Frage zur Erzählperspektive

  • Hallo zusammen,


    ich habe eine zugegeben etwas peinliche Frage, komme aber (auch mit Hilfe des Internets) nicht zu einem eindeutigen Ergebnis:


    In welcher Erzählperspektive ist die Kurzgeschichte "Die Küchenuhr" von Wolfgang Borchert geschrieben? Ist es ein auktorialer- oder ein personaler Erzähler?



    Edit: Ich war bisher der Auffassung, dass es sich um einen auktorialen Erzähler handelt, eine Kollegin meinte jedoch, dass es ein personaler Erzähler sei. Im Internet findet man auch beide Varianten, daher bin ich verunsichert.

  • Auch wenn ich es im Netz gelesen habe, ist es m. E. KEINE personale Erzählsituation, aber wohl auch keine auktoriale (obwohl ich, wenn ich wählen müsste, eher die auktoriale nehmen würde). Der Text zeigt - mal wieder - die Schwächen des Stanzelschen Erzählsituations-Modells, das viele Texte nicht erfasst.


    Am ehesten passt zum Text wohl die Annahme einer "neutralen Erzählsituation": Die Figuren werden von außen betrachtet, aber es fehlen Reflexionen und Kommentare, es fehlt eigentlich fast alles, was über bloße Beschreibung hinausginge.


    Zur Erläuterung: Zur auktorialen Erzählsituation fehlen Demonstrationen eines souveränen Wissens des Erzählers, der unter anderem Innen und Außen der Figuren kennt. Zur personalen Erzählsituation fehlt die Engführung der Perspektive mit der einer Figur (quasi das Über-die-Schulter-Schauen bei einer Figur).


    Auffällig ist überhaupt, dass der Text fast keine Innenansicht seiner Figuren kennt - mit einer Ausnahme, die aber extrem geringfügig ist, und das ist der letzte Satz. Aus nur einem Satz eine personale oder auktoriale ES zu konstruieren, scheint mir aber dem Text nicht gerecht zu werden, weshalb ich hier beides nicht annehmen würde.


    Hier noch die Definition der "neutralen ES" (aus der Wikipedia):


    Zitat

    Außerdem gibt es noch die neutrale Erzählperspektive. Beim neutralen Erzählen steht der Erzähler, wie beim auktorialen, außerhalb der Figurenwelt. Im Gegensatz zum auktorialen Erzählen fehlen aber die Kommentare und Reflexionen sowie die direkten Figurencharakterisierungen und Erläuterungen von Zusammenhängen zur Orientierung. Der Erzählerstandort liegt in der Distanz, in der ein um Objektivität bemühtes Registrieren der Vorgänge möglich ist. Eine Form der neutralen Erzählstrategie ist es auch, die Geschehnisse multiperspektivisch darzubieten. Die Haltung ist beim Erzählen weder affirmativ noch kritisch. Es herrscht die Er/Sie-Erzählform vor, unterbrochen von Passagen, in denen die Figuren zu Wort kommen und dann in der Ich-Form über sich sprechen. Überhaupt nimmt unter den Darbietungsformen neben dem referierend-sachlichen Erzählbericht die Figurenrede einen breiten Raum ein, da der neutrale Erzähler es vorzieht, dass die Figuren sich selbst präsentieren.

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