Introvertierter Junge - Wie stärken?

  • Hallo ihr Lieben,


    ich habe in meiner 4. Klasse einen wahnsinnig introvertierten Jungen, der absolut null Selbstbewusstsein hat. Das Leben hat der Familie schon übel mitgespielt, der Vater fehlt, die Vaterfigur somit auch. Die Pubertät setzt so sachte ein und auch die schulischen Leistungen sind sehr schlecht - ich kann ihm hier kaum zu Erfolgserlebnissen verhelfen. Der Junge braucht wirklich etwas, was ihn stärkt und ausgleicht. Sportvereine sind aber nichts für ihn, da der Trainer ihn nur noch mehr einschüchtert durch den sportlichen Ansporn.


    Habt ihr noch Ideen, welche Aktivitäten für solche Kinder geeignet sind? Wir haben eine mittelgroße Stadt in der Nähe, sind aber selbst ein Dorf.
    Spontan dachte ich: Pfadfinder! Aber leider gibt es hier nichts derartiges. Für einen Jugendtreff ist er noch zu jung.


    - Bogenschießen
    - Jugendfeuerwehr


    wären jetzt zwei meiner Ideen. Kommt euch mehr in den Sinn?

  • Hm. Wenn jemand introvertiert ist, dann findet er Menschenansammlungen stressig. Schule ist also schon mehr Anstrengung als für andere - warum sollte es in einer Sportgruppe oder bei den Pfadfindern anders sein?


    Solche Kinder brauchen mehr als andere die Bestätigung, so sein dürfen zu können wie sie sind. Und nicht das Gefühl, dass sie unbedingt Gruppenkompatibilität lernen müssen und dafür möglichst oft im Rudel unterwegs sein sollten. Wieso sollte er sich da plötzlich zum Alphatier entwickeln?


    Schlechte Leistungen haben doch mit dem Charakter erst mal nichts zu tun - kann er nicht beim Lernen mehr unterstützt werden?

  • sport bei einem trainer mit fingerspitzengefühl. darf ruhig bisschen härter sein, aber die beziehungsebene muss passen. vielleicht kennt jemanden in deinem umfeld jemanden, der wen kennt...?

  • Leider bin ich in meinem Arbeitsort überhaupt nicht verwurzelt und wohne recht weit weg..die Kollegen ebenso.



    Ich will doch nicht, dass der Junge ein Alphatier wird. Er braucht nur unbedingt einen Ausgleich und eine Möglichkeit, Bestätigung zu finden und auch eine männliche Bezugsperson. Wie gesagt - bei ihm geht's jetzt schon los und die männliche Bezugsperson fehlt.


    Die schulischen Leistungen kann ich vorerst nicht ausgleichen, da hier in der Vergangenheit einiges versäumt wurde und auch von zuhause aus zu wenig (keine?) Unterstützung kommt. Natürlich fände ich einen toll differenzierten und individuellen Unterricht auch schön. Als Berufsanfänger muss ich aber auch ehrlich sagen, dass mein Fokus hier momentan noch nicht ausreicht. Und dann noch als einzige den Unterricht so zu öffnen, wie es wünschenswert wäre - das ist schlicht schwer unter meinen Bedingungen realisierbar (keine einzige Doppelsteckung & Inklusion, ungeeignete Lehrwerke). Das heißt nicht, dass ich das nicht machen möchte. Mir fehlt da bloß noch einiges an Voraussetzungen; auch persönlich.

  • Kampfsportarten wie Taekwondo, Karate etc. werden normalerweise in recht kleinen Gruppen unterrichtet und meistens von einem männlichen Trainer angeleitet. Von daher erscheint mir sowas als eine gute Möglichkeit für den Jungen, neue Erfahrungen zu machen und mehr Selbstbewusstsein aufzubauen (vorausgesetzt er ist nicht völlig unsportlich). Ansonsten würde ich mal genauer schauen, wo die Talente des Kindes liegen. Malen, Musik, Interesse an bestimmten Sachthemen vielleicht und diese öfter mal in den Unterricht einbauen.
    Bezüglich des Unterrichts kann ich dich verstehen, dass du dich noch überfordert fühlst, differenzierter zu arbeiten. Aber auch ohne Doppelbesetzung sollten nicht alle Kinder das gleiche machen müssen. Wenn er bspw. in Deutsch Schwierigkeiten hat, braucht er gezielte Unterstützung, seine Lücken aufzuarbeiten. Material zur Differenzierung und HInweise zur Umsetzung findet man im Internet reichlich. Und z.B. mit einer täglichen Stunde Wochenplanarbeit schafft man auch für sich als Lehrer den Freiraum, sich in dieser Stunde voll um die SchülerInnen kümmern zu können.

    • Offizieller Beitrag

    introvertierten Jungen, der absolut null Selbstbewusstsein hat

    Du sprichst hier von unterschiedlichen Dingen, wer introvertiert ist, hat nicht zwangsläufig ein Problem mit dem Selbstbewusstsein, und umgekehrt. Wenn es ein Problem mit dem Selbstbewusstsein gibt, gebe ich dir recht, dass man da nach Wegen suchen sollte, es aufzubauen. Sollte er aber wirklich introvertiert (wie heißt eigentlich das Nomen dazu?) sein, finde ich es sehr anmaßend, ihn "umerziehen" zu wollen.

  • Ich habe festgestellt, dass oft schon einige wenige freundliche Gespräche mit Schülern das Eis brechen können - lob ihn, so oft es geht, geh zum Gespräch und erklär ihm Dinge und lob ihn, wenn es funktioniert, lob ihn, lob ihn, ...


    Beim persönlichen Umfeld wird es schwerer - meine Jungs sind in Feuerwehr/Kampfsport. Das sind ganz schön harte Truppen, nicht immer nur nett zueinander. Es gibt da nicht nur die Situation Erwachsene/Kinder, sondern eben auch oft Kinder/Kinder. Und die sind gerade in dem Alter nicht immer nett... und gerade gehen die Kampfsportler mit einem auffallend unbegabten Neuling nicht sanft um. Wenn der Trainer dabei ist, sieht das anders aus.


    In den Vereinen (diverse Sportarten) habe ich noch nie erleben dürfen, dass ein Trainer sich um ein schwaches Kind gekümmert hätte, es sei denn, das Kind hätte sich sportlich hervorgetan. Meine Erlebnisse und Beobachtungen sind, dass die Schwachen auf der Ersatzbank sitzen und die eh schon selbstbewussten Sportler gefördert werden. Oft sind es auch einfach viel zu viele Kinder für einen Trainer.


    So eine persönlich unterfütterte Förderung klappt dann eher in "Studios" - beim Kampfsport etc., das kostet dann aber auch eine ganze Stange Geld, das man erst mal haben muss.

  • Erst mal vorweg: ich finde es total toll, dass du diesen besonderen Jungen im Auge hast! Allein das ist für ihn mit Sicherheit schon etwas ganz wertvolles. Lobe ihn im Unterricht, sprich ihn nach den Stunden mal freundlich an, frage ihn wie es ihm geht. Ich glaube, dadurch fühlt er sich schon mal wertgeschätzt. Und das ist doch so wichtig.


    Was das aus Außerschulische anbelangt: die Frage ist ja, was du da überhaupt machen kannst. Immerhin muss die Mutter ja auch mitziehen und ihr Kind zum Beispiel zum Sport bringen. Würde sie das machen? Feuerwehr oder Judo klingt doch ganz gut. Wenn es das bei euch gibt… Steht nicht in Klasse 4 sowieso das Thema Feuer an? Vielleicht kannst du ja im Rahmen dieser (oder einer anderen) Einheit mal einen Unterrichtsgang zur Feuerwehr machen, so dass dieser Junge und auch alle anderen Kinder die Feuerwehr mal kennen lernen und vielleicht Interesse daran entwickeln?

  • Persönlich bin ich allerdings der Meinung, dass das nicht die Aufgabe des Lehrers ist hier einem Kind ein Hobby o.ä. zu suchen. Man kann die Eltern darauf aufmerksam machen, dass der eigenen Meinung nach dass Kind dementsprechende Probleme hat, und dann ist der Ball bei den Eltern. Machen die nichts: Pech gehabt. Man kann nicht die ganze Welt retten.

  • Natürlich ist das nicht meine Aufgabe, aber es ist in meinem Interesse, dass der Junge sich gut fühlt - und dazu braucht er auch außerschulische Stärkung. Die familiäre Situation ist schwierig und die Mutter ist überfordert - und da möchte ich gerne unterstützend wirken. Nicht nur, weil der Junge noch 2,5 Jahre mein Schüler sein wird. Meine Aufgabe als Lehrerin ist neben der fachlichen Seite auch die Förderung der Sozial- und Personalkompetenz.


    Introvertiertheit/Introversion vs. mangelndes Selbstbewusstsein. Okay - dann meine ich eben letzteres. Introvertiertheit muss sich ja auch entwickeln. Er hat null Selbstbewusstsein, besser? Nein. Der Sachverhalt ist furchtbar. Er kann niemandem in die Augen schauen, er traut sich kaum, sich mal zu melden - auch wenn er mal was weiß. Und klar gibts dann mal Lob, wenn ich ihn anspreche und er kann antworten. Aber es "boostet" und noch nicht genug.


    Ich habe noch einen Jungen, der auch lieber alleine spielt und leicht autistische Züge hat. Der macht auch eine Kampfsportart. Den werde ich auch noch einmal darüber befragen und mal gucken, ob er den anderen Jungen mal mit zum Probetraining nehmen kann oder eben den Kontakt herstellt.


    Vielen Dank für eure Ideen!


    P.S. Feuerwehr...müsste schon dran gewesen sein in Klasse 3.

  • Sollte er aber wirklich introvertiert (wie heißt eigentlich das Nomen dazu?) sein, finde ich es sehr anmaßend, ihn "umerziehen" zu wollen.

    Das ist genau das, was ich auch aus Elternsicht kränkend finde - Kinder sind nun mal verschieden und dürfen das auch sein, und Kinder bemerken sofort, wenn man sie ändern will.


    Immergut, ich finde es toll, dass du dich um ihn bemühst, und ich kenne den Jungen nicht und vielleicht ist eine Gruppe, was auch immer für eine, gut für ihn. Aber das muss er wirklich wollen - und es muss nicht unbedingt zu den gewünschten Resultaten führen.


    Außer Sport gibt es doch noch so viele Betätigungsfelder! Ein Instrument lernen zum Beispiel. Malen und zeichnen. Fotographieren. Auch da kann man Erfolgserlebnisse haben.


    Wenn die Mutter mitzieht, sollte man an eine Ergo- oder Verhaltenstherapie denken.

  • Ich finde es toll, dass du dem Jungen helfen möchtest, fürchte aber, dass du ihm womöglich einen Bärendienst erweiset, wenn du ihn in eine Gruppe voller anderer Kinder steckst. Dies hier ist ein Comicstrip, der meiner Meinung nach sehr plastisch erklärt, wie Introvertierte Interaktion erleben - ich kann dies für mich persönlich (ebenfalls introvertiert) jedenfalls 100% unterschreiben. Nach der Lektüre verstehst du vielleicht, weshalb ich meine, dass es für den Jungen womöglich sehr ermüdend werden könnte, mit vielen fremden Kindern gleichzeitig interagieren zu müssen. Diese Ermüdung sowie die implizite Botschaft "Du bist introvertiert? Das ist schlecht und falsch, lern endlich, dich mit anderen zu umgeben!" könnten mMn leicht dazu führen, dass er sich noch mehr zurückzieht.
    Ich finde daher auch die Vorschläge "Judo" oder auch "ein Musikinstrument lernen" gut. Da ist er nicht gleich Teil einer Horde von Menschen, er arbeitet primär für sich, kommt aber über eine sinnvolle, zielführende Aufgabe auch mit anderen in Kontakt. Über sinnvoll investierte Energie hat er die Chance Erfolgserlebnisse zu generieren und so hoffentlich sein Selbstvertrauen zu stärken.

    Warum Trübsal blasen, wenn man auch Seifenblasen kann?

  • Dass es Stress für ihn bedeutet weiß ich auch ohne weitere Lektüre - das sagt mir schon mein gesunder Menschenverstand. Der sagt mir aber auch, dass wir/er/sie erst einmal ein paar Sachen ausprobieren müssen. Da ist bisher auch noch nicht viel gelaufen. Ist ja, wie geschrieben, nicht die einzige Baustelle. Ich habe da jetzt einiges zusammengestellt, was ich der Mutter noch mitteilen werde. Ich hoffe, dass sie einiges davon umsetzt.


    Danke nochmal für eure Tipps! :top:

  • Kann man ihn evtl. mit einem Hobby bekanntmachen, das seinen Interessen entspricht und dass er auch introvertiert/alleine tun kann?
    Fotografieren z.B.?

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    • Offizieller Beitrag

    Ich finde es toll, dass du dem Jungen helfen möchtest, fürchte aber, dass du ihm womöglich einen Bärendienst erweiset, wenn du ihn in eine Gruppe voller anderer Kinder steckst. Dies hier ist ein Comicstrip, der meiner Meinung nach sehr plastisch erklärt, wie Introvertierte Interaktion erleben - ich kann dies für mich persönlich (ebenfalls introvertiert) jedenfalls 100% unterschreiben.

    Danke, der ist gut! Kann ich unterschreiben. Ich hatte als Studentin einen Professor / Chef und einen Therapeuten. Letzterer versuchte, mich zu spannenden Gruppenaktivitäten (Disko, geimeinsames Literweise-Bier-Genießen, Uni-Sport und "über den Rest mag ich gar nicht mehr nachdenken") zu bringen - und meinte, ich wäre erst dann gesund, wenn ich das umsetzen würde. Ersterer sagte mir, dass ich nicht als Lehrerin - und schon gar nicht für die Grundschule - geeignet sei, da ich schizoid sei. Es waren prägende Erfahrungen, mein Selbstwertgefühl rutschte in den Bereich "unter Null", ich wurde depressiv und ich habe heute noch mitunter Probleme mit dem Treffen anderer Menschen in meiner Freizeit.



    @immergut
    Was sagt denn der Junge? Hat er Interessen? Was möchte er?
    Deine Idee des Probetrainings mit dem Jungen mit autistischen Zügen zusammen, finde ich gut, mit so einem Menschen würde ich auch zum Probetraining in einen Sportverein gehen! ;)

  • Kampfsportarten wie Taekwondo, Karate etc. werden normalerweise in recht kleinen Gruppen unterrichtet und meistens von einem männlichen Trainer angeleitet.

    Jetzt muss ich mal ganz kurz hier reinfunken ... Taekwondo, Karate und Judo in ein und denselben Topf zu schmeissen nach dem Motto, der soll mal irgendeine Kampfsportart machen ist ein wenig ... seltsam. Ich würde ein introvertiertes, vielleicht noch sehr sensibles Kind auf keinen Fall zum Taekwondo schicken. Taekwondo ist von den genannten Kampfsportarten die sportlichste und diejenige, die am meisten auf Wettkampf ausgerichtet ist. Insbesondere die kleinen Jungs fangen da sehr schnell an, sich miteinander zu messen und rumzuposen wer jetzt wie hoch und wie cool kicken kann. Es kommt extrem auf den Trainer an, wie stark das gefördert oder eben unterbunden wird. Ist für ein sehr introvertiertes Kind vielleicht nicht gerade der Renner. Um aber trotzdem mal beim Kampfsport zu bleiben - Aikido hat überhaupt nichts mit Wettbewerb zu tun. Ist für ganz junge Kinder koordinativ nicht leicht zu erlernen aber vielleicht liegt ja gerade darin die Stärke dieses Kindes?


    Grundsätzlich würde ich mich aber mal Conni anschliessen: Bevor man irgendwelche konkreten Tipps gibt, was das Kind tun könnte würde ich doch mal das Kind selbst fragen, woran es überhaupt Spass hat.

  • Ich finde es gut, dass du dir Gedanken machst, wie dem Kleinen zu helfen ist, würde aber auch zuerst ein Gespräch mit ihm und der Mutter führen, um herauszufinden, was seine Vorstellungen / Wünsche sind. Ich war als Kind auch eher distanziert und introvertiert und hätte es als Horror empfunden, wenn man mich - auch gut gemeint - in einen Sportverein geschickt hätte. Vll. ist das Kind auch ganz einfach mit der familiären Situation überfordert und die Mutter benötigt z.B. intensivere Hilfe und Beratung. Dann wäre etwa ein Hinzuziehen der Schulsozialarbeit, des Schulpsychologen oder einer anderen unterstützenden Stelle in Erwägung zu ziehen. Ist der Vater verstorben oder durch Trennung der Eltern nicht präsent?

  • Bei Jungen ist man sehr schnell auf der Suche nach Sportarten und Gruppen. Aber wie du das beschreibst ist das vielleicht nicht der richtige Einstieg für ein so zurückgezogenes Kind.


    Die meiste Zeit verbringt der Junge in der Schule und zu Hause. Und genau hier muss er die Erfahrung machen, selbstwirksam zu sein.


    In der Schule kannst du das fördern - mit Interesse, Lob und vielleicht mit Aufgaben, die er gut erfüllen kann. Kann er irgend etwas besonders gut? Hat er Interessen? Verwende sie in der Klasse, so dass er sich als selbstwirksam empfindet.


    Zu Hause geht das ganz gut - genau so. Seine Mama sollte darauf sehen, ihn zu beteiligen - Tisch decken, ihn etwas zubereiten lassen (einfache Dinge, erst mit Hilfe, dann allein), gemeinsam Spaziergänge machen (er darf springen, balancieren, über den Bach hüpfen, ...), mit ihm Rad fahren (meine Jungs sind schneller als ich, das macht die zwei immer sehr glücklich, wenn sie auf mich warten müssen), er liest etwas vor, gemeinsam Schewimmen gehen, Kind springt vom Sprungbrett, Mutter ist begeistert, ... - und dann Lob und Anerkennung im Alltag von der mama.


    Dahingehend würde ich die Mutter beraten.


    Der Weg in den Sport ist für mich der nächste Schritt, bei dem er schon ein wenig Selbstbewusstsein mitbringen muss, um in einer Gruppe von Gleichaltrigen zu bestehen.

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