SPON: Ein Sonderpädagoge berichtet

  • Soll man selbstverständlich nicht! Aber man muss damit rechnen, dass Gewalt vorkommt, wenn man sich für das Lehramt Sonderschule entscheidet. Was allerdings mürbe machen kann, ist eine Schulleitung, die Gewalt toleriert und Kollegen nicht schützt. Das habe ich schon erlebt. Nicht an jeder Schule zum Glück, aber an einer :neenee:

    Ich hatte mich damals für Sek. I entschieden. Mir war nicht klar, dass sich Gesellschaft und Schulbetrieb in wenigen Jahren so drastisch ändern würden. Inklusions- und Migrantenklassen wollte ich nie unterrichten. Welche Gewalt ich und meine Kollegen täglich ertragen müssen kann und will ich hier gar nicht ausbreiten.

  • Mir ist auch extrem aufgefallen, dass immer mehr junge Kolleginnen aufgrund von Überlastung krankheitsbedingt ausfallen. Zum einen, weil es Schulleiter gibt, die den Ehrgeiz und die verbliebe Ref-Mentalität zu nutzen wissen, zum anderen aber aber auch, weil Junglehrer da selbst nicht raus kommen. Die geben dann dauerhaft 150 % und wundern sich dann, wenn sie nicht mehr können.
    Ich steh ja auch noch am Anfang, aber ich denke, dass 10 Jahre Berufserfahrung vorher und ein Kleinkind ganz gut erden.
    Es gibt aber auch Dinge, von denen ich immer dachte, dass sie fest stehen, die an meiner Schule nicht umgesetzt werden. Ich weiß nicht, ob der Personalrat da pennt. Da hab ich einfach noch nicht den Durchblick.

  • "Gewalt ertragen" ist die eine Sache, allerdings sind wir in der Schule herausgefordert, dieser Gewalt irgendwie - pädagogisch oder/und disziplinarisch - Grenzen zu setzen. Da ist es wichtig, dass alle zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen. Dafür lohnt es sich einzusetzen.

  • Ich hatte mich damals für Sek. I entschieden. Mir war nicht klar, dass sich Gesellschaft und Schulbetrieb in wenigen Jahren so drastisch ändern würden. Inklusions- und Migrantenklassen wollte ich nie unterrichten. Welche Gewalt ich und meine Kollegen täglich ertragen müssen kann und will ich hier gar nicht ausbreiten.

    Mach doch mal. Und auch gleich, wie ihr damit umgeht, das betrifft sicher einige hier...

  • Ich verstehe nicht, wie man den Dienst nach Vorschrift durch den Zusatz "nur" negativ bewerten muss. Er tut, was er soll und wofür er bezahlt wird. Was bitteschön ist daran schlimm?


    Das Problem sind doch eher die, die ihren Kram nicht erledigen oder anderen zusätzliche Arbeit aufhalsen.

  • Nein.

    Doch.
    Bei uns schon. Wie Caro007 sagte, man muss dem pädagogisch und ggf disziplinarisch begegnen. Aber es ist Teil meines Alltags und ein Stück weit muss ich es aushalten können.
    Das heißt nicht, es wehrlos hinzunehmen oder nicht einzuschreiten. Oder sich ständig blaue Flecken schlagen zu lassen. Aber ich muss damit arbeiten können.

  • Doch.Bei uns schon. Wie Caro007 sagte, man muss dem pädagogisch und ggf disziplinarisch begegnen. Aber es ist Teil meines Alltags und ein Stück weit muss ich es aushalten können.
    Das heißt nicht, es wehrlos hinzunehmen oder nicht einzuschreiten. Oder sich ständig blaue Flecken schlagen zu lassen. Aber ich muss damit arbeiten können.

    Auf etwas (adäquat) zu reagieren, ist wohl etwas deutlich anderes, als es auszuhalten.

  • Juditte: Meinst du eher wie ein Polizist? Der muss ja theoretisch auch damit rechnen, wenn ein Festzunehmender austickt und um sich schlägt, weswegen die Polizei wohl etwas grober auftritt und der dann Festgenommene mit einer zusätzlichen Strafe wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt rechnen muss. Und dennoch gibt es ja jedes Jahr genug junge Leute (wenn auch insgesamt zu wenig), die sich für den Polizistenberuf entscheiden. Im Grunde haben aber sowohl der Lehrer als auch der Polizist ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, was beim Lehrer wohl noch eher langfristig zu erreichen ist, weil er mit seiner Klientel teilweise mehrere Jahre arbeitet statt nur einen Fall (bzw. eine Fallserie) lang wie beim Polizisten.

  • Na, also ich kenne durchaus Kollegen, die nicht drauf reagieren und entweder gucken, dass diese Kinder nicht in ihre Klassen kommen oder sie beim kleinsten Vorfall abholen lassen.
    Wenn ich einen schwerstmehrfachbehinderten Schüler habe, der sich dagegen wehrt, vom Trampolin zu müssen, weil er sich da leicht und nicht an den Rolli gefesselt gefühlt hat, dann halte ich das in dem Moment aus, soweit meine Kollegen das auch so sehen und ich die Gefährdung verantworten kann.
    Die Alternative einige Kollegen wäre, den Jungen nicht mehr aus dem Rolli zu holen. Natürlich versucht man mit ihm zu erarbeiten, dass er so was ohne Wutausbruch akzeptieren kann. Das braucht aber Zeit. Bis dahin muss ich damit umgehen können, dass er mich körperlich attackiert.

  • Na, also ich kenne durchaus Kollegen, die nicht drauf reagieren und entweder gucken, dass diese Kinder nicht in ihre Klassen kommen oder sie beim kleinsten Vorfall abholen lassen.
    Wenn ich einen schwerstmehrfachbehinderten Schüler habe, der sich dagegen wehrt, vom Trampolin zu müssen, weil er sich da leicht und nicht an den Rolli gefesselt gefühlt hat, dann halte ich das in dem Moment aus, soweit meine Kollegen das auch so sehen und ich die Gefährdung verantworten kann.
    Die Alternative einige Kollegen wäre, den Jungen nicht mehr aus dem Rolli zu holen. Natürlich versucht man mit ihm zu erarbeiten, dass er so was ohne Wutausbruch akzeptieren kann. Das braucht aber Zeit. Bis dahin muss ich damit umgehen können, dass er mich körperlich attackiert.

    Gemein nur, dass man dies mittlerweile Lehrern aufhalst, die nicht dafür ausgebildet sind, die mit 25 statt 12 Kindern in der Klasse sind und die dies auch noch für A12 statt A13 aushalten müssen.

  • Natürlich haben viele einen Praxisschock, denn man hat oft die Illusion, dass man es hinkriegt - gerade wenn man ein größeres "Sendungsbewusstsein" in den Beruf mit einbringt, ist man besonders gefährdet. Ich weiß nicht, wie praxisorientiert die jetztige Lehrerausbildung ist. Ich hatte, als ich als Lehrerin angefangen habe, einen gehörigen Praxisschock, was die Disziplin betraf und was mein Vermögen dazu darstellte. Die Tipps, die ich im Studium dafür bekommen habe, halfen erst einmal nicht viel.

    Ich kann hier nur für Bayern sprechen, denke, dass das aber überall so ähnlich ist.
    Praxiserfahrung während des Studiums kann man genug sammeln, ob man diese auch nützt ist eine andere Sache.


    Vor dem Studium stehen 3 - 4 Wochen Orientierungspraktikum an (kann an verschiedenen Schulformen abgeleistet werden).
    Im 3. Semester das pädagogisch-didaktische Schulpraktikum (150 - 160 Stunden im Unterricht bei einer Praktikumslehrkraft). Es besteht aus
    2 Blockphasen (jeweils 3 Wochen zu Anfang und Ende des Herbstsemesters) sowie jede Woche einen gesamten Schultag.
    Die Möglichkeit besteht dieses Praktikum zu verlängern - nennt sich Intensivpraktikum und dauert dann das gesamte Schuljahr, wieder mit Blockphasen und einem Tag pro Woche im Unterricht.
    Daneben gibt es noch zwei weitere verpflichtende Praktika, die sich wieder über jeweils ein Semester erstrecken + das Betriebspraktikum.


    Das Problem ist, dass sehr viele den Kontakt zum Beruf regelrecht meiden - sie glänzen zwar an der Uni, das nützt ihnen in den Praktika und vor den Kindern aber wenig bis gar nicht. Sie haben Angst vor jeder Praxisphase, denken aber nicht daran, dass das ihre spätere Arbeit ist.
    Meine Noten sind vielleicht nicht glänzend, ich habe aber jetzt schon mehr Praxiserfahrung im 3. Semester gesammelt, als andere die das erste Staatsexamen schon hinter sich haben. Ich nütze die Praktika vollständig, bereite Unterricht vor, halte Unterrichtsstunden, bin aktiv dabei. Des Weiteren nütze ich die bezahlten! Möglichkeiten, die uns die Uni bietet. Hausaufgabenbetreuung, Unterricht in Übergangsklassen...


    Es kommt darauf an, wie man das Angebot nützt.
    Alles, was ich getan habe, hat mich in meinem Wunsch, Lehrerin zu werden, bestärkt.
    Ich habe keine Angst, eine Vertretungsstunde unvorbereitet halten zu müssen oder völlig alleine vor der Klasse zu stehen - das sind alles Situationen, die ich schon kenne. Ich bin weit davon entfernt, eine perfekte Stunde zu halten, aber ich schaffe es eine passable Stunde zu halten und das ist meiner Meinung nach schon mal ganz gut. V.a. aber habe ich schon viel gesehen und so manchen Schock verarbeiten können, ohne den direkten Druck, perfekt sein zu müssen, wie es im Referendariat und auch später der Fall ist :)

  • Gemein nur, dass man dies mittlerweile Lehrern aufhalst, die nicht dafür ausgebildet sind, die mit 25 statt 12 Kindern in der Klasse sind und die dies auch noch für A12 statt A13 aushalten müssen.

    Find ich ja auch nocht richtig, ich habe ja auch von klassischen Förderschulen geschrieben und dass ich das für die Inklusion nicht so sehe.
    Im übrigen bin ich E 9. Fachlehrer an Förderschulen werden da deutlich anders bezahlt.

  • Und dazu gehört auch, Gewalt auszuhalten. Das heißt nicht, dass man kommentarlos alles hinnehmen muss, aber es gehört dazu.

    Unsinn. Niemand muss "Gewalt aushalten". Das Problem sind eher Schulen (und insbesondere Schulleitungen), die dann nicht konsequent dagegen vorgehen. Dieses Stillschweigen über Gewalt an der Schule (physisch und psychisch) ist eines der großen Probleme im deutschen Schulsystem. Das Problem wird ignoriert, im Zweifel ist der Lehrer schuld. Das kann keine Lösung sein.


    Neulich hat ein Paketzusteller rumgejammert, weil sein Job so stressig sei. Ja dann soll er sich halt einfach was anderes suchen! Weiß man doch schließlich, dass man da in wenig Zeit viel Pakete liefern muss.

    Wenn sich in einem Berufsfeld objektiv die Bedingungen verschlechtern (und das haben sie, sowohl bei den Paketzustellern, als auch im Pflegebereich als auch bei den Lehrern, den Polizisten und vielen anderen Dienstleistungsberufen, bei denn man sich nicht den Hintern im Büro plattsitzt), dann darf man selbstverständlich jammern. Auch wenn es dann nur eine Warnung an die nachfolgenden Generationen ist, sich einen Beruf zu suchen, wo man mit weniger Aufwand und Stress mehr Geld verdienen kann. Leider wird in unserer heutigen Gesellschaft Idealismus bestraft, sowohl was die persönliche Gesundheit als auch was die Bezahlung betrifft. Und dies trifft insbesondere für den sozialen Bereich zu. Wer das nicht sehen will, hat unser Wirtschaftssystem nicht verstanden.


    Das Problem sind doch eher die, die ihren Kram nicht erledigen oder anderen zusätzliche Arbeit aufhalsen.

    Mit ist jemand, der einfach seine Arbeit macht, auch lieber als jemand Überengagiertes, der dann jenseits seiner "Leuchtturmprojekte" dauernd ausfällt und die Kollegen im Regen stehen lässt.


    Juditte: Meinst du eher wie ein Polizist? Der muss ja theoretisch auch damit rechnen, wenn ein Festzunehmender austickt und um sich schlägt, weswegen die Polizei wohl etwas grober auftritt und der dann Festgenommene mit einer zusätzlichen Strafe wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt rechnen muss.

    Polizisten sind im Gegensatz zu Lehrern für so etwas speziell ausgebildet. Zudem tauchen die immer mindestens zu zweit auf, wenn es auch nur den Verdacht auf Probleme gibt. Und zimperlich sind die auch nicht, wenn es um den Eigenschutz geht, der hat nämlich erst einmal absolute Priorität. Die halten sicherlich nicht erst einmal die andere Wange hin, wie es heutzutage von Lehrern erwartet wird....


    Gruß !

  • Mich stört es, dass von dem interviewten Lehrer gesagt wird, dass er so viel jammert. Machen alle anderen das nicht auch? Er sagt halt, wie es ist. Finden wir alles toll?


    Die anderen Berufstätigen, die auf dieser Seite interviewt wurden, haben auch nicht nur Positives berichtet.

  • Das liegt bei uns (meist) nicht an Schulleitungen oder bösen Lehrern, die es nicht gewaffelt kriegen, sondern an den Behinderungsbildern der Schüler. Die gab es auch schon immer, früher wurden die medikamentös oder durch Fixierung ruhig gestellt. Das wird heute aus gutem Grund nur noch selten gemacht.
    Es geht um Schüler, die sich nicht regulieren können, bei denen Gewalt gegen sich oder andere ein Ausdruck von Hilflosigkeit ist. Und die kognitiv nur sehr bedingt in der Lage sind, dies zu steuern.
    Was wäre da die Konsequenz? Zu Hause lassen? Recht auf Schule verspielt, weil zu behindert?
    Ich bin mir nicht sicher, ob du weißt, von welchen Schülern wir hier reden.
    Ich lasse mich natürlich nicht täglich verprügeln, in brenzligen Situationen hole ich Hilfe.
    Und nochmal: es geht um meine Schulform, nicht um die Regelschule. Aber wer unser Lehramt studiert, sollte wissen, was ihn da erwartet.

  • Es geht um Schüler, die sich nicht regulieren können, bei denen Gewalt gegen sich oder andere ein Ausdruck von Hilflosigkeit ist. Und die kognitiv nur sehr bedingt in der Lage sind, dies zu steuern.

    Der Dienstherr hat eine Fürsorgepflicht gegebüber seinen Bediensteten. Auch ein Förderschullehrer muss sich nicht verprügeln lassen. Wenn es keine Lösung gibt (z.B. dauernde Anwesenheit zweier Lehrkräfte), könnte man sich notfalls weigern, den Schüler zu unterrichten und das notfalls auch vor dem Verwaltungsgericht klären lassen.


    Nicht die einzelne Lehrkraft sondern der Staat (= Bundesland) ist dafür verantwortlich, dass ein Schüler sein Recht auf Bildung wahrnehmen kann. Und dazu muss der Staat die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Das ist nicht Aufgabe einer einzelnen Lehrkraft!


    Gruß !

  • [/quote]

    Wenn es keine Lösung gibt (z.B. dauernde Anwesenheit zweier Lehrkräfte), könnte man sich notfalls weigern, den Schüler zu unterrichten und das notfalls auch vor dem Verwaltungsgericht klären lassen.

    Ist das so?

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