Matheunterricht: Wie/wann werden heutzutage Formeln umgestellt?

  • Aloah.
    Mir erzählen immer mehr Schüler (unterschiedliche Klassen und Jahrgänge, drum glaub ich's langsam), dass sie an den allgemeinbildenden Schulen nie gelernt hätten, Formeln komplett umzustellen wie "früher", sondern dass es inzwischen So läuft:


    - Formel raussuchen
    - sofort alle Größen einsetzen und (per Taschenrechner) berechnen.
    - DANN erst nach der gesuchten Größe umstellen.


    Ebenso würde man nicht mehr eine Formel in die andere einsetzen wenn nötig, sondern IMMER mit Zwischenergebnissen arbeiten.


    Diese Aussagen kommen nur von Schülern "unterhalb" des Gymnasiums. Also HS, RS, RS+, IGS und was es da sonst noch so geben mag. Die Abiturienten scheinen noch "herkömmliches" umstellen zu lernen.



    Mich würden nun mehrere Dinge interessieren:


    1. Stimmt eine dieser Aussagen oder gar beide?
    2. Ich möchte keinen Hehl daraus machen, dass ich das persönlich für katastrophal im Hinblick auf die Anforderungen bei uns halte. Aber WENN was davon stimmt, gibt es mit Sicherheit eine didaktische Position, die dahinter steht. Also: Könnte mir jemand erklären, was der didaktische Hintergrund ist? Gerne auch die "Lehrmeinung" vom Seminar oder den Uni-Didaktikern, vielleicht kann da einer der jüngeren Forenteilnehmer was dazu sagen.


    Schonmal danke für alle Antworten.


    Gruß,
    DpB


    PS: Ach ja, da wir einen Einzugsbereich über drei Bundesländer haben, ist die Frage nicht auf RLP beschränkt.

  • Jo, das habe ich auch schon festgestellt. Allerdings ist dies im FHR-Bereich auch vermutlich die einzige Methode, die irgendwas bringt. Den didaktischen Hintergrund (falls es einen gibt) kenne ich nicht, aber den praktischen Hintergrund: Nur mit dieser Variante kommt ein großer Teil der Schüler überhaupt zu einem Ergebnis. Die Schüler haben schon in den Grundrechenarten so massive Probleme, dass an sinnvolles umformen überhaupt nicht zu denken ist. In den Ferien habe ich eine Klausur korrigiert (12 Klasse FHR Mathe im naturwissenschaftlichen(!) Bereich), wo ein Schüler folgendes gemacht hat:


    x^5 + 25 = 5 |-5
    x +25 = 0


    Vermutlich ist dies für die Kollegen aus den unteren Jahrgängen die einzige Möglichkeit, überhaupt ein paar Schüler durch die Abschlussprüfung zu bringen. Diesen Schülern wird nie klar werden, dass es sinnvoll ist, Zahlen erst am Ende einzusetzen. Müssen sie aber auch nicht - die wenigsten von ihnen werden später über Grundschulmathematik hinaus gehen.

  • Nun ja, ich habe im Referendariat (2010-2011) gelernt, dass der Anwendungsbezug im Vordergrund steht beim Mathe-Unterricht. Die Schüler sollen Werkzeuge an die Hand bekommen mithilfe derer sie mathematische Fragestellungen die sich aus Alltagsproblemen ergeben lösen können. Wie dabei formal vorgegangen wird, ist zweitrangig. Deswegen heißen zum Beispiel die „Musterlösungen“ von Prüfungsaufgaben nicht mehr „Musterlösungen“ sondern Lösungsvorschläge.


    Aus der Praxis: Ich bin froh, wenn die Schüler überhaupt irgendwie auf das richtige Ergebnis kommen.


    Konkret kann ich aus meinem Unterricht beide Aussagen bestätigen.

  • Machen bei uns die Gymnasiasten genauso. Die setzen ein und stellen dann ggf. um - Mathematisch ist es meistens aber auch egal, was zuerst passiert, zumindest bei den Aufgaben, die die so rechnen.
    Bei Mathe-Lklern, die Wurzeln aus Summen ziehen, überrascht mich nichts mehr.


    Die grundlegende mathematische Ausbildung unserer Schüler ist (politisch gewollt) über die letzten Jahre dramatisch ausgedünnt worden, angefangen in der Grundschule, fortgesetzt in den unteren Klassen der weiterführenden Schulen, was zu solch eklatanten Defiziten (s.o.) führt. Aber wozu anständig und intensiv Algebra lehren, wenn man mit Kunst, Musik, Religion, Geschichte und Sport viel mehr Abiturienten produizieren kann, die die Wirtschaft dann billig ausbeuten kann?

  • Bei uns steht das "Arbeiten mit und umstellen von Formeln zu linearen und quadratischen Zusammenhängen" im Schullehrplan.


    Ich übe es ab Jg. 8 in Physik. In Mathe kommt Termumformung und Gleichungen ab Jg. 7 dran. Das befeutet aber nicht, dass meine 10er (Realschule) das auch können. Da ich das erwarte, lernen manche einfach sämtliche umgeformten Varianten auswendig.


    Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass Schüler Kenntnisse aus Mathe in Physik nicht anwenden können. Als wären das 2 verschiedene Mathematiken.

  • Vielen dank für die - wenn zum Teil auch ernüchternden - Antworten.


    Ich fass mal für mich zusammen:
    1. Die Jungs lügen mich dahingehend nicht an. Das ist schonmal fein :)
    2. Es scheint (bisher) keine wirkliche didaktische Begründung zu geben. Allerdings einige praktische. Da möchte ich aber doch kurz anmerken, dass diese praktischen Gründe für den Alltag durchaus berechtigt scheinen, für den BERUFSalltag in mathematisch auch nur minimal anspruchsvollen Berufen aber katastrophale Auswirkungen haben. Ich sehe aber ein, dass Leute in MrsPaces Situation nicht anders können, gerade das Problem "ich bin ja froh, wenn die überhaupt irgendwas können" habe ich auch tagtäglich.


    Wenn jemand im Punkt "Didaktik" nachlegen würde, wär ich trotzdem weiterhin dankbar. Wenn das tatsächlich von Seminarseite so vermittelt wird, muss ja wenigstens irgendeine (nicht zwingend für mich nachvollziehbare) Idee dahinter stecken. Die mit dem Anwendungsbezug ist ja nun so neu nicht.


    Gruß,
    DpB

  • In der Oberstufe geht der Trend (Physik / Mathe) noch weiter:
    Formeln sind bäh (ok etwas überspitzt ausgedrückt) und stattdessen: "Argumentieren", "Beschreiben" ... auf gut Deutsch "labern". Wenn man sich so manche Abiklausur anschaut bekommt man das Grauen.
    Formeln herleiten ist noch mehr Bäh! Dann bitte nur die allereinfachsten. Im GK jedenfalls immer weiter weg vom Formalen Kram hin zum Anwendungsorientieren.


    Wehe in Physik steht in einer Gleichung ein d statt ein x! Führt bei manchen Schülern zu echt ratlosen Blicken!
    2x + 5 = 7 wird dann auch noch falsch umgeformt.


    Und der GTR hilft auch noch. Früher hat man noch lineare Gleichungssystem gelöst. Heute macht man das nur noch im hilfsmittelfreien Teil der Klausur und nutzt hierfür ansonsten den GTR. Und diese Gleichungssyteme sind leicht (können aber auch nicht von allen Schüler gelöst werden). Der GTR stützt das Anwendungsorientierte Denken. Das Verständnis schwindet immer mehr.


    Und bei vielen Schülern ist das Rechnen mit Einheiten megauncool (nix von wegen wir setzen die Werte MIT Einheiten in die Formel ein und formen diese dann um, sondern: Wir setzen die Werte OHNE Einheiten ein.) Dafür kommt dann am Ende die Frage: "In welcher Einheit wird die Lichtgeschwindigkeit angegeben?" oder da wird die Lichtgeschwindigkeit in Metern angegeben. Oder es wird nur gesagt: 3! Aha! 3 Hühnereier?

  • Doppelzentner, Flipper, Doppelzentner... (hat mein eigener Mathe- und Chemielehrer früher immer gesagt).
    Schon als ich selber im Abi gesteckt habe, wurde das mit dem Herleiten immer mehr "bäh"... das Stichwort war "Formelsammlung". Der Hintergrund schien zu sein "solange du weißt, wie es geht und wo es steht, reicht das, das spart Zeit". Zugegeben - eine sinnvolle Formelsammlung hilft dir auch nur, wenn du weißt, was du wozu brauchst.


    Aber wenn ich euch so lese, wird das ja wohl immer schlimmer... ob meine SuS irgendwann nicht mal mehr Farbmischungen hinbekommen?

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)


  • . das Stichwort war "Formelsammlung". Der Hintergrund schien zu sein "solange du weißt, wie es geht und wo es steht, reicht das, das spart Zeit". Zugegeben - eine sinnvolle Formelsammlung hilft dir auch nur, wenn du weißt, was du wozu brauchst.


    Aber wenn ich euch so lese, wird das ja wohl immer schlimmer... ob meine SuS irgendwann nicht mal mehr Farbmischungen hinbekommen?

    Eine Formelsammlung hilft dir aber auch nichts, wenn man ein Experiment beschreiben muss.
    O-Ton von Schülern:
    - Oh! Eine Physikklausur ist aber einfach! Da hat man ja die Formelsammlung. Damit fliegen sie dann in der 1. Klausur auf die Schnauze, glauben es aber weiterhin (zumindest einige). Dafür schauen sie dann auch im Abi noch irgendwelche belanglosen Formeln nach ... und wenn es die pq-Formel ist.
    - In Mathe kann man wenigstens noch rote Kästchen auswendig lernen (da stehen Merksätze / Formeln etc. drin). Fein! Klausur ist trotzdem bestenfalls 5.


    In einer Arbeit in der 8. Klasse fragte ein Schüler, was denn eine Epidemie sei. :essen:
    Für eine Farbmischung müssten sie ja wissen, was eine subktraktive Farbmischung ist.

  • ... Oder es wird nur gesagt: 3! Aha! 3 Hühnereier?

    Hach, dieselben Schüleraussagen, dieselben unlustigen Physiklehrerantworten. Seit es Schule gibt.


    Wenn ihr wollt, dass Schüler irgendwas machen, müsst ihr es ihnen sagen. Oder sogar plausibel machen, hui. Und wenn sie’s dann trotzdem vergessen oder keinen Bock drauf haben ist doch bloß eins bestätigt: Schule ist nicht lebensnah und anwendungsbezogen. Und vielleicht muss sie es auch gar nicht sein, es geht halt um einen Grundstock an Allgemeinbildung.


    Aber immer das Geschimpfe auf den Verfall der Jugend- was ist denn aus uns geworden? Wo doch damals alles besser war? Die innovativen, vom Leben immer einen Plan habenden, weltbewegenden Lehrer. Besonders die tollen Hechte unter uns, die nie müde werden, zu betonen, das Gymnasiallehramtsstudium Mathe geschafft haben. Die hams zu wat gebracht.


    Ein Lichtblick: auch in euren Klassen sitzen ein paar tolle Hechte, die in Mathe gut sind und dann wieder Lehrer werden :sleeping:

  • @Krabappel: Schule ist hier sehr lebensnah und anwendungsbezogen, blöderweise interessiert sich in Klasse 8 aber kein Schüler für Finanzmathematik und ähnliche Anwendungsbezüge, die jedem erwachsenen Menschen massiv dabei behilflich wären zu verstehen was seine Bank oder Versicherung ihm da gerade andrehen möchte (ja, das ist alles nur Formeln aufstellen, umstellen, einsetzen). Zutiefst unprofessionelle Antwort einer Kollegin ohne jede Kenntnis mathematischer Inhalte, die auch heute noch glaubt mit ihrem Riestervertrag Gewinn machen zu können. :P
    Das hat auch überhaupt gar nichts mit einem Verfall der Jugend zu tun, sondern mit einem Verfall der Lehrpläne auf Betreiben erwachsener Fachpolitiker, die das den Schülern nicht mehr "zumuten" möchten.
    @DePaelzerBu: Am Gymnasium ist das in NRW Thema in Klasse 8, an der Hauptschule sollte es (bis Klasse 10) zumindest für lineare Gleichungen (quadratische nur im E-Kurs) behandelt werden.

    If you look for the light, you can often find it.
    But if you look for the dark that is all you will ever see.

  • blöderweise interessiert sich in Klasse 8 aber kein Schüler für Finanzmathematik

    Auch in den Klassen 11-13 interessiert das nur die Allerwenigsten. Anwendungsbezug ist schön und gut (und auch sehr wichtig, wie ich finde). Trotzdem interessiert die Schüler das alles nicht die Bohne. Ist aber meiner Beobachtung nach kein mathematisches Problem: Wie viele Schüler interessieren sich ernsthaft für Gedichtsanalysen, soziale/wirtschaftliche Kenndaten, Religion... Vermutlich erreicht man mit Sport noch am meisten Schüler.


    Ich möchte hier noch einmal aus meiner oben genannten Klausur in der 12. Klasse NTW-Bereich zitieren. Die Schüler sollten ein bißchen mit radioaktivem Zerfall rechnen (ein Thema, was in Physik, ihrem Kernfach, momentan auch behandelt wird). Halbwertszeit eines Materials war 138 Tage. Gefragt war, wann das Material nur noch die Hälfte ihrer Ausgangsmenge besitzt. Antworten der Schüler:


    - 69 Tag
    - 138,5 Tage
    - eine Zahl mit sechsstelligen Bereich, also irgendwas mit 100000 Tagen


    Was erkennt man daran? Die Schüler erkennen nicht einmal, das ihre Antwort offensichtlich nicht richtig sein kann. Es wird überhaupt nichts hinterfragt. Passt gut zum Ausgangsthema: Hauptsache, es ist am Ende ein Ergebnis da.


    Übrigens: Bei einer Aufgabe, in der die Bevölkerung von Inden (ausgehend von 1,23 Milliarden Menschen mit 3% jährlichem Wachstum) im Jahr 2025 berechnet werden sollte, haben mehrere Schüler Werte im 200 Milliarden-Bereich errechnet. Hat trotzdem keinen interessiert.

  • Das ist meiner Meinung nach ein Hauptproblem der ganzen Hechelei hinter dem "Anwendungsbezug". Viele Schüler verstecken sich hinter auswendig gelernten Algorithmen, machen einen winzigen Fehler und denken dann nicht im geringsten darüber nach, ob das in dem Kontext den sie da haben, überhaupt Sinn machen kann. Mein Lieblingsbeispiel ist immer noch die Schülerin die mir mit voller Überzeugung erzählt hat, dass bei geöffneten Schleusentoren 2l/h aus einem Stausee abfließen. Auch der Hinweis auf die Größe ihrer Wasserflasche auf dem Tisch hat sie nur mäßig beeindruckt, immerhin habe der Taschenrechner das so ausgerechnet. :)


    Dann doch lieber reine Mathematik und ich muss nur den einen Vorzeichenfehler finden, anstatt mich noch über die "geniale Anwendung" zu freuen...xD

    If you look for the light, you can often find it.
    But if you look for the dark that is all you will ever see.

  • Was mich schon immer gestört hat: In praktisch allen Schulfächern werden die Fachwissenschaften (zumindest propädeutisch) gelehrt - Nur in Mathe, da lehrt man Rechnen. Rechnen ist nur ein kleiner, eigentlich wenig bedeutender Teil der Wissenschaft Mathematik. Statt diese ganzen Anwendungs-Bockmistaufgaben immer und immer wieder durchzuexerzieren, sollte man spätestens in der Oberstufe das machen, was die Hochschulmathematik ausmacht - Abstraktes Formalisieren und logisches Beweisen. Denn kaum ein Schüler braucht später die Kettenregel oder den Gauß-„Alogrithmus“ und wenn doch, kann er das sehr schnell lernen. Was man aber IMMER gebrauchen kann, ist, DENKEN zu können. Und das lehrt einen die Mathematik.

  • ...
    Das hat auch überhaupt gar nichts mit einem Verfall der Jugend zu tun, sondern mit einem Verfall der Lehrpläne auf Betreiben erwachsener Fachpolitiker, die das den Schülern nicht mehr "zumuten" möchten.
    ...

    Ach so, na dann wundert mich das threadauf-, threadablaufende Gejammer über die doofen, uninteressierten Jugendlichen :gruebel: Natürlich denken Kinder nicht über Rentenversicherungen nach. Oder darüber, wie schnell ein Pudding abkühlt... Für Mathe kann man aber um der Mathematik Willen trotzdem begeistern :top:

  • Als wären das 2 verschiedene Mathematiken.

    Ist es nicht?! :schreck:


    Spass ... Ich finde es auch immer wieder faszinierend, wie sich meine SuS darüber empören können, dass wir in der Chemie rechnen. Dabei geht es wohl kaum anwendungsbezogener wenn man sich überlegt, dass der Produktionsleiter bei Bayer wohl schon wissen muss, wie viel Tonnen Salicylsäure er für die Jahresproduktion an Aspirin bereitstellen muss.


    Die absolute Pest finde ich ja diese graphikfähigen Taschenrechner. Da kann man die Formel dann einfach eingeben und auf "solve" drücken. Ehrlich ... Ich hatte in Prüfungen schon "solve" als so eine Art Synonym für den geforderten Rechenweg stehen. Alter Schwede.



    Ach so, na dann wundert mich das threadauf-, threadablaufende Gejammer über die doofen, uninteressierten Jugendlichen

    Bitte? Wer jammert denn? Unsere Jugendlichen sind nicht doof und schon gar nicht dööfer, als wir es früher waren. Sie sind nur exakt genauso faul wie wir es waren. Erschwerend kommt hinzu, dass Tante Google und Wikipedia das letzte bisschen Selberdenkenmüssen vermeintlich ersetzen. Vermeintlich eben ... ;)


    Aber jetzt mal im Ernst. Ich schliesse mich meinen mathematisch-naturwissenschaftlichen Vorschreibern vollumfänglich an - dieser ganze politisch gewollt und geförderte Anwendungs-Hype ist diesbezüglich wirklich schädlich. Ich sage meinen SuS in der ersten Lektion am Gym immer: Lesen, Schreiben und Dreisatzrechnen ist das, was sie *wirklich* können müssen im Leben, der ganze Rest ist Luxus. Grundlegende Mathematik muss man wirklich können und dazu muss man es einfach üben und zwar ohne irgendeinen Schnickschnack sondern um der Mathe willen.


    Ich lasse in der Chemie beim Thema "Drogen und Gifte" gerne man das Verhältnis von wirksamer zu tödlicher Dosis bei z. B. Alkohol rechnen. Da kommt dann gerne mal so eine gequirlte Kacke wie 4 Liter Wodka als tödliche Dosis raus. Genau deswegen bin ich mittlerweile dazu übergegangen, meine SuS in unangekündigten Kurztests mit z. B. Rechenaufgaben zur Reaktionsenergie zu quälen. Sowas gilt ja bei uns als "Psychoterror" und ist total bäh. Ich stelle aber fest, dass es wirklich besser wird, wenn wir zum 30. mal ausgerechnet haben, dass Reaktionsenergien typischerweise irgendwas im Bereich von ein paar hundert kJ sind. Das gibt ein Gefühl für sinnvolle Grössenordnungen und macht, dass SuS sich endlich mal anfangen zu wundern, wenn sie die erwähnten gequirlten 4 Liter Wodka ausrechnen.


    Also ja, es ist auch bei uns wirklich so, dass die SuS aus der Mittelstufe ans Gym kommen und keine Formeln umstellen können. Weil unsere Sek-I-Kollegen sich peinlich genau an die kantonalen Lehrpläne halten und sich da irgendwelche Blödis ausgedacht haben, dass Formeln umstellen uncool ist und man zutiefst pubertäre 13 - 15jährige besser mit möglicht viel Pseudo-Anwendungsbezug beglücken muss.

  • ...dieser ganze politisch gewollt und geförderte Anwendungs-Hype ist diesbezüglich wirklich schädlich. Ich sage meinen SuS in der ersten Lektion am Gym immer: Lesen, Schreiben und Dreisatzrechnen ist das, was sie *wirklich* können müssen im Leben, der ganze Rest ist Luxus. Grundlegende Mathematik muss man wirklich können und dazu muss man es einfach üben und zwar ohne irgendeinen Schnickschnack sondern um der Mathe willen.


    Ich lasse in der Chemie beim Thema "Drogen und Gifte" gerne man das Verhältnis von wirksamer zu tödlicher Dosis bei z. B. Alkohol rechnen. Da kommt dann gerne mal so eine gequirlte Kacke wie 4 Liter Wodka als tödliche Dosis raus. ...

    Sag ich ja, Anwendungsbezug um jeden Preis mitnichten vonnöten. Die wenigsten Jugendlichen finden es zudem cool, an den Haaren Herbeigezogenes berechnen zu müssen.


    So als Tip: Wenn sie beruhigt ausgerechnet haben, 3 Liter Wodka wären noch okay, dann sollte man sie doch besser informieren und entdeckendes Lernen vermeiden :lach:

  • Was mich schon immer gestört hat: In praktisch allen Schulfächern werden die Fachwissenschaften (zumindest propädeutisch) gelehrt - Nur in Mathe, da lehrt man Rechnen. Rechnen ist nur ein kleiner, eigentlich wenig bedeutender Teil der Wissenschaft Mathematik. Statt diese ganzen Anwendungs-Bockmistaufgaben immer und immer wieder durchzuexerzieren, sollte man spätestens in der Oberstufe das machen, was die Hochschulmathematik ausmacht - Abstraktes Formalisieren und logisches Beweisen. Denn kaum ein Schüler braucht später die Kettenregel oder den Gauß-„Alogrithmus“ und wenn doch, kann er das sehr schnell lernen. Was man aber IMMER gebrauchen kann, ist, DENKEN zu können. Und das lehrt einen die Mathematik.

    Ich hätte Dir dafür gerne ein halbes "like" gegeben, das gibt´s ja leider nicht.


    Ich finde es auch sehr schade, dass an den Schulen kaum rüberkommt, was Mathematik eigentlich ist. Wir unterrichten Mathematik fast nur als Hilfswissenschaft, und das finde ich sehr schade.


    Das mit dem "Denken" lernen ist aber so eine Sache, und ich befürchte, dass es nur wenige Gelegenheiten in der Oberstufe gibt, wo man beim "Abstrakten Formalisieren" und "logischen Beweisen" das Denken lernen kann. Denn wenn man z.B. die genannte Kettenregel beweisen muss, dann wird man das mit Denken alleine kaum hinbekommen.


    Logisches Denken kann man m.E. am besten mit Stochastik, insbesondere Kombinatorik, verknüpfen, weniger mit Analysis. Man könnte es auch sehr gut mit diskreter Mathematik (Graphentheorie usw.) verknüpfen, nur ist diese ja nicht Lehregegenstand der Schulmathematik.


    Was man hingegen bei Analyis - auch bei den Beweisen - sehr schön lernen kann ist Sorgfalt und Durchhaltevermögen.


    Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Rechnet man möglichst allgemein und setzt die Zahlen erst am Schluss ein, dann ist das eine Form der Abstraktion. Abstraktion ist schwer. Ich versuche, einen Kompromiss zu finden, indem ich - etwa in meinen Tafelanschrieben - diesen Abstrakten Weg wähle, bei Klassenarbeiten und Hausaufgaben aktzeptiere ich aber auch die Lösungen, wo die Zahlen gleich eingesetzt werden. Das führt dazu, dass wenigstens die besseren Schüler den abstrakteren Weg übernehmen (immerhin spart es ja auch Schreibarbeit, und die Ergebnisse sind mangels Rundungsfehlern auch exakter).

  • Ich unterrichte eine Abschlussklasse der zweijährigen Berufsfachschule Wirtschaft. Einige (wenn auch sehr wenige) dieser Schülerinnen und Schüler werden später das Wirtschaftsgymnasium besuchen, d.h. den höchsten deutschen Schulabschluss erwerben.


    Wir behandeln seit Anfang des Schuljahres, d.h. seit sieben Wochen, das Thema Geraden. Jede Woche schreiben wir einen Test über die unmittelbar vorangegangene Doppelstunde. Bei einem dieser Test mussten zwei Geradengleichungen anhand des Graphen bestimmt und eine weitere Gerade anhand ihrer Gleichung ins Schaubild eingezeichnet werden. Dafür gab es je 2VP, also insgesamt 6VP. Durchschnittliche Punktzahl dieses Test 2,4VP, d.h. Note 4. Bei einem weiteren Test sollte aus zwei Punkten eine Geradengleichung aufgestellt werden und dann mit einer Punktprobe geprüft werden, ob ein dritter Punkt auf dieser Gerade liegt. Wieder insgesamt 6VP. Durchschnittliche Punktzahl 1,3 VP, d.h. Note 5.


    Und mit diesen Schülern soll ich dann am WG formal logisch beweisen?! :aufgepasst: Natürlich stammt unser Hauptklientel aus grundständigen Realschulen, aber auch von dort kommt teilweise keine bessere Schülerqualität. Zumindest nicht von den Realschulen "aus der Stadt". Ich kann euch (in unserem wirklich riesigen Einzugsgebiet) genau drei Zubringer-Realschulen nennen, die gute Schüler liefern, die das WG ohne größere Probleme meistern. Alle anderen sind am Kämpfen. Und das besonders in Mathe.


    Der Anwendungsbezug (Mathe als "Hilfswissenschaft", Werkzeug, wie immer man es nennen mag) der Mathematik wird in so vielen Bereichen benötigt... Da kann man es sich mMn nicht leisten, reihenweise Schülerinnen und Schüler durch solchen formal-logischen Käse derart abzuschrecken, dass sie von alles was irgendwie mit Mathe zu zu tun haben könnte, in Zukunft die Finger lassen! Und die paar Schüler, die dann tatsächlich um ihrer Selbstwillen die Mathematik studieren wollen, werden es dann schon irgendwie hinbekommen... ;)


    Für MICH (Andere können da anderer Meinung sein) ist es wichtig, in meinem Unterricht zu vermitteln, dass Mathe nützlich, hilfreich, teilweise unabdingbar ist/sein kann um unseren Alltag bzw. unseren (hypothetischen, zukünftigen) Beruf zu meistern. Die Schülerinnen und Schüler sollen erfahren, dass sie durchaus grundlegende mathematische Zusammenhänge verstehen können und mathematische Werkzeuge, die ich ihnen an die Hand gebe, zur Problemlösung effektiv einsetzen können.


    Wir haben hier in den Nähe einen großen Betrieb, der Achterbahnen baut... Ich glaube nicht, dass sich da irgendein Ingenieur hinhockt und von Hand irgendwelche Splines durchrechnet. Bzw. dass da im Betrieb noch irgendetwas Mathematisches hergeleitet oder formal bewiesen wird. Da wird sich ans Computer-Programm gehockt und eingegeben. Klar muss das Computerprogramm von irgendjemandem geschrieben werden. Aber das ist dann eben der eine ehemalige Mathe/Informatik-Student, der sich für dieses Formal-Logische geeignet hat.


    Ich habe mir mal Abi-Aufgaben von vor 30 Jahren angesehen aus Interesse. Da bezweifle ich, dass die heute noch irgendeiner meiner Kollegen (Altersklasse Anfang/Mitte 30 bis Mitte/Ende 40) überhaupt noch hinbekommen würde... Das ist Zeug, das braucht kein Mensch. Bzw. wenn, wird es dann an der Uni im Hauptstudium unterrichtet.


    Ich bedauere es nicht, dass sich die Didaktik in diese Richtung entwickelt hat. Im Gegenteil. So ergibt sich die Möglichkeit, viel mehr Schülern die Mathematik auf angenehme Weise näherzubringen.

  • Und mit diesen Schülern soll ich dann am WG formal logisch beweisen?! Natürlich stammt unser Hauptklientel aus grundständigen Realschulen, aber auch von dort kommt teilweise keine bessere Schülerqualität. Zumindest nicht von den Realschulen "aus der Stadt". Ich kann euch (in unserem wirklich riesigen Einzugsgebiet) genau drei Zubringer-Realschulen nennen, die gute Schüler liefern, die das WG ohne größere Probleme meistern. Alle anderen sind am Kämpfen. Und das besonders in Mathe.

    Was haben diese Schüler auf einem Gymnasium zu suchen?


    Der Anwendungsbezug (Mathe als "Hilfswissenschaft", Werkzeug, wie immer man es nennen mag) der Mathematik wird in so vielen Bereichen benötigt... Da kann man es sich mMn nicht leisten, reihenweise Schülerinnen und Schüler durch solchen formal-logischen Käse derart abzuschrecken, dass sie von alles was irgendwie mit Mathe zu zu tun haben könnte, in Zukunft die Finger lassen! Und die paar Schüler, die dann tatsächlich um ihrer Selbstwillen die Mathematik studieren wollen, werden es dann schon irgendwie hinbekommen...

    Es ist kein Wunder, dass sich die Unis über die fehlende Studierfähigkeit vieler Erstis beschweren, wenn Kollegen wie du solch einen Kuschelkurs fahren.


    Wir haben hier in den Nähe einen großen Betrieb, der Achterbahnen baut... Ich glaube nicht, dass sich da irgendein Ingenieur hinhockt und von Hand irgendwelche Splines durchrechnet. Bzw. dass da im Betrieb noch irgendetwas Mathematisches hergeleitet oder formal bewiesen wird. Da wird sich ans Computer-Programm gehockt und eingegeben. Klar muss das Computerprogramm von irgendjemandem geschrieben werden. Aber das ist dann eben der eine ehemalige Mathe/Informatik-Student, der sich für dieses Formal-Logische geeignet hat.

    Die Berechnungen und Simulationen werden von Ingenieuren und Physikern gemacht.


    Ich habe mir mal Abi-Aufgaben von vor 30 Jahren angesehen aus Interesse. Da bezweifle ich, dass die heute noch irgendeiner meiner Kollegen (Altersklasse Anfang/Mitte 30 bis Mitte/Ende 40) überhaupt noch hinbekommen würde... Das ist Zeug, das braucht kein Mensch. Bzw. wenn, wird es dann an der Uni im Hauptstudium unterrichtet.

    Ich bekomme das noch hin. :autsch:

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