Mangelhafte Berufsberatung seitens vieler Lehrer

  • Guten Abend.
    Ich habe mich hier angemeldet, weil ich ein Anliegen habe und hoffe, hier möglichst viele Lehrer/Kollegen zu erreichen.
    Es geht um Folgendes:


    Es sträuben sich mir die Nackenhaare, wenn ich merke, wie wenig viele Kollegen vom "echten" Arbeitsmarkt haben. Und entsprechend schlechte Berufsberatung machen.


    Kurz zu mir: Ich habe zunächst Elektrotechnik an einer TU studiert, habe dann bei einem großen Konzern ein paar Jahre gearbeitet, um zu merken, dass dies nichts für mich ist. Es folgte der Quereinstieg ins gymnasiale Lehramt, eben logischerweise mit den Fächern Physik und Mathematik.


    Darum soll es aber gar nicht primär gehen.
    Es soll darum gehen, dass viele Kollegen Schülern raten, Fächer zu studieren, die teils grottige, teils relativ schlechte Berufsaussichten haben.
    Im Rahmen meiner Industrietätigkeit habe ich mich damit beschäftigt, wo ehemalige Kommilitonen und andere MINTler untergekommen sind, und vor allem: WIE sie untergekommen sind.
    Dazu habe ich an einer Art Datenbank mitgearbeitet, welche Statistiken auswertet um die Berufsaussichten einzelner Fächer zu ermitteln, die ich weiter unten verlinken werde.


    Oft wird Schülern von Lehrern vorgegaukelt, es gäbe einen MINT-Fachkräftemangel. Das ist Q U A T S C H.
    Dass Geisteswissenschaften schlechte Berufsaussichten bieten, ist bekannt. Dass Naturwissenschaften ebenfalls verhältnismäßig schlechte Perspektiven bieten, hingegen nicht.


    Gehen wir die Fächer kurz durch, mehr kann man in der eingangs erwähnten Datenbank erfahren.
    - Mathematik: Akzeptable Aussichten, allerdings nur, wenn man sich auf etwas spezialisiert, dass ANWENDUNGSNAH ist, am Besten stark an Informatik orientiert.
    - Informatik: (Sehr) Gute Berufsaussichten.
    -Biologie: KATASTROPHALE Berufsaussichten. Ausschließlich befristete Verträge, meist fachfremd, oft nach Jahren gar keine Anstellung.
    -Chemie: SCHLECHTE Berufsaussichten. Die Arbeitslosigkeit unter Chemikern ist doppelt(!) so hoch, wie unter anderen Akademikern. Das Fach wird immer mehr studiert, eine Festanstellung ist schwer zu kriegen, die Industrie nimmt nur die Besten - Statistiken der GDCH lesen! Meist bleibt nur der grottige Zeitvertrag an der Uni. Dazu Promotionspflicht. "Bestenfalls" bleibt der Außendienst, dazu braucht man aber maximal einen Bachelor. Dazu: Die Industrie (siehe z.B. BASF) lagert Forschung zunehmend nach China aus - Dort gibt es sehr gute Chemiker für viel weniger Geld.
    -Physik: Mäßige, eher schlechte Berufsaussichten. Banken/Unternehmensberatungen waren früher einmal eine Beschäftigungsmöglichkeit, seit der Finanzkrise nicht mehr. Ich kenne aus meiner Studienzeit viele Physikabsolventen - Die meisten müssen sich, wie Chemiker, mit Zeitverträgen in der Forschung rumschlagen. Wenige haben eine gut bezahlte Festanstellung in der Industrie. Physik ist halt viel zu anwendungsfern.
    -Maschinenbau: Maue Aussichten. Das BWL 2.0. Deutlich zu viele Studienanfänger. Viele landen in befristeten Verträgen bei Leiharbeitsfirmen - Die allerwenigsten schaffen es in einen Konzern.
    -Elektrotechnik: (Sehr) Gute Berufsaussichten, möglichst mit Informatik verbinden.


    Die Datenbank:
    https://www.uni-due.de/isa/fg_…hnik/e-technik_hs_frm.htm


    Also. Reflektiert, was ihr euren Schülern ratet! MINT bietet nur eingeschränkt gute Berufsaussichten, NATURWISSENSCHAFTLER SIND NICHT GEFRAGT! Warum? Sie werden für die Grundlagenforschung ausgebildet. Die findet in erster Linie an Universitäten, nicht in Unternehmen statt. Und Universitäten sind kein Ort, wo man ernsthaft arbeiten kann, außer man ist Professor.


    Beratet eure Schüler realistisch zu Berufsperspektiven! Ich spreche aus Erfahrung, da ich viele MINT-Absolventen kenne. Die meisten Lehrer können das nicht. Informiert euch also gut und kritisch!
    Ich hoffe, ich konnte hier ein paar Kollegen die Augen öffnen und wünsche einen angenehmen Tag.

  • Dazu kann ich nur sagen, ich selbst habe zweimal Fortbildungen zur Berufsausbildung für Sek-I-Lehrer/innen angeboten, 1x kamen 3 Teilnehmer, beim zweiten mal niemand. Da scheint auch kein großes Interesse da zu sein. Ich merke dass jetzt auch bei meinem neuen Schulversuch Berufsfachschule zum Übergang in Ausbildung. Die Anmeldezahlen brummen gerade, weil es keine Eingangsvoraussetzungen gibt und die Sek-I-Lehrer mir ausdrücklich sagen, dass sie toll finden, dass sie jetzt nicht mehr nachdenken müssen, was passt. Das ist zwar gut für mich, aber nicht unbedingt im Sinne des Erfinders ...

  • Hallo,
    das ist zum einen sehr interessant, was du da geschrieben hast, zum anderen hilft es einem bei der Beratung nicht wirklich viel weiter. Auch ich kenne viele MINT-Absolventen, die nicht od. nur schlecht untergekommen sind bzw. dann doch umgesattelt haben.


    Aber was soll man denn nun einem in den naturwissenschaftlichen Fächern gutem Schüler raten, der sich nicht für Informatik und Elektrotechnik interessiert und sich auch ein Mathestudium nicht vorstellen kann?


    Und was rät man den anderen Schülern? Da fällt ja so gut wie alles weg. Jura hast du noch vergessen, das ist auch total überlaufen.


    Eine Beratung kann ja nicht darin bestehen, den Leuten von allem abzuraten, weil die Ausichten grottig sind und dann keine Alternativen anzubieten.


    Es würde mich wirklich interessieren, welche anderen Studiengänge noch gute Perspektiven bieten.


    Viele Grüße
    Seepferdchen

  • Dazu kann ich nur sagen, ich selbst habe zweimal Fortbildungen zur Berufsausbildung für Sek-I-Lehrer/innen angeboten, 1x kamen 3 Teilnehmer, beim zweiten mal niemand. Da scheint auch kein großes Interesse da zu sein. Ich merke dass jetzt auch bei meinem neuen Schulversuch Berufsfachschule zum Übergang in Ausbildung. Die Anmeldezahlen brummen gerade, weil es keine Eingangsvoraussetzungen gibt und die Sek-I-Lehrer mir ausdrücklich sagen, dass sie toll finden, dass sie jetzt nicht mehr nachdenken müssen, was passt. Das ist zwar gut für mich, aber nicht unbedingt im Sinne des Erfinders ...

    Das ist sehr interessant, was du da schreibst. Danke für die Rückmeldung! Leider bestätigt das meine Eindrücke. Es scheint also nicht nur in Bezug auf eine etwaige Studienwahl, sondern auch bezüglich der Ausbildungswahl ein deutlicher Nachholbedarf zu bestehen.

  • Ganz ehrlich? Von einem Abiturienten kann mann ja wohl erwarten, dass er sich selbst informiert.
    Ich kenne von den oben genannten Studienrichtungen einige Leute, die mit guter/harter Arbeit weit gekommen sind. Jobs, bei denen man ohne Anstrengung ein lockeres Leben führen kann werden eben immer weniger.


    Als Berufsschullehrer finde ich die Berufswahl der Schüler aus Mittel- und Realschule teilweise schwieriger. Da informieren sich einige Schüler überhaupt nicht über die Anforderungen des Berufs und fallen aus allen Wolken, wenn man bei kaufmännischen Berufen erwartet, dass sie Prozentrechnung können.

    Sei konsequent, dabei kein Arsch und bleib authentisch. (DpB):aufgepasst:

  • Da hast du recht, ich hätte noch etwas ergänzen können, was gute Berufsaussichten bietet, basierend auf Berufsstatistiken und Prognosen für den Zeitraum bis c.a. 2030.


    Nun, grundsätzlich muss man immer überlegen: Wo ist der Nutzen "meines" Wunschfaches für die Industrie- Denn da wollen/werden die meisten Arbeiten.
    Hier ist es wichtig, zu beurteilen, ob der Studiengang eine gute Anwendbarkeit eben dort besitzt: Die meisten Ingenieurwissenschaften tun dies, Naturwissenschaften leider(!!!) nicht. Natürlich stellen die NaWis die Grundlagen für ganz viele wichtige, industrierelevante Bereiche dar - Aber eben "nur" die Grundlagen.


    Was immer gut geht und ich jedem empfehlen kann, der naturwissenschaftliches Interesse besitzt: Medizin und Zahnmedizin.
    Dazu eben Informatik und Elektrotechnik, beides wird in Zukunft zunehmender gefragt sein. Maschinenbau eingeschränkt, siehe oben.
    BWL ist übrigens besser, als viele denken - Man kann damit nämlich überall arbeiten. Wenn man eher einen mittelmäßigen Abschluss hat, wird man natürlich nicht bei BMW unterkommen - Aber irgendwo wird man schon unterkommen, besser meistens als befristet an der Uni.
    Ähnliches gilt für Jura.
    Auch Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsingenieurwesen bieten gute Aussichten, da eine große Anwendbarkeit besteht - Allerdings bereiten mir die teils stark steigenden Studienanfängerzahlen hier ein wenig Sorgen.


    Lehramt mit Mathe, Physik, Chemie oder Informatik geht natürlich auch immer! Und die Berufs- und Sonderschulen scheinen ja auch stark zu suchen.

  • Ganz ehrlich? Von einem Abiturienten kann mann ja wohl erwarten, dass er sich selbst informiert.
    Ich kenne von den oben genannten Studienrichtungen einige Leute, die mit guter/harter Arbeit weit gekommen sind. Jobs, bei denen man ohne Anstrengung ein lockeres Leben führen kann werden eben immer weniger.


    Als Berufsschullehrer finde ich die Berufswahl der Schüler aus Mittel- und Realschule teilweise schwieriger. Da informieren sich einige Schüler überhaupt nicht über die Anforderungen des Berufs und fallen aus allen Wolken, wenn man bei kaufmännischen Berufen erwartet, dass sie Prozentrechnung können.

    Klar könnte man das. Das Problem ist: Viele Schüler verlassen sich meiner Erfahrung nach oft zu sehr auf das, was Kollegen ihnen raten (Nach dem Motto: Du hast doch so viel Spaß an Biologie, studier das doch einfach...). Und im Internet ist es leider auch nicht so einfach, relevante Informationen zu finden. Da heißt es dann: "Chemiker steigen mit 63000 im Jahr ein", aber der Schüler weiß nicht, dass das nur für IGBCE-Tarif gilt und der wird nur von c.a 5 Chemieunternehmen in ganz DE gezahlt. Und dahin zu kommen, ist äußerst schwer. Verstehst du, was ich meine? Gerade viele Zeitungsartikel führen da ganz schön in die Irre, weswegen ich die oben genannte Datenbank ausdrücklich empfehlen kann.

  • Ich komme von einer allgemeinbildenden Schule, wo ich für den Bereich der Studien- und Berufsorientierung zuständig bin.
    Ich habe sehr häufig Kontakt zur BA für Arbeit und zu diversen Unternehmen, bin außerdem mit dem heiligen Segen des Landes NRW zum Studien- und Berufswahlkoordinator forgebildet. Und ich werde mich hüten, Berufsberatung bei Schülern zu machen. Nämlich genau deswegen, weil ich zu wenig Ahnung vom Thema habe. Jede weiteführende Schule in NRW wird von einem Mitarbeiter der BA für Arbeit betreut, dessen Hauptaufgabe es ist, Schülerberatungen durchzuführen. Der für uns zuständige Mann ist ein Hauptgewinn. Ich käme nie auf die Idee, selbst beraterisch tätig zu werden, sondern verweise auf ihn, der regelmäßig bei uns ist.
    Für Laien halte ich es schlichtweg für unmöglich, auch nur annähernd einen Überblick zu haben, wie der Arbeitsmarkt in welchem Bereich ist, wie sich Anforderungen und Tätigkeitsfelder verändern etc.

  • Falls du deine Einschätzung zur Fachrichtung Physik professionalisieren willst, kannst du mal hier nachlesen, Nabla:
    http://www.dpg-physik.de/veroe…beitsmarktstudie_2016.pdf

    Ohne die Studie gelesen zu haben: "Durchgeführt vom Institut der deutschen Wirtschaft". Woran ist die deutsche Wirtschaft interessiert?
    Nun, an vielen, möglichst günstigen, möglichst jungen und möglichst arbeitswilligen Absolventen. Deswegen ist so etwas immer mit großer Vorsicht zu genießen, da es alles andere als unabhängig ist!


    Ich kann übrigens folgenden Thread wärmstens empfehlen: https://www.studis-online.de/F…Brett/read.php?120,658259
    Vor allem die letzten 30(?) Seiten sind äußerst aufschlussreich, die ersten 50 sind nicht mehr sonderlich aussagekräftig, da sie von 2008 stammen und somit recht alt sind und keine sinnvolle Quelle mehr für Schüler darstellen, die erst in den nächsten 10-15 Jahren ins Berufsleben starten.

  • Hallo,
    Ich bin aktuell Klassenlehrerin einer 9. Hauptschulklasse.
    Auch wenn das Problem natürlich etwas anders gelagert ist, muss ich leider sagen, dass meinen Schülern völlig egal ist wie die Aussichten oder reellen Arbeitsvoraussetzungen sind. Sie haben sich aus ihren Vorstellungen eigene Realitäten zusammen gebastelt und halten daran fest. Aufklärung und Beratungen sind nutzlos ;(
    Der von Trantor erwähnte Schulversuch hat mir lediglich die Anmeldung vereinfacht, die Beratung leider nicht. Für mich ist eben jetzt auch ein "Druckmittel" verloren gegangen. Denn wozu brauche ich mich denn überhaupt im letzten Schuljahr anstrengen wenn ich so oder so die Möglichkeit haben kann in 2 Jahren an meinen Realschulabschluss zu kommen. Egal ob ich den Abschluss schaffe oder nicht.
    Ach und den Schülern war die Fachrichtung dann quasi auch ganz egal... Hauptsache irgendwie an den Realschulabschluss kommen...
    Hmmm....Verzeiht mir bitte das Ausufernde nicht ganz zum Thema passende...Müsste aber Mal raus :autsch:

  • Ohne die Studie gelesen zu haben: "Durchgeführt vom Institut der deutschen Wirtschaft". Woran ist die deutsche Wirtschaft interessiert?Nun, an vielen, möglichst günstigen, möglichst jungen und möglichst arbeitswilligen Absolventen. Deswegen ist so etwas immer mit großer Vorsicht zu genießen, da es alles andere als unabhängig ist!

    Lesen ist schon sinnvoll. Die Studie ist recht differenziert.
    Die DPG ist unser Berufsverband und hat kein Interesse daran hat Physiker zu betrügen oder die Interessen "der Wirtschaft" zu propagieren. ;)
    Die Studie ist in meinen Augen alle male aussagekräftiger als eine Äußerung von Einzelmeinungen in irgend einem Thread. In diesen Klagethreads sammeln sich ja primär Leute mit Problemen und von den anderen liest man wenig bis gar nichts. Das Bild ist entsprechend verzerrt.


  • Auch wenn das Problem natürlich etwas anders gelagert ist, muss ich leider sagen, dass meinen Schülern völlig egal ist wie die Aussichten oder reellen Arbeitsvoraussetzungen sind. Sie haben sich aus ihren Vorstellungen eigene Realitäten zusammen gebastelt und halten daran fest. Aufklärung und Beratungen sind nutzlos ;(

    Das ist aber auch bei Schülern mit FOR oder Abitur so. Gerade bei unseren Abiturienten habe ich das Gefühl, dass sie (wie im übrigen meine Generation auch) nach dem Abschluss noch gar nicht so recht wissen, in welche Richtung es gehen soll. Finde ich aber auch nicht schlimm. Aus uns ist auch etwas geworden.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Lesen ist schon sinnvoll. Die Studie ist recht differenziert.Die DPG ist unser Berufsverband und hat kein Interesse daran hat Physiker zu betrügen oder die Interessen "der Wirtschaft" zu propagieren. ;)
    Die Studie ist in meinen Augen alle male aussagekräftiger als eine Äußerung von Einzelmeinungen in irgend einem Thread. In diesen Klagethreads sammeln sich ja primär Leute mit Problemen und von den anderen liest man wenig bis gar nichts. Das Bild ist entsprechend verzerrt.

    Von mir auch ein "like" für die DPG Studie.


    Ergänzend noch zum Argument "Naturwissenschaftler werden für die Grundlagenforschung ausgebildet" - ja, natürlich, aber jeder andere Wissenschaftler der an einer Universität studiert hat, auch. Das ist nämlich Sinn und Zweck einer Uni - Wissenschaftler für die Grundlagenforschung und die Lehre ausbilden. Deshalb ist ein Studium auch keine Berufsausbildung. Je nach Studiengang erwirbt man aber auch zusätzliche Kompetenzen, die einen für den Arbeitsmarkt interessant machen. Selbstverständlich wird kein Physiker für seine Forschung in Quantenchromodynamik in der Industrie eingestellt, aber kein Physiker würde ernsthaft davon ausgehen.


    Wenn wir schon bei nichtrepräsentativen Einzelerfahrungen sind: alle Physiker die ich kenne, egal ob mit Diplom, Master, Promotion, haben problemlos einen Job in der Industrie bekommen, sei es IT, Bank, Versicherung, Consulting, klassische Ingenieurberufe - vor, während, und nach der Finanzkrise (und das waren keineswegs nur die "Jahrgangsbesten"). Sie waren aber auch entsprechend flexibel.


    Noch ein anderer Aspekt. Bei der Studienwahl nur nach der industriellen Verwertbarkeit zu sehen schein mir etwas zu einseitig. Idealerweise verknüpft das Studium Fähigkeiten und persönliche Interessen mit guten Berufsaussichten. Nur: wenn es nicht geht, dann geht es nicht. Wenn jemand schon bei der Vorstellung von Getrieben und integrierten Schaltkreisen Alpträume bekommt, wird er sicher keine Ingenieurswissenschaft studieren, mögen die Berufsaussichten noch so gut sein. Auch wahr ist natürlich, dass je unsicherer die Berufsaussichten sind, umso flexibler muss man eben sein. Sich so etwas vor dem Studienbeginn klar zu machen, gehört meiner Ansicht nach zur Studierfähigkeit dazu.

  • Da merkt man, wie sehr die meisten von uns den Babyboomern angehören.
    Sie sind damit aufgewachsen, dass sie viele waren und sich ihr Leben lang einem Konkurrenzkampf ausgesetzt gefühlt haben.
    Die enstandene Lebenseinstellung wurde auch an die nachfolgenden Generationen weitergegeben.


    Unter diesen Umständen mag es schwerfallen, einzusehen, dass die jetzt kommenden Schülergenerationen so klein sind, dass von ihnen wrklich jede/r gebraucht wird auf dem Arbeitsmarkt.
    Egal, was sie mitbringen, sobald die Babyboomer sich aufmachen in die Rente sind eine Menge Jobs frei, egal, wo.


    Ich mache mir bei der jetzigen/kommenden Schülergebneration viel weniger Sorgen um das, was sie machen werden, als um die Kompetenzen und das Durchhaltevermögen. Sie werden, um die Bevölkerung zu unterhalten, viel produktiver sein müssen als wir. Natürlich kommt Industrie 4.0, aber da braucht man fitte und flexible Arbeitskräfte. Und die Arbeitszeit sehe ich eher steigen als sinken.
    Eine zunehmende Anzahl meiner SUS ist chronisch/psychisch krank, die Zahl der Krankschreibungen auch während der Ausbildung ist tw. sehr hoch. Unter dem Arbeitsdruck knicken viele schon in der Ausbildung ein, mit den Erwartungen an sie/sich haben auch nicht wenige Probleme.

  • Ich erlebe die Berufsberatung an Schulen übrigens im Schnitt gar nicht so schlecht. Auch nicht an Gymnasien. Viele haben professionelle Netzwerke ausgebaut, die die Schüler intern und extern regelmäßig beraten.
    An meiner Schule gibt es in der E eine ganze berufsorientierende Woche inclusive GeVa Test, Berufsberatung des Arbeitsamtes, Berufmesse, Betriebsexkursionen, uvm, in der Q diverse Studientage an Unis, ein weiteres Betriebspraktikum, weitere Beratungstage mit Studienberatungen diverser Anbieter und noch so einiges.
    Habe ich das Gefühl, dass realistische Aussichten auf einen Arbeitsplatz die Schüler beeinflusst in ihrer Wahl? Tendenziell nein.
    Ohne nach 15 Jahren Tutorenarbeit einen Anspruch auf eine statistisch wirksame emprirische Datenbasis für mich zu reklamieren, ist - an Schulen mit und an Schulen ohne guter Beratung - mein Eindruck für die Berufswahl / Studienwahl der meisten SuS der Folgende:
    a) was Kohle bringt / schick ist
    b) was ich als LK gemacht habe
    c) was cool ist
    d) weiß nicht
    e) wo noch ein Studienplatz frei ist / kein NC ist
    f) was Papa / Mama sagen
    g) was das Arbeitsamt / der Berufsberater / die Testauswertung sagt

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Ich sehe eher das Problem, dass eine Vielzahl früher gut bezahlter Industriearbeitsplätze wegfallen werden. Andere gutbezahlte Jobs bedürfen spezieller Fähigkeiten, denen ein großer Teil der Schüler einfach nicht erfüllt.


    Bestes Beispiel ist die Autoindustrie. Neue Jobs werden vor allem im IT-Bereich entstehen. Gut bezahlte Arbeiter in Fabrikhalle werden massiv zurückgehen. Man sieht doch was VW im Bereich Jobwesen plant.
    Von den Zulieferern ganz zu schweigen.


    Jetzt nehmen wir den Brandbrief der Lehrerkollegen und Professoren die einen massiven Verfall der mathematischen Fähigkeiten durch die Bank erkennen, dann erkennt man das Problem ganz klar. Wer keine solide mathematischen Kenntnisse aufbringt und bereit ist einen entsprechenden Studiengang zu wählen, der wird am Arbeitsmarkt ganz klar kleine Brötchen backen müssen.

  • Zitat

    Mangelhafte Berufsberatung seitens vieler Lehrer

    Vielleicht liegt es einfach daran, dass Lehrer keine Berufsberater sind, sondern... Lehrer, also Experten für das Lehren und Lernen und nicht für Berufsberatung. Dafür gibt es eigene Experten und die sitzen z.B. in den Arbeitsagenturen.


    Heißt es demnächst:

    • Mangelhafte psychologische Beratung seitens vieler Lehrer.
    • Mangelhafte Finanzberatung seitens vieler Lehrer.
    • Mangelhafte Ernährungsberatung seitens vieler Lehrer.
    • Mangelhafte Verbraucherberatung seitens vieler Lehrer.
    • Mangelhafte Rechtsberatung seitens vieler Lehrer.
    • Mangelhafte medizinische Beratung seitens vieler Lehrer.
    • ...


    Wer treibt die nächste Sau durchs (virtuelle) Dorf?


    Gruß !

  • 1. Medizin zu "empfehlen", weil einer gute Noten hat finde ich schon fast fahrlässig. Wenn ich mir die Pappnasen ansehe, die in unserer Ausbildungspraxis am lebenden Menschen rumprobieren dürfen, frag ich mich, wer denen empfohlen hat, Mediziner zu werden.


    2. Ich hoffe nicht, dass ein Lehrer mal meinen Kindern empfiehlt: mach doch BWL, da kommste schon unter- besser als an der Uni. In der Forschung zu arbeiten mag miserable Arbeitsbedingungen mit sich führen, einen Vergleich zum BWL-Studium kann es trotzdem nicht geben.


    3. Was ist mit denen, die weder BWL noch Wirtschaftsingenieurwesen studieren wollen? Was spricht gegen das gute, alte "folge deinem Bauchgefühl"? Mit 18 ist man noch nicht sehr reif, aber man kann durchaus seine Stärken und Neigungen entdeckt haben. Wenn nicht, sollte das das Ziel von Beratung sein und nicht, "wo werden vielleicht mal die meisten Leute gesucht?" Wir hatten es neulich davon in einem anderen Thread. Wenns danach ginge, brauchen wir in Zukunft v.a. Altenpfleger.

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