Freiwilliger Klassenwechsel eines Schüler?

  • Hallo,


    vielleicht kann mir Jemand helfen, da ich irgendwie gerade keinen Gesetzestext dazu finde.


    Mich hat gestern ein Schüler gefragt, ob er aus seiner in eine Parallelklasse wechseln kann.
    Der Grund ist, dass der Schüler in seiner Klasse (Neunte, Realschule) aufgrund seiner Hautfarbe gehänselt wird und damit sehr unglücklich ist. Sein Klassenlehrer ist z.Z. leider krank, daher konnte er nicht mit ihm reden.


    Meines Wissens nach ist es so, dass ein Klassenwechsel aufgrund eines Antrages der Eltern möglich ist, aber ich hätte dies gerne schriftlich. Weiß Jemand, wo darüber etwas steht?


    Vielen Dank im Vorraus,
    Miriam

  • Zu Hessen kann ich jetzt nicht viel sagen, aber mit der Begründung für den Klassenwechsel käme bei uns niemand durch. Das hieße ja als Lernerfolg für die KLasse, dass sie "gewonnen" hätte mit ihren Hänseleien, besteht die Möglichkeit mit der Klasse an der Problematik zu arbeiten?

    There is a difference between knowing the path and walking the path. (Matrix)

  • Zitat

    Original von Kiray
    Zu Hessen kann ich jetzt nicht viel sagen, aber mit der Begründung für den Klassenwechsel käme bei uns niemand durch. Das hieße ja als Lernerfolg für die KLasse, dass sie "gewonnen" hätte mit ihren Hänseleien, besteht die Möglichkeit mit der Klasse an der Problematik zu arbeiten?


    Nun ja, immerhin gehts um Mobbing und da gibt es zumindest die Option, den Unruhestifter aus der Klasse zu nehmen. Da es in diesem Falle aber eben nicht nur "Einer" ist, ist das eher schwierig. Ob man mit der Klasse an der Problematik arbeiten kann, weiß ich nicht, ich kenne aus der Klasse nur fünf Schüler neben dem oben genannten, weil ich einen Wahlpflichtkurs in dem Jahrgang unterrichte. Von diesen Fünfen ist einer sein Freund - und wird ebenfalls gehänselt - und drei sind "Obercool", wohl aber nicht die "Schlimmsten" beim "rumstänkern".


    Wie schon oben geschrieben, ist leider auch der Klassenlehrer krank, daher konnte ich mit ihm noch nicht sprechen. Bei uns an der Schule gibt es nämlich eigentlich die Möglichkeit, bei der Abteilung für Erziehungshilfe einen Antrag auf ein Sozialtraining für eine Klasse zu stellen. Das kann aber nur der Klassenlehrer beantragen, läuft dann über die Schulleitung. Und ob das was bringt, sei dahingestellt.


    Mal davon abgesehen weiß ich von einem anderen Fall, wo zwei Geschwister (Junge und Mädchen) mit Migrationshintergrund in eine Klasse gingen und dann der Junge die Klasse wechseln musste, weil er seiner Schwester Vorschriften gemacht hat, was sie zu tun und zu lassen hat. Auf Anraten des Klassenlehrers hat der Vater einen formlosen Antrag an die Schulleitung gestellt und der Junge war drei Tage später in der Parallelklasse. Es scheint also eigentlich kein großes Problem zu sein, die Klasse zu wechseln, wenn es einen stichhaltigen Grund gibt. Mobbing ist einer.
    Zumal es ja der Wunsch des Schülers ist, in eine andere (bestimmte) Klasse zu kommen.


    Viele Grüße
    Miriam

  • Zitat

    Original von Miriam-
    Es scheint also eigentlich kein großes Problem zu sein, die Klasse zu wechseln, wenn es einen stichhaltigen Grund gibt. Mobbing ist einer.
    Viele Grüße
    Miriam


    Das würde ich absolut genau so sehen. Andererseits finde ich Kirays Einwand durchaus berechtigt.


    Ich würde im Zweifel den Spieß umdrehen, und die Mobber aus der Klasse entfernen. Wie auch immer müssen den Tätern hier auf jeden Fall ganz deutliche Grenzen aufgezeigt werden.

  • Gerade wenn Mobbing im Spiel ist, sind "aushalten" und "die Verursacher nicht gewinnen lassen" eben auch einfach schwierige Kategorien, weil sie u.U. vom Opfer massive persönliche Zugeständnisse erfordern und die Leidensphase unnötig verlängern. Manchmal ist einfach so viel eingerissen und zerstört worden im zwischenmenschlichen Bereich, dass ich eine dauerhafte Trennung der Konfliktparteinen für den besten Weg halte, damit Schule auch wieder einmal nicht nur negativ besetzt erlebt werden kann.


    In meiner zehnten Klasse ist seit Beginn des Schuljahres eine Wechslerin, die ein solches Mobbingopfer geworden ist. Im konkreten Fall mischten sich persönliche Antipathien stark mit rassistischen Komponenten, da es sich um eine Schülerin handelt, die als Kleinkind aus dem Ausland adoptiert wurde. Immer wieder wurden die Eltern in der Vergangenheit getröstet und gebeten, dass sie doch bedenken mögen, dass zum Streiten immer zwei Seiten gehören, dass man an der Sache klassenintern arbeite, es sich doch noch nicht um Mobbing handele, denn das sei viel schlimmer, und dass sich die Konflikte sicher irgendwann erledigen und auswachsen würden, wenn das Mädchen auch mal lerne "wegzuhören" und sich vornehme, "weniger empfindlich" zu sein.


    Über zwei Jahre hinweg erlebte sie tägliche Anfeindungen im Hinblick auf Hautfarbe, (drastisch steigendes) Körpergewicht und ihre vermeintliche Intelligenz. Am Ende übernahmen auch einzelne mit der Situation weniger vertraute Fachlehrer diese Sichtweise. Als Folge kapselte sie sich in der Schule zum Selbstschutz völlig ab, saß wie ein Stein im Unterricht und bekam ein Magengeschwür (mit 14!). Die Situation im Elternhaus war verzweifelt, zumal die beiden älteren - aus dem gleichen Herkunftsland adoptierten - Geschwister an der gleichen Schule nie Probleme gehabt hatten. Am Ende grenzte das Verhalten an Mutismus mit selbstzerstörenden Motiven. Das letzte Zeugnis war durch die Bank (inklusive Kopfnoten!) im Bereich 5 & 6 angesiedelt. Es drohte das Ende der Schullaufbahn ohne Abschluss.


    Die Eltern haben daraufhin, nachdem zwei Anträge zu einem Wechsel in die Parallelklasse mit dem Argument, dort sei schon ein Schüler mehr als in der Herkunftsklasse und es sei nicht fair für die dort unterrichtenden Lehrer, verweigert wurden, de Notbremse gezogen. Sie haben die Schule, mit der sie eigentlich immer sehr zufrieden waren und mit der die ganze Familie sich identifizierte, gewechselt.


    Ich hatte einen Tag Zeit und habe rasch mit meiner (zum Glück sehr solidarischen und trotz vieler individueller Problemfälle als Gemeinschaft intakten) Klasse über Mobbing und den Schaden gesprochen, den so etwas über einen langen Zeitraum erlebt anrichten kann. Was wir im letzten Halbjahr erlebt haben, war wie das Auftauen eines Gletschers in der Sonne. Ganz, ganz langsam zunächst, inzwischen immer schneller, wachsen Vertrauen und Zutrauen in sich selbst. Es entstehen zwei Freundschaften zu Mitschülerinnen. Der Rest der Klasse findet sie, wie ich aus diversen Gesprächen höre "ziemlich still, aber okay", "ganz nett und kein Problem", "irgendwie interessant, auch wenn ich jetzt nicht sooo viel mit ihr zu tun habe". Das würde ich einfach mal als positive Tendenz bezeichnen.


    Immer öfter sehe ich auch den Finger oben, habe erstaunt festegestellt, dass trotz allem, was sie in den letzten Jahren erlebt hat, eine Menge schulisches Wissen in diesem grundsätzlich durchaus introvertierten Kind hängen geblieben ist, das ganz sicher gut durchschnittlich begabt ist. Das aktuelle Zeugnis würde locker für die Versetzung in die Sekundarstufe II reichen und ist ausbaufähig. Das Mädchen hat sich bereit erklärt, bei einem Theaterstück im Frühsommer in einer kleinen Rolle auf der Bühne zu stehen. Und gestern habe ich sie erstmals herzhaft lachen hören.


    Manchmal ist Weglaufen keine Flucht, denke ich, sondern purer Selbstschutz und vielleicht eine neue Chance!

  • Zitat

    Original von Kiray
    Das hieße ja als Lernerfolg für die KLasse, dass sie "gewonnen" hätte mit ihren Hänseleien?


    Im Sinne der "allübergreifenden Gerechtigkeit" und auch im Sinne der Restklasse, die soziales Verhalten "lernen" muss, hast Du sicher recht mit Deiner Sicht der Dinge.
    Etwas anderes ist aber eventuell das Interesse des Mobbing-Opfers. Was geht für Euch vor?
    Ich kann mir zwar auch Fälle vorstellen, in denen ein Mobbing-Opfer die Idee der Konfrontation mit einer völlig neuen Klasse als noch beängstigender erlebt als das Verbleiben in der alten, aber wenn "das Opfer" selbst einen Wechsel vorziehen würde, sollte man ihm (in entsprechend schweren Fällen) diese Chance geben, finde ich.


    Hat jemand von Euch Erfahrung mit der "Sichtweise" von betroffenen Schülern?

  • Zitat

    Das hieße ja als Lernerfolg für die KLasse, dass sie "gewonnen" hätte mit ihren Hänseleien,...


    Du stellst also (ohne Frage notwendige) soziale Lernen der Täter über des Recht des Opfers auf Unversehrtheit (auch psychische) sowie eigenen Lernerfolg zu erreichen?!?!


    Du solltest deine Einstellung zu Artikel 1 GG mal überprüfen!
    Sorry, ist sicher etwas überspitzt, aber da reagiere ich schon etwas empfindlich.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Ich habe bedauerlicherweise schon öfter mit Mobbing zu tun gehabt. Im einen Fall hat das Kind die Schule gewechselt, in zwei weiteren Fällen ist das Kind in der Klasse geblieben.
    Im ersten Fall hatte das Mädchen nach einem halben Jahr noch immer Angst den ehemaligen Schulkameraden im Dorf zu begegenen, die Situation war in keinster Weise für sie geklärt und irgendwo begegnet man sich immer wieder. Im zweiten FAll kam neulich die Mutter eines "ehemaligen Opfers" zu mir und bedankte sich bei mir dafür, dass nun alles gut sei. Fall drei ist noch in Arbeit, bin da aber auch zuversichtilich...


    Gerade für das Mobbingopfer ist es doch keine ideale Situation mit der Gewissheit zu leben versagt zu haben (und das mobbingtypisch meist ohne triftigen Grund) und ein Wechsel in die Paralellklasse ist doch kein Neuanfang. Gleiche Schule, evt. gleiche Kurse und die Kommunikation unter den SuS läuft doch meist sehr gut.


    Gerade für die Opfer ist es nötig eine Situation zu klären und ja, das ist eine harte Zeit und das Kind braucht eine ganze Menge Unterstützung. Aber danach wird es besser. Und mit §1 des Grundgesetzes hat das Beseitigen einer Mobbingsituation wirklich eine ganze Menge zu tun, weil man als Lehrer nämlich versucht dadurch die Würde wieder herzustellen.

    There is a difference between knowing the path and walking the path. (Matrix)

  • Ich wäre auch nicht dafür, gleich "das Handtuch zu werfen" und bei der ersten Gelegenheit den Weg des (scheinbar) geringsten Widerstandes zu gehen. Die schönere Methode ist immer die, damit "erfolgreich" umzugehen - ganz sicher.


    Es gibt aber Fälle (ich kenne mindestens einen davon aus eigener Anschauung), wo sich innerhalb von mehreren Jahren (!) die Situation so "eingeschliffen" und verknöchert hat, dass man nicht mehr absehen kann, dass der betreffende Junge in der Klasse noch eine realistische Chance hat (natürlich sind im Laufe der Zeit einige Anläufe zur Besserung der Situation unternommen worden, aber im Gymnasium ist die Tatsache zahlreicher verschiedener Fachlehrer in diesem Fall eher von Nachteil....).
    In so einem Fall, und falls der entsprechende Schüler es wünscht, wäre ein Klassen- oder sogar eher Schulwechsel wahrscheinlich eine gute (finale) Möglichkeit, um der Psyche des Jungen noch eine Chance zu geben.


    Man muss dieses Problem sicher sehr differenziert sehen und ganz genau die jeweilige Situation betrachten: Ich glaube nicht an "Patentrezepte".

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