Selbstversuch: Passanten unterrichten

  • Mikael:
    Und wie genau widerspricht das nun meiner Grundaussage, dass es für Außenstehende eben nicht so einfach ist zu sehen, wie viel wir arbeiten? Es bleibt eben dabei: Die Unterrichtsarbeit wird wahrgenommen, alles andere nicht. Deshalb diskutiere ich auch nicht mit Außenstehenden über meine Arbeitsbelastung, weil mir das einfach zu blöd ist.


    MrsPace:
    Ich verstehe auch nicht, was sich an meiner Rechnung vom Prinzip her ändert, wenn man nun statt von 40 Stunden von 41,5 Stunden ausgeht?!?

    Da hast du mich wohl falsch verstanden. Du hast damit argumentiert, dass ein Lehrer ja "nur" knapp 19 Zeitstunden mit Unterricht verbringt. Das ist ja auch an sich nicht falsch, nur ist eben die Grundlage für unsere Bezahlung nicht diese knapp 19 Stunden Unterricht! Und wollte ich einfach ausdrücken, dass die Grundlage für meine Bezahlung 41,5 Wochenstunden sind, wie bei vielen "normalen" Arbeitnehmern. Wieso sollte mich mein Arbeitgeber für 41,5 Stunden bezahlen, wenn ich tatsächlich erheblich weniger arbeite? Das macht keinen Sinn. Und dieses Argument ist in der Regel auch für Nicht-Lehrer nachvollziehbar.


    Ich denke, über die Tatsache, dass wir sicher nicht zu wenig arbeiten, müssen wir uns in einem Lehrerforum nicht unterhalten... Ich hatte früher, als ich noch mit "Neidern" diskutierte, dass sie es einfach aus Prinzip nicht einsehen wollen, dass Lehrer genauso viel (teilweise auch mehr) arbeiten als "normale" Arbeitnehmer.


    Und Arbeitsbelastung ist finde ich auch nochmal was ganz Anderes. Mein Kerngeschäft (Vor- und Nachbereitung von Unterricht, Unterrichten, Korrekturen, Notenbildung, etc.) ist keine Belastung für mich. Die Belastung entsteht durch ganz andere "Dinge" und da hat jemand, der noch nie Lehrer war eben keinen Einblick.

  • Selbstverständlich spreche ich nicht davon, dass wir "nur" während der ca. 25 Unterrichtsstunden arbeiten. Das versteht sich ja - für Lehrer - von selbst. Und ich bin auch davon überzeugt, dass wir unsere 40/42 Stundenwoche im Jahresdurchschnitt (trotz Ferien etc.) locker erfüllen und oftmals noch drüber liegen.


    Ich spreche von der Wahrnehmung der Außenstehenden. Und da hast du die Rechnung aufgestellt, dass wir durch die Ferien gerade mal 30 Tage mehr "frei" haben, die eben locker durch die neben dem Unterricht anfallenden Tätigkeiten abgedeckt sind. Außerdem meintest du, dass das ja für jeden Außenstehenden nachvollziehbar sein sollte.
    Ich habe dagegen gehalten, dass Nicht-Lehrer eben nicht nur die Ferien ins Feld ziehen, sondern auch, dass wir angeblich auch während unserer Arbeitswochen "nur" unseren Unterricht abdecken. Dadurch ergibt sich in dieser Sichtweise eben eine Diskrepanz, die weit über deinen 30 Tagen liegt, nämlich in Arbeitsstunden/Jahr umgerechnet von über 1000 Stunden. Und das ist es eben, was ein Außenstehender nur schwer nachvollziehen kann.
    Ich kann das den Menschen übrigens gar nicht so verdenken. Man hat eben wenig Einblick in andere Berufsfelder. Ich habe ja auch nur eine vage Vorstellung davon, was ein Radiomoderatior neben seinen 2-3 Stunden Moderation am Tag sonst noch so macht. Oder wie genau ein Feuerwehrmann genau beschäftigt ist, wenn es nicht gerade irgendwo brennt.
    Der Unterschied ist halt, dass wir durch unsere Tätigkeit näher am direkten Alltagserleben der meisten Menschen dran sind, wodurch wir mehr im öffentlichen Diskurs stehen. Das zeigt sich bspw. auch in der Anzahl der (meist schlecht geschrieben und recherchierten) Artikel auf SPON über Lehrer. Das ist halt nun mal so.
    Man wird Missgünstlinge und Neider aber nicht argumenativ überzeugen können - auch nicht durch kurzfristige Unterrichtsprojekte. Deshalb rege ich mich gar nicht mehr darüber auf, zucke mit den Schultern und wechsle das Thema. Ist deutlich besser für meine Psychohygiene.

  • Passanten unterrichten? Aber ja! Wir sollten sogar möglichst viele Passanten davon unterrichten, dass wir als Lehrer viel mehr tun als nur unterrichten - auch wenn man es nicht so sieht.


    Allerdings könnten Passanten ungehalten reagieren, wenn sie ungebetenerweise unterrichtet werden, wovon oder worüber auch immer - typisch Lehrer halt, sie unterrichten eben doch immer.


    Also einfach lächeln und schweigen. So mach ich das :wink2:

  • Was ich viel bedenklicher finde, als die (Nicht-)Wahrnehmung unserer Arbeit durch Passanten und ähnliche "Unbeteiligte", ist die Ignoranz, mit welcher die Kultusministerien mittlerweile mit unserer (zeitlichen) Arbeitsbelastung umgehen:


    Da werden wir mit unzähligen Zusatzaufgaben überschüttet (Inklusion, Ganztagsschule usw.) ohne dass es dafür einen adäquaten Ausgleich gibt. Im Gegenteil: Es wird noch versucht, die Unterrichtsverpflichtung zu erhöhen (siehe Niedersachsen: Das konnte ja erst durch einen Gerichtsentscheid gestoppt werden!) und wissenschaftliche Arbeitszeituntersuchungen werden mehr oder weniger ignoriert (auch hier: siehe Niedersachsen).


    Die Bildungspolitik reitet auf der populistischen Welle, dass man den Lehrern ruhig noch eine Schippe Arbeit drauflegen kann, und noch eine, und noch eine, und... Fürsorgepflicht sieht anders aus!


    Leider sind die meisten Kollegen und Kolleginnen viel zu passiv, um sich wirklich zu wehren: Die meisten gehen in die innere Emigration ("Kann man sowieso nichts machen!") oder, schlimmer noch, in die Stundenreduktion, um das Arbeitspensum zu schaffen, und schenken dem Dienstherrn damit unbezahlte Arbeitszeit (oft mit dem unsäglichen Argument: "Aber die Kinder können doch nichts dafür!").


    Gruß !


  • Leider sind die meisten Kollegen und Kolleginnen viel zu passiv, um sich wirklich zu wehren: Die meisten gehen in die innere Emigration ("Kann man sowieso nichts machen!") oder, schlimmer noch, in die Stundenreduktion, um das Arbeitspensum zu schaffen, und schenken dem Dienstherrn damit unbezahlte Arbeitszeit (oft mit dem unsäglichen Argument: "Aber die Kinder können doch nichts dafür!").

    Und nun? Ich dachte, jetzt kommt der ultimative Tip, wie man "was machen kann"!

  • Aber Schantalle, das kann Mikael doch gar nicht bieten:
    Die Antwort wäre nämlich, dass man sich gewerkschaftlich organisieren muss, um grundlegende Änderungen an den bestehenden Strukturen zu erreichen. Aber das widerspricht ja wiederum Mikaels Ablehnung der gewerkschaftlichen Arbeit. Wie soll das denn funktionieren?

  • Und nun? Ich dachte, jetzt kommt der ultimative Tip, wie man "was machen kann"!

    Siehe:


    http://www.lehrerforen.de/inde…&postID=391552#post391552


    Auf die GEWerkschaften kannst du lange warten. Die Bejubeln lieber die Inklusion oder die Ganztagsschule... Für die hohen Mitgliedbeiträge sollten die GEWler lieber einmal im Monat Essen gehen. Da haben sie mehr von.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • (aus dem von Mikael verlinkten Thread)


    Das ist ja alles schön und gut - und ich rate tatsächlich den Kollegen, solche und ähnliche Vorschläge auch umzusetzen, wenn sie merken, dass sie mit ihrer Arbeitszeit nicht hinkommen. Was die Stundenreduzierung angeht, bin ich sowieso ganz der gleichen Meinung wie Mikael. Aber das alles wird langfristig nichts ändern. Und da kommt eben die Arbeit an grundlegenden Strukturen ins Spiel. Ich persönlich sehe da keine sinnvolle Alternative zum (eigenen) Engagement in den Gewerkschaften und Verbänden, egal ob GEW, VEB, Philologenverband etc.
    Dabei muss man ja inhaltlich nicht alles kritiklos bejubeln. Man kann sich entweder punktuell in entsprechenden Arbeitsgruppen engagieren, die nichts mit den Punkten zu tun haben, in denen man anderer Meinung ist als die Gewerkschaft. Oder man geht gerade in die entsprechenden Arbeitsgruppen zum kontroversen Thema, um andere Sichtweisen und Meinungen aktiv einzubringen.
    Wenn nur Ganztagsschulbefürworter in der GEW über das Thema diskutieren, wird sich natürlich nichts ändern. Wenn sich aber die Kritiker auch in diesen AGs engagieren, kann man evtl. vielleicht doch etwas bewirken. Ein ganz dickes Brett, das man da bohren muss, sicherlich, aber besser als nur rumzujammern.

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