deal mit den arabischen Nationen gemacht hat, dass die Deutschen qua Immigration und Kinderkriegen "ausgetauscht" werden sollen und in Zeiten wo rassistische Herrenmenschen in grottigem Deutsch ekelhafteste Dinge wieder sagen und schreiben dürfen - in solchen Zeiten kann man die Geisteswissenschaften gar nicht hoch genug einschätzen. Nicht annähernd hoch genug.


    Powi, Geschichte, Ethik - und Deutsch sind demokratische Grundlagenfächer und sowas von notwendig.

  • In Zeiten der zunehmenden Unfähigkeit, zielgerichtet zu kommunizieren, Texte und Subtexte so zu verstehen, so dass man nicht über den Tisch gezogen werden kann, in Zeiten von Querfronten und Chemtrailgläubigen und Menschen, die in keiner Zeitung mehr die Faktenlage von der bauchgefühlten Wahrnehmung trennen können und deshalb reflexartig mit "Lügenpresse!" reagieren, in Zeiten, wo Menschen glauben, dass Homsexualität eine durch Homöopathie heilbare Erkrankung sei, in Zeiten wo sich Reichsbürger selbst Pässe ausstellen, weil sie glaben, in einer Besatzungszone zu leben, wo man die gesammelte Rechte bei Friedensdemonstrationen findet, und irgendwelchen armen Friedenswilligen nichtmal merken, dass da nur ein geklautes Label draufsteht, und in Zeiten, wo Menschen glauben, dass die Kanzlerin einen Deal mit den arabischen Nationen gemacht hat, dass die Deutschen qua Immigration und Kinderkriegen "augetauscht" werden sollen und in Zeiten wo rassistische Herrenmenschen in grottigem Deutsch ekelhafteste Dinge wieder sagen und schreiben dürfen - in solchen Zeiten kann man die Geisteswissenschaften gar nicht hoch genug einschätzen. Nicht annähernd hoch genug.


    Powi, Geschichte, Ethik - und Deutsch sind demokratische Grundlagenfächer und sowas von notwendig.

    Ich denke, man muss hier vor allem trennen: Was ist die Bedeutung eines Faches für die schulische Bildung und was ist die Bedeutung entsprechender Fachwissenschaftler für die Gesellschaft. Das wird mir hier zu sehr vermischt.


    Beispiel: Jemand hat angesprochen, dass das Fach Deutsch so hoch gehängt wird. Als Deutschlehrer kann ich das nur gut finden, vor allem aus den Gründen, die Meike hier beschreibt. (Fast) jeder, egal was er später beruflich macht, wird später im Berufsleben aber auch im Privatleben mit Texten konfrontiert sein und Texte (Email etc.) selbst schreiben müssen. Das muss ordentlich gelernt werden. Dass man den Umgang mit Texten an klassischer Literatur und Gedichten etc. einübt, hängt dabei einerseits an einem gewissen Bildungsbegriff, andererseits aber auch, da man Mechanismen, wie Texte funktionieren, natürlich am besten auch da sehen kann, wo solche Mechanismen gezielt eingesetzt werden. Darüber hinaus sieht man sich natürlich auch im Deutschunterricht Sachtexte, Reden etc., also Texte aus dem "wirklichen Leben" (TM) an. Das macht ja auch Sinn.
    Deutsch ist also für eine allgemeinbildende Schule in der Tat sehr wichtig, wichtiger als viele andere Fächer, die vielleicht nicht so unmittelbar auf das Alltags- und allgemeine Berufsleben vorbereiten.


    Das heißt allerdings natürlich nicht, dass wir besonders viele studierte Germanisten brauchen. Es ist auch nicht Aufgabe des Deutschunterrichts, für ein Germanistikstudium zu werben. Hier, für diese "zweite" Aufgabe der Schule, nämlich das Hinführen der Schüler zu verschiedenen Themen und Fächern, die gesellschaftlich und wirtschaftlich relevant sind, trumpfen natürlich die MINT-Fächer, den wir brauchen sicher mehr Chemiker als Germanisten.


    So funktioniert das für mich. Deshalb finde ich Neles Ansatz auch sehr gelungen. Welche Konsequenzen diese Überlegung für Lehrpläne und Stundentafeln haben muss, wäre ein anderes spannendes Thema.

  • Ich denke, man muss hier vor allem trennen: Was ist die Bedeutung eines Faches für die schulische Bildung und was ist die Bedeutung entsprechender Fachwissenschaftler für die Gesellschaft. Das wird mir hier zu sehr vermischt.

    Da hast Du allerdings recht. Aber deswegen gleich konkret von einer Studienfachwahl abraten ... das geht mir definitiv zu weit. Vielleicht bin ich an dem Punkt schon zu sehr helvetisiert. ;) Wie gesagt ist bei uns in der Umgebung die Situation ohnehin eindeutig und auch für Jugendliche schon völlig offensichtlich. Die Roche, Novartis oder Syngenta sucht nun mal nicht nach Germanisten oder Theaterwissenschaftlern.


    Abgesehen davon ging es ja ursprünglich mal um die Einstellungsquote der bayrischen Referendare, oder? Wenn ich mir die Statistik so anschaue ... in meinem Fach finden 40 % eine Anstellung, juhuu. Ich würde sagen, wenn dann müsste man schon ganz vom Lehramt abraten?!

  • In Zeiten der zunehmenden Unfähigkeit, zielgerichtet zu kommunizieren, Texte und Subtexte so zu verstehen, so dass man nicht über den Tisch gezogen werden kann, in Zeiten von Querfronten und Chemtrailgläubigen und Menschen, die in keiner Zeitung mehr die Faktenlage von der bauchgefühlten Wahrnehmung trennen können und deshalb reflexartig mit "Lügenpresse!" reagieren, in Zeiten, wo Menschen glauben, dass Homosexualität eine durch Homöopathie heilbare Erkrankung sei, in Zeiten wo sich "Reichsbürger" selbst Pässe ausstellen, weil sie glauben, in einer Besatzungszone zu leben, wo man die gesammelte Rechte bei "Friedensdemonstrationen" findet und irgendwelchen armen Friedenswilligen nichtmal merken, dass da nur ein geklautes Label draufsteht, und in Zeiten, wo Menschen glauben, dass die Kanzlerin einen Deal mit den arabischen Nationen gemacht hat, dass die Deutschen qua Immigration und Kinderkriegen "augetauscht" werden sollen und in Zeiten wo rassistische Herrenmenschen in grottigem Deutsch ekelhafteste Dinge wieder sagen und schreiben dürfen - in solchen Zeiten kann man die Geisteswissenschaften gar nicht hoch genug einschätzen. Nicht annähernd hoch genug.


    Powi, Geschichte, Ethik - und Deutsch sind demokratische Grundlagenfächer und sowas von notwendig.

    Gut gebrüllt, Löwin - aber ich musste unwillkürlich an einen meiner Chemielehrer denken, der mal gesagt hat, "Deutsch, Englisch, Geschichte... was soll denn das alles? Chemie, das ist das Entscheidende! Hier, der Tisch vor Euch, die Wand hinter Euch - alles Chemie!" Oder in anderen Worten: Du sprichst von Texten, Subtexten und Manipulationstechniken - der Kollege Naturwissenschaftler oder Elektrotechniker versteht nur lorem ipsum und erwidert, dass man mit Philosophie keine Autos bauen könne (ohne auch nicht, aber das geht dann natürlich wieder über den Ingenieurshorizont). Das ist wohl der Preis (besser: ein Teil des Preises) der Hochtechnologiegesellschaft.


    Ein Wort noch zur Studienfachwahl: Ich bin auch so frei, von bestimmten Fächern abzuraten. Ich sage mittlerweile jedem, der es hören will, dass es ein großer Fehler ist, sich mit Dingen zu beschäftigen, die nur in staatlichen Bildungskontexten beruflichen Mehrwert versprechen. So schön die Beschäftigung mit diesen Dingen auch sein mag.

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

    • Offizieller Beitrag

    Ich tue das nicht. Ich gebe eine (so weit das möglich ist - und das ist eh nicht sehr weit) halbwegs realistische Einschätzung über das Spektrum von Jobchancen und rate zu "mehreren Eisen im Feuer", aber ich denke nicht daran, jemanden im Alter unserer Abiturienten von irgendwas abzuraten.
    Und die Geisteswissenschaften sind ja nun so weit gefächert, dass auch hier schon die Idee, man könne generalisiert von "den Geisteswissenschaften" abraten, völlig panne ist. Man studiert ja nicht "Geisteswissenschaft". Man studiert bestimmte Kombinationen, die völlig hirnirissig oder extrem beliebt sein können. Für ne Weile. Bis der Markt sich ändert.


    Die GTZ zB sucht hier in der Gegen Leute mit Politikstudium und Sprachkenntnissen, die ins Ausland wollen und findet niemand - die rühren die Werbetrommel wie blöd. Es werden derzeit auch Dolmetscher mit landeskundlichen oder pädagogischen Kenntnissen en masse gesucht... auch die geben bei uns Flyer rein und fordern auf zum Studium von diesen brotlosen Künsten ;) usw.


    Und morgen was anderes. Die Kollegen, die sich hinstellen und den Arbeitsmarkt für 10 Jahre im Voraus zu kennen meinen, leiden und einer leichten Selbstüberschätzung.


    Einige Wissenschaftler und Ökonomen sind ja schon lange der festen Überzeugung, dass die moderne Welt und der moderne Arbeitsmarkt der Industrienationen nicht mehr allzulange auf Produktion/Industrie basieren wird. Da gucken dann die Chemiker aus der Wäsche... Who knows.

  • Ich sage mittlerweile jedem, der es hören will, dass es ein großer Fehler ist, sich mit Dingen zu beschäftigen, die nur in staatlichen Bildungskontexten beruflichen Mehrwert versprechen. So schön die Beschäftigung mit diesen Dingen auch sein mag.

    Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und mittlerweile von den meisten Beschäftigungen beim Staat abraten: An den Unis werden die Leute nach 12 Jahren mit Zeitverträgen vor die Tür gesetzt (und sind dann für die Wirtschaft "zu alt"), Polizisten und Feuerwehrbeamte werden mit bescheidenen Gehältern im Einsatz verheizt (gab neulich wieder einen Artikel bei SPON über einen verbeamteten Feuerwehrmann, der nachträglich seine Überstunden bezahlt haben wollte: Die Antwort des Verwaltungsgerichts war sinngemäß: "Hättest du dir vorher überlegen sollen, die Überstunden hast du ja 'freiwillig' abgeleistet"). Und in den Ämtern wird das Personal dank Einsparungen und immer neuen Aufgaben konsequent überlastet (und darf sich als Dank vom Bürger noch das Image vom "faulen Beamten" anhören, weil die Bearbeitung eines Antrags so lange dauert). Die Beamten im Finanzamt sehen ihren Job ja mittlerweile auch nur noch als Durchgangsstation zum (freiberuflichen) Steuerberater.


    Was sich vielleicht beim Staat noch lohnt ist Jurist in irgendeinem Ministerium oder Richter / Staatsanwalt. Da hat man wenigsten noch ein hohes Ansehen ("Ministerialrat" kling doch gleich viel besser als "Studienrat") und ein gewisses Maß an Karrieremöglichkeiten (unterhalb der Ministeriumsebene werden die Beförderungsstellen überall konsequent zusammengestrichen, weil "zu teuer").


    Gruß !

  • Chemie, das ist das Entscheidende! Hier, der Tisch vor Euch, die Wand hinter Euch - alles Chemie!"

    Sagt das nicht jeder Chemielehrer in der 1. Stunde? Blöd nur, dass der Tisch halt genauso viel mit Chemie zu tun hat, wie die zitierten Manipulationstechniken mit Deutsch. Der Tisch wird nicht von nem Chemiker gebaut und die Manipulationstechnik wurde nicht vom nem Germanisten erfunden.


    Allmählich fange ich mich echt an zu wundern, woher plötzlich all die Begeisterung für die Chemie kommt ... Ich mag mich dran erinnern, dass ich mich anno dazumals selbst ziemlich gelangweilt habe im Unterricht und irgendwie versehentlich in diesem Studienfach gelandet bin - retrospektiv betrachtet natürlich zum Glück!! ;)

  • Sagt das nicht jeder Chemielehrer in der 1. Stunde? Blöd nur, dass

    ... der Typ damals das wirklich so gemeint hat. Heute würde man ihn einen Nerd nennen, damals galt er schlicht als (nicht nur Fach-)idiot.

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • Nee, ich würde den auch heute noch einen Idioten nennen. Ich sag das auch in der ersten Stunde "alles um Sie herum ist Chemie" - aber ohne den Zusatz "deswegen vergessen Sie Englisch, Geschichte, Deutsch, ...." ;) Den meisten Schülern ist doch völlig Wurscht, warum sich Zucker in Wasser löst. Hauptsache er tut es und macht den Kaffee lecker. :)

  • Und morgen was anderes. Die Kollegen, die sich hinstellen und den Arbeitsmarkt für 10 Jahre im Voraus zu kennen meinen, leiden und einer leichten Selbstüberschätzung.

    Was das Lehramt angeht, so sollte die generelle Marschrichtung mittlerweile jedem ersichtlich sein, der für zehn Pfennig Verstand hat: Irgendwer hat den Politikern vor ein paar Jahren was von demographischem Wandel und Rückgang der Schülerzahlen erzählt und von Inklusion und davon, dass man dann einen Haufen Lehrerstellen [Achtung: Triggerwort!] einsparen könne, und daran glauben die Herrschaften seitdem unverbrüchlich. Dieses Szenario wird unerbittlich verfolgt, komme, was wolle - alles unter dem universalexkulpierenden Motto des Sparens.


    Was not täte, wäre eine entschiedene Gegenbewegung aus der Bevölkerung, die sich mal darüber klar werden müsste, dass mindestens 50% der Politiker schon jetzt überflüssig sind. Wäre man mal so mutig, radikale Gebietsreformen durchzusetzen - hach, was könnte man einsparen an Bürgermeistern (ab 4000 € aufwärts), Landräten (ca. 10000 € im Monat), Landesregierungen (Minister: ca. 12000 €, Ministerpräsidenten: ca. 20000 € im Monat)... ganz zu schweigen von Gemeinden unter 5000 Einwohner (oder warum nicht gleich 10000? Moderne Datenverarbeitung machts möglich). Wer braucht Mini-Bundesländer wie [ach, möge jeder sein Lieblingsbeispiel einsetzen], jeweils komplett mit Landesregierung, Parlament und zugehörigem Verwaltungsapparat? Aber ich schweife ab.


    Viele Grüße
    Fossi

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • Mir hat damals - nicht ganz unbegründet - fast jeder abgeraten, auf Lehramt zu studieren. Aus meinem Seminar (30 Leute) wurden dann auch nur 2 sofort auf Planstelle genommen (es gab wohl sogar die Anweisung des KM, in Lehrproben keine 1er zu verteilen). Über einen kleinen Umweg bin ich dann doch am Gymnasium auf einer Planstelle gelandet (nein, das soll jetzt nicht heißen "Wenn man nur will, geht es schon" ... aber einigen aus unserem Seminar war sogar ein Umweg zu viel). Auch noch während meines Studiums und Referendariats wurde - auch vom KM - vom Lehramtsstudium abgeraten.
    Kurz darauf stellte das KM jedoch - völlig überrascht (?) - fest, dass Lehrermangel herrscht und stellte fast alle ein (egal, in welchem Fach, auch in Geschichte). Ein Mathe-Kollege (MB Mitarbeiter) formulierte das damals (etwas geschmacklos) so: "Der Planstelle in Mathematik kann sich ein Referendar nur durch Selbstmord entziehen".
    Auch wenn ich mir damit keine Freunde mache (und man mir evtl. Arroganz vorwirft): Aber damals wurden einige Leute eingestellt, die sich als wenig geeignet (pädagogisches Gespür, Belastbarkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit) erwiesen.
    Wiederum kurz darauf werden nicht einmal Leute mit 1,0 Examen eingestellt ... man hatte die Refis aber z.T. noch im Studium ermuntert, auf Lehramt zu studieren, weil man sie ja dringend brauchen würde ... Ist der Bedarf an einer Schule wie dem Gymnasium, wo man ja Zahlen bzgl. Grundschüler, Übertrittsquoten und Pensionierungen hat, wirklich so schwer voraus zu berechnen?

  • Ist der Bedarf an einer Schule wie dem Gymnasium, wo man ja Zahlen bzgl. Grundschüler, Übertrittsquoten und Pensionierungen hat, wirklich so schwer voraus zu berechnen?

    Ich sag ja immer: Es ist toll, dass es geschützte Werkstätten gibt, in denen Leute, die auf dem freien Arbeitsmarkt chancenlos sind, die Möglichkeit haben, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben, wenn man nicht gerade zwei linke Hände hat. Ist das der Fall, bleibt nur noch eine Stelle in einer Behörde.

  • Es gab mal diese Karikatur, wo ein Lehrer vor hunderten von Schülern steht und sagt: Ich bin die Lehrerschwemme, seid ihr der Pillenknick?


    Es heißt Prognose, weil vieles so unvorhersehbar ist. Jetzt kommen viele Flüchtlinge. Das ändert die Situation auch. Aber vielleicht gehen viele irgendwann wieder? Weiß man's? Jede Berufswahl ist mit Risiken verbunden. Und wenn man halt in Bayern bleiben möchte, weil man es da so schön findet, na gut, dann ist man halt eingeschränkt.


    Wenn Eltern und Lehrer Ratschläge zur Berufswahl geben, sollte man als junger Mensch sehr vorsichtig sein. Die gucken alle durch ihre persönliche Brille und nehmen einen mehr oder weniger voreingenommen wahr. Meistens eher mehr. Natürlich bin ich begeistert, wenn ich merke, ein Schüler interessiert sich für Informatik und kann das auch. Aber ob das dann wirklich das Richtige ist, stellt sich ja doch erst Jahre später raus.

  • "Hindsight Bias": Wahrnehmnungsverzerrung durch Rückschau, soll heißen: Hier schreiben vorwiegend Leute, die es irgendwie geschafft haben, ins "System Schule" zu kommen. Einige sofort, andere auf Umwegen. Unberücksichtigt bleiben die Massen an Lehrern, die es nicht in den Staatsdienst geschaffft haben.


    Mein Tipp: Nichts studieren und keine Ausbildung machen, womit man sich einem einzigen Arbeitgeber "ausliefert". Lehramt gehört dazu und auch Polizist u.ä. Es gibt deutlich bessere Kombinationen aus Chance auf einen angemessenen Job und Chance auf angemessenes Gehalt als ausgerechnet das Berufsbild des Lehrers.


    Flexibilität ist Trumpf. Etwas machen, womit man sich den Arbeitgeber aussuchen kann und nicht umgekehrt. Und womit man notfalls ins Ausland kann. Alles andere ist Glücksspiel.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Zitat von Mikael

    Mein Tipp: Nichts studieren und keine Ausbildung machen, womit man sicheinem einzigen Arbeitgeber "ausliefert". Lehramt gehört dazu und auch Polizist u.ä.

    Auch als Lehrer gibt es Alternativen.


    • freie Träger (Kirchen, ...)
    • Nachilfesektor
    • Verlage
    • ...


    Zitat von Mikael

    Es gibt deutlich bessere Kombinationen aus Chance auf einen angemessenen Job und Chance auf angemessenes Gehalt als ausgerechnet das Berufsbild des Lehrers.

    Beispiele?


    Zitat von Mikael

    Flexibilität ist Trumpf. Etwas machen, womit man sich den Arbeitgeber aussuchen kann und nicht umgekehrt. Und womit man notfalls ins Ausland kann. Alles andere ist Glücksspiel.

    Ein Wechsel in das Ausland ist möglich, meist reicht schon ein anderes Bundesland.


    Zitat von Meike.

    Was sich vielleicht beim Staat noch lohnt ist Jurist in irgendeinem Ministerium oder Richter / Staatsanwalt

    Die Anforderungen (mindestens zweimal vollbefriedigend) sind noch höher als bei den Lehrern.

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