"Ich lerne, was ich will"

  • Es handelt sich um die Grundschule "Harmonie" und den Lehrer Falko Peschel.
    Immerhin eine staatliche Schule!!!



    zum Schuljahr 2009/10 beginnt der Schulbetrieb seiner neuen Schule
    Schule in freier Trägerschaft, aber ohne Schulgeld

  • Rechtschreibung üben mit der "Rechtschreibkontrolle" in Word? Man hat doch eindeutig gesehen, dass "se" nicht als falsch erkannt wurde. Ich halte das für sehr fragwürdig.


    Offener Unterricht ist gut und begrüßenswert, aber hier fehlt es einfach an Struktur und Organisation.

  • Also Struktur und freies Arbeiten müssen sich ja nicht zwangsläufig ausschließen...... aber ich schließe mich Josh an. Hier fehlt es mir total an Struktur.
    Na, vielleicht sehe ich das aber auch falsch. Ich lass mich gerne belehren.


    Panama

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • Hör mir gerade die Vorträge auf offener-unterricht.net an.
    Ist aber ziemlich interessant.....


    Panama

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • Ich fänd es unglaublich spannend zu sehen, was aus diesen Kindern wird. Über Sozialverhalten brauchen wir nicht zu reden, das klappt super. Auch das Lernen lernen sie, bzw. haben sie gelernt. Aber (als Deutschlehrerin) interessiert mich, können sie z.B. Wortarten bestimmen? Wie lernt man die speziellen Fachkenntnisse im so offenen Unterricht?

    There is a difference between knowing the path and walking the path. (Matrix)

  • Was mich auch interessieren würde: Wie kommen sie später an den weiterführenden Schulen zurecht?


    Sina

  • Meine Kinder haben, bzw. besuchen eine Freie Schule (ähnliches Konzept). Der Große musste nun nach der 6. Klasse auf die weiterführende Schule und hat sich ein Gymnasium ausgesucht (G8 ). Wir hatten in der Tat die Befürchtung, dass es erst mal zu schlimmen Abstürzen kommt. Aber nichts davon ist eingetroffen! Er ist sehr souverän, kommt mit minimalem Aufwand durch den Schulalltag (keine Spur von G8-Stress) und ist Klassensprecher.
    Sein einziges Manko war die Rechtschreibung, aber die hat er innerhalb eines halben Jahres gelernt, da er zum Glück einen tollen Deutsch-Lehrer hat, den er sehr schätzt, weshalb ihm hier eine gute Note wichtig ist....


    Probleme gab es an einer ganz anderen, gänzlich unerwarteten Stelle: Wir waren geschockt darüber, dass sich staatliche Gymnasien (vielleicht nicht alle, aber dieses) in den letzten 25 Jahren kaum verändert haben. Frontalunterricht, Nürnberger Trichter, keinerlei soziales Lernen etc.

  • Ich finde es unglaublich faszinierend, dass solche absolut offenen Konzepte funktionieren, bin aber davon überzeugt, dass es wirklich der Fall ist. Da gibt es inzwischen ja reichlich Erfahrungsberichte.


    Einerseits wünsche ich mir dann direkt auch mal selbst so arbeiten zu können, aber auf der andere Seite gibt es eine Sache, die mich total wahnsinnig machen würde: Der Lärmpegel. Gewöhnt man sich daran? Oder bin ich persönlich einfach zu empfindlich?
    Oder ist es einfach die typische Lehrerschwerhörigkeit, die diesen hohen Geräuschpegel auf Dauer erträglich macht?

    Man soll denken lehren, nicht Gedachtes.
    (Cornelius Gustav Gurlitt)

  • An unserer Schule wird in der Eingangsphase so ähnlich gearbeitet... es funktioniert ganz gut.
    Aber ich muss schon sagen, dass dieses Konzept... wie jedes Konzept... nicht für jedes Kind geeignet ist.
    Meine ADHS-Schüler haben zum Beispiel allergrößte Schwierigkeiten damit. Die brauchen einfach mehr Struktur und Halt.
    Außerdem braucht man... wie man ja anhand der Videos auch sah,.... unglaublich viel Material! Man ist sehr lange damit beschäftigt, Material zu holen, und ordentlich weg zu räumen... als Lehrer räumt man dauernd hinterher und kopiert verloren gegangene Materialien. Ganz abgesehen davon, dass die Klassenkasse meist nicht genug Geld hat, um das alles zu kaufen.... und ICH kaufe nichts aus meiner privaten Kasse.
    Aber diese Metarialfülle ist eindeutig auch meine Grenze! In dieser Materialflut verliere ich den Überblick!

    Das Leben ist unberechenbar. Iss das Dessert zuerst!

    • Offizieller Beitrag

    Außerdem brauchst du genug Platz, um das Material aufzustellen und dann noch genug Platz an den Wänden zu haben für Whiteboards und Sofa, für Flächen am Boden zum Liegen und Sitzen.
    Ich arbeite mit 27 Kindern in einem Klassenraum. Dieser Klassenraum ist an einer Seite mit einer Heizung und Fenstern versehen, der Rest mit Regalen und Schränken an der Wand, um meine Materialien unterzubringen. (Nein, ich arbeite nicht besonders offen, ich habe in dem Wust den Überblick veloren in meinem 1. Berufsjahr und daraus für mich gelernt.) Ich habe im Vergleich zu Herrn Peschel wirklich wenig Materialien, aber es sind genug, dass sich nun die Schüler zwischen Mappen, Tischen, Regalen und Stühlen durchdrängen muss. Platz für einen Sitzkreis oder um sich auf den Boden zu legen gibt es in meinem Klassenraum nicht mehr.


    Der Lärmpegel würde mich auch wahnsinnig machen.

    SCHOKOEIS!


    Ich lese und schreibe nach dem Paretoprinzip.

  • Ich versuche auch, sehr offen und differenziert zu arbeiten. Aber mir ist Struktur und eine geschäftige Arbeitsruhe sehr wichtig. Bei sonem Lärm kriegt man doch als Lehrer und auch als Kind nen Klaps! Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass offene Unterrichtskonzepte nicht automatisch Lärm und Chaos bedeuten. Die Idee mit dem Kreisleiter gefällt mir, müsste aber ifür mich rgendwie mehr Regeln haben.
    Ich hab erst einen Teil angeguckt...muss jetzt erstmal Zeugnisse beackern :schnelltipp:

  • So, ich habe mir nun auch mal die Reportage angeschaut. Der Unterricht an der Harmonie-Grundschule erinnert mich an den Unterricht, der an meiner jetzigen Schule praktiziert wird, zwar in etwas abgeschwächter Form (Die Kinder dürfen bei uns nicht den ganzen Tag über wählen, was sie lernen, sondern es gibt Mathe-Stunden, in denen man sich eigenständig etwas Mathematisches aussuchen darf usw.), aber mit den gleichen Zielen. Am Anfang habe ich mich sehr gefreut, an solch eine Schule zu kommen, da ich immer der Meinung war, freier Unterricht ist heutzutage DIE Lösung. Jetzt, nach einem Schuljahr, sehne ich mich ehrlich gesagt wieder nach "stinknormalem" Unterricht, der ja nicht durchgängig frontal ablaufen muss, es kann ja durchaus freie Phasen geben, aber eben nicht nur! Mich macht der Lärmpegel verrückt, die Kinder, die sich tagtäglich ums Arbeiten drücken, die Kinder, die dabei auch noch Andere von der Arbeit abhalten, das ständige Aufräumen des Klassenzimmers und das Listen führen, weil man irgendwie doch immer Ängste hat, den Überblick zu verlieren und etwas zu verpassen...

  • Ich denke, dass es für Kinder unheim,ich wichtig ist gewisse Grenzen aufgezeigt zu bekommen, Ziele zu stecken und Erarbeitetes abhaken zu dürfen.
    Kurzum: Das ist mir alles zu offen. ;)
    Ich arbeite gern mit Werkstätten/Stationen.


    Die Kinder bekommen Material zur Verfügung gestellt, haben einen Laufzettel und arbeiten diesen ab. Sie freuen sich, dass sie am Ende des Tages eine gewisse Anzahl von Aufgaben erledigt haben, stecken sich neue Ziele und reflektieren das eigene Arbeiten. Ich habe einen Überblick, was erledigt wurde und habe Zeit, Zwischenergebnisse zu kontrollieren, nachzuhaken und zu erklären.
    Meine Kinder arbeiten nahezu ausnahmslos alle zu fast jedem Zeitpunkt. Weil es klare Strukturen gibt und die Kids nicht ins Blaue hinein arbeiten.


    Lernen wie in dem Video mag für die starken und lernwilligen Schüler unheimlich bereichernd sein. Sie sind intrinsisch motiviert und brauchen keine klaren Vprgaben. Doch was ist mit den schwachen Schülern? Denen, die Struktur brauchen?


    LG
    Sunny

  • Aufgrund des Filmes und der Lektüre zweier Bücher habe ich es dieses Jahr geschafft, die Grundschule "Harmonie" einmal selber zu hospitieren. Ich war gleich eine ganze Woche da ... ein Tag hätte sicher nicht gereicht, da jeder Tag ein wenig anders aussieht.


    Daher würde ich diesen Thread sehr gerne um ein paar Punkte ergänzen:


    1.) Das eigentliche Herz dieser Schule ist Walter Hövel (auch wenn er es sicher anders sagen würde), ein m.E. begnadeter Schulleiter und Pädagoge mit viel Herz(blut). Er hat es geschafft, eine staatliche Schule auf immer wieder neue Wege einzustimmen und alle Widerstände auszuhalten.


    2.) Die Grundschule "Harmonie" ist weit mehr als Offener Unterricht: zentrales Schulprogramm ist _Demokratie leben_ und _selbstbestimmtes Tun_. Der offene Unterricht ist dann nur noch eine logische Konsequenz dessen. Das wurde mir erst beim Hospitieren klar. Am Anfang steht das Kind als mündiger Mensch - alles was Schule ausmacht, leitet sich von diesem Bild erst ab.


    3.) Jeder Lehrer arbeitet an der Schule ein wenig anders, Peschel hatte damals sehr offen unterrichtet - einige Lehrer geben mehr Strukturen vor. Es scheint mir aber so, dass der Trend eher Richtung mehr Freiheit und weniger vorgegebener Strukturen geht.


    4.) Was den Stressfaktor (Lärmpegel) angeht, so muss ich sagen, dass dieser locker aufgewogen wird. Es gibt nämlich keine Disziplinprobleme, da es nicht nötig bzw. gewollt ist, als Lehrer ständig auf ein ruhiges Lernklima zu achten. Die Kinder wählen ganz eigenständig ihren Lernort, wem es zu laut wird, der sucht sich auf dem Flur eine Lesecke etc. Du kannst also auch als Lehrer ganz Mensch sein und sagen: "Kinder, mir wird es hier gerade zu laut, ich geh jetzt erstmal raus."


    5.) Der Klassenrat (Kreis) sowie Schulversammlung und Kinderparlament sind wichtige Bestandteil des Schulkonzeptes und wirken reguliernd auf Mitschüler.


    6.) Ich kenne auch Eingangstufenklassen, Arbeit an Wochenplänen oder Freiarbeit nach Montessori - in der Grundschule Harmonie habe ich etwas anderes gesehen: eine Schule, die ihre kleinen Besucher sehr sehr schätzt und diese Sicht in ihren Mittelpunkt stellt (nicht das Curriculum oder die Methode als Trick). Es gibt keinen Unterricht, aber sehr viel Lernanlässe. Wer die Chance hat, sollte mal in Eitorf vorbeischauen - die Klassentüren sind immer auf und es kommen jeden (!) Tag Besucher in die Schule.


    7.) Die Übergänge auf das Gymnasium sind trotz gemischten Einzugbereichs deutlich überdurchschnittlich. Die Kinder kommen an den weiterführenden Schulen nach Rückmeldung in der Regel sehr gut zu Recht (Ausnahmen gibt es immer). Natürlich gibt es auch in Eitorf Probleme und Arbeitsfelder (z.B. ist man noch nicht mit der Mathematik zufrieden), aber alles in allem eine Schule, die zeigt, dass Lernen auch ganz anders funbktionieren kann.

  • Zitat

    Lernen wie in dem Video mag für die starken und lernwilligen Schüler unheimlich bereichernd sein. Sie sind intrinsisch motiviert und brauchen keine klaren Vprgaben. Doch was ist mit den schwachen Schülern? Denen, die Struktur brauchen?


    Nur zum Andenken:


    Ich bin erst 4 Jahre im Schuldienst und habe somit erst die Erfahrungen eines Durchganges. Ich habe vielerorts - sicher aus Unsicherheit - mehr Strukturen als nötig vorgegeben, z.B. beim Addieren zweier Zahlen mit Zehnerübergang. Ich habe immer gedacht, dass gerade schwächere Schüler diese Strukturen brauchen, da sie ihnen Halt und Sicherheit geben.


    Das ist auch mitunter der Fall gewesen, zumindest für die zwei drei Wochen bis das nächste Thema beginnt. Plötzlich eine andere Situation, ein anderes mathematisches Problem und schon versagen alls Strukturen oder werden gar völlig falsch angewendet. Also pauken wir im Förderunterricht und zu Hause Handlungsweisungen um den Schein zu wahren, das Kind hätte es verstanden. Was freut sich das Lehrerherz, wenn eine schwache Schülerin die schriftliche Addition versteht und Mathe plötzlich wieder toll findet. In Wirklichkeit verdecken wir aber nur das eigentlich Problem - dass die schwachen Kinder nämlich immer weniger wirklich verstehen, von dem, was sie da tun.


    In Eitorf gibt es tatsächlich Kinder, die am Ende der zweiten Klasse erst mit dem Plus- und Minusrechnen beginnen ... es dann aber wirklich verstehen, weil es jetzt in ihr Lernschema passt, weil sie es jetzt lernen wollen und können. Das Kind hat dann immer noch 7 Jahre Schule!


    Schulisches Lernen ist ja eigentlich was ziemlich künstliches: man stelle sich mal vor, alle Kleinkinder müssten im Alter von 9 Monaten Krabbeln lernen (keiner vorher, keiner später) und mit 15 Monaten gehen können. Alle gemeinsam, alle so, wie es der Lehrer vormacht. Wer hinfällt, bekommt eine 5 und muss fortan häufiger Gehen "üben". Weil Fritzchen immer noch nicht gehen will, bekommt er ein paar Seile umgeschnallt, die ihn tragen ... jetzt sieht es wenigstens so aus, als könne Fritzchen gut laufen. Keine Mutter, kein Vater käme auf diese Idee, aber mit 6 Jahren soll "Lernen" plötzlich so funktionieren. Aber wir können Kleinkinder ermuntern, Vorbild sein, ihnen das Gehen lernen schmackhaft machen, sie loben ...


    Das schreibe ich voller Selbstkritik, da mein Unterricht ganz klassicher Art ist und ich somit selber noch weit davon entfernt bin, Lernen einmal auch inS chule ganz anders zu denken. Aber es ist es allemal Wert darüber nachzudenken :)

  • Hallo schlauby,


    zwei interessante Beiträge, die zum Nachdenken anregen. Überzeugen konntest du mich allerdings nicht. Auch ich gehöre wohl eher der Fraktion an, die feste Strukturen für sinnvoll und notwendig hält. Deshalb mal ein paar Anmerkungen zu deinen Aussagen.


    Zitat

    Am Anfang steht das Kind als mündiger Mensch - alles was Schule ausmacht, leitet sich von diesem Bild erst ab.


    Ich halte die Grundannahme, dass Grundschulkinder "mündige" Menschen sind, für problematisch, da sie zu einer Überforderung der Kinder führt. Auch wenn ich kein Experte auf diesem Feld bin, vermute ich doch ziemlich stark, dass Kinder entwicklungspsychologisch im Grundschulalter einfach noch nicht so weit sind, dass man von ihnen Mündigkeit erwarten dürfte.


    Zitat

    Die Kinder wählen ganz eigenständig ihren Lernort, wem es zu laut wird, der sucht sich auf dem Flur eine Lesecke etc. Du kannst also auch als Lehrer ganz Mensch sein und sagen: "Kinder, mir wird es hier gerade zu laut, ich geh jetzt erstmal raus."


    Aus meiner Sicht hört sich das so an: Die lauten, weniger disziplinierten Kinder setzen sich nach dem Prinzip des Rechtes des Stärkeren durch und die ruhigeren haben das Nachsehen.
    Ich frage mich wirklich, was hier als erzieherischer Effekt hängen bleibt. Vielleicht: "Ich muss nur laut genug sein, dann lässt man mich schon machen."??

  • Ich frage mich auch, wie es mit der Aufsichtspflicht geregelt ist, wenn man Kinder allein im Klassenzimmer zurück lässt?!

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