Lesen durch Schreiben

  • Es gibt anscheinend noch viele Grundschulen, die nach dieser Methode arbeiten. Nun interessiert es mich als Mutter: Was bitte sollen die Vorteile dieser Methode sein?


    Als Deutschlehrerin in der Sek. 1 erlebe ich nur Nachteile. Die SuS dürfen zwei, drei Jahre ohne jegliche Korrektur schreiben wie sie möchten. Sie dann in höheren Klassen wieder umzupolen und ihnen statt der antrainierten chaotischen Rechtschreibung die richtigen Schreibweisen beizubringen, ist zumindest bei schwächeren SuS aussichtslos.
    Auch eine Kollegin am Gymnasium schüttelt nur noch den Kopf über die Rechtschreibleistungen ihrer Unterstufenschüler. Selbst die leistungsstärkeren SuS scheinen nicht von dieser Methode zu profitieren. Warum halten dann immernoch so viele Schulen daran fest?

  • laienmeinung einer gymnasiallehrerin aus gs-lehrer-haushalt und -verwandtschaft:


    für die starken schüler ist die methode wunderbar. das rechtschreiben wird gelehrt, von allem anfang an, aber nicht mit "das hast du falsch geschrieben" und rotstift, sondern indem man das einfach nochmal in "erwachsenenschrift" unter den lautgetreuen kindertext pinselt. kind kann es dann abmalen/abtippen/schreibt mit der zeit selber immer richtiger, da ja auch der normale rechtschreibunterricht parallel anläuft. als lehrerin sollte es einem nicht zu schwer fallen, sich vorzustellen, wie das funktioniert. und das tut es auch - unsere fünfer schreiben nicht besser oder schlechter als die vor 15 jahren oder ich selbst als kind. wir haben sehr viel mehr kinder, die generell probleme mit dem sinnentnehmenden lesen und der deutschen grammatik haben; das liegt aber primär daran, dass wir immer mehr kinder am gym haben, die von der kognitiven begabung her völlig überfordert sind und hier länger oder kürzer mitzuschwimmen versuchen. (speckgürtel großstadt, ihr wisst schon; übertrittsquote neunzig prozent in
    einigen jahrgängen, keine übertreibung. nachhilfe ist hier ein lukratives geschäftsfeld.)


    vorteile: große schreibmotivation von anfang an, schnelleres lesenlernen (um weihnachten rum bei bayerischem schulbeginn im september lesen die allermeisten in der klasse). es ist außerdem sehr toll, als tante von der nichte erste "einkaufszettel" in schulwoche fünf (!!) zu erhalten.


    probleme macht das ganze schwächeren kindern, die durch den ansatz überfordert sind. normalerweise ist das aber kein wirkliches thema, weil anlauttabelle und lesen durch schreiben parallel durch einen herkömmlichen buchstabenlehrgang begleitet werden. das fängt die schwächeren auf.


    probleme machen evtl. auch weniger fähige gs-kolleginnen, die einfach gar keinen rs-unterricht mehr machen; das kann ich aber nicht beurteilen mangels erfahrungswert und ahnung von gs.


    ich bin fan der methode, ein ziemlich großer :)!

  • Och nö, nicht schon wieder das. Was mich an all diesen Debatten (auch und gerade in den Medien) am meisten verblüfft ist, dass angeblich in (fast) allen Grundschulen reines "lesen durch schreiben" unterrichtet wird. Komischerweise kenne ich keine einzige Schule an der so gearbeitet wird (und ich kenne mittlerweile einige). Überall finden sich Mischformen, d.h. Anlauttabelle und freies Schreiben, plus Rechtschreibregeln plus Arbeit an Lernwörtern usw. Ich kenne persönlich nicht ein Grundschulkind, dass allen ernstes "zwei, drei Jahre ohne jegliche Korrektur" schreiben durfte. Diese Mischung aus Halbwissen und Vorurteilen geht mir mittlerweile echt auf die Nerven und ich bin nicht bereit auf diesem Niveau zu diskutieren.

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Meine persönliche Erfahrung als Lehrerin an bisher zwei Grundschulen, in denen ich NICHT in meinen jeweiligen Klassen den Anfangsunterricht gestaltet habe und in denen NICHT mit Anlauttabelle und anderem "neumodischen Schnickschnack" unterrichtet wurde - es liegt nicht nur daran. Es liegt am bescheidenen Rechtschreibunterricht. Es liegt an beschissenen Lehrwerken, die Rechtschreibung auf extra Seiten vermittelt sehen wollen und nicht integriert. Bücher, in denen keine Strategien vermittelt werden, sondern Aufgaben zur bloßen Abarbeitung angeboten werden. An diesen Büchern klammern sich noch viele, viele Lehrer fest - und dann haben wir den Salat in Form von unterirdischen Rechtschreibleistungen. Es liegt an der falschen Methodik. Aber das ist meine Meinung. In meinem Kollegium sind Diktate immer noch das Nonplusultra und ...wo ist das Problem, die Texte vorher eine Woche lang zu üben, bevor es die Note dafür gibt? Gut....dann kommt halt plötzlich erst in Klasse 4 oder 5 raus, dass die Kinder eigentlich nicht schreiben können...so passiert es mir jedenfalls gerade. Meine Schüler haben sich teils stark verschlechtert, seitdem ich sie habe. Aber ich lasse auch keine auswendig gelernten Diktate schreiben.

  • Die SuS dürfen zwei, drei Jahre ohne jegliche Korrektur schreiben wie sie möchten.


    Ich frage mich ehrlich, woher dieses Gerücht kommt.


    Erst kürzlich las ich in einer nicht-pädagogischen Fachzeitschrift (ganz anderes Genre) Leserbriefe von Eltern und Großeltern, die ebenfalls solche "Argumente" anbrachten. Es waren ausschließlich Leserbriefe, die mit Halbwissen glänzten. Das ging über eine ganze Doppelseite.
    Ich war kurz in Versuchung, auch einen Leserbrief zu verfassen, weil man solche Gerüchte wie das oben doch nicht einfach stehen lassen kann.
    Aber dann hab ich beschlossen, mich nicht mehr darüber aufzuregen.

  • Na vielleicht entsprechen die Leserbriefe einfach den Erfahrungen der Verfasser?


    Die Lehrerin meiner Nichte hat auch einen Riesenaufstand gemacht, weil meine Schwester selbstverständlich falsche Wörter im Heft rot anstreicht und zu Hause neu schreiben lässt (die gute alte "schreibe das falsche Wort 15x"-Methode, und das notfalls immer und immer wieder bis zum Erbrechen, bis es halt sitzt). Letztlich ist ja auch egal, ob dem Kind das Spaß macht oder nicht, aber zumindest lernt es damit die korrekte Schreibweise.


    Ich finde ganz ganz schlimm, dass meine Schüler durch alle Jahrgangsstufen bis in die Sek II hindurch im Englischen weniger Rechtschreibfehler machen als in den Texten, die ich in Erdkunde zu Gesicht bekomme. Wie kann das sein, dass die eigene Muttersprache so unzureichend beherrscht wird? Ich glaube ja gerne, dass die Methode Vorzüge hat und man damit auch das Schreiben lernen kann, aber irgendwo scheint es zwischen Theorie und praktsichem Output ja ein Problem zu geben, sonst wären die Ergebnisse doch anders.

  • Letztlich ist ja auch egal, ob dem Kind das Spaß macht oder nicht, aber zumindest lernt es damit die korrekte Schreibweise.

    Genau das ist der Ansatzpunkt der Methode: Es ist eben nicht egal, ob es dem Kind Spaß macht oder nicht. Das finde ich auch sehr nachvollziehbar: Kinder gehen doch im Normalfall relativ motiviert in die Schule, wollen Texte selbst lesen können, sind super stolz, wenn sie ihren Namen und weitere erste Wörter schreiben können. Und genau dieser Spaß und damit verbunden eben die (intrinsische) Motivation sollen beibehalten werden, damit die Kinder eben nicht gehemmt werden und einen Widerwillen gegen Schreiben/Lesen aufbauen.


    Und zumindest belegen Studien, dass Kinder heute kreativer schreiben als früher, eben weil sie viel mehr Möglichkeiten für den Inhalt einer Geschichte haben, weil sie eben auch Wörter, die sie noch nicht gelernt/noch nie geschrieben haben, einbringen können. Zumindest das ist doch erfreulich.

  • Als Deutschlehrerin in der Sek. 1 erlebe ich nur Nachteile. Die SuS dürfen zwei, drei Jahre ohne jegliche Korrektur schreiben wie sie möchten.

    Vielleicht solltest du als Deutschlehrerin mal weniger reißerische Artikel in der BILD lesen sondern mehr wissenschaftliche Fachliteratur und empirische Studien:


    http://www.kjp.med.uni-muenche…/MSM_Abschlussbericht.pdf (z.B., geht zwar um LRS, auf deine Methode geht es aber auch ein. Plus zig andere Studien. Und zum Glück beruht unsere Arbeit nicht auf den anekdotischen Erfahrungen einzelner, wäre das in der Medizin noch der Fall, würden wir noch Aderlass als Mittel gegen die "Franzosenkrankheit" präferieren.

  • die lehrerin der nichte hatte völlig recht. rot in das geschriebene der kinder reinzukorrigieren und vor allem diese für diese "fehler" zu bestrafen ("du schreibst jetzt 15x...") ist einfach völlig hirnlos. es zerstört die schreibmotivation, und es führt nicht dazu, dass kinder rs lernen. dazu gehört eher der erwerb von strategien und vor allem die übung der anwendung dieser strategien. stures drillen von schreibweisen kann zwar einen gewissen grundwortschaft korrekt geschriebener wörter aufbauen, mehr aber auch nicht. ein muttersprachler kann gar nicht alle wörter üben, die er richtig schreiben soll, sondern muss die prinzipien der dt. rechtschreibung verstehen lernen, und die anwendung dieser üben. daher hinkt auch der vergleich zur rechtschreibung einer fremdsprache.


    wie gesagt, es besteht ein *gewaltiger* unterschied zwischen "rs unterricht" und "ich korrigiere erste lautgertreue schreibversuche des kindes mit rot". ist das soooo schwer zu verstehen? freilich muss man rs lehren und lernen, aber doch nicht, indem man kindertexte mit "alles falsch" nochmal schreiben lässt in klasse eins! stattdessen: richtig in "erwachsenenschrift" drunter pinseln, kind abschreiben lassen, dafür bestätigen ("so können das auch alle erwachsenen sofort verstehen! super!") und ansonsten einen modernen rs-unterricht durchziehen (strategieerwerb und -übung, außerdem aufbau grundwortschatz).

  • Ich habe mir die Frage der TE auch gestellt und mit einigen befreundeten GS-Kolleginnen darüber gesprochen, die die Lesen-durch-Schreiben Methode selbst anwenden.
    Deren Aussage war - verkürzt gesagt - dass es wohl viele GS-LehrerInnen, die diese Methode anwenden, ohne sich ernsthaft damit beschäftigt zu haben. Mit anderen Worten: Sie wenden sie falsch oder verkürzt an, so dass die Rechtschreibkompetenz auf der Strecke bleibt.
    Keine Ahnung, ob diese Aussage Sinn macht.
    Da ich aber subjektiv auch die Erfahrung der TE gemacht habe, gleichzeitig aber die Kompetenz der befragten GS-Kolleginnen nicht anzweifle und selbst keine Ahnung von der Materie habe, erscheint mir diese Erklärung sehr nachvollziehbar.


    Im Übrigen würde ich es mir verbitten, meine (gymnasialen) Unterrichtsmethoden von einem Kollegen einer anderen Schulart anzweifeln zu lassen. Und die selbe professionelle Höflichkeit gestehe ich selbstverständlich auch den Kolleginnen und Kollegen der anderen Schularten zu. Ich habe keine Ahnung von deren Metier und baue auf ihr professionelles Urteil.

  • Spätestens an dieser Stelle ziehst du dir deine Argumentationsgrundlage unter deinen Beinen selbst weg!

    Nicht wirklich - leider gibt es genug Lehrerinnen, die genau so arbeiten.


    Dass das nicht Sinn der Sache ist, ist klar. Das hat aber noch nicht jeder mitbekommen. :(


    kl. gr. frosch


    <Moderator-Modus ON>


    P.S.: So sehr ich es befürworte, dass man Texte der Kinder nicht fehlerhaft stehen lässt - im Forum ist dies nicht nötig. Ich habe daher den oben gestandenen Fehler-Korrektur-Beitrag der Übersicht halber in den passenden Thread verschoben.

  • Na vielleicht entsprechen die Leserbriefe einfach den Erfahrungen der Verfasser?


    Die Lehrerin meiner Nichte hat auch einen Riesenaufstand gemacht, weil meine Schwester selbstverständlich falsche Wörter im Heft rot anstreicht und zu Hause neu schreiben lässt (die gute alte "schreibe das falsche Wort 15x"-Methode, und das notfalls immer und immer wieder bis zum Erbrechen, bis es halt sitzt). Letztlich ist ja auch egal, ob dem Kind das Spaß macht oder nicht, aber zumindest lernt es damit die korrekte Schreibweise.

    Wenn ich das lese, bekomme ich pädagogische Bauchschmerzen. Mit dieser Mutter sollte man doch mal ein klärende Gespräch führen.




    Muss es der rote Stift sein ?
    In der 1.Klasse bessere ich Fehler gemeinsam mit dem Kin direkt im Heft (m. Bleistift u. Radiergummmi) aus und zeichne nur Arbeiten ab, die dann fehlerfrei sind.



    Muss sie ins Heft schmieren?
    Das liebe ich besonders....



    Wie oft muss man ein Wort schrieben, bis man "erbricht"?
    Ich hoffe, das Kind konnte diesen Level recht bald erreichen.


    Nein, Schreibenlernen muss keinen Spaß machen. Grrrrr...........

  • Ach, immer diese Freundlichkeiten hier...


    An "unserer" zukünftigen Grundschule ist es wohl tatsächlich so, dass in den ersten beiden Schuljahren Rechtschreibfehler nicht von der Lehrkraft korrigiert werden. Ich denke nicht, dass die Eltern sich das aus den Fingern saugen.


    Wie die Rechtschreibleistung der SuS vor 15 Jahren + war, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß aber sehr wohl, dass von meinen (insgesamt eher leistungsschwachen) Sechst- und Neuntklässlern kaum jemand in der Lage ist, auch nur einen komplett fehlerfreien Satz zu schreiben.
    Letztes Schuljahr hatte ich Rechtschreibunterricht in Klasse 5. Abgesehen von wenigen Regeln zur Groß- und Kleinschreibung kannten sie KEINE EINZIGE Rechtschreibregel (mehr?) aus der Grundschule. Wenn es dort gelehrt/geübt wurde, dann zumindest nicht nachhaltig.


    Mir geht es nicht darum, die Grundschullehrkräfte an den Pranger zu stellen, sondern meine Frage nach den Vorteilen der Methode, die ich nicht erkenne, war durchaus ernst gemeint.

  • Die Lehrerin meiner Nichte hat auch einen Riesenaufstand gemacht, weil meine Schwester selbstverständlich falsche Wörter im Heft rot anstreicht und zu Hause neu schreiben lässt (die gute alte "schreibe das falsche Wort 15x"-Methode, und das notfalls immer und immer wieder bis zum Erbrechen, bis es halt sitzt). Letztlich ist ja auch egal, ob dem Kind das Spaß macht oder nicht, aber zumindest lernt es damit die korrekte Schreibweise.

    ein Troll??

  • Kein Troll :) Ihnen ist einfach wichtig, dass die Kleine nicht die gleichen Probleme wie der große Bruder bekommt, der mittlerweile in Klasse 5 ist und absolut haarsträubend schreibt. Und ehrlich, ich kann das verstehen. Kreatives Schreiben und intrinsische Motivation ist ja alles schön und gut, aber letztlich uninteressant, wenn man irgendwann im Büro sitzt und keinen fehlerfreien Geschäftsbrief auf die Reihe bekommt oder sonstwas.


    Mir persönlich erschließt sich auch nicht, wieso man "Erwachsenenschrift" statt schlicht und einfach falsch sagen soll. Man muss das ja nicht anklagend oder vorwurfsvoll oder abwertend tun, aber es ist doch okay, auch einem Kind bereits ein ehrliches Feedback zu geben. Natürlich können Kinder gar nicht direkt alles richtig schreiben und machen Fehler, das ist ja völlig normal, aber genau das kann man doch auch so sagen. Und dann direkt zeigen, wie es richtig geht, und Problemwörter üben usw.

  • weil es kein fehler *ist*, wenn das kind genau das umsetzt, was es an diesem punkt des schrifterwerbs tun soll: lautgetreu schreiben. hier rot reinzugehen sendet gemischte botschaften ans kind: schreib bitte lautgetreu, aber wenn es das dann macht, ist es falsch. *das* wäre totaler schmarrn, und deshalb ist es auch schmarrn und völlig daneben, wenn die eltern da rot reinkorrigieren, geschweige denn das kind das alles nochmal 15 mal "richtig" abschreiben lassen. vielleicht erstmal über das konzept informieren, bevor man dagegen wettert?! rechtschriftliches schreiben ist der nächste schritt. gras wächst nicht schneller, nur weil man dran zieht.

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