Erlasse richtig verstehen

  • im neuen Grundsatz-Erlass für Niedersachsen, steht unter anderem, bei den Realschulen folgender Absatz:


    Was genau bedeutet solch ein Erlass eigentlich in der Praxis oder wie müsste so etwas umgesetzt werden?

    wer Rechtschreibfehler findet, darf sie gerne behalten.

    Einmal editiert, zuletzt von Flexi ()

  • Ich verstehe das so, dass man z.B. im Deutschunterricht durch geeignetes Material bzw. Themenwahl auch soziale Themen anspricht und diskutiert. So kann man z.B. Argumentieren auch gut anhand von sozialen Themen üben, gewissermaßen integriert.
    Außerdem heißt es für mich, dass ich auch immer wieder versuche mit den Schülern, auch im Einzelgespräch, über sich und ihr Dasein in der (Um)welt zu sprechen und Gedanken und Entwicklungen anrege.

  • In Ba-Wü hat man laut § 1 SchulG einen Erziehungs- und Bildungsauftrag:


    ...Über die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten hinaus ist die Schule insbesondere gehalten, die Schüler in Verantwortung vor Gott, im Geiste christlicher Nächstenliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zur Achtung der Würde und der Überzeugung anderer, zu Leistungswillen und Eigenverantwortung sowie zur sozialen Bewährung zu erziehen und in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und Begabung zu fördern.


    Vielleicht hilft Dir das ja etwas weiter.


    Hätten wir "nur" einen Bildungsauftrag und keine Erziehungsprobleme, wären wir wahrscheinlich im Halbjahr mit dem Stoff durch.
    Aber dann wär's auch ganz schön langweilig. ;)


    Gruß
    Super-Lion

  • Das ist das, was man unter "unbestimmten Rechtsbegriffen" versteht. Hört sich gut an, kann man aber konkret nicht einklagen.


    Grüße Enja

    • Offizieller Beitrag

    Ich verstehe darunter z.B. auch (und tue es in der Praxis):


    Metagespräche führen, soziales Lernen (z.B. mit Kooperationsspielen) und klare begründete - möglichst von den Kindern aufgestellte - Regeln, die von allen Seiten eingehalten werden. Gutes Verhalten hervorheben, auch dafür loben, wenn es selten vorkommt und dadurch fördern.


    Ich persönlich kenne keine Klasse in der Grundschule, die einseitig auf kognitive Leistungen ausgerichtet ist. Ich glaube ein Unterrichten wäre dort auch nur mit sehr harter Disziplinierung incl. Bestrafung möglich.


    Gruß leppy

  • Zitat

    Enja schrieb am 03.05.2006 22:38:
    Das ist das, was man unter "unbestimmten Rechtsbegriffen" versteht. Hört sich gut an, kann man aber konkret nicht einklagen.


    Grüße Enja

    :D ....
    zumal es irgendwie unterschiedlich interpretierbar zu sein scheint...


    ich würde aus den Worten entnehmen, dass die Schüler individueller in ihrer Persönlichkeit zu sehen und zu fördern sind.
    Das sich die Lehrkraft z.B. bei einem Kind mit Komplexen, diesbezüglich eine Art 'Strategie' erarbeitet, am besten in Zusammenarbeit mit den Eltern, um dem Kind wieder Selbstvertrauen und Leistungsbereitschaft zu vermitteln.


    Auf den Gesamtkonferenzen, die ich besuchen durfte/musste, hatte ich oft den Eindruck, dass Kollegium ist überwiegend im Schulalltag damit beschäftigt, irgendwie den Stoff durch zu bekommen. Dabei bleiben leider oft Kinder auf der Strecke. Diesbezügliche Bedenken werden, so meine bisherige Erfahrung, relativ schnell an die Seite gewischt, mehr oder weniger, offen begründet, dass man in der Tat dafür sorgen müsse, dass Kinder die Klasse oder Schule verlassen müssen, dass Wiederholer oder Rückgänger ansonsten die Klassengröße sprengen würden.


    Um nun auf die zitierten Worte des Erlasses zu kommen. Ich frage mich, weshalb MUSS so etwas überhaupt in einem Erlass nieder geschrieben werden, quasi ein Hinweis, dass Schüler 'menschlich' zu behandeln seien?


    Und wie sollte ein 'Verstoß' dagegen überhaupt aussehen?
    Ist bloßes Anschreien eines Lehrers gegen ein Kind schon ein Verstoß?
    Ist das Unterlassen angemessener Förderung eines Schülers schon ein Verstoß und wenn, was sollte man dann machen?

    wer Rechtschreibfehler findet, darf sie gerne behalten.

  • Hallo,


    ich denke, der Erlass bringt nun nicht viel neues.


    Das Kind soll NEBEN den Inhalten auch in seinem Menschsein gefördert werden, sozial mit anderen umgehen, sich in die Gemeinschaft einfügen und in der Entwicklung seiner Gefühlswelt und im kreativen Bereich gefördert werden.


    Also unter anderem:
    - Umgang mit den Mitmenschen einüben
    - in seinen sozialen Kompetenzen gefördert werden
    - auch in seinen kreativen Fähigkeiten Freude finden (Kunsterziehung, Musik)
    - zur Empathiefähigkeit geführt werden
    - in seinen Entscheidungen und Einstellungen sicher und selbstständig werden


    Die Ausdrücke "bemühen" und "fördern" bedeuten, dass hier kein konkretes Ziel erreicht werden muss, sondern von den individuellen Begebenheiten (Persönlichkeit/Elternhaus) ausgegangen werden muss und hier eine Stärkung oder Verbesserung erreicht werden soll.


    Einen Rechtsanspruch auf individuelle Leistungsförderung oder einen Umgang mit Samthandschuhen kann man aus dieser Stelle m.E. nicht ableiten.


    LG
    Tina

    Ein Hund denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, sie müssen Götter sein!" Eine Katze denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, ich muss ein Gott sein!"

  • Erlasse und Gesetze bilden (auch) den Rahmen für die Lehrplankommissionen. Hier wirst du vieles operationalisiert, also in konkrete, messbare Unterrichtsinhalte übersetzt sehen.


    Z.B. leiten sich aus der Forderung nach Selbständigkeit schülerzentrierte Unterrichtsformen (Projektarbeit, Gruppenarbeiten...) oder auch konkrete Unterrichtsinhalte ab (in B-W z.B. das Lehrplanthema in Gkde "der Einzelne in der Gesellschaft). Derartige Formulierungen wirst du übrigens wieder in etwas erweiterter Form im Vorspann der Lehr-/Bildungspläne finden.


    Für den Schulalltag hat der Erlass eher den Charakter einer Präambel und ist weniger konkrete und einklagbare Handlungsanweisung.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

    Einmal editiert, zuletzt von Timm ()

  • naja, Tina, ich denke mal, klagen ist so ziemlich der dümmste Weg.


    Wie gehen Lehrer mit solchen Erlassen um? Ich denke mir, solche geschriebenen Worte erreichen einen doch irgendwie einfach. Man geht irgendwie doch ein wenig in sich. Oder werden solche Sachen nur 'flüchtig' überflogen?
    Ich frage aus ehrlichem Interesse, da ich nur einmal, während einer Fachkonferenz eine mega Kurz-Diskussion über Erlasse miterleben durfte und inständig hoffe, diese Art der Konferenz ist eine Ausnahme, nicht Regel in deutschen Konferenzen. :)

    wer Rechtschreibfehler findet, darf sie gerne behalten.

  • Hallo,


    also ehrlich gesagt sagt mir der Erlass jetzt nichts Neues. Das sind Dinge, die schon x-Mal im Studium, in der Ausbildung und auch in später gelesener Literatur angesprochen wurden. :)


    Vielleicht deshalb die kurze Diskussion?


    LG
    Tina

    Ein Hund denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, sie müssen Götter sein!" Eine Katze denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, ich muss ein Gott sein!"

  • Zitat

    Timm schrieb am 04.05.2006 07:44:
    Erlasse und Gesetze bilden (auch) den Rahmen für die Lehrplankommissionen. Hier wirst du vieles operationalisiert, also in konkrete, messbare Unterrichtsinhalte übersetzt sehen.


    Z.B. leiten sich aus der Forderung nach Selbständigkeit schülerzentrierte Unterrichtsformen (Projektarbeit, Gruppenarbeiten...) oder auch konkrete Unterrichtsinhalte ab (in B-W z.B. das Lehrplanthema in Gkde "der Einzelne in der Gesellschaft). Derartige Formulierungen wirst du übrigens wieder in etwas erweiterter Form im Vorspann der Lehr-/Bildungspläne finden.


    Hallo Timm, das leuchtet ein. Ich bin nur etwas erstaunt, dass im Prinzip Selbstverständlichkeiten, wie oben geschriebenes Zitat, extra per Erlass, also bindend, in die Schulen transveriert werden muss.


    Zitat

    Timm schrieb am 04.05.2006 07:44:Für den Schulalltag hat der Erlass eher den Charakter einer Präambel und ist weniger konkrete und einklagbare Handlungsanweisung


    hm...menschlicher Umgang oder respektvolles Miteinander ist sicherlich in der Tat nicht einklagbar, gelegentlich aber eventuell 'Erinnerbar'? :)

    wer Rechtschreibfehler findet, darf sie gerne behalten.

  • Zitat

    Flexi schrieb am 05.05.2006 09:49:
    Hallo Timm, das leuchtet ein. Ich bin nur etwas erstaunt, dass im Prinzip Selbstverständlichkeiten, wie oben geschriebenes Zitat, extra per Erlass, also bindend, in die Schulen transveriert werden muss.


    Gut, das ist das Wesen der staatlichen Institutionen. Staatliches Handeln kann eben nicht nach Selbstverständlichkeiten erfolgen, sondern im Rahmen von Gesetzen (als Ermächtigungsgrundlage für die Ministerialbürokratie) stattfinden. Letztere muss alles verbindliche Handeln in Erlass- (für die Verwaltung)- oder Verordnungsform (für die Allgemeinheit) gießen..
    Gebe es diesen Erlass nicht, könnten zum Beispiel die Lehrplankommissionen einen beliebigen Bildunsplan erstellen, so lange er nicht gegen die Verfassung oder Gesetze verstößt. Für den Bürger sind viele Erlasse einfach uninteressant, da sie ja nur das Verwaltungshandeln vorschreiben. So lange die Verwaltung korrekt und zur allgemeinen Zufriedenheit arbeitet, wird die Grundlage des Handelns die wenigsten interessieren.


    Zitat

    hm...menschlicher Umgang oder respektvolles Miteinander ist sicherlich in der Tat nicht einklagbar, gelegentlich aber eventuell 'Erinnerbar'? :)


    Ich hatte ja noch etwas mehr reininterpretiert, nämlich gewisse Methoden und Arbeistformen. Würde ein Kollege nur Frontalunterricht und Einzelarbeit machen, könnte man ihm sehr wohl diesen Erlass vorhalten. Allerdings ist man natürlich mit den konkreteren "Anweisungen" des Bildungsplanes besser bedient, weil er eben operationalisiert, d.h. messbares Verhalten einfordert.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

    Einmal editiert, zuletzt von Timm ()

  • Erlasse lösen bei uns immer eine Diskussion über ihre Inhalte aus. Insofern sind also auch Passagen, die nicht so unmittelbar auf den Alltag umzusetzen sind, damit mal wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Nutzlos ist das also nicht. Daraufhin konkret etwas einzufordern, wird allerdings kaum klappen.


    Grüße Enja

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