Die Klasse nicht als »eine Person« ansprechen?

  • Guten morgen zusammen,


    Ich würde gern einer Äußerung einer Kollegin nachgehen und eure Meinung dazu wissen, ob es falsch ist,
    eine Klasse als »eine Person« beispielsweise als »na, meine liebe [Klasse], was ist denn heute mit euch los?« anzusprechen?


    Etwas Kontext dazu: Die Klasse war an dem Tag außerordentlich lustlos und mein Ziel war es, zu erfahren, woran es gelegen
    haben könnte (Thema der Stunde, Klassenarbeit an dem Tag geschrieben o.Ä.). Ein paar Schüler haben trotzdem fleißig
    mitgearbeitet und somit (so die Kollegin) würden sie sich bei einer solchen Verallgemeinerung »ungerecht behandelt« fühlen.


    Dabei, war es nur eine einzige Ansprache, grundsätzlich spreche ich jeden Schüler mit Namen an.
    Und dieses »liebe« war ebenfalls keineswegs sarkastisch gemeint — ich mag die Klasse und die Schüler wissen, wie ich zu ihnen stehe.


    Meine Analogie: Eine Mannschaft kann an einem Tag ein schlechtes Spiel abliefern. Das schließt auf keinen Fall aus,
    dass es Spieler gab, die gut oder sogar sehr gut gespielt haben. Dennoch hat es eben nicht gereicht, um das Spiel
    der ganzen Manschafft als gut zu bezeichnen.


    Was sagt ihr dazu?
    Gibt es zitierbare Quellen zum Thema?

  • Warum sollte das falsch sein? Man kann da vielleicht unterschiedlicher Meinung sein (wobei ich das hier ehrlich gesagt nicht nachvollziehen kann), aber das als (objektiv) "falsch" darzustellen halte ich für überzogen.


    Wer den Job lange genug macht kennt die Situation und hat mit Sicherheit auch schon so reagiert.

  • G»na, meine liebe [Klasse], was ist denn heute mit euch los?«

    Hört sich ein bisschen seltsam an, aber falsch? Eleganter wäre natürlich so Phrasen, wie ich sie gerne verwende: "Na, los, Sie faule Bande! Hängen Sie hier nicht so rum, Sie, Sie, Sie Menschen, Sie!!"

  • Die Klasse war an dem Tag außerordentlich lustlos

    Das war dein Eindruck? Dann sag da so.


    "Mein Eindruck ist, dass Sie heute recht lustlos sind. Gibt es etwas, das ich wissen sollte?" So in der Art.



    somit (so die Kollegin) würden sie sich bei einer solchen Verallgemeinerung »ungerecht behandelt« fühlen.


    Die Idee, jedem Einzelnen in einer Gruppe verbal gerecht werden zu können, ist schon reichlich naiv.


    Gibt es zitierbare Quellen zum Thema?

    Ist es wichtig, dass jemand anders sich die Gedanken gemacht hat?

  • Dass das verbrieft verboten ist, wäre mir neu ;)
    Ob es immer sinnvoll ist, sei dahingestellt. Ganz kleine Kinder spricht man im "Klassensatz" sogar mit du an, weil sie sonst nicht wissen, dass sie jeweils gemeint sind. ("Nimm deinen roten Stift..." wenn man alle Erstklässler meint).


    Bei Großen kommst du nicht unbedingt an die Antwort, die du hören willst ("Was ist mit euch los?" "hm. wen meint er jetzt...?" Stille.)


    Wenn der Mentor das bemängelt würde ich diese Ansprache allerdings jetzt meiden. Er/sie kennt seine Pappenheimer einfach am besten. Und außerdem ist diese Kleinigkeit ja keinen Streit wert...

  • Hm.. ich mach das auch manchmal "Heute seid ihr ja wieder mal voll motiviert." oder ähnliches. Die Schüler verstehen die Ironie dann schon und diejenigen die mitmachen, wissen im Normalfall auch, dass sie nicht gemeint sind. Das ist allerdings auch meist eine 9. oder 10. Klasse.


    Wenn ich z.B. Aussagen über das Zuspätkommen, Arbeitshaltung ... mache, sage ich auch teilweise: "Einige von euch," oder ähnliches.
    Im Normalfall spreche ich aber die einzelnen Personen direkt an. Meist nicht vor der ganzen Klasse, sondern eher in einer Arbeitsphase.

    Gerade in Elternzeit, deshalb fast nur stille Mitleserin :essen:

  • wenn die ganze Klasse insgesamt lustlos oder - schon oft vorgekommen - wie angestochen aufgedreht ist, kommt von ihr auch ein:
    "heyyy, was ist mit euch denn heute los? Ihr seid wie geprickt"


    Und dann erzählen sie.


    Ich sehe in der Verallgemeinerung nichts Schlimmes oder gar Kränkendes. Es geht in dem Fall ja um den Gesamteindruck,, wie sollte ich daverbal groß differenzieren?

  • @Krabappel: Ist die Ansprache in der 2. Person Singular denn gängige Praxis? Ich kannte das bislang nur aus Bayern bzw. Österreich und fand es da schon komisch, da es sich für mich irgendwie unnatürlich anhört, eine Gruppe Menschen (auch im Schulkontext) nicht im Plural anzusprechen.

  • Vielen Dank für die zahlreichen Antworten! :)
    Um »Recht haben« oder gar »streiten« ging es mir nicht. War bloß etwas überrascht, dass so eine Frage »falsch« sein könnte.

    Ist es wichtig, dass jemand anders sich die Gedanken gemacht hat?

    Interessant wäre es auf jeden Fall.

  • @Krabappel: Ist die Ansprache in der 2. Person Singular denn gängige Praxis? ...

    Ich weiß nicht? Die Schulanfänger kennen die Kollektivansprache einfach noch nicht. Da hilft es manchmal, "du" zu benutzen damit sich jeder angesprochen fühlt. Umfrage dazu müsstest du aber extra starten ;)

  • Im Grundschulbereich ist es ziemlich üblich, die Klasse als Person anzusprechen sozusagen. Da werden Arbeitsaufträge als "Du schneidest jetzt mal das Bild aus" formuliert, beziehen sich dabei jedoch auf die ganze Klasse. Das hat jedenfalls an der Schule wo ich war jeder Lehrer so gemacht und hat wohl mit der Unmittelbarkeit zu tun, also die Kinder sind ja teilweise noch "egoistisch" und können noch gar nicht anders denken.


    Ansonsten passieren mir so Pauschalisierungen (Ihr seid alle grad zu laut!) auch häufig und ich find es schon vom Effekt her nicht so toll, weil sich wirklich auch die Ruhigen angesprochen fühlen, was eigentlich nicht so sein sollte. Aber es rutscht einem halt mal so raus in so Momenten, wo man eigentlich nur noch Lärm wahrnimmt und maximal genervt ist. Da kann man auch ggf. nicht über jede einzelne Formulierung nachdenken und es kommt ggf. die eigene Person durch, die vielleicht gerne mal pauschalisiert. Ich finde, man kann das aber gradebiegen, indem man an anderer Stelle mal besonders die Ruhigen lobt usw. oder ich hab auch schonmal gesagt, dass ich eigentlich nicht wirklich alle meinte, sondern XY ja vorbildlich arbeitet und mir das nur so rausgerutscht ist, weil es eben so laut und unruhig war.


    Ansonsten ist es völlig normal, dass es auch mal unfair zugeht, weil wenn 20 Leute quatschen kann man nicht alle 20 zum Nachsitzen, Trainingsraum etc. schicken, bei allen 20 die Eltern anrufen oder so, sondern man muss die schlimmsten rauspicken und greift dann eben auch mal daneben und selbst wenn nicht, wird ja fast immer herumdiskutiert, wie unfair man schon wieder war. "Unfair" ist ja auch sehr oft eine klassische Schülerausrede.

  • Im Grundschulbereich ist es ziemlich üblich, die Klasse als Person anzusprechen sozusagen. Da werden Arbeitsaufträge als "Du schneidest jetzt mal das Bild aus" formuliert, beziehen sich dabei jedoch auf die ganze Klasse. Das hat jedenfalls an der Schule wo ich war jeder Lehrer so gemacht und hat wohl mit der Unmittelbarkeit zu tun, also die Kinder sind ja teilweise noch "egoistisch" und können noch gar nicht anders denken.




    "Unfair" ist ja auch sehr oft eine klassische Schülerausrede.

    Ich finde, das ist eine sehr seltsame Wendung im Grundschulbereich. Ich musste im Laufe der Grundschulzeit lernen, meine Lehrer zu siezen, weil man das mit Erachsenen nunmal so macht. Das scheint gerade voll out zu sein. Ich finde aber, dass das gut ist, um auch die Hierarchie und Distanz klar zu machen. Das ist zwischen Erwachsenen ja auch nicht anders. "Du Arschloch" ist schneller gesagt als "Sie Arschloch". Ich darf den SuS es dann ab Klasse 5 mühsam beibiegen, weil sich dieses Du in deren Hirn eingefressen hat.


    Ich kann auch nicht ganz nachvollziehen, warum SuS einen Satz wie "Ihr nehmt jetzt ... " oder "Jeder von euch benutzt ..." nicht verstehen sollen. Ist doch klar, dass nicht 24 Händchen den selben Stift halten sollen.



    "Unfair" und "fies" ist in Schüleraugen alles, was zu ihren Ungunsten ist, egal ob gerecht oder nicht. ^^ Diese Phrasenliste kann man erweitern durch "Aber der hat angefangen", "Letztes mal haben Sie nichts gesagt", "Die guckt immer so", "Ich habe doch gar nichts gemacht", "Die mobben mich, nur weil ich [ein chronischer Nervsack bin und einfach nicht den Rand halten kann, meine Ergänzung]" und unzähliges weitere vervollständigen. :zahnluecke:

  • Ich kann auch nicht ganz nachvollziehen, warum SuS einen Satz wie "Ihr nehmt jetzt ... " oder "Jeder von euch benutzt ..." nicht verstehen sollen.

    Geht mir auch so. Ich hab beide Formen mal an meinen "kleinen" 5ern ausprobiert, als ich davon das erste mal hörte. Auch dort ist der Effekt noch überraschend deutlich.
    Seitdem achte ich verstärkt darauf, die jüngeren Kinder direkt anzusprechen und benutze zumindest zu Anfang auch manchmal dieses generalisierte "Du" bei Arbeitsaufträgen.


    Grundsätzliche spreche ich meine Klasse aber auch oft als Klasse/Gruppe an und finde das auch nicht schlimm. Ich meine aber zu beobachten, dass die individuelle Ansprache mehr wirkt.
    Vermutlich meinte deine Kollegin das. @GeMir


    Ganz besonders dramatisch ist der Unterschied, wenn man dann auch noch negative durch positive Rückmeldungen ersetzt.
    Statt: "Ihr seid zu laut/Bitte etwas leiser/XYZ hör auch zu reden" lieber "Ich finde es gut wie X, Y und Z arbeiten."
    Auch das hab ich mir von einer Grundschulkollegin abgeguckt. Der Effekt ist verblüffend.

  • Ich finde, das ist eine sehr seltsame Wendung im Grundschulbereich. Ich musste im Laufe der Grundschulzeit lernen, meine Lehrer zu siezen, weil man das mit Erachsenen nunmal so macht. Das scheint gerade voll out zu sein. Ich finde aber, dass das gut ist, um auch die Hierarchie und Distanz klar zu machen. Das ist zwischen Erwachsenen ja auch nicht anders. "Du Arschloch" ist schneller gesagt als "Sie Arschloch". Ich darf den SuS es dann ab Klasse 5 mühsam beibiegen, weil sich dieses Du in deren Hirn eingefressen hat.
    Ich kann auch nicht ganz nachvollziehen, warum SuS einen Satz wie "Ihr nehmt jetzt ... " oder "Jeder von euch benutzt ..." nicht verstehen sollen. Ist doch klar, dass nicht 24 Händchen den selben Stift halten sollen.



    "Unfair" und "fies" ist in Schüleraugen alles, was zu ihren Ungunsten ist, egal ob gerecht oder nicht. ^^ Diese Phrasenliste kann man erweitern durch "Aber der hat angefangen", "Letztes mal haben Sie nichts gesagt", "Die guckt immer so", "Ich habe doch gar nichts gemacht", "Die mobben mich, nur weil ich [ein chronischer Nervsack bin und einfach nicht den Rand halten kann, meine Ergänzung]" und unzähliges weitere vervollständigen. :zahnluecke:

    Wo siehst du denn da einen Zusammenhang? Siezt du deine Schüler? :sterne:


    Die Siezdebatte hat doch mit diesem Thema 0 zu tun. Und wie deine Lehrer dich als Sechsjährigen angesprochen haben wirst du wohl nicht mehr wissen..

  • Gerade diesen von dir genannten Aspekt habe ich, wie ich schon einmal im Forum beschrieb, im Praktikum ausprobiert und hatte das Gefühl, dass die unruhigen Schüler sich nichts daraus machten und im Prinzip nur die ruhigen Schüler, die eh gewünschtes Verhalten zeigten, dies mitbekamen. Im Forum meinten die anderen User dann, dass das nur etwas bringt, wenn man das regelmäßig macht und z.B. der Klassenlehrer der Klasse ist, also viel Zeit mit ihr verbringt. Dann denke ich mir aber wiederum: Wenn dieser Ansatz wirklich so viel Aufwand benötigt, um seinen Effekt zu zeigen, kann man dann nicht gleich direkt sagen, was einen stört (X, Y, Z sind zu laut!), statt diese indirekte Forderungen, die bei manchen Kindern ankommen oder auch nicht?

  • Funstory:


    Im Ref hat meine Mentorin in ihrer Klasse (Grundschule) die Kinder immer mit "du" angesprochen ("Nimm deinen Stift... Schlage dein Buch auf... Du hast auf deinem Tisch dein Heft, dein Mäppchen etc.), was ich automatisch übernommen und mir total angewöhnt habe. Klappt in der GS auch echt gut, mache es dort bis heute so, ich fühle mich dabei ganz wohl.


    Aber, ebenfalls im Ref, ist mir das in einer 8. Klasse rausgerutscht. Das Gemurmel ("Hä, wen meint sie?") werde ich bis heute nicht vergessen :zahnluecke: War mir schon etwas peinlich.


    Ich finde es nicht unpersönlich, eine Klasse in ihrer Gesamtheit anzusprechen, habe mir da noch nie Gedanken zu gemacht.

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