Woher kommt die Beliebhteit der Kombination "Deutsch/Geschichte"?


  • Dennoch muss man sich ja darüber Gedanken machen, was man wie und warum thematisiert und worauf man letztlich damit hinaus möchte. Ich habe selbstverständlich gar nichts dagegen einzuwenden, wenn man obiges Thema didaktisch ausgewogen darstellt, so dass kein einseitiger Blickwinkel entsteht.

    Da stimme ich Dir zu, ansonsten ist mittlerweile denke ich deutlich geworden, wo wir unterschiedlicher Meinung sind und weshalb jeweils. Deine Beiträge sensibilisieren mich dafür, auf das richtige Maß an Provokation zu achten!


    Semi-Off-Topic Anekdote: ein im Geschichtsunterricht ansonsten engagierter (christlich geprägter) Schüler hat sich mal geweigert einen Text von Hitler zu lesen, weil er, wenn, einen Verfassertext über Hitler lesen will, aber keine Quelle von Hitler persönlich. Das war eine interessante Situation! :-)

  • Man kann eine Stunde nicht beenden, in dem man eine Meinung erwartet. Aber man darf sie auch nicht beenden, in dem man irgendwie offen lässt, was nach aktueller Rechtslage richtig ist.


    Hallo Krabappel,


    das sehe ich auch so.
    Der Vergleich zwischen NS-Zeit und der heutigen Situation bei Abtreibungen wird nur schwer in die richtige Richtung lenkbar sein, dass also die Schüler/innen nicht in polarisierende (Extrem)Positionen rutschen und am Ende unschlüssig zurückbleiben, sondern die aktuelle Rechtslage erfassen sowie wichtige Argumente nachvollziehen und am Ende selbständig (im Idealfall) bewerten können.


    der Buntflieger

  • Und was ich ganz und gar unglaublich finde, ist angebliche Vorteile zu betonen, die diese Zeit mit sich gebracht hat.

    Ich nehme jetzt einfach mal wohlwollend an, dass Du es wirklich nicht verstehst. Im Übrigen zitierst Du mich auch schon wieder falsch bzw. interpretierst etwas in meine Worte, was ich nicht gemeint habe. Ich schrieb nicht "Vorteile" ich schrieb "profitieren", das ist etwas anderes.


    Wissenschaftsgeschichte ist ein Thema für sich und äusserst spannend. Wie ich schon einmal schrieb, hat Wissenschaftsgeschichte immer wieder und erschreckend viel mit Kriegsgeschichte zu tun. Es gibt immer schon skrupellose oder zumindest ausreichend gleichgültige Subjekte unter den wirklich bedeutenden Naturwissenschaftlern, die sich von Politik und Militär instrumentalisieren haben lassen, wenn sie sich nicht gar mit wehenden Fahnen und voller Begeisterung in deren Dienste gestellt haben. Dass Forschung und Wissenschaft stets frei und unabhängig sei, ist ein Mythos. Wissenschaftler sind - oh Wunder - auf Gelder angewiesen, die sie selbst nicht erwirtschaften können, weil man ja, solange man noch forscht, nichts zu verkaufen hat. Der Staat gibt seit jeher gerne Geld, wenn wissenschaftliche Erkenntnis dem Militär zugute kommt. Das hat schon Antoine Lavoisier anno 1794 den Kopf gekostet.


    Ein ganz besonderes Beispiel im Bezug auf das, was ich mit "profitieren" meinte, ist wohl Fritz Haber. Was wären wir ohne den Fritz und seinen Ammoniak, das kleine stinkende Molekül, aus dem man so schön Kunstdünger herstellen kann, mit dem zumindest in unseren Breitengraden praktisch von heute auf morgen das Thema Hungersnot aufgrund von Missernte vom Tisch war. Ammoniumnitrat aka Künstdünger kann man nun friedfertig auf die Felder werfen um sich am Wachsen und Gedeihen von Weizen & Co. zu erfreuen, oder man nutzt es halt als Sprengstoff. Natürlich zeigte man sich im Kaiserreich äusserst erfreut über die explosiven Eigenschaften der Verbindung. Der gleiche Fritz war absolut davon überzeugt, der Einsatz von Giftgas würde die gegnerischen Truppen dermassen demoralisieren, dass das zu einem raschen Ende des Krieges führen würde und man daher durch das Opfern einiger weniger viele andere vor dem sicheren Tot an der Front bewahren könne. Fritz Haber erhielt 1918 den Nobelpreis für Chemie. Zu Recht oder zu Unrecht? Die Frage hat man sich damals schon gestellt. Die Ammoniak-Synthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren ist aber eine derartig grossartige Errungenschaft der chemischen Industrie, dass 1931 und 2007 noch zwei weitere Nobelpreise dafür verliehen wurden. Fritz Haber war zweifellos ein brillianter Wissenschaftler und ebenso zweifellos war er ein fanatischer Patriot, der den qualvollen Giftgas-Tod von tausenden alliierten Soldaten billigend in Kauf nahm. Was hält man denn jetzt von so einem Typen?


    Ein ähnliches, wenn auch sicher nicht ganz so bedeutsames Subjekt ist Gerhard Schrader, der Mitte bis Ende der 1930er Jahre die Giftgase Tabun und Sarin entwickelte. Das heisst ... eigentlich ging es ja um Insektizide und in der Tat waren noch Jahrzehnte nach dem Krieg einige der Schraderschen Phosphorsäureester bzw. Weiterentwicklungen davon in der Landwirtschaft in Gebrauch (ich meine, dass mittlerweile kaum noch etwas davon eine Zulassung hat, Dichlorvos aber z. B. erst seit 2012 nicht mehr). Hätte man nach dem Krieg sämtliche Forschungsunterlagen Schraders vernichten sollen, weil er auch an wissentlich und willentlich an Giftgasen gearbeitet hat? Die intensive Forschung an Kampfstoffen hat übrigens auch stets die ebenso intensive Forschung an Antidoten vorangetrieben.


    Es gibt noch unzählige weiterer solcher Beispiele. Man mag zum Thema Kernenergie z. B. jetzt denken was man will, Fakt ist aber, dass wir jahrzehntelang davon profitiert haben und Fakt ist auch dass zu Beginn der Kernforschung das Manhattan-Projekt stand und wir alle wissen, dass das mit der friedlichen Nutzung der Kernspaltung zum Zwecke der Energiegewinnung überhaupt nichts zu tun hatte.


    Ich kenne übrigens selbst noch einige der alten Nazi-Chemiker, die aus reinem Pragmatismus an den deutschen Unis belassen wurden. Die Erkenntnis "oh shit ... die gibt es *wirklich* noch" empfand ich damals, als ich jung und dumm anfing zu studieren, doch äusserst bedrückend. Für mich war das "wir Chemiker"-Gefühl an der Stelle irgendwie noch greifbarer, als "wir Deutsche". Ich kann gar nicht recht sagen, warum eigentlich.


    Jetzt klar geworden?

  • Beim Thema "Menschenversuche" z. B. kann man sich aber auch mal Gedanken drüber machen, dass wir heute durchaus davon profitieren, was in der Vergangenheit gemacht wurde

    Genau. Z.B. erst kürzlich im Auftrag von VW...


    edit: Ich beziehe mich damit auf die schlichte Tatsache, dass "Menschenversuche" auch heute noch gang und gäbe sind. Im kleineren Maßstab (Medikamententests etc.) zumindest hierzulande freiwillig und bezahlt (da möchte ich aber nicht wissen, was man in diversen dubiosen Staaten so beauftragen kann), im größeren Maßstab (Feinstaubbelastung in Stuttgart oder anderswo) au contraire.

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

    Einmal editiert, zuletzt von fossi74 ()

  • Danke, Wollsocken, das waren sehr anschauliche Beispiele, von denen es noch einige weitere gibt.


    Die Amerikaner haben führende deutsche Wissenschaftler, die in Diensten der Nazis standen, für ihre eigene Forschung arbeiten lassen - solange das Vorteile gegenüber den Sowjets versprach, war das offenbar opportun.


    Schauen wir uns mal den Umgang der Amerikaner mit der japanischen Einheit 731 an.
    https://de.wikipedia.org/wiki/…e_des_Zweiten_Weltkrieges
    Das dürften noch krassere Beispiele sein als die von Haber und Schrader.


    Das ist jedoch kein explizites Thema im Curriculum und würde wohl eher in den Bereich "Nachwirkungen des 2. WKs am Vorabend des Kalten Krieges" o.ä. fallen.

    Gruß
    #TheRealBolzbold

    Ceterum censeo factionem AfD non esse eligendam.

  • Ich nehme jetzt einfach mal wohlwollend an, dass Du es wirklich nicht verstehst. Im Übrigen zitierst Du mich auch schon wieder falsch bzw. interpretierst etwas in meine Worte, was ich nicht gemeint habe. Ich schrieb nicht "Vorteile" ich schrieb "profitieren", das ist etwas anderes.

    Ich hatte bei Krabappels Aussage den Eindruck, dass er/sie sich hier eher auf die unsäglichen "Aber die Nazis haben doch die Autobahnen gebaut/die Arbeitslosen von der Straße geholt/die Mütter gefördert/younameit"-Parolen. Und hier gilt tatsächlich: Nein, da ist nichts Gutes dran, weil alle diese Segnungen letzten Endes der Nazi-Ideologie entspringen. Die Autobahnen haben andere erfunden und geplant (und teilweise auch gebaut), die Arbeitslosen wurden großteils in ABM-Maßnahmen (z.B. durch weitgehendes Verbot von Maschineneinsatz beim Autobahnbau... habt Ihr Euch schon mal gefragt, warum ältere BAB-Abfahrten bis vor wenigen Jahren mit diesem kleinen, würfelförmigen Granitpflaster belegt waren? Das war alles Handarbeit!) oder im Rahmen der Aufrüstung untergebracht, und warum die Nazis die Mütter gefördert haben, ist ja hinlänglich bekannt.

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • Ich hatte bei Krabappels Aussage den Eindruck, dass er/sie sich hier eher auf die unsäglichen "Aber die Nazis haben doch die Autobahnen gebaut/die Arbeitslosen von der Straße geholt/die Mütter gefördert/younameit"-Parolen.

    Ich hätte gedacht, dass wir in einem Forum für Lehrer nicht auf dem Niveau der Hitler-Autobahnen diskutieren.



    Die Amerikaner haben führende deutsche Wissenschaftler, die in Diensten der Nazis standen, für ihre eigene Forschung arbeiten lassen - solange das Vorteile gegenüber den Sowjets versprach, war das offenbar opportun.

    Ich bin mit den Beispielen Haber und Schrader bewusst in Deutschland geblieben, aber ja, natürlich ist das überall auf der Welt so passiert nach dem Krieg. Der Satz: "Die Militärs der USA glaubten, dass die von Einheit 731 gewonnenen Forschungsergebnisse tatsächlich von großem wissenschaftlichem Wert wären, dies vor allem, da man die dort praktizierte Methode von Experimenten an Menschen bei den Alliierten nie ernsthaft in Erwägung gezogen hatte." im Wiki-Artikel ist natürlich Blödsinn. Natürlich haben die Amerikaner im Zusammenhang mit ihren Kernwaffentests auch untersucht, wie sich der radioaktive Fallout auf Menschen auswirkt. Ganz zu schweigen von allen Drogen-Experimenten an den eigenen Soldaten und Kriegsgefangenen vor, während und nach dem Krieg. Ist sowas denn irgendwie moralischer, wenn man es nicht als offizielle "Versuchsreihe" deklariert?


    Nachtrag: Der Fall Haber ist übrigens besonders skurril, da er 1933 das Angebot annahm, die Leitung des heutigen Weizmann-Insituts zu übernehmen. Haber war der Antisemitismus der Nazis grausam zuwider. Die "Erfindung" des Zyklon B geht ebenfalls auf Haber zurück.

    Einmal editiert, zuletzt von Wollsocken80 ()

  • Weil hier im Zusammenhang von "die Deutschen", "die Amerikaner" usw. öfters von Moral die Rede ist:


    Politik hat keine moralischen Grundlagen, aber es gibt eine Moral in jeder Nation, die die Politik rechtfertigt.

  • Politik hat keine moralischen Grundlagen

    Ich weiss. Ich schrieb auch schon mal was von der "rechtlichen Lage" als Basis einer Diskussion, das löste grosse Empörung bei einer gewissen Foristin aus. Den Fall "Contergan" muss man z. B. auch im Kontext der Zeit betrachten. So schlau sind meine SuS aber zu erkennen, dass in diesem Fall z. B. die Firma Grünenthal sich problemlos aufs geltende Recht berufen konnte und der Rest im Wesentlichen eine Frage von Ethik und Moral ist. Vieles versteht man eben erst, wenn man lernt, es in den historischen Rahmen einzuordnen. Einer meiner Biologie-Kollegen meinte mal ganz provokant: "Geschichte ist ja wohl das nutzloseste Schulfach überhaupt. Hat noch nie jemand was draus gelernt." Ja, leider hat er eben ein bisschen recht. Zu viele Leute sind zu faul sich mit Geschichte auseinander zu setzen. Ist eben sehr komplex.

  • @'Wollsocken


    Etwas aus der Geschichte zu lernen ist mühsam. Es setzt Kenntnisse, Reflexion und Fähigkeit, sein eigenes Handeln und Denken ggf. zu verändern voraus. Letzteres wird ja aus meiner Wahrnehmung in zunehmendem Maße zu einem Problem.

    Gruß
    #TheRealBolzbold

    Ceterum censeo factionem AfD non esse eligendam.

  • Ich hätte gedacht, dass wir in einem Forum für Lehrer nicht auf dem Niveau der Hitler-Autobahnen diskutieren.

    Du nicht, ich auch nicht. Sind wir schon zwei. In einem Forum von "wir" zu sprechen, halte ich aber für gar zu mutig.

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • In einem Forum von "wir" zu sprechen, halte ich aber für gar zu mutig.

    Da hast Du vermutlich (leider!) Recht. Und vermutlich bin ich in diesem Punkt häufiger zu naiv.

  • Aus der Geschichte lernen? Hm. Aus der Geschichte lernen kann man nur bedingt und das ist auch nur ein Teilsapekt, aus der Geschichte lernen zu wollen.


    Das Fach ermöglicht Reflexionen spezieller Art. Man erfährt sich, das Fremde und gerät in Distanz zur eigenen oder gesellschaftlichen Situation und kann diese als etwas Gewordenes analysieren. Und was ganz spannend und herausfordernd ist: Man erfährt, dass Denken und Handeln immer zeit-, standort- und interessengebunden ist und das wir selbst morgen geschichtlich betrachtet werden.


    Geschichte hilft bei der Einordnung von Phänomenen der Gegenwart, sie ermöglicht Trends zu erkennen und ermöglicht, gegen oder für einen Trend zu sein bzw. kann sich jeder fragen, ob man Teil der Geschichtskultur sein möchte: deshalb ist sie u.a. auch identitätsstiftend.


    Das Schöne ist, dass man anders als im Fach Politik, dass ja stark am Aktuellen orientiert ist, sich nicht herumzustreiten, wozu was führt, sondern im Fach sehen wir die Konsequenzen des menschlichen Handelns in der Folge.


    Auch noch ganz wichtig: Man lässt sich nicht unkritisch in irgendwelche historische Mythen einwickeln, sondern hinterfragt sie.
    Beispiel:
    Im Moment kollidiert in England die moderne Geschichtswissenschaft mit dem Nationalstolz. Durch Multiperspektivität im Umgang mit Geschichte, zeigt es sich, dass viele dem Imperium nachtrauern, dabei aber die Schattenseiten und die Ausbeutung sowie Auswirkungen auf die Urvölker aus ihrem Bewusstsein verdrängen.


    Was für ein Klassefach Geschichte doch ist. Diese Möglichkeiten bietet kein 2. Fach.

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