Nichtmuttersprachler als Lehrer?

  • Sehr geehrtes Forum,


    ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir über Ihre Erfahrungen mit (ehemaligen) Kommilitonen oder Kollegen erzählen könnten, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.


    Ich bin selbst in Bulgarien geboren und aufgewachsen; in Deutschland wohne und studiere ich seit drei Jahren. Da ich zunehmend zuversichtlich bin, dass ich meine Deutschkenntnisse im Laufe der Zeit vervollkommnen kann, und da ich außerdem durch keinen besonderen Akzent auffalle, ziehe ich den Lehrerberuf aufgrund pädagogisch-didaktischer Interessen ernsthafter in Erwägung. Die allermeisten Schulformen schloss ich bereits dezidiert aus: zum einen weil das Unterrichten meiner Lieblingsfächer (Latein und Griechisch) perfekte Sprachbeherrschung voraussetzt, zum anderen weil meine Stimme nicht kräftig und modulationsfähig genug ist, als dass sie mir die Aufmerksamkeit einer Grundschulklasse fortwährend gewährleisten könnte.


    Die Richtung, die ich gerne einschlagen würde, wäre Sonderpädagogik. Der Fachschwerpunkt geistige Entwicklung, bei welchem es nicht so sehr auf sprachliche Virtuosität ankommt, reizt mich jedoch weniger als die Schwerpunkte Sehen, Hören und körperlich-motorische Entwicklung, und ich mache mir trotz meiner Sprachfähigkeiten Sorgen. Wenn ich selbst Schulleiterin einer deutschen Schule wäre, würde ich bei gleicher Qualifikation selbstverständlich den Muttersprachler dem sprachlich unterlegenen Kandidaten vorziehen. Hieraus ergeben sich Zweifel, ob es nicht ein allzu risikoreiches Unterfangen wäre, auf Lehramt zu studieren.


    Daher möchte ich fragen: kennen Sie Nichtmuttersprachler, welche als Lehrer tätig sind? Fänden Sie es überhaupt akzeptabel, Ihre Kinder von Nichtmuttersprachlern unterrichten zu lassen? Ist das Referendariat angesichts der Anforderungen und der Bewertung eine zu überwindende Herausforderung, oder können Sprachfehler aus Aufregung und leicht unnatürlicher Satzbau Gründe für ein Nichtbestehen sein?


    Vielen herzlichen Dank im Voraus!

  • Nichtmuttersprachler sind im Schuldienst doch keine Seltenheit. Eine Mitreferendarin kam aus Serbien und hatte zwar einen deutlich hörbaren Akzent, sprach aber ansonsten fehlerfrei. Sie hat sofort eine Planstelle bekommen.
    Eine Kollegin, ebenfalls mit Planstelle, hat einen französischen Akzent.
    Beide unterrichten übrigens Latein. ;)

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Ich habe auch einige Nicht-Muttersprachler als Kollegen. Die Fächer sind ganz unterschiedlich. Ein Italiener mit ziemlichen Aktzent und auch noch einigen Unsicherheiten in der Grammatik unterrichtet Spanisch und Französisch, ein Spanier Physik und Mathe.
    Und ich selbst habe bei einer Lehrerin, die Deutsch erst in Ihre Jugend gelernt hat, Lateinunterricht gehabt.
    Also nur zu, trau dich, auch mit deinen Lieblingsfächern. Dein schriftliches Deutsch ist ja schon sehr gut. Fürs Unterrichtsgespräch dann anfangs einfach viel vorher aufschreiben.

  • An meiner Schule unterrichten auch zwei Lehrkräfte mit deutlich hörbarem Akzent und in einem Fall auch typischen Grammatikfehlern. Im Kollegium spielte das noch nie eine Rolle, allerdings weiß ich, dass die Schüler über beide wegen der Sprache herziehen. Kinder können eben grausam sein, du solltest dir eventuell in der Richtung ein dickes Fell zulegen. Andererseits: Schüler werden immer über Lehrer meckern und herziehen, irgendwas findet sich da immer ("die senfgelben Socken", "die gelben Zähne", "die Quakstimme", ...). Das dicke Fell sollte also ohnehin jeder haben.


    Bei deiner Lehramtsrichtung und Fächerkombi habe ich etwas aufgemerkt. Da ich diese Richtung für mich von vornherein ausgeschlossen habe mag ich falsch liegen, aber wenn du wirklich in Richtung Sonderpädagogik gehen möchtest, könnte ich mir vorstellen, dass du keine klassische Fachlehrerin wärst, sondern eher der klassische Zehnkämpfer. Wenn es dir wirklich darum geht, deine Fächer - und dann auch noch Latein und Griechisch! - zu unterrichten, könnte Sonderpädagogik der falsche Weg sein. Aber wie gesagt, hier bin ich nicht wirklich firm.
    Ansonsten könnte die Kombination Latein-Griechisch Probleme bereiten, weil nur ein Bruchteil aller Schulen beide Fächer anbietet. Für geschätzte 95% aller Schulen dürftest du mit der Kombination eher unattraktiv sein bzw. solltest damit rechnen, dann nur Latein zu unterrichten (das immerhin noch teilweise als Mangelfach gilt).

    Warum Trübsal blasen, wenn man auch Seifenblasen kann?

  • Ich selbst bin nicht Muttersprachlerin, das kann ich auch nicht lange verstecken und trotzdem (?!) unterrichte ich unter anderem Deutsch am Gymnasium, bis in die Oberstufe hinein.
    Chili

  • Trau dich! Wie meine Vorkommentatoren bereits sagten, gibt es einige de eDeutsch-LehrerInnen, die Deutsch nicht als Muttersprache haben. Ich selbst hatte eine polnische Kommilitonin, die Spanisch und Deutsch unterrichtet und beides wirklich klasse macht.
    Ich finde, es gibt einen ganz anderen Blick auf die Sprache, wenn man sie "aktiv" erlernen muss und du hast einfach einen viel tieferen Einblick in die deutsche Grammatik als manch Muttersprachler.
    Im Hinblick auf deine Wunschfächer Latein / Griechisch musst du dir im Klaren sein, dass du vermutlich nur an einem humanistischen Gymnasium Fuß fassen kannst. Aber Lehrer für Altgriechisch werden immer gesucht, da die Uni immer nur eine Handvoll im Jahr ausspuckt. ;)
    Wenn du denkst, dass Latein und Griechisch nichts für dich ist, weil du die deutsche Sprache nicht bis ins kleinste Jota beherrscht, macht dir darüber mal am wenigsten Sorgen: Als Latinistin glaube ich ehrlich gesagt, dass Latein als Nicht-Muttersprachler total super ist, weil es während des Studiums dein Sprachverständnis außerordentlich schult, denn auch als Muttersprachler profitiert man extrem davon.


    Solltest du aber deine Einstellungschancen erweitern wollen, nimm doch Latein und Germanistik für Gymnasium, da bist du im Hinblick auf eine Stelle relativ sicher und das kombinierte Studium von moderner und klassischer Sprache ergänzt sich, imho, total :)


    Viel Erfolg!


    PS: Anhand deines Beitrags kann ich sagen, dass dein Deutsch verhältnismäßig überdurchschnittlich gut ist ;) Mein Literaturwissenschaftsprofessor (Seit mehr als 10 Jahren in Deutschland) sprach deutlich schlechter Deutsch :-P

  • Eher als die Frage nach der Muttersprache finde ich die Frage nach der Fächerkombi schwierig.


    Latein ist kaum noch Mangelfach, Griechisch überhaupt nicht. Humanistische Gymnasien sind ausgesprochen selten geworden und bieten Griechisch meistens erst ab Kl.9 an, oft als Alternative zu z.B. Spanisch. Selbst in Bayern sind humanistische Gymnasien wenn, dann nur in Großstädten zu finden.


    Aber Latein und Griechisch als Sonderpädagogin?? Wie schon oben jemand schrieb, als Sonderpädagogin wirst du ein Allrounder sein, so etwas Exotisches wie Altgriechisch kannst du dabei vermutlich vergessen ;)


    Ich würde mich auf den Hps der Kultusministerien umsehen wegen der Fächerkombi. Nicht wegen der Muttersprachlickeit (habe ich jetzt ein neues Wort geschöpft? :D ), dein Schriftdeutsch macht einen perfekten Eindruck! :top:

  • Was gute Aussichten hat, ist eine Kombination aus Latein und einer Naturwissenschaft oder Mathe. Wenn man dann noch Griechisch als Bonbon mit anbieten kann - umso besser.


    Mit Sonderpädagogik muss man inzwischen damit rechnen, dass der studierte Förderschwerpunkt nicht unbedingt ausschlaggebend ist. Im inklusiven Unterricht muss man alle Förderschwerpunkte bedienen, wobei man auf ES, LE und Sprache gut vorbereitet sein sollte.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Vielen Dank für all die Antworten! Danke auch an die Nichtmuttersprachler, welche sich hier melden.



    Ich bin erleichtert, aber ehrlich gesagt auch überrascht zu hören, dass solche Lehrer keine Seltenheit sind. Anscheinend war ich bisher einfach zu pessimistisch.



    @Midnatsol, @Friesin, danke für eure Hinweise. Ich hätte etwas präziser sein müssen: falls ich mich für Sonderpädagogik entscheide, werde ich gewiss nicht Latein oder Griechisch unterrichten wollen, sondern höchstwahrscheinlich Englisch/Geschichte, oder aber die Grundschulfächer.



    @Karl-Dieter, das Gegenteil wollte ich nicht behaupten. Ich nehme jedoch an, dass sich meine schwache, durch einen sehr begrenzten Stimmumfang gekennzeichnete Stimme nicht besonders gut für die Tätigkeit eines klassichen Grundschullehrers eignet.



    @Jule13, danke für die Anmerkung bezüglich der Situation der Sonderpädagogen. Ich ging ebenfalls davon aus, aber eine kompetente Äußerung hilft besonders viel weiter.

  • ch nehme jedoch an, dass sich meine schwache, durch einen sehr begrenzten Stimmumfang gekennzeichnete Stimme nicht besonders gut für die Tätigkeit eines klassichen Grundschullehrers eignet.

    damit könnte es generell schwer werden als Lherer, egal, an welcher Schulform.
    Die Stimme ist eines der wichtigsten Arbeitsinstrumente eines Lehrers.


    Könnte man da mit Logopädie/Stimmbildung vll etwas ausrichten?

  • damit könnte es generell schwer werden als Lherer, egal, an welcher Schulform.Die Stimme ist eines der wichtigsten Arbeitsinstrumente eines Lehrers.


    Könnte man da mit Logopädie/Stimmbildung vll etwas ausrichten?

    Ja, darüber habe ich mir auch schon Sorgen gemacht. Ich habe einen anstehenden Termin beim Phoniater und die Absicht, mich in nächster Zukunft einer logopädischen Therapie zu unterziehen. Ob ich letztlich das Lehramtsstudium ergreifen kann oder nicht, werde ich erst nach dem phoniatrischen Gutachten und nach dem Logopädenbesuch wissen.

  • Hallo,


    dein Deutsch ist hervorragend, das sollte nicht das Problem sein. Ich habe mich eher gefragt, warum du gerne an einer Förderschule unterrichten möchtest. Grundschule schließt du wegen deiner Stimme aus und Gymnasium, weil du deine Sprachkenntnisse für nicht ausreichend hältst. Die Förderschule ist aber nicht der Ort, "bei dem es nicht so drauf ankommt" ;) Da sollte man schon richtig Lust drauf haben und wissen, was einen erwartet.


    Abgesehen vom Förderschwerpunkt, musst du immer damit rechnen, dass an den Schulen für Kinder mit Sinnesbeeinträchtigungen auch immer welche dabei sind, die psychische Behinderungen haben und mangels passender Schule eben dort unterkommen.


    Vielleicht fasziniert dich ja gerade Braille oder die Gebärdensprache und es macht dir nichts aus, wenn ein Kind spastisch gelähmt ist und ihm die Spucke aus dem Mund läuft? War es schon immer dein Ding, dich mit 6-12Jährigen zu umgeben und Sommerfeste zu organisieren? Wenn dir aber eigentlich Latein und Griechisch liegen und du Lust hast, viele leistungsstarke Jugendliche zum Abitur zu bringen, dann ist sicher das Gymnasium der passendere Ort für dich. Denke an deine Stärken und Interessen und nicht umgekehrt an die "Ausschlusskriterien".

  • falls ich mich für Sonderpädagogik entscheide, werde ich gewiss nicht Latein oder Griechisch unterrichten wollen, sondern höchstwahrscheinlich Englisch/Geschichte, oder aber die Grundschulfächer.

    Leider hast du kein Bundesland angegeben. In Baden-Württemberg wirst du mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Zukunft in inklusiven Settings an Grundschulen oder Sek-I-Stufen unterrichten. Und dort nicht die seitlich sitzenden Inklusionskinder, sondern ALLE Kinder - in inklusiven Kombinationen, sowie sämtliche in diesen Schularten vorhandenen Fächer. Besonders Deutsch, weil dieses Fach nunmal in der Stundentafel einen hohen Anteil besitzt - und in allen anderen Fächern ebenfalls unterrichtet wird.


    Ich gehe davon aus, dass du dich bemühen wirst, gutes Deutsch zu sprechen und dich ständig zu verbessern.
    Dann hast du manchem "Muttersprachler" etwas voraus. Mancher Migrant aus Sachsen oder anderen fremd sprechenden Ländern kann auch nach Jahren kaum ein Wort schwäbisch - und hat daher massive Kommunikationsprobleme mit unseren Kids ;-)

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • @Schantalle, vielen Dank für deinen Rat. Wie vielleicht schon ersichtlich wurde, habe ich keine Erfahrung; mein geplantes Praktikum an einer Förderschule hat noch nicht angefangen. Es ist in der Tat so, dass ich auf übervorsichtige Weise nach den Ausschlusskriterien urteilte und ängstlich mögliche Wege ausschloss, bis ich auf Sonderpädagogik kam. Meine Unsicherheiten hinsichtlich der Sprache, die ich in Bezug auf andere Schulformen verstärkt empfinde, erschienen mir nach einiger Recherche über die gegenwärtige Situation vieler Gymnasiallehramtsbewerber umso gravierender. Ich habe bisher selten mit Kindern zu tun gehabt, Kindern mit Förderbedarf bin ich erst recht nie begegnet; mein Interesse wurde durch pädagogisch-theoretische und entwicklungspsychologische Werke geweckt sowie wegen der intensiveren Betreuung des einzelnen Kindes, die ein Sonderpädagoge scheinbar zu leisten hat. Ich kann nicht leugnen, dass der Gedanke, mit Sonderpädagogik bessere Chancen und mehr außerschulische Möglichkeiten zu haben, eine Rolle spielte. Deshalb kann ich auch keine guten Argumente für meine Orientierung in Richtung Sonderpädagogik geben. Während des Praktikums werde ich das hoffentlich besser einschätzen können.



    @alias, hypothetisch würde ich am liebsten in Baden-Württemberg wohnen und arbeiten. Wenn es in den alten Bundesländern aufgrund der Konkurrenz nicht klappen sollte, würde ich nach Ostdeutschland umziehen. Ich argwöhne aber, dass ich anderswo anstatt in Baden-Württemberg würde studieren müssen (ich recherchiere noch darüber, ob ein solcher Landeswechsel überhaupt ginge).



    Dass Sonderpädagogen an Regelschulen künftig sowohl alle Schüler als auch alle Fächer würden unterrichten müssen, ahnte ich nicht. Da ich mir die Gründe dafür nicht erklären kann, möchte ich ein paar naive Fragen stellen. Werden (in Baden-Württemberg) denn tatsächlich so viele Förderschulen geschlossen? Gibt es außerdem für die Regelschulen nicht mehr als genug ausgebildete Lehrkräfte? Ich las in statistischen Prognosen (der Kultusministerkonferenz und auf der Internetseite Lehrerfreund), dass es in Westdeutschland auch in Zukunft ein Überangebot geben dürfte (wobei mir klar ist, dass ich mit Statistiken vorsichtig sein sollte).



    Mit einiger Verspätung möchte ich auch für alle Ermutigungen danken! @SchmidtsKatze, du wirst sicherlich Recht haben, was das Schulen der Sprachkompetenz während des Lateinstudiums betrifft. Ich werde mir alles noch einmal überlegen.

  • Ein Überangebot an Sonderpädagogen dürfte nicht zu erwarten sein. Was sicher auch noch eine Weile sehr gefragt sein wird, ist DaZ. (Wäre das nicht etwas für Dich?) Beim Gymnasiallehramt sieht das schon ganz anders aus. Aber da kommt es stark auf die Fächerkombination an. Das Todesurteil ist nach wie vor eine Kombination mit dem Fach Geschichte.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Die Sprache bzw. ein Akzent habe ich bisher noch nie bei diesen Kollegen als Problem festgestellt, wohl aber, die andere schulische Sozialisation, da sie oft aus Ländern kommen, in denen doch eher autoritäre Verhältnisse in der Schule herrschen. Da muss man erst mal lernen, dass Schule in Deutschland und im 21. Jahrhundert etwas anders läuft.

  • Einige meiner Mitstudenten kommen aus osteuropäischen Ländern, was absolut kein Problem ist. Die meisten haben auch einen Akzent, studieren aber dennoch Deutsch auf Lehramt und das ohne Probleme. Dein Deutsch scheint doch echt super zu sein!
    Überleg dir genau, welche Stufen und welche Fächer du gerne unterrichten möchtest, deine Stimme brauchst du überall!


    An vielen Unis gibt es genau dafür auch Seminare, die auf Stimmbildung im Lehrerberuf fokussieren.
    Sonderpädagogik wird immer gefragter. In inklusiven Schulen bist du dann oft für bestimmte Kinder zuständig, während eine andere Lehrerin vorne unterrichtet. (So jedenfalls meine Erfahrung).
    Informiere dich doch mal über Studienmögichkeiten in der Richtung.
    In Bremen kann man zum Beispiel normal Grundschullehramt mit Inklusiver Pädagogik studieren, da kannst du dann beides verknüpfen.

    Spidy93
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    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten! :hammer:

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