Leistungsdruck

  • Anlässlich der Publikumsdebatte mit dem Thema „Kampfzone Klassenzimmer“ wurde gestern bei Maischberger im Ersten (https://www.daserste.de/inform…ne-klassenzimmer-102.html) über diverse schulische Themen diskutiert.


    Ein Thema war unter anderem der Leistungsdruck.
    Während einige der Meinung waren, dass es diesen garnicht gäbe, meinten andere, dass er durch Eltern/Gesellschaft etc. versursacht wird. Kurz: es herrrschte große Uneinigkeit diesbezüglich.


    Jetzt würde mich aber interessieren, was eure Meinungen und Erfahrungen sind - insbesondere die der Lehrer, die schon längere Zeit im Schuldienst sind.
    Was denkt ihr: gibt es einen Leistungsdruck? Wer ist der Hauptauslöser, wenn es ihn gibt? Ich würde mich über eine interessante Diskussion freuen.



    Mit freundlichen Grüßen
    xwaldemarx

  • Was ist Leistungsdruck und wie empfindet man ihn? Das ist halt von Person zu Peraon unterschiedlich.


    Gehe ich von der Bildungsplanentwicklung in meinem BL aus, dann kann ich bei jeder Reform nur noch lachen. Es wird wirklich immer einfacher.


    Wir haben allerdings auch Bildungspläne die seit 20 Jahren unverändert geblieben sind. Der Stoffumfang und die Anforderungen sind für die derzeitige Generation anspruchsvoll. Mich graut es schon vor der Reform hier.


    Andererseits gibt es definitiv Eltern, die unglaublich stressig sind; insbesondere bei ihren Kindern. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Leistungsdruck durch die Eltern ausgelöst wird.


    Letztlich ist die Schule immer gerne der Angriffspunkt für die "Reformer". Denn bei den Eltern selber können sie ja nichts ändern.

  • Wie stark man Leistungsdruck empfindet ist sicherlich sehr individuell und von vielen Faktoren abhängig.


    Generell wird jemand, dem es leicht fällt (sehr) gute Leistungen zu erbringen, weniger Druck dahinter verspüren als jemand, der um jede Note mit viel Leistungseinsatz kämpfen muss.


    Andererseits hängt das auch sehr davon ab, was man denn als Ziel ansetzt. Hier spielen Eltern und Gesellschaft eine große Rolle:
    Wenn die Eltern nur eine 1 oder 2 als "Leistung" anerkennen, und die Noten 3 oder gar 4 schon als "Minderleistung" angesehen werden, dann besteht hier natürlich mehr Druck auf ein Kind, als wenn die Eltern - der klassischen Notendefinition nach - eine 3 als befriedigende und eine 4 aus ausreichende Leistung ansehen und Minderleistungen erst ab der 5 beginnen.


    Was wiederum die Eltern als "Leistung" anerkennen hängt sicherlich auch von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen ab. Hier sind wir wieder beim Thema "Noteninflation" und "Aufweichung des gegliederten Schulsystems" angekommen: Wenn das Gymnasium zu neuen Volksschule wird (und jeder, der nicht aufs Gymnasium geht, fast schon zur "Unterschicht" zählt), das Abitur zum Mindestanspruch für eine große Zahl an Ausbildungsmöglichkeiten wird und immer mehr Bewerber mit sehr niedrigen Notendurchschnitten um Studienplätze konkurrieren, bleibt Eltern, die ihren Kindern möglichst viele oder auch nur eine durchschnittliche Zahl an "Karrierewegen" offenhalten möchten, kaum etwas anderes übrig, als das eigene Kind hinsichtlich seiner Noten immer weiter anzutreiben, aka Druck zu erzeugen.


    Schließlich kann man sich natürlich auch selbst Druck aufbauen, indem man sich unrealistische Ziele setzt, sich ständig mit Mitgliedern der "Leistungselite" vergleicht und ein Nicht-Erreichen desselben Leistungsniveau als Schmach ansieht. Dass man sich selbst primär über Leistung definiert mag man wiederum als Effekt der Leistungsgesellschaft ansehen.


    Ich denke also, dass es ein sehr unterschiedliches Level an (empfundenem oder real ausgeübtem) Leistungsdruck ohne einen singulären Auslöser gibt.

    Warum Trübsal blasen, wenn man auch Seifenblasen kann?

  • Ja, es gibt einen Leistungsdruck. Dieser muss nichts negatives sein - viele Menschen arbeiten erst unter Druck richtig gut. Oft ist er aber negativ.


    Ausgelöst wird er von verschiedenen Faktoren. Entscheidend ist aber m.E. der gesellschaftliche Umbruch, in dem wir stecken. Durch Digitalisierung und Industrie 4.0 fallen einfache Tätigkeiten i.W. weg.


    Politisch gewollt ist, dass alle Abitur (oder wenigstens Fachabitur) machen und dann mindestens Facharbeiter werden. Einfache Abschlüsse sind nichts mehr wert.


    Dadurch, dass nun alle Abi machen sollen, wird das Niveau an den Gymnasien aber niedriger - für viele aber nicht niedrig genug.


    Insgesamt also eine gesellschaftliche und politische Fehlentwicklung, bei der wir Lehrer zwischen den Stühlen stehen. Denn einerseits wollen wir natürlich ein gewisses Niveau erreichen - allein schon um der guten Schüler willen, die ja auch was lernen wollen und ein gutes Abi brauchen - , andererseits sollte man als Lehrer ja auch empathiefähig sein, mich lässt das Scheitern bemühter Schüler jedenfalls nicht kalt (das Scheitern der nicht-bemühten Schüler lässt mich auch nicht kalt, aber es ist einfacher, zu sagen: Du musst mehr arbeiten , als zu sagen: Du bist zu doof (hier bitte eine empathischere Formulierung Deiner Wahl einsetzen) ).


    Ich glaube jedenfalls nicht daran, dass jeder alles schaffen kann, wenn er sich nur Mühe gibt. In Informatik ist das besonders krass, in Mathe (was ja Pflichtfach ist) aber auch festzustellen.


    Eine Lösung habe ich nicht.

  • Ein weiteres Problem ist auch die fehlende Akzeptanz bzw unzureichende Honorierung der Tätigkeiten, die eben auch ohne Abitur zu machen sind.
    "Schuld" daran sind einerseits die Gesellschaft selbst, andererseits aber vor allem die Arbeitgeber, die ja ihre Kosten (der Begriff "human ressources" an sich ist ja schon eine Frechheit) immer weiter senken wollen.


    Einerseits werden immer mehr Jobs viel zu gering bezahlt, um davon leben zu können (wozu sonst gibt es staatliche Zuschüsse zum Leben), und dann wird sich auch noch beklagt, wenn diese Jobs niemanden interessieren (ach wieso denn wohl), und andererseits wird dann auch immer mehr automatisiert, was natürlich Arbeitsplätze in diesen Bereichen schlicht abschafft (eine roboterbetriebene Anlage kann eben von viel weniger Arbeitskräften bedient werden als irgendein "Fließband" mit menschlichen Arbeitskräften). Ach ja, hallo meine Generation, freut euch schonmal darauf, solltet ihr mal ins Pflegealter kommen - das werden dann Roboter erledigen (egal welche Partei bis dann das Sagen hat), denn die heben sich an euch keinen Bruch, nörgeln nicht, und sind auch von eurem Genöle nicht angenervt...


    Will man also dem Leistungsdruck entgegenwirken, müssen die Rahmenbedingungen geändert werden, sprich, die Industrie muss lernen, keine überkanditelten Ansprüche zu stellen, und auch "Deppen" zu entlohnen, denn so oder so müssen die ja finanziert werden. Und sollte nicht mal bald das Bürgergeld/BGE/wieimmermandasnennewill kommen, wird sich das von alleine nicht ändern.


    Also - "hausgemachtes" Problem.

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

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  • Ich habe die Sendung gestern auch teilweise verfolgt und stellenweise Schnappatmung bekommen.


    Als ich vor 20 Jahren Abitur gemacht habe, gab es ebenfalls Leistungsdruck. Dieser wurde aber eben als normal wahrgenommen und zur Schullaufbahn bzw. zum Leben dazugehörig. Das Leben ist kein Ponyhof und wird es nie sein, sofern man sich hier etwas aufbauen möchte. Während meiner Oberstufenphase gab es Todesfälle, finanzielle Schwierigkeiten, Liebeskummer, Scheidung der Eltern etc.; dennoch wurde ich deswegen nicht in Watte gepackt und vor allem hätte ich das auch nicht erwartet.


    Diese Erwartungshaltung ist etwas, das mich in meinem beruflichen Alltag extrem nervt. "Für die Klausur konnte ich nicht lernen, ich mache gerade meinen Führerschein"oder gar "Ich kann nicht zur 8/9 Stunde kommen, da habe ich eine Fahrstunde" (nicht Prüfung!).
    Parallel dazu habe ich gerade Klausuren liegen, bei denen der Fehlerindex über 12 liegt und sich die Schüler dann noch beschwerden, dass sie dafür (max. 2 in Hessen) Punkte abgezogen bekommen (Bis vor ein paar Jahren waren es 4 P ab einem FI über 8). Aufgaben mit Anforderungsbereich 2 bezeichnen sie bereits als "voll fies" und nahezu unlösbar. Klausuren, die ich vor 5 Jahren habe schreiben lassen, kann ich ohne sie wiederholen zu müssen, weil über die Hälfte negativ wäre, nicht mehr verwenden. Die Schnitte meiner Klausuren liegen mittlerweile um die 6 Punkte.


    In der FOS empfinde ich die Situation als noch gravierender. Ich kann keine Schulbücher verwenden, da der Inhalt der Texte von der Mehrheit der Schüler nicht mehr verstanden wird. Meiner persönlichen Einschätzung nach sind dieses Jahr in meinen FOS-Klassen max. 1/4 studierfähig.

  • So hart es klingt, aber anscheinend müsst ihr dann stärker selektieren und damit rechnen, dass ein signifikanter Teil eurer Schüler nicht den Abschluss machen wird. Aktuell merkt man einen Hype, dass viele Haupt- und Realschüler nicht direkt ins duale Ausbildungssystem wechseln wollen, sondern doch noch versuchen, das Abitur dranzuhängen und da muss man bei einigen schlichtweg sagen: "Schön, dass ihr es versucht habt, leistungstechnisch reicht es nicht aus. Macht lieber eine Ausbildung, absolviert die gut und werdet damit glücklich!". Man kann es leider nicht oft genug sagen: Es muss nicht jeder Abitur machen, es muss und soll auch nicht jeder studieren.

  • Erzähl das endlich den Arbeitgebern.
    Vorher wird der "Hype" nicht aufhören.
    Solange die selbst für "Idiotenjobs" Abiturienten wollen - na was denn? Wilst du lieber nen Haufen Arbeitsloser mit Hauptschulabschluss, die dann keiner will? Frag mal die Leute hier, die BVJ-ler betreuen. Das ist doch nur ein Aufbewahrungslager für Unfähige, damit sie aus der Statistik verschwinden, aber bezahlt wird dafür sowieso.
    Nur viele wollen das wohl nicht sehen.

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  • Diese Unfähigkeiten hast du aber so oder so im System, einen gewissen Prozentsatz davon wird es immer geben. Die Frage ist nur, ob man die mit einem Abiturabschluss herumlaufen lassen will. Davon würde unser Bildungssystem jetzt nicht so sehr profitieren, meiner Meinung nach...


    Im Übrigen gilt Angebot und Nachfrage. Wenn es nur genug Arbeitslose mit Hauptschulabschluss gibt, wird man sich wohl überlegen, ob ein guter Hauptschulabsolvent mit entsprechenden sozialen Fähigkeiten nicht auch für die Stelle geeignet ist. Die Diskussion hatten wir ja schon einmal und ich meinte dazu, dass die Unternehmen nicht geil auf das Abitur per se sind, sie wollen nur die besten Kandidaten zu ihren günstigsten Konditionen für die jeweiligen Stellen. Und wenn Hinz und Kunz irgendwann Abitur hätten, wäre das nicht mehr selektiv genug und man müsste zusätzlich noch einen Studienabschluss vorweisen, um doch noch irgendwie aus der Masse herauszustechen.

  • :rotfl:


    "wenn"?
    Die sind doch schon längst da.
    Mach doch endlich mal die Augen auf.
    Ich will bestimmt kein inflationäres Abitur. Und glaube mal, ich winke in meinen Fächern niemanden durch. Allerdings habe ich auch ohne "Augen zudrücken" idR keine defizitären Leistungen in meinen Oberstufenkursen. Mag an den Fächern liegen - meine SuS wollen. Das fehlt sicherlich in einigen anderen (vor allem Pflicht-)fächern. Mag am Fach selbst, an den Kollegen oder was auch immer liegen.


    Einen entsprechenden Cut würden wir wohl alle begrüßen - nur müssen dann alle Schulformen im Niveau steigen. Damit eine mittlere Reife wieder was wert ist, damit ein Hauptschulabschluss wieder für die Berufe reicht, für die er eigentlich gedacht ist.
    Und dann muss es wohl ein neues "Auffangbecken" geben für die, die dazu zu dumm sind, die derzeit die verbliebenen Hauptschulen zumüllen...


    Ach ja - komm nicht auf die Idee zu meinen, das sei ein "Migrantenproblem". Ein Großteil dieser Klientel ist besonders "deutsch", und meint, das berechtige sie zu etwas - daraus rekrutiert zB die AfD ihre Wähler. Denen ist nicht bewußt, als was sie vor ca 80 Jahren abgestempelt worden wären (kleiner Tip: Verblödet => geistig behindert => na, wo ist das damals geendet?). Die befürworten also aus lauter Dummheit etwas, was sie als allererstes auslöschen würde.


    Also?
    Vorschläge?

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  • Man muss sich schon fragen warum diese Schüler keine handwerkliche Ausbildung wollen obwohl es dort eine große Nachfrage gibt. Es ist doch auch ein Zeichen unseres durchlässigen beruflichen Bildungssystems, dass man selbst ohne Schulabschluss eine duale Berufsausbildung beginnen kann. Der erfolgreiche Abschluss wird dann dem Hauptschulabschluss gleichgestellt.


    Es ist mitnichten so, dass unser System keine Chancen bietet. Das ist die übliche Mär gewisser Gruppen.


    Aber warum bei Wind und Wetter auf der Baustelle oder um 2 Uhr morgens in der Backstube sein, wenn man es anders gemütlicher haben kann?


    Andererseits verstehe ich jeden Handwerker, der keinen Azubi einstellt, der z.B. nicht pünktlich ist.


    Letztlich haben wir immer einen gesellschaftlichen Bodensatz; nur im Schulsystem verschleiern wir den. Und ich kann nicht verstehen, wie und warum ich einem 17 Jährigen die grundlegenden gesellschaftlichen Anstandswerte vermitteln soll. Was hat das Schulsystem die letzten 10 Jahre getrieben? Was die Eltern?

  • ...Macht lieber eine Ausbildung, absolviert die gut und werdet damit glücklich!". Man kann es leider nicht oft genug sagen: Es muss nicht jeder Abitur machen, es muss und soll auch nicht jeder studieren.

    Finde ich etwas lockerflockig für jemanden, der selbst studiert hat. Du hast doch dein erstes Studium auch nicht geschafft. Hast du deswegen je auch nur in Erwägung gezogen, in eine Lehre zu gehen? Es werden doch Erzieher gesucht. Und in vielen anderen Branchen auch. Für Bau, Hotel, Handwerk, ÖPNV... bist du dir auch zu schade, oder?


    Zum Thema: ich hab nie Leistungsdruck empfunden, weil mir keiner welchen gemacht hat. Ich hatte mittelmäßige Noten und dafür aber auch wenig getan. Ich definiere "Leistungsdruck" nicht so, dass man viel lernen muss, sondern so, dass die Leistung als Persönlichkeitsmerkmal gesehen wird. Gute Noten: braves Kind. Schlechte Noten: minderwertiges Kind. Das lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen. Nicht erster geworden bei Jugend musiziert oder Leichtathletik? da hat dich der Papa nicht mehr lieb. Sowas gibt's aber hoffentlich nicht flächendeckend...

  • Och, wieso?
    Es scheint, als haben die schon mehr das System von Angebot und Nachfrage verstanden, als die, die sich insofern ausbeuten lassen, für weniger als die Grundversorgung zu "arbeiten", und das auch noch für toll halten...


    Ich kann jeden verstehen, der für solche "Löhne" nicht bereit ist, zu arbeiten. Und wer es tut - sorry, ist ganz schön blöd. Nimm mal den Gesundheits/Pflegesektor. Der hat ja nach eigenen Aussagen "massive Nachwuchssorgen". Ja warum denn wohl? Würdest du gerne für diesen "Lohn" (der nicht zum Leben reicht) so einen schlecht angesehenen Drecksjob machen, wo du mit gut 40 wahlweise körperlich oder psychisch (oder beides) am Ende bist, und dann gucken kannst wo du bleibst? Zumal - das muss man auch noch können - ich könnte es nicht. Ich sage mal, wer in Deutschland freiwillig einen Pflegeberuf ausübt, ist geisteskrank - das Helfersyndrom ist nämlich eine anerkannte Geisteskrankheit. Btw, meine Stiefschwester ist gelernte examinierte Krankenschwester. Hat sie in Deutschland gelernt, aber zum Arbeiten gings ab in die Schweiz, da wird dieser Beruf nämlich angemessen bezahlt. Und nicht unter solch katastrophalen Arbeitsbedingungen, und da lässt sie ihr Arbeitgeber mittlerweile nebenbei studieren. So etwas sind "Aussichten". Zeig mir die mal in Deutschland.
    Und das gilt analog für diverse weitere Berufe. Es muss mal in den Köpfen der Arbeitgeber ankommen, wie Bezahlung auszusehen hat. Was "anstrengend" und "unangenehm" ist, kostet eben mehr. Die Kohlekumpel hier im Ruhrpott haben schließlich für die anstrengende Maloche relativ "viel" bekommen, hätte sonst doch keiner gemacht. Wieso soll also ein "Sesselpupser", der nur irgendwelchen Schreibtischkram macht, mehr bekommen, als einer, der wirklich ackert?
    Da wollen die nicht mitmachen. Und das finde ich gut so.
    Man bedenke mal die Auskunft der Bundesrentenanstalt, wieviel man verdienen müsse, um als Rentner nicht auf staatliche Zuschüsse zur Grundversorgung angewiesen zu sein - der ausgewisene Betrag lag bei knapp 13 € Stundenlohn. Wie kommen also irgendwelche "Experten" auf einen angemessenen Mindestlohn von unter 9 €? Egal wofür - das ist lächerlich. MMn sollten "Arbeitgeber", die "Jobs" anbieten, wo man brutto weniger hat als man netto braucht, allein für dieses "Angebot" mal einen Knast von innen sehen...


    Wie erwähnt... ohne BGE o.ä. wird das nix mehr. Das wird höchstens noch schlimmer.

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  • ...Aber warum bei Wind und Wetter auf der Baustelle oder um 2 Uhr morgens in der Backstube sein, wenn man es anders gemütlicher haben kann?...

    Jepp, alles was wir für uns auch in Anspruch nehmen wollen.


    Das ärgerliche ist doch aber vor allem die Ausbeutung vieler Arbeitnehmer, die wie Sklaven behandelt werden. Z.B. weil Firmen im Ausland angesiedelt sind und das jeweils schlechtere Recht angewendet wird. Oder die Maßnahmen die Firmen anwenden, um Mindestlohn zu umgehen. Leute, die Zweitjobs ausüben müssen... lauter Perversionen unseres Wirtschaftssystems.


    Handwerksbetriebe im Schwobeländle wo der Vadder noch den Sohn einlernt und alle Zweitautos leasen und an Pfingsten nach Spanien fliegen das ist doch nicht die Realität der Durchschnittsfamilie. Logisch und löblich, dass viele erstmal versuchen, den höchsten Bildungsabschluss zu bekommen.


    Ach, es gab mal eine Partei, die sich Lösungen für solche Probleme ausgedacht hat :traenen:

  • Ein guter Handwerker darf aber auch nicht doof sein. Ein Handwerker ist was ganz anderes als eine ungelernte Hilfskraft (von denen es früher viel merh gab).


    Die Alternative "Lehre statt Abi" im handwerklichen Beruf ist was für Leute, die zwar clever sind, aber z. B. mit Fremdsprachen, kompliziertem Geschwafel allgemein und sehr abstrakten Dingen nichts am Hut haben - typischer Oberstufenstoff. Das ist aber definitiv keine Alternative einfach für jeden, der Probleme in der Schule hat. Oder, um es mal anders zu sagen: Bei den Leuten, die z.B. in meinem Matheunterricht gar nichts raffen, würde ich es auch nicht begrüßen, wenn die dann später mein Haus bauen.


    Ein guter Handwerker wird, nebenbei bemerkt, am Ende auch nicht schlecht verdienen. Wenn er Karriere macht ggf. sogar besser als manch Akademiker.

  • Lehrjahre sind nun einmal keine Herrenjahre. Das einige Ausbilder eine Katastrophe sind, ist nicht von der Hand zu weisen.
    Aber junge Menschen, die mit 18 Jahren noch keinen Schulabschluss haben, sollten die Möglichkeit nutzen die sich ihnen bieten. Ob man als Handwerker oder Pfleger dann woanders hinzieht wo man mehr verdient, ist dann auch eine Belohnung. Man verfügt über etwas, dass einem ein Wahlrecht ermöglicht.


    Aber soweit denken die meisten nicht.

  • du übersiehst da mindestens zwei Punkte, @Yummi:


    - früher waren Azubis jünger und lebten noch zu Hause. Diese Situation entspricht nicht mehr der Realität. Dieser Realität hat sich aber die "Ausbildungsvergütung" nicht einmal annäherend angepasst.


    - Die Sache mit der Übernahme. Nicht jeder will eben auswandern, je nachdem wie man sozial vernetzt ist durchaus verständlich. Natürlich will man eine attraktive Jobaussicht. Ist die nicht gegeben, ist die Ausbildung wieder unattraktiver. Ganz ehrlich - das hatten wir hier schon mal, an anderer Stelle - ich empfehle potentiellen Azubis, die hier am Gymnasium einen Abschluss machen (also potenteille Studenten), die mich fragen, auf was sie bei Ausbildungsangeboten achten sollen, eine Übernahmegarantie in den Vertrag zu setzen. Wenn ein AG schon unbedingt Abiturienten will, soll er dafür auch seinerseits was leisten - es ist ein Unding, wie oft Azubis als "billige Arbeitskräfte" ausgenutzt werden, und dann kommt eben der nächste.


    Wo sich dringend etwas ändern muss, sollte eigentlich mal klar sein. Wer das immer noch nicht versteht, wählt offenbar irgendetwas rechts von der SPD und ist nicht an einer friedlichen Lösung eines immer größer werdenden Problems interessiert.

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
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  • Ein guter Handwerker wird, nebenbei bemerkt, am Ende auch nicht schlecht verdienen. Wenn er Karriere macht ggf. sogar besser als manch Akademiker.

    Sehe ich auch so. Man macht es sich zu einfach, wenn man denkt, dass man mit Lehre automatisch dazu verdammt ist, sein Leben lang am finanziellen Minimum zu verharren, und durch ein Studium automatisch in Ruhm und Reichtum schwimmt. Dafür gibt es zuviele Klischeegermanisten und -philosophen, die mit ihrem Gehalt mehr schlecht als recht über die Runden kommen. Vielmehr kommt es darauf an, was man aus seinem Potential macht und man kann aus wenig viel machen und viel hoffnungslos verschwenden.


    @Krabappel: Der Vergleich hinkt etwas, da ich ein sehr gutes Abitur machte und auch in meiner Schulzeit auch eher der Theoretiker war. Leute mit ähnlichem Hintergrund sollen auch ruhig das Abitur machen und studieren. Es geht eher um Leute, die in der Schule eher mittelprächtige Leistungen zeigen und im Grunde selbst wissen, dass sie nicht so die hellsten Kerzen auf dem Kuchen sind... In meinem ersten Praktikum war ich übrigens im Kindergarten und konnte daher das Berufsbild "Erzieher" kennenlernen. Für mich wäre es langfristig nichts, da mir die Zielgruppe dann doch etwas zu jung und die Tätigkeit insgesamt etwas zu anspruchslos wäre.


    @MissJones: Wir sind sicherlich einer Meinung, wenn es darum geht, dass jeder von einer Vollzeittätigkeit seinen Alltag gut und ohne die Abhängigkeit von staatlichen Hilfsleistungen bestreiten können sollte. In Deutschland ist es halt so, dass körperliche Tätigkeiten geringer bezahlt werden als stärker geistig fordernde Tätigkeiten bzw. solche mit Personal- und Managementverantwortung. Der Grund ist, dass theoretisch jeder ohne körperliche Gebrechlichkeiten als Baustellenarbeiter arbeiten kann, als Anwalt aber eine circa 6-7-jährige anspruchsvolle Ausbildung (Studium + Referendariat) benötigt wird. Wenn aber der Baustellenarbeiter mehr Geld möchte, müsste man alle anderen Gehälter gleichermaßen erhöhen, sodass der pay gap erhalten bleibt. Und dann würde wiederum der Haarschnitt beim Friseur, das Schnitzel im Restaurant oder der Heimplatz von Oma Erika teurer werden. Am Ende hätte jeder mehr Geld und müsste insgesamt mehr Ausgaben tätigen, was auch blöd wäre. Aktuell muss man sagen, dass es auch Jobs für Krabappels Schüler gibt, aber das sind eben Jobs, die geistig wenig fordernd und entsprechend auch nicht so prestigeträchtig = gering bezahlt werden. Da muss man eben sagen, dass gerade diese Art von Schülern eben nicht wählerisch sein kann, sondern froh sein dürfen, dass sie mit ihren Fähigkeiten dennoch einen Beitrag zur Gesellschaft leisten können. Ich bin bekannterweise gegen BGE, da es die falschen Leute zur Faulheit verführt. Dadurch schafft man keine Anreize, die Leute in Arbeit zu bringen...

  • @Miss Jones
    Warum soll der Ausbilder mehr zahlen, damit Azubis nicht mehr daheim wohnen müssen? Ich wüsste nicht was dies den Ausbilder angeht.


    Und deine Verteidigung der SPD: Es ist gerade diese ehemalige Arbeiterpartei die die Stellung ihrer Kernklientel geopfert hat. Warum soll man denen noch irgendetwas glauben?
    Und mit ihren Sonderausnahmen für den Familiennachzug hat die SPD wieder einmal gezeigt, wie weltfremd ihre Politik ist.

  • Mit dem BGE könnte man es sich aber leisten, in einem Beruf zu arbeiten, den man leidenschaftlich machen möchte, der davor aber nie infrage gekommen wäre, da man dort zu wenig verdient.
    Ich kenne beispielsweise einige Studenten, die - warum auch immer - gerne LKW-Fahrer werden wollen würden.

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