Darf eigentlich jeder unterrichten?

  • Der Lehramtsstudent steigt dann aber wegen Lehrerschwemme auch nicht ins Lehramt ein. Zudem hat er sich durch sein Studium den Weg in die "freie Wirtschaft" praktisch verbaut. Das hat Mikael ja schon beleuchtet.
    In den 1980ern und 90ern war es sogar mal so extrem, daß man wegen der Lehrerschwemme den Lehramtsstudenten nach dem 1. StaEx das Ref. und das 2. StaEx verweigert hat. Als Lehramtler bist halt wirklich komplett dem Staat ausgeliefert.

    Ich stimme Dir da vollkommen zu: Das ist ein ungutes System, aber so ist es derzeit nun mal. Wer es ändern will, sollte in die Politik gehen.

  • Das Lehramtsstudium macht unter dem Aspekt der persönlichen Optimierung der Berufschancen nur dann Sinn, wenn man einen ausgeglichenen Lehrerarbeitsmarkt erwartet, also weder Lehrerschwemme noch Lehrermangel erwartet, wie ich schon dargelegt habe. Letztendlich muss jeder selbst entscheiden, ob er der Bildungs- und Finanzpolitik (und die entscheidet letztendlich und nicht irgendwelche pädagogischen Wunschträume) zutraut, für einen ausgeglichenen Lehrerarbeitsmarkt, also eine vorausschauende Einstellungspolitik, zu sorgen. Anhand der Zustände in den letzten Jahrzehnten habe ich da meine starken Zweifel...


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Diejenigen, denen komplett egal ist, wie die intellektuelle (bzw. allgemeine) Zukunft Deutschlands aussieht und die sich nur um ihr persönliches Prestige kümmern: kurzsichtige Sesselpupser und Politiker.


    Das Lehramt gehört reformiert, scheint sich aber keiner do richtig rantrauen zu wollen :(

    Ich stelle mal die Gegenthese auf und behaupte, dass die Dinge, die uns allen hier mißfallen, keine Betriebsunfälle sind, sondern dem Interesse derer entspricht, die es so gestaltet haben.
    Dieses Interesse hat als Grundlage seiner Reformen sicher kein Humboldtsches Bildungsideal, sondern die Anpassung an die derzeitige Produktionsweise.

  • Ich stelle mal die Gegenthese auf und behaupte, dass die Dinge, die uns allen hier mißfallen, keine Betriebsunfälle sind, sondern dem Interesse derer entspricht, die es so gestaltet haben.Dieses Interesse hat als Grundlage seiner Reformen sicher kein Humboldtsches Bildungsideal, sondern die Anpassung an die derzeitige Produktionsweise.

    Die Vorstellung, dass Regierungen die Umstände gestalten anstatt ihnen hilflos hinterher zu laufen, ist naiv.

  • Die Vorstellung, dass Regierungen die Umstände gestalten anstatt ihnen hilflos hinterher zu laufen, ist naiv.

    Ich weiß nicht, ob wir nicht aneinander vorbei reden. Kannst Du das ein bisschen ausführen?


    (Ich habe das anders formuliert, aber in meinem Beitrag läuft gewissermaßen - angelehnt an Deine Formulierung - eine Regierung auch Umständen hinterher, nämlich denen der sich ändernden kapitalistischen Produktionsweise.)

  • In der Stuttgarter Zeitung gab's mal wieder einen Artikel zum Thema Lehrermangel.
    Facebook-Kommentare einer nicht-Lehrerin:


    "Naja wenn man vorgelebt bekommt, dass jeder "Idiot " einfach so unterrichten kann - warum soll ich dann noch studieren? Was ist mein Job noch wert? Ich kann bei sowas immer wieder nur den Kopf schütteln..."


    " Ich kann das nicht nachvollziehen, dass es möglich ist, dass Eltern oder andere ungelernte Personen an Schulen einfach so arbeiten dürfen . Man stelle sich vor, ich würde ungelernt die Arbeit der Polizei, des finanzamtes usw. machen. In diesem Zuge Frage ich mich immer: wie viel sind uns unsere Kinder wert? Will ich wirklich jede Person als ungelernte Hilfskraft, die Einfluss auf mein Kind hat? Kann man beispielsweise den Schriftspracherwerb auch ungelernt vermitteln? Hinzu kommt die Abwertung des Berufs - warum studieren, wenn ich es auch so unterrichten kann? Kann ja jeder. Kinderleicht. Warum gehen die Eltern nicht auf die Barrikaden?"


    Ich poste das zum einen weil ich die Gedanken von nicht-Lehrern dazu interessant finde - im Stimmungsbild scheint angesichts des Lehrermangels eine Verändung statt zu finden, weg von den "faulen Säcken" - zum anderen weil ich mich hier ja schon mal gefragt hatte, ob nach dem Thema "Lehrermangel" auch "mangelnde Qualifikation" zum Thema in den Medien werden wird.
    Werden irgendwann die ersten Eltern auskunft darüber verlangen, wie viele Lehrer ihrer Kinder überhaupt "richtige" Lehrer sind?

  • ...
    Werden irgendwann die ersten Eltern auskunft darüber verlangen, wie viele Lehrer ihrer Kinder überhaupt "richtige" Lehrer sind?

    Danke, genau das wollte ich auch wissen.

  • Eltern durchschauen das nicht wirklich.


    Wir hatten für einige Zeit einen Vertretungslehrer/in, mit nur 1. Staatsexamen. Vorsichtig gesagt, der Unterricht war eine Katastrophe. Bilder malen, ständig Spielzeit machen, draußen spielen etc.. Bildungspläne in Kunst, Darstellendem Spiel oder Sport wurden gar nicht erfüllt.


    Als er/sie ging waren die Eltern sehr traurig. Die Kinder hätten ihn/sie ja so gemocht. Ja, was soll man da sagen...

  • Eltern durchschauen das nicht wirklich.

    Die Presse aber auch nicht. Im TV nölen sie gerade wieder rum wieviel Unterricht krankheitsbedingt wohl wieder ausfallen wird. Das der mit Abstand überwiegende Teil des Unterrichts bei uns ausfällt, weil er gleich vorab per Rasenmähermethode aus den Stundenplänen rausgekürzt wird, sieht niemand.

  • 50 shades of Lehrermangel:


    Hauptsächlich geht es beim Thema darum, dass es nicht genügend Bewerber gibt.
    Teilweise auch darum, dass es Bewerber gibt, die aber keine richtige Stelle bekommen oder trotz Personalmangel gar nicht eingestellt werden.
    Hier ist so ein Fall:
    Jmd. den ich kenne hat mit 1. Examen, aber vor (!) dem Ref. als Aushilfslehrer gearbeitet hat, weil das RP sonst niemand gefunden hat.
    Nachdem die Person das Ref. mit guten Noten abgeschlossen hat, hat sie jetzt im ganzen Bundesland keine Stelle bekommen.
    Vor dem Ref. als billige Aushilfskraft gut genug auch für Prüfungsklassen und dringenst gebraucht - nach dem Ref.: kein Bedarf, nirgendwo.


    Das ist natürlich nur ein Einzelfall, aber die Fälle, in denen man sich fragt "Wie kann das eigentlich sein?" häufen sich.


    Vielleicht ist aus der Not - unqualifizierter aber billiger Lehrer-Ersatz - mittlerweile eine Tugend geworden. Man denke an die Begeisterung von Kultusministern über Quereinsteiger, was da doch für tolle Typen dabei seien usw.
    So würde Lehrermangel zum Alibi für noch weitere Einsparmaßnahmen.

  • Geht aber leider total vielen so. Habe das auch 1,5 Schuljahre lang mitmachen dürfen trotz 1,2 Examen

    In NRW? Hast du dich 1,5 Jahre lang nur auf ein Edelgymnasium in Düsseldorf oder Köln beworben? Oder ist das schon viele Jahre her? Aktuell kann ich mir das sehr schwer vorstellen.


    Zum eigentlichen Thema: Zu Beginn meiner festen Stelle hatte ich auch das Vergnügen ein paar Stunden "Team Teaching" mit einem Vertretungslehrer in Mathe zu machen. Ohne jegliche Lehramtsausbildung oder ein Mathestudium. Es war fachlich schon problematisch, was ich da gesehen habe und absolut uninspirierter Unterricht ohne Struktur, wo keiner verstehen konnte, wieso manche Verfahren überhaupt gebraucht werden. Ich meine jetzt nicht "wofür brauchen wir das im Alltag", sondern innermathematisch. Man hat gemerkt, dass ihm der größere Zusammenhang fehlte.

  • Geht aber leider total vielen so. Habe das auch 1,5 Schuljahre lang mitmachen dürfen trotz 1,2 Examen

    Ich war nach meinem Ref. auch erst einmal 1,5 Jahre auf Hartz 4 in NRW, obwohl ich mich auf alle Stellen in Ganz NRW beworben habe. Also das NRW in den MINT-Fächern einen Bewerber-Mangel haben soll, braucht mir keiner zu erzählen. Diesen Mangel gibt es nicht.

  • Ich war nach meinem Ref. auch erst einmal 1,5 Jahre auf Hartz 4 in NRW, obwohl ich mich auf alle Stellen in Ganz NRW beworben habe. Also das NRW in den MINT-Fächern einen Bewerber-Mangel haben soll, braucht mir keiner zu erzählen. Diesen Mangel gibt es nicht.


    Warum jmd. neu als richtigen Lehrer anstellen oder womöglich sogar verbeamten, wenn es doch Übergangslösungen gibt, die das Land so viel billiger kommen?

  • In NRW? Hast du dich 1,5 Jahre lang nur auf ein Edelgymnasium in Düsseldorf oder Köln beworben? Oder ist das schon viele Jahre her? Aktuell kann ich mir das sehr schwer vorstellen.

    Du weißt schon, dass es in den Jahren der G8/9 Umstellung in Kombination mit Verkürzung des Refs. extrem schwer war ne Stelle zu finden, oder? Ich hatte teilweise auf Stellen fast 200 Mitbewerber.

  • Warum jmd. neu als richtigen Lehrer anstellen oder womöglich sogar verbeamten, wenn es doch Übergangslösungen gibt, die das Land so viel billiger kommen?

    Ja, aus der Wirtschaft kenne ich das auch so. Warum eine Person fertig einstellen, wenn man auch Praktikanten (Studenten auf Pflicht-Praktium, motiviert da Traum von Übernahme) bekommen kann, die wirklich für umsonst arbeiten? Klar kann ein Praktikant nicht mit einer festeingestellten Kraft mithalten, aber 10 Praktikanten schaffen dann doch schon gewaltig was weg. Büroarbeitsplätze kosten nichts und am Ende des 6-monatigen Praktikums lernen die alten Praktikanten dann noch ihre Nachfolger an.


    Sagt mal, warum verlängert man nicht einfach die Pflichtpraktika der Studenten auf 2 Jahre oder so? Dann braucht man gar keinen mehr einzustellen und zu bezahlen. :teufel:

  • Eltern durchschauen das nicht wirklich.


    Wir hatten für einige Zeit einen Vertretungslehrer/in, mit nur 1. Staatsexamen. Vorsichtig gesagt, der Unterricht war eine Katastrophe. Bilder malen, ständig Spielzeit machen, draußen spielen etc.. Bildungspläne in Kunst, Darstellendem Spiel oder Sport wurden gar nicht erfüllt.


    Als er/sie ging waren die Eltern sehr traurig. Die Kinder hätten ihn/sie ja so gemocht. Ja, was soll man da sagen...

    Das geht aber nur so lange gut, bis die Schüler Abschlussprüfungen o.ä. schreiben müssen. Dann heißt es auf einmal "Bei dem haben sie ja nie was gelernt, wie konnte die Schule das nur zulassen ... ". :sterne:

    Gerade in Elternzeit, deshalb fast nur stille Mitleserin :essen:

  • Das geht aber nur so lange gut, bis die Schüler Abschlussprüfungen o.ä. schreiben müssen. Dann heißt es auf einmal "Bei dem haben sie ja nie was gelernt, wie konnte die Schule das nur zulassen ... ". :sterne:

    Ich sehe da gar kein Problem.
    Die Kultusministerin hat „vollstes Vertrauen in die Lehrkräfte, dass sie ihren Ermessenspielraum bei der Korrektur verantwortungsvoll und ausgewogen ausschöpfen werden".
    Dass immer die gleichen Noten rauskommen ist ja weder Zufall noch Zauberei - und wo die Noten nicht gleich bleiben, werden sie besser und nicht schlechter.

  • Du weißt schon, dass es in den Jahren der G8/9 Umstellung in Kombination mit Verkürzung des Refs. extrem schwer war ne Stelle zu finden, oder? Ich hatte teilweise auf Stellen fast 200 Mitbewerber.

    Welche Fächer hast du denn, wenn ich Fragen darf?

    "If you never try, then you'll never know" - Coldplay

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