Lesen durch Schreiben

  • Und was das Argument mit den weiterführenden Schulen und ihrer eigenen Pflicht zur Fortführung der Rechtschreibung angeht. Wo setzt ihr dann die Grenze. Ihr erfüllt dann nicht die Anforderungen der Lehrpläne. Ihr seid Zubringerschulen. Wir verlassen uns darauf, dass die Schüler die Kenntnisse mitbringen, die sie zur Bewältigung der Herausforderungen in SEK1/2 benötigen. Und glaube mir, das bringt ein nicht unwesentlicher Teil definitiv nicht mit.


    Kann ein Schüler zum Ende der Grundschule nicht vernünftig die Grundrechenarten, dann kann man nicht anfangen, die Bewältigung dieses Problems den weiterführenden Schulen auftragen. Irgendwie müssen diese mit ihren Inhalten weiterkommen.

    Zubringerschulen - das ist eine seltsame Auffasung Deines Lehrauftrages.
    Ich würde eher formulieren: Ihr seid ABHOLEschulen.
    :)
    So, wie wir die Kinder abholen, wenn sie aus dem Kindergarten (im besten Fall) zu uns kommen.


    Was die Erfüllung unserer Lehrpläne angeht, so gehe ich davon aus, dass Du diese in Gänze kennst?


    Amüsierte Grüße
    strubbelsuse

  • Ich würde Yummi auch mal empfehlen in die Lehrpläne der Grundschulen zu sehen. Es ist nämlich durchaus interessant, was Kinder am Ende der vierten Klasse können sollen (und was nicht), ehe "wir sie der Sek 1 zuliefern". Bzgl. der Rechtschreibung in eigenen Texten steht dort beispielsweise keinesfalls, dass ein Kind einen Text (nahezu) fehlerfrei aufschreiben können soll.


    Aber es ist wie immer eine Glaubensfrage.

    Eine Glaubensfrage ist es nur dann, wenn man mit Halbwissen und Lehrerzimmerparolen argumentiert. Von daher warte ich noch immer gespannt auf die namhaften Sprachwissenschaftler.

  • Ich führe mangende Graphomotorik nicht auf zu hohen Medienkonsum zurück. Die meisten Kinder gehen ab dem 4. Lebensjahr in die Kita, sehr viele davon bis weit in den Nachmittag hinein.
    In den meisten Kitas herrscht das Prinzip "Tu, was du willst, wann du willst." Das führt dazu, dass die Kinder, die feinmotorisch begabt sind, basteln und malen, was das Zeug hält, und sich quasi darin perfektionieren, und diejenigen, denen das schwerfällt, ganz wunderbar darum herumkommen, es zu lernen, weil sie es - logisch, es macht Mühe - nicht wollen und entsprechend dem Konzpet auch nicht müssen. So werden, wie so oft in Offenen Konzepten, die Guten besser und die Schlechten bleiben schlecht.


    [Wir hatten früher in der Kita Bastelstunden. Da saßen alle Kinder an einem Tisch und haben etwas hergestellt. Keiner ist auf die Idee gekommen, da nicht mitzumachen. Diese Option gab es nicht und niemand forderte sie ein. Ich fand Basteln überwiegend doof und kann trotzdem nicht behaupten, mich emotional überwältigt oder in meiner Autonomie eingeschränkt gefühlt zu haben, weil ich es tun musste. Im Gegenteil: Mir wäre doch ein Lob meiner Eltern für das fertige Werk entgangen, das meinem Selbstbewusstsein mit Sicherheit zuträglich war und in mir die Erkenntnis angelegt hat, dass es sich lohnen kann, auch mal etwas zu tun, was einem keinen Spaß macht.]


    In der Grundschule meines Jüngsten wird dieses Konzept konsequent fortgesetzt. (Möglicherweise bleibt den Kollegen da auch keine andere Wahl, weil die verwöhnten Kinderchen sonst meutern.) Mein Sohn (1. Klasse) kam neulich aus der Schule und berichtete, er habe das m nicht mitlernen können, weil er gerade noch mit dem Verfassen seines Wochenendberichts beschäftigt war (Wochenendbericht: Schreiben, was man am Wochenende getan hat in wackligen Großbuchstaben ohne Worttrennung; DAS konnte er auch schon vor der Einschulung ...!).


    Ich halte dieses Konzept auch für die Ursache der viel beanstandeten Chancenungleichheit:
    Ich gehe notgedrungen nun hin und bringe meinem Sohn die kleinen Buchstaben selbst bei, da die Schule dazu offenbar nicht in der Lage ist.
    Alle anderen Kinder, die während des Offenen Unterrichts auch nicht tun, was gut für sie wäre, deren Eltern das aber entweder nicht mitbekommen oder nicht beachten, haben das Nachsehen - und dann die Hauptschulempfehlung.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Bei den Kitas stimme ich zu.


    Wir haben hier dazu noch das Problem, dass die Erzieher (aufgrund von massivem Erziehermangel) extrem niedrig qualifiziert sind. Ein Teil spricht nicht mal selbst fehlerfrei deutsch, bzw. kann es schreiben. Viele haben selbst nur einen Hauptschulabschluss oder eher schlechten Realschulabschluss.


    Ich hatte gerade eine riesen Diskussion mit der Leitung meinr kleinen Tochter, die es nicht für nötig hält feinmotorisch schwache Kinder (v.a. Jungen), zum Basteln zu motivieren. Dann müssten die Grundschulen sich halt umstellen. In ihrer Kita gilt, das Kind entscheidet worauf es Lust hat und das bis zur Einschulung. Ja und was tun die Jungen, die gehen natürlich lieber toben. Das ist ja auch okay. Aber einmal pro Woche sich was etwas spannendes für die Jungen ausdenken, kann doch nicht so schwer sein.


    Ein AWO-Kindergarten übrigens, der (das ist überall bekannt) am schlechtesten im gesamten Bundesland bezahlt und daher auch nur die restlichen Erzieher abgreift.


    Es gibt natürlich auch in Kindergärten Vorgaben vom Bundesland. Niedersachsen weist sogar genau darauf hin, dass man Jungen zu feinmotorischen Aktivitäten und Mädchen auch zum Toben anregen soll.



    Aber die Anregung ist schon zu viel für unsere Kita. Zum Verzweifeln.

  • Gleiches gilt für katholische Kitas. Wer sich auf deren Arbeitsverträge einlässt, muss schon arg verzweifelt sein.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Das hier ist zwar schon ein älterer Thread, aber da ich bald meine Tätigkeit an einer Grundschule beginne, dachte ich mir, ich hole ihn noch einmal hervor. Ist das immer noch ein Thema an Grundschulen? Im Ausland wird das weder an Universitäten gelehrt noch wird es an Schulen praktiziert, und ich hätte starke Bauchschmerzen, zwänge man mich so zu unterrichten. Ich denke, daß die Grundschule abseits des Unterrichtsstoffs auch noch andere Dinge vermitteln sollte, wie zum Beispiel Kritikfähigkeit. Diese bleibt meines Erachtens bei der Anwendung einer solchen Methode auf der Strecke.

  • Was mich an all diesen Debatten (auch und gerade in den Medien) am meisten verblüfft ist, dass angeblich in (fast) allen Grundschulen reines "lesen durch schreiben" unterrichtet wird. Komischerweise kenne ich keine einzige Schule an der so gearbeitet wird (und ich kenne mittlerweile einige). Überall finden sich Mischformen, d.h. Anlauttabelle und freies Schreiben, plus Rechtschreibregeln plus Arbeit an Lernwörtern usw. Ich kenne persönlich nicht ein Grundschulkind, dass allen ernstes "zwei, drei Jahre ohne jegliche Korrektur" schreiben durfte.

    Ist immer noch so....

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Das hier ist zwar schon ein älterer Thread, aber da ich bald meine Tätigkeit an einer Grundschule beginne, dachte ich mir, ich hole ihn noch einmal hervor. Ist das immer noch ein Thema an Grundschulen? Im Ausland wird das weder an Universitäten gelehrt noch wird es an Schulen praktiziert, und ich hätte starke Bauchschmerzen, zwänge man mich so zu unterrichten. Ich denke, daß die Grundschule abseits des Unterrichtsstoffs auch noch andere Dinge vermitteln sollte, wie zum Beispiel Kritikfähigkeit. Diese bleibt meines Erachtens bei der Anwendung einer solchen Methode auf der Strecke.

    Wieso sollte Kritikfähigkeit bei der Methode mehr auf der Strecke bleiben als bei Fibel-Unterricht?
    Und was/wie genau willst du in den ersten beiden Grundschuljahren Kritikfähigkeit vermitteln? Kannst du dazu mal ein Beispiel nennen?

  • Das hier ist zwar schon ein älterer Thread, aber da ich bald meine Tätigkeit an einer Grundschule beginne, dachte ich mir, ich hole ihn noch einmal hervor. Ist das immer noch ein Thema an Grundschulen? Im Ausland wird das weder an Universitäten gelehrt noch wird es an Schulen praktiziert, und ich hätte starke Bauchschmerzen, zwänge man mich so zu unterrichten. Ich denke, daß die Grundschule abseits des Unterrichtsstoffs auch noch andere Dinge vermitteln sollte, wie zum Beispiel Kritikfähigkeit. Diese bleibt meines Erachtens bei der Anwendung einer solchen Methode auf der Strecke.


    Vielleicht solltest du dich mal mit den deutschen Lehrplänen befassen. Kuck dir den Lehrplan deines Bundeslandes an und dann die Bücher, die deine neue Schule verwendet... Du hast im anderen Thread (Schulschwänzer) schon einmal geäußert, dass du eher das Menschliche als die Regeln siehst - hier nun hast du Angst, gezwungen zu werden, auf eine bestimmte Art zu unterrichten. Ich finde es gar nicht schlimm, dass du Fragen stellst, dazu ist das Forum ja da. Aber vielleicht gehst du mal offen an das deutsche Schulsystem ran, denn du wirst natürlich nicht so unterrichten können, wie du das bisher aus Russland (?) gewohnt warst.


    Ob du denkst, dass die Schule noch andere Dinge als den Unterrichtsstoff vermitteln sollte, tut zum Beispiel gar nichts zur Sache. Wichtig sind die Bildungs- und Erziehungsziele deines Bundeslandes.

  • Ich vermute ja, dass du mit Kritikfähigkeit meinst, dass die Kinder lernen, auszuhalten wenn Fehler verbessert werden (sie also "kritisiert" werden) ???? Einen anderen Zusammenhang zu der Kritik an der Methode LdS sehe ich jedenfalls nicht.
    Aber wie oben schon gesagt:
    Ich kenne persönlich nicht ein Grundschulkind, dass allen ernstes "zwei, drei Jahre ohne jegliche Korrektur" schreiben durfte.


    Selbst wenn du "nur" mit Anlauttabelle arbeitest, heißt das nicht, dass du alles was die Kinder schreiben, völlig unkommentiert stehen lässt. Natürlich kannst du auch bei diesem Ansatz Falschschreibungen verbessern, die Frage ist nur in welchem Umfang und auf welche Weise du das tust. Hier in Berlin gibt es übrigends keine Vorgaben zur Methode, nur zu dem was sie gelernt haben sollen
    (und ich gehe davon aus, dass das in Sachsen nicht anders ist). Am ehesten erfolgt eine methodische "Vorgabe" noch durch die Materialien, die an deiner Schule verwendet werden. Aber auch da hindert dich niemand die noch zu ergänzen.
    Ich hatte z.B. ganz am Anfang "Tinto", das war zu der Zeit tatsächlich hauptsächlich LdS und habe das recht bald durch gezielte Leseübungen und die Arbeit mit Lernwörtern ergänzt (und die Buchstabenreihenfolge habe ich auch vorgegeben, ganz brav mit "Buchstabe der Woche" und so...)
    Heute habe ich es umgekehrt: Die Tobi-Fibel (also klassicher Lese-Lehrgang) ergänzt durch freies Schreiben mit der Anlauttabelle.

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Ich korrigier mich mal selber (son bisschen). Im (noch recht neuen) RLP Berlin steht dann doch was, nämlich:
    "Der Schriftspracherwerb wird vom ersten Schultag an mit bedeutsamen persönlichen Lese- und Schreiberfahrungen ....verbunden."
    sowie
    "Die Sch. werden von Anfang an ermutigt, Schrift zum Aufschreiben eigner Ideen und Gedanken zu nutzen".
    Beides geht m.E. nur wenn man auch die Arbeit mit der Anlauttabelle zulässt, heißt aber noch lange nicht, dass man reines LdS machen muss.
    Insofern hat Kathie recht: schau mal in die Lehrpläne deines Bundelandes!

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Die Anlauttabelle wird dann problematisch, wenn sowas wie I wie Igel beigebracht wird. Eine nach Basisgraphemen orientierte Tabelle vermeidet Fehlvorstellungen und ermöglicht trotzdem das Lernen von Rechtschreibregeln und Ausnahmen/Lernwörtern im späteren Verlauf des Schriftspracherwerbs.

  • Interessant... aber ganz kapier ich die Tabelle nicht. Wieso ist es besser das lange E in Feder zu zu plazieren als in Esel?


    Edit:
    Kurz nachgedacht und selbst erklärt: weil das lange E häufiger im Wort vorkommt als im Anlaut, oder?


    Trotzdem frage ich mich, inwieweit Kinder sich auf der Tabelle zurechtfinden , ich finde die doch recht unübersichtlich.


    Edit2:
    Sehe gerade, dass unten auch darauf hingewiesen wird, dass es eben keine Anlauttabelle ist...freies Schreiben dürfte damit auch wirklich schwierig werden. Ich sehe die Anlauttabelle aber in erster Linie als Werkzeug genau zu diesem Zweck an. Bei der Einführung der Buchstaben werden normalerweise ja eh die verschiedenen klanglichen Möglichkeiten thematisiert und geübt.

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

    Einmal editiert, zuletzt von icke ()

  • Ich muss zur Arbeit, aber ich editiere meine Antwort später hier rein ;) .


    EDIT: In dem Fall ist egal, ob das "e" in der Mitte, am Anfang oder am Ende kommt, es geht darum, dass das Kind weiß, wie besagter Laut regelgemäß verschriftet wird - in dem Fall durch ein "e". Im Prinzip gibt es einige Parallelen zwischen Anlauttabelle und Basisgraphem-Tabelle. Das Kind unterteilt ein Wort in mehrere Laute und ordnet jedem Laut ("Phonem") einen Buchstaben ("Graphem") zu. Z.B. Haus = H + AU + S. Der Unterschied zur Anlauttabelle besteht darin, dass nicht jeder Buchstabe ein Basisgraphem ist, also der am häufigsten verwendete Buchstabe bei dem jeweiligen Laut. Das trifft z.B. auf "y", "c" oder "x" zu. In der Anlauttabelle wird häufig "I wie Igel" gesagt, was jedoch problematisch ist, da das Basisgraphem für [i:] "ie" ist. Bedeutet auf gut Deutsch: Die meisten Wörter mit langem I werden mit "ie" geschrieben, viele Kinder schreiben sie aber nur "i" wegen des Igels. Und warum wird der Igel verwendet? Es gibt keine Wörter, die "ie" im Anlaut haben. Ein Großteil unserer Wörter wird in Basisgraphemen verschriftet, was wiederum bedeutet, dass die Kinder in der 1. Klasse schon ziemlich viel schreiben können. Einziger Nachteil ist, dass die Kinder in der 1. Klasse "Iegel" schreiben werden, aber 1. werden Lernwörter und Rechtschreibregeln Schritt für Schritt als Ergänzung zur regelhaften Schreibung eingeführt und 2. können sie dafür im Gegenzug in 70% aller Fälle den [i:]-Laut korrekt verschriften (denn "i" ist in nur ~ 10% aller Fälle das richtige Graphem).

    Einmal editiert, zuletzt von Lindbergh ()

  • Ich hole diese Diskussion mal wieder aus dem Archiv hervor, weil ich gerade mit Freuden festgestellt habe, daß in NRW das "Schreiben nach Gehör" wieder abgeschafft wird. :top:
    --> https://www.nw.de/nachrichten/…-an-Grundschulen-ein.html


    Endlich muß man sich als Eltern nicht mehr überlegen, ob man bei den Hausaufgaben nicht doch eingreifen und von Anfang an auf eine korrekte Rechtschreibung hinarbeiten sollte. :)

  • In dem Link ist nicht die Rede davon, dass "Lesen durch Schreiben" ("Schreiben nach Gehör" gibt es nicht!) abgeschafft wird. Es soll "eingeschränkt" werden - im Sinne von: die Rechtschreibung soll von Anfang an in den Blick genommen werden. Jeder verantwortungsvolle Lehrer, der "Lesen durch Schreiben" unterrichtet, hat die Rechtschreibung ohnehin im Blick. Ich kenne niemanden, der die Kinder kommentarlos schreiben lässt. Das heißt aber nicht, dass jedes Wort penibel auf die Dudenkonformität überprüft werden muss, damit dürfte man die meisten Kinder eher vom Schreiben abbringen ...

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