Ist da was dran...

  • Würde mich auch interessieren. Kann evtl. ein BaWü-Kollege vielleicht zumindest die Quelle und idealerweise auch den Titel des Textes nennen?
    (Das dürfte ja wohl nach geschriebener Prüfung erlaubt sein, nehme ich an.)

  • Des Weiteren gehört der zu bearbeitende Text zur Gattung der Romane/ Erzählungen und besitzt somit Charaktere, eine unklare Personenkonstellation und eine Handlung, die viel Zeit erfordert, um den Inhalt und Kontext zu verstehen. Dies stellt an sich noch kein allzu großes Problem dar, allerdings zielten die Fragen der "comprehension"-Aufgabe zum größten Teil auf die Interpretation von Gefühlen und Verhältnissen der beiden Hauptcharaktere ab, was in einer solchen Prüfung fragwürdig ist. Im Gegensatz zu den üblichen Sachtexten bei solchen Aufgaben, stellt dies eine große Schwierigkeit dar, da die Antworten nicht wie bei Sachtexten durch Daten oder Aussagen belegbar sind, sondern unter anderem auf Dinge zwischen den Zeilen anspielen. Zum Beispiel sollte man verschiedenen Zitaten aus dem Text die jeweilige Einstellung der Person, die dieses äußert, zuordnen. Das ist Interpretationsarbeit und steht in keinem Verhältnis zu sachtextbezogenen Fragestellungen.

    Das ist doch wohl nicht deren Ernst... ^^

  • Und dann interpretieren meine Abiturienten die Intentionen und Absichten der Moleküle und schreiben, dass das Oxonium-Ion den starken inneren Drang vespürt ein Proton abzugeben und, dass zwischen den Zeilen ganz deutlich zu spüren ist, dass Silberionen sich nicht mehr so alleine fühlen würden, wenn sie jeweils ein Elektron mehr hätten und sie deshalb aus niederen Motiven heraus den Magnesiumatomen welche stehlen.
    Und dann ist der Stil auch wieder nicht richtig? Die Schüler haben es schon schwer heutzutage, man man man!

  • Problem ist schon, dass man wegen eines riesigen, diffusen Schwerpunktthemas, das u.a. einen literarisch absolut flachen Roman beinhaltet, keine Zeit mehr hat für anspruchsvolleres Arbeiten an sperriger Literatur. Außerdem gibt es bei uns keine LKs - die Klientel ist also eher Grundkurs-ähnlich. In diesem Kontext und im Vergleich mit vorherigen Prüfungen, insbesondere dem Tiefschlag in der Mediation vom letzten Jahr, sind Vorlage und Analyseaufgabe unerwartet. Natürlich kommen Schülern öfter mal die eigenen Prüfungen vieeel schwerer vor als alles andere jemals.

  • Genial finde ich ja, dass der Text auch in Mecklenburg-Vorpommern eingesetzt wurde, da aber keiner gemeckert hat. Absolut gesehen wahrscheinlich zu wenige Absolventen, die sich aufregen könnten.

  • Vorweg: ich habe keine Ahnung von Englisch und bin weit weg von Abiturprüfungen. Ich kann also absolut nicht beurteilen inwieweit die Abiturienten sich zurecht beschweren oder eben auch nicht (halte daher beides für möglich).
    Trotzdem wundert mich, wie hier reflexartig die Kritik als lächerlich abgetan wird, einfach und allein deshalb, weil sie von den Schülern kommt (kann ja nur unberechtigtes Gemecker sein, weil Schüler jammern ja immer....). Was mir fehlt ist eine sachliche Argumentation anhand der konkreten Aufgabenstellung von jemandem, der das auch realisitisch einschätzen kann.
    Interessant: Die/der einzige "vom Fach" kann es zumindest teilweise nachvollziehen.
    Dass das KuMi schreibt, dass die Aufgaben natürlich angemessen waren, ist selbstverständlich (was sollen sie auch sonst sagen...), aber selbst da findet sich der Satz:


    "Zwar sind die heute vom Kultusministerium hinzugezogenen externen Fachberater zu demErgebnis gekommen, dass der Haupttermin 2018 anspruchsvoller war, als die Klausuren der Jahre zuvor. Indes seien die Aufgaben in jedemFalle machbar gewesen."


    Und nur mal zur Erinnerung: das IQB zeichnet auch verantwortlich für dei VERA-Aufgaben und da "meckern" Lehrer auch regelmäßig.

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Stellungnahme KuMi https://t.co/KOiPAAefmp

    „Ich habe vollstes Vertrauen in die Lehrkräfte, dass sie ihren Ermessensspielraum bei der Korrektur verantwortungsvoll undausgewogen ausschöpfen werden“, so Eisenmann weiter.


    Heißt das, die Lehrer/innen sollen halt so (hoch)korrigieren, dass es keine Probleme mehr gibt?

  • Leider gibt es (noch) kein Wörterbuch KuMi-Lehrerdeutsch ;-) Die meisten KollegInnen werden, wie immer, mit Augenmaß und nach bestem Wissen und Gewissen korrigieren.

  • Trotzdem wundert mich, wie hier reflexartig die Kritik als lächerlich abgetan wird, einfach und allein deshalb, weil sie von den Schülern kommt (kann ja nur unberechtigtes Gemecker sein, weil Schüler jammern ja immer....).


    Die verwundert mich allerdings auch, zumal die wenigsten hier Einblick aktuelle Aufgabe haben, noch in deren Erwartungshorizont, noch in Aufgabenstellungen in BaWü im Allgemeinen.


    Zitat von icke

    Was mir fehlt ist eine sachliche Argumentation anhand der konkreten Aufgabenstellung von jemandem, der das auch realisitisch einschätzen kann.


    Die liefere ich - als jemand, der z.Z. mit dem fraglichen Abitur beschäftigt ist - gern.


    Nach meinem Dafürhalten treffen nahezu alle Punkte der Schülerpetition zu. Entscheidende Kritikpunkte sind Gleichwertigkeit der Leistungen (im Vergleich zu vorigen Jahrgängen) in Verbindung mit den zeitlichen Anforderungen.


    Zunächst sollte man wissen, dass Schüler in BW nur 180 Minuten für drei Aufgabenteile haben. Davon sollten ca. 30 Minuten auf die Leseverstehensaufgabe entfallen, die 10 VP zählt; daran schließt sich eine textgebundene Analyseaufgabe an (i.d.R. mit dem Text der Leseverstehensaufgabe verknüpft) sowie eine teils analysierende, teils argumentative Schreibaufgabe ("composition"). Die Schreibaufgaben zählen jeweils 25 VP, d.h. die übrige Zeit sollte gleich auf sie verteilt werden.


    Die Reading Comprehension ist dieses Jahr jedoch aus mehreren Gründen komplett ausgeufert:
    * Die Textgrundlage war vom Umfang her länger als in vergangenen Jahren
    * Die Textgrundlage war sprachlich um ein Vielfaches komplexer als in vergangenen Jahren (Syntax und Lexik)
    * Die Aufgaben fragten zum Teil kein bloßes Leseverstehen ab, sondern tatsächlich literarische Interpretationsleistungen, die noch dazu im Text kaum belegbar waren.
    * Methodik und Bepunktung der Aufgaben wurde geändert: Statt eines Belegzitats wurden dieses Jahr in der Regel zwei Belegzitate für eine Antwort verlangt. Schüler hatten somit die doppelte Arbeit und das doppelte Risiko, falsch zu liegen. Gleichzeitig bekamen sie aber trotzdem nur EINEN einzigen VP.


    Man kann nun unken: "Schüler müssen sowas in einem deutschen Abitur leisten können." Das will ich auch gar nicht in Abrede stellen. Für meinen Kurs kann ich sagen, dass er dieses Abitur mit Bravour hätte meistern können. Aber wie jeder Physiker weiß, ist Leistung das Verhältnis von (Lern-)Energie und ZEIT. Wer also mehr Leistung sehen möchte, der darf nicht einfach schlagartig die Anforderungen erhöhen, sondern muss dies verdammt nochmal
    1.) vorab transparent machen und
    2.) mehr Zeit geben.
    Alles andere kommt einer Ungleichbehandlung dieses Jahrgangs gleich. Genau das ist geschehen, und genau dagegen wenden sich die Schüler zurecht. Dies ist kein Aufstand der Faulen, sondern derer, die fair behandelt werden wollen.


    Die Schüler haben sich bereits in der Reading Comprehension derart verheddert und zeitlich aufhalten MÜSSEN (schließlich baut die zweite Aufgabe auf den Text auf), dass ihnen für die anderen Aufgaben nicht mehr genügend Zeit blieb. (Über die zweite Aufgabe lasse ich mich hier nicht weiter aus; auch die war hochgradig konstruiert, syntaktisch missverständlich gestellt, hatte keine eindeutigen Zeilenangaben, verlangte erneut mehr, als die Zeit zuließ....)


    Dass sich das Kultusministerium nun hinter der Aussage versteckt, die Textgrundlage stamme vom IQB und sei auch in Mecklenburg-Vorpommern verwendet worden, ist für mich eine ziemlich dicke Nebelkerze. Meinen Recherchen zufolge gibt es in Mecklenburg-Vorpommern:
    * 270 bis 330 Minuten (!) Zeit für die Bewältigung aller Aufgaben (verglichen mit den hiesigen 180)
    * keine explizite Leseverstehensaufgabe, die mit der hiesigen vergleichbar wäre
    * Keine Entliterarisierung des Curriculums, wie in BW seit 2014 geschehen
    Ich wäre sehr dankbar, wenn ein Kollege oder eine Kollegin aus McPomm die obigen Angaben bestätigen oder ggf. korrigieren könnte, wenn sie irgendwo fehl gehen. Falls dem aber nicht so ist, dann wird in BW gerade die Öffentlichkeit für blöd verkauft. Und das ist ein dickes Ei.


    Mit bitte um Rückmeldung
    und herzlichen Grüßen,
    mind-matters.

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  • Jetzt aber mal eine ganz doofe Frage, weil ich es schon zum zweiten mal lese: wieso ist man „erbost“ darüber, dass man Interpretationsarbeit leisten muss? Macht man sowas in Baden-Württemberg etwa nicht?


    Vielleicht täusche ich mich, aber ich war der Meinung, dass der Großteil meiner Englisch-Oberstufenklausuren und des Abis darin bestanden Interpretationsarbeit zu leisten.

  • Da ich noch nicht mit der Korrektur begonnen, also nicht intensiv die Aufgaben analysiert habe, wollte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber genau das war mein Eindruck soweit. Danke für die ausführliche Erläuterung zu unserem Abi im Vergleich zu MV! Unterschreibe besonders die Entliterarisierung!
    Dennoch denke ich, dass sich das nicht so katastrophal auswirken wird, wie es die SchülerInnen befürchten. Hoffe ich.

  • Jetzt aber mal eine ganz doofe Frage, weil ich es schon zum zweiten mal lese: wieso ist man „erbost“ darüber, dass man Interpretationsarbeit leisten muss? Macht man sowas in Baden-Württemberg etwa nicht?


    Vielleicht täusche ich mich, aber ich war der Meinung, dass der Großteil meiner Englisch-Oberstufenklausuren und des Abis darin bestanden Interpretationsarbeit zu leisten.

    das führen doch wir beide aus BW mehr (mind-matters) oder weniger (ich) aus!

  • wieso ist man „erbost“ darüber, dass man Interpretationsarbeit leisten muss? Macht man sowas in Baden-Württemberg etwa nicht?

    Natürlich macht man sowas! :D Das wird gerade gern und oft falsch verstanden - manchmal auch gewürzt mit polemischem Unterton und Länderdünkel. ;) Allow me to explain...


    Ein Leseverstehensteil hat Leseverstehen abzuprüfen, d.h.: Er prüft, ob S. einem Text Informationen aus der rein sprachlichen Oberflächenstruktur entnehmen können (Umgang mit Lexik, Synonymen, Syntax, etc.). Das ist eine Frage der Konstruktvalidität: Jeder Test sollte auch das messen, was er vorgibt, zu messen.


    Interpretationsleistungen gehen weiter als reines Leseverstehen, da sie eine Vielzahl weiterer, nicht-sprachlicher Signale einbeziehen müssen (Figurenkonstellation und -charakteristiken, Handlung, Nonverbales, Weltwissen, kulturelle Signale und Symboliken, u.v.m.). Sie sind somit klar aufwändiger und benötigen eine noch gründlichere Textkenntnis.


    Wer nun aber Interpretationsleistungen in einer Leseverstehensaufgabe bringt und dafür nicht einmal zusätzlich Zeit gibt, der verletzt schlicht diagnostische Gütekriterien.


    ---


    Hinzu kommt, was ich bereits die "Entliterarisierung des Curriculums" in BW nannte: Lehrplan und Abiturpraxis haben dazu geführt, dass der Umgang mit Literatur im Unterricht eine deutlich geringere Rolle einnimmt. Das heißt nicht, dass es in meinem Unterricht keine Literatur gibt: Ich habe mich bemüht, wo immer möglich Anknüpfpunkte zu short stories, poetry und Liedgut zu finden. Für das Abitur ist jedoch klar, dass keine Aufgabe vom Format "Interpret and comment on the short story XYZ" drankommt. Und Zeit für umfangreichere Lektüren ist angesichts der Stofffülle allerhöchstens nach dem schriftlichen Abitur und der Kommunikationsprüfung.


    Mitschuld daran trägt auch die einzige Pflichtlektüre des Abiturs ("Half Broke Horses"), die eine pseudo-Autobiografie ohne großen literarischen Anspruch ist, geschweige denn literarischen Gehalt. Ob sich das mit der kommenden Pflichtlektüre nächstes Jahr ändert, bleibt abzuwarten. Ich höre viel vom Anfang des Romans, der ausführlich die Scheiße-Sprenkel auf Hühnereiern beschreibt... bis ich ihn vollständig gelesen habe, verdränge ich diesen ersten Eindruck jedoch und hoffe auf das Beste. :-/


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    Zitat

    Dennoch denke ich, dass sich das nicht so katastrophal auswirken wird, wie es die SchülerInnen befürchten. Hoffe ich.


    Das hoffe ich in Summe auch. Ich bin jetzt mit der Hälfte durch und oft doch enttäuscht, weil ich schlicht weiß, was meine Schüler zu leisten imstande sind. Bei einigen merke ich durch die für deren Verhältnisse ungewöhnlich fahrige Sprache und Struktur deutlich, wie denen der Zeitteufel im Nacken saß. Und da ärgert es mich maßlos, wenn es vom obersten Dienstherrn heißt: "Alles in Ordnung, bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen."
    Vielleicht stelle ich mich dieser Tage mal ins KuMi, fuchtele wild in der Luft umher und brülle: "Keiner bewegt sich! Ich habe hier einen Ermessensspielraum, und ich werde Gebrauch davon machen, wenn Sie mich dazu zwingen!" :D

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