Kann ich mich weigern, einen Jungen zu unterrichten?

  • okay, Kurzfassung
    ich habe einen Jungen in meiner 2.klasse, der von anfang an extremst große probleme hatte, sich in ein gefüge unterzuordnen, er akzeptiert keine anweisungen oder regeln, hat kein schuldbewusstsein, große probleme mit selbst- und eigenwahrnehmung, weigert sich vehement lesen und schreiben zu lernen, provoziert wo er nur kann, beleidigt mich, ist extrem ablehnend, reagiert nicht auf mich und meine ansprache an ihn und und und.
    er bekommt differenziertes unterrichtsmaterial in deutsch, weil er eben kaum fortschritte macht bzw gemacht hat und nicht lernwillig ist.


    ich halte mich für ne gestandene lehrkraft, aber es zehrt so dermaßen an den nerven.... es geht seit etwa oktober so, also knapp ein jahr.
    der austausch mit eltern ist da, es gab bis zu den ferien einen ampelplan mit rückmeldung zu jeder unterrichtsstunde udn entsprechend mal mehr mal weniger infos, je nachdem was so vorgefallen ist.
    nach den ferien habe ich täglich längere "berichte" an die mutter/eltern geschrieben (handschriftlich eineinhalb seiten jeden tag)
    je nach vorfälle wurde er abgeholt, er hat im nebenraum gemalt, war in anderen klassen.....


    der junge ist inzwischen in einführender psychiatrischer behandlung, ich habe mit dem psychologen telefoniert (das war übrigens ein komisches gespräch)....
    er würde eine assistenz im bericht sehr befürworten (mit der assistenz wird der junge sich extrem reiben und sie nicht akzeptieren) und eine "reha", die mutter meinte, für diese reha gebe es eine wartezeit von bis zu 8 monaten.....


    meine frage ist: kann ich mich irgendwann weigern, diesen jungen zu unterrichten? welche möglichkeiten gibt es sonst noch? eine überweisung in die parallelklasse ist nicht möglich.... ich denke über eine kurzbeschulung nach, aber das ist ja keine dauerlösung. der junge muss (auch wenn ich fachlich keine ahnung habe) meiner meinung nach mal mehrere monate in stationäre psychiatrische behandlung, da ist es nicht mit einer gesprächstherapie und einer "reha" getan.


    er ist einfach nicht tragbar für die klasse. ich habe noch andere kinder, auf die ich achten muss, die ich voran bringen muss und ich muss auch auf mich achten. aber bald gehts nicht mehr. am freitag sind mir im lehrerzimmer echt die tränen gekommen. ich kann in jeder pause einfach irgendwie nur noch von diesem jungen berichten, mir ist das schon voll unangenehm, dass meine kollegen nur noch davon hören....


    und das alles nach gerade mal zweieinhalb wochen schule......


    bitte, ich brauch irgendwelche ideen.....

    Wenn das Leben einfach wäre, wäre es ja langweilig!
    Oder nicht?

  • Es ist nicht die Lösung schlechthin, aber hast du den Eltern schon einmal eine Beschulung im Rahmen einer Förderschule mit Schwerpunkt Erziehungshilfe vorgeschlagen? Vlt. kommt er ja mit den Rahmenbedingungen der Regelschule nicht zurecht, was sich mit deinen Schilderungen stützen würde.

  • Was sagt die Schulleitung?

    unsere eigentliche schulleitung ist aktuell in mutterschutz bis april, die kommissarische schulleitung ist...... naja..... kennt sich in solchen dingen nicht so gut aus, um es mal so zu sagen......


    (da ich nicht weiß, wie man zwei beiträge in einer antwort zitiert)
    zu der schulfrage: nein, da liegt keine in der nähe

    Wenn das Leben einfach wäre, wäre es ja langweilig!
    Oder nicht?

  • Ich versuche es einmal mit ein paar Fragen, die ich angehen würde:


    - Wurde der Junge in Bezug auf eine psychische Erkrankung (Autismus, Asperger) von einem Kinderpsychiater untersucht? Gibt es eine Diagnose?


    - Wie erziehen die Eltern? Wie reagieren sie? Sind sie ebenso hilfslos?


    - Hast du in Niedersachsen weitere schulische Unterstützungssysteme? (Für mich wäre das ein Fall für die Sozialarbeit oder dem Schulpsychologen oder dem Sonderpädagogischen Dienst.)


    Also ich würde die Sache so angehen, dass ich erst einmal versuchen würde, herauszubekommen, woher diese Verhaltensschwierigkeiten kommen und dann entsprechend reagieren.


    Ich habe festgestellt, dass bei schwierigen Grundschülern es am meisten etwas bringt, wenn man es schafft, zu dem Schüler eine Beziehung herzustellen und kleine Fortschritte lobt. Aber das hast du sicher alles schon probiert.


    Die möglichen Disziplinarmaßnahmen müsstest du für dein Bundesland irgendwo nachlesen können. Bei uns wird das nach und nach gesteigert bis zum 14 tägigen Schulausschluss und Versetzung in eine andere Klasse, kommt aber selten in den Grundschulen zum Tragen.

  • ja, er wurde untersucht, nein eine eindeutige diagnose gibt es nicht oder sie ist mir nicht bekannt, war nur komisches blabla, was der psychologe von sich gegeben hat.....
    die eltern sind genauso hilflos, was sein verhalten zu hause angeht. die mutter rennt von pontius zu pilatus, um eine diagnose zu bekommen (nicht übertrieben oder unangemessen), aber es gibt halt kein ergebnis bisher
    ja, am dienstag kommt jemand externes zur unterrichtshospitation, da findet dann auch eine zusammenarbeit mit dem jugendamt statt, von dort wird wahrscheinlich auch die assistenz kommen und auch eine familienhilfe wird jetzt aktiv werden.


    die beziehung ist schon massiv gestört, ich komme nicht mehr an diesen jungen ran. ich werde nicht laut, ich bin freundlich, aber bestimmt. ich vesuche ihm klarzumachen, wie es mir mit seinem verhalten geht und dass es regeln gibt, an die er sich hier zu halten hat. interessiert ihn nicht. er reagiert nicht. ist ihm egal. er scheint es gut zu finden, "mich zu ärgern" und dass es mir nciht gut geht.
    verstärkersysteme funktionieren ja nicht, siehe ampelplan (der junge käme -laut psychiater- nicht damit klar, dass sein verhalten bewertet wird....), auch ein stempelsystem (anfang der woche angefangen, hat drei tage geklappt) hat er dann vor meinen augen zerrissen, weil ich nicht schnell genug war mit stempeln.....

    Wenn das Leben einfach wäre, wäre es ja langweilig!
    Oder nicht?

  • klar, die ordnungsmaßnahmen sind ja festgesetzt, hab ich auch schon rausgesucht..... wird auch angegangen.....

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    Oder nicht?

  • ja, am dienstag kommt jemand externes zur unterrichtshospitation, da findet dann auch eine zusammenarbeit mit dem jugendamt statt, von dort wird wahrscheinlich auch die assistenz kommen und auch eine familienhilfe wird jetzt aktiv werden.

    Da hast du jetzt schon einiges am Laufen und dir viele Gedanken gemacht.
    Vielleicht können dir die, die vorort unterstützen, weiterhelfen.


    Verstärkersysteme: Bei mir funktionieren die bei schwierigen Kinder ebenso nicht bzw. nicht lange. Am Anfang vielleicht, aber dann ist ihnen das Bewerten peinlich.


    Unterstützung durch Eltern: Es kommt immer darauf an, wie die Eltern auf Nachrichten von der Schule reagieren. Immer wieder reagieren Eltern kontraproduktiv.


    Bitte sieh folgende Gedanken nur als mögliche Impulse und nicht als feststehende Tatsachen:


    Diesen Gedanken hätte ich noch zu Gesprächen:
    Evtl. Ändern des Gesprächsstils mit dem Kind, dass es Vertrauen aufbauen kann. Z.B. irgendetwas, wenn es auch noch so eine Kleinigkeit ist, loben.


    So wie du den Jungen schilderst, kommt er mir total desorientiert, hilflos und abgelehnt vor. Das einzige, was er kann, ist laut und deutlich um sich zu schlagen um auf sich aufmerksam zu machen. In meinen Augen muss dieses Schema durchbrochen werden, sonst lernt er, dass er nur so durchkommt.
    Vielleicht hat er aber auch eine Form des Autismus oder er ist antiautoritär erzogen.


  • So wie du den Jungen schilderst, kommt er mir total desorientiert, hilflos und abgelehnt vor. Das einzige, was er kann, ist laut und deutlich um sich zu schlagen um auf sich aufmerksam zu machen. In meinen Augen muss dieses Schema durchbrochen werden, sonst lernt er, dass er nur so durchkommt.
    Vielleicht hat er aber auch eine Form des Autismus oder er ist antiautoritär erzogen.

    den ersten gedankengang sehe ich auch so, der psychologe auch. aber ich weiß nicht, wie ich an ihn rankommen soll. was kann ich tun, damit es ihm besser geht?
    ich habe eine strukturierte klasse bzw strukturierten raum, gleiche abläufe, seine lerninhalte sind für ihn runtergebrochen - die könnte er durchaus bewältigen!.......


    antiautoriäre erziehung würde ich es nicht nennen, das kann man ja auch schlecht beurteilen. vielleicht nicht konsequent genug oder nicht sehr liebevoll oder aber halt das problem, dass auch die große schwester wohl nicht einfach sein muss und er etwas "abgeschoben" wird.....


    ich weiß mir nicht zu helfen. und sehe schwarz für ihn und seine (nahe und ferne) zukunft.

    Wenn das Leben einfach wäre, wäre es ja langweilig!
    Oder nicht?

  • Noch ein Gedanke:


    Du schreibst, dass er sich weigert. Wie sieht es mit seiner Begabung aus? Könnte eine Überforderung die Ursache sein?

    nein, das denke ich nicht
    in mathe und anderen fächern läuft es gut, er hat z.b. in sachunterricht gute ideen, nimmt viel wissen auf, was im unterrichtsgespräch gesagt wird.....
    vor drie vier monaten hat er mir von 100 rückwärts runtergezählt.....


    meinst du eher sowas wie analphabetismus?

    Wenn das Leben einfach wäre, wäre es ja langweilig!
    Oder nicht?

  • IQ ist normal, soweit ich weiß
    die hörverarbeitung wurde mal getestet, aber bisher nicht weiter verfolgt..... dazu werd ich mal die mutter befragen

    Wenn das Leben einfach wäre, wäre es ja langweilig!
    Oder nicht?

  • Hallo Zauberwürfel,


    toll, wie du dich für den Jungen einsetzt. Du siehst selbst, dass du nicht mehr weiter kommst. Das liegt nicht an dir als Person, sondern am Setting. Der Junge ist in der regulären Grundschule nicht führbar. Schlimm, dass Förderschulen in deiner Heimatregion nicht da sind, aber das sollte nicht dein Problem sein.
    Gut, dass das Jugendamt eingeschaltet ist. Knick da beim Gespräch bloß nicht ein und beschönige! Denn der Junge hat auch ein Recht darauf, dass ihm geholfen wird.


    All meine Schüler hatten schon Schulausschluss, weil sie nicht mehr führbar waren. Bei einigen wünsche ich mir, dass das eher benannt worden wäre und die Jugendämter eher die Verantwortung gespürt hätten.


    Vermutlich versuchen die Eltern noch eine Umschulung an eine weitere Regelschule. Das verstehe ich, aber er zögert das Problem nur heraus. Egal wo, das geht vielleicht ein paar Wochen gut, aber der Junge hat andere, dringendere Bedürfnisse.


    Mach dich auch mal frei von allen Gedanken, dass du versagt hast. Das stimmt so nämlich nicht. Es gibt zu viele Kinder mit multiplen Störungen des Sozialverhaltens, die mit großen Gruppen nicht zurechtkommen. Und du hast so einen Jungen.


    Gute Nerven für die nächste Zeit wünsche ich dir.

  • danke für deine worte alhimari!
    ich weiß, dass ich nicht versagt habe. aber ich habe das gefühl, dass ich noch nicht alle möglichkeiten ausgeschöpft habe. aber ingesheim weiß ich bestimmt tief in mir drinnen, dass ich eben nur begrenzte möglichkeiten habe, weil ich eben "nur" lehrerin bin und keine kinderpsychologin, die sich mit solch massiven störungen auskennt.


    nein, ich beschönige nicht und nein, ich knicke nicht ein. ich bin da schon sehr deutlich in meinen äußerungen.


    ein schulausschluss ist ja eine der letzten möglichen ordnungsmaßnahmen..... aber die bringt ja langfristig gesehen auch nix.....

    Wenn das Leben einfach wäre, wäre es ja langweilig!
    Oder nicht?

  • Ein Schulausschluss bringt langfristig doch was.
    Denn dann beginnt das Jugendamt aufmerksam zu werden. Oft braucht es noch einen weiteren Ausschluss und dann vielleicht noch einen, bis das Jugendamt anfängt einen geeigneten Förderort für den Jungen zu suchen. Denn er wird jede normale Klasse sprengen. Jetzt ist er vielleicht noch in der Lage dem Unterricht zu folgen, aber bald merkt er, was er alles nicht kann, aufgrund der Verweigerungen zuvor. Und das bringt ein ordentliches Konfliktpotential mit sich!!!
    Das Kind ist noch zu jung um selbst zu erkennen, dass er seine Defizite schließen müsste. Die Gründe hierfür müssten in einem stationären oder tagesklinischen Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erforscht werden. Und anschließend ein geeigneter Förderort gefunden werden.
    Ich bin eigentlich auch nur klassische Lehrerin, nun auch Sonderpädagogin. In meinem aktuellen Setting könnte ich den Jungen weit bringen, aber in einer Regelklasse hätte ich mit all meinem Wissen keine Chance. Da hätte ich vielleicht ein paar Möglichkeiten der Förderung, aber all die würden nicht ausreichen. Egal, was ich weiß und tun könnte. Da gibt es einfach Grenzen.


    Zauberwürfel, ich danke dir, dass du positiv auf meinen Beitrag geantwortet hast und auch vor hast den Jungen durch eine klare Darstellung der Vorfälle weiterzubringen (auch wenn das nicht der klassische schulische Weg sein wird).


    Ich wünsche dir gute Nerven!!!!

  • unsere eigentliche schulleitung ist aktuell in mutterschutz bis april, die kommissarische schulleitung ist...... naja..... kennt sich in solchen dingen nicht so gut aus, um es mal so zu sagen......
    (da ich nicht weiß, wie man zwei beiträge in einer antwort zitiert)
    zu der schulfrage: nein, da liegt keine in der nähe

    Dann muss sich die kommissarische Schulleitung schlau machen und mit dem Schulamt bzw. dem Schuldezernent Kontakt aufnehmen. Dokumentiere alles, veranlasse Klassenkonferenzen, setzt Ordnungs- und Erziehungsmaßnahmen fest. Guter Ansprechpartner sollte der zuständige Schulpsychologe sein, der gibt auch noch Tipps, welche außerschulischen Hilfsmaßnahmen angemessen sein könnten.

    Sei immer du selbst! Außer, du kannst ein Einhorn sein - dann sei ein Einhorn! :verliebt:

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