Umgang mit den eigenen Gefühlen/der eigenen Unzulänglichkeit

  • Hallo zusammen


    Ich bin in einem 1. Berufsjahr, das in 3 Wochen auch schon zu Ende geht. So schnell verging das Jahr. Ich habe vieles dazu gelernt, einiges ausprobiert, bin gescheitert und habe Erfolg gefeiert. Und doch irgendwie bleibt auch ein Gefühl zurück, ob ich alles richtig gemacht habe. Habe ich die Kinder genügend gefördert? Bis Weihnachten habe ich sehr stark an den Sozialkompetenzen der Kinder gearbeitet. Das ergab sich so, weil ich 2 Jungen habe, die sehr gewalttätig und dominant sind/waren. Das hat sich stark gebessert. Da ist mir bewusst, dass ich sehr viel geleistet habe. (Seit Weihnachten fliegen keine Stühle mehr und es werden keine Messer mehr mitgebracht).


    Und doch zum Ende des Schuljahres merke ich, dass es immer 1 bis 2 Kinder gibt, die gewissen Dinge immer noch nicht können oder Mühe haben. Hätte ich da mehr tun müssen? Oder ist es normal, dass es immer welch gibt, die die Ziele nicht zu 100% erfüllen.


    Ich hätte gefühlt noch soviel tun können, dieses und jenes erarbeiten. Und doch hat da dann oft die Zeit gefehlt, weil noch vieles anderes dazu kam. Und je näher das Ende kommt, desto mehr beschäftigt es mich.


    Kennt jemand von euch diese Gefühle? Wie geht ihr damit um?


    liebe Grüsse


    Monika

  • Vielleicht denkt man nach dem ersten Jahr so, aber mit der Zeit kommt man doch eher auf den Boden der Tatsachen.
    Man hat Kinder vor sich, die funktionieren nie, wie man es gerne hätte.


    Ich sehe es so:
    Man freut sich, wenn man sieht, dass man etwas bewirkt hat.
    Bei manchen kommt man eben nur kleine Schritte voran.
    Es gibt sogar auch manchmal Rückschritte oder das Wiederauftauchen derselben Probleme im anderen Gewand.
    Manchmal machen die Kids Entwicklungssprünge ohne dass man da etwas sichtbar beeinflusst hat.
    Das ist das Los einer Lehrkraft.
    Ich gehe von dem aus, was die Schüler mitbringen und schaue, was man daraus entwickeln kann (Verhalten, Lernvermögen). Das ergibt sich von alleine. Die Förderpläne habe ich im Hinterkopf, aber die Zielerreichung sollte mich nicht knechten.


    Wenn Kinder weitergehen, wo viele Dinge nicht so passen, denke ich, jetzt muss der Nächste sein Glück versuchen, ich habe das getan, was ich unter den gegebenen Umständen konnte.
    Auch die schwierigen Fälle hake ich spätestens mit den Sommerferien ab. Es ist gut, dass die Sommerferien so lang sind, da kann man abschalten und abhaken.
    Ich versuche allerdings - und das mache ich das ganze laufende Schuljahr - aus den schwierigen Fällen zu lernen und bei ähnlichen andere Strategien anzuwenden, falls ich Alternativen finde.

  • Kenne ich auch aus meinen ersten Berufsjahren. Mittlerweile reflektiere ich in ruhigen Momenten in den Sommerferien schon mal das vergangene Schuljahr und setze mir Ziele für das nächste. Aber ganz nüchtern, (hoffentlich) realistisch und ohne in Selbstzweifel zu zerfließen.
    Führst du Evaluation durch Schüler durch. Fand ich gerade in den ersten Berufsjahren sehr wichtig. Daraus ergaben sich auch Ziele fürs nächste Schuljahr (max. 2 bis 3).

  • Manchmal hilft es, sich die Mechanismen des Paretoprinzips noch einmal vor Augen zu halten um zu merken, wieviel Energie man aufwenden müsste, um bei den erwähnten wenigen Schülern ebenso erfolgreich zu sein wie bei den anderen.


    Ansonsten ist partielles Scheitern, sofern man es als solches unbedingt begreifen möchte, in der Tat Teil unseres Berufs. Es werden nicht immer alle Schüler den optimalen Lernerfolg haben. Das ist ein Faktum und von uns als Einzelperson und oft -kämpfer nicht veränderbar. Damit müssen wir leben.
    Möglicherweise lernt mein Lieschen Müller kein Englisch bei mir, entwickelt sich dafür aber zu einer rhetorisch gewandten, schlagfertigen Persönlichkeit ob meines hier von Lieschen so empfundenen Persönlichkeitsvorbildes.
    Möglicherweise lernt Hänschen Schmidt bei mir perfektes Englisch, entwickelt sich aber charakterlich zu einem arroganten Vollpfosten.
    Möglicherweise lernt einer von beiden oder lernen beide in beiden Bereichen oder in keinem von beiden Bereichen etwas dazu.


    Es gibt unzählige Faktoren, die das beeinflussen und die außerhalb meines Einflusses liegen. Darüber könnte ich mich grämen, aber ich könnte es doch nicht ändern. Dann finde ich mich doch lieber damit ab und freue mich an den 80% der SchülerInnen, die etwas aus meinem Unterricht mitnehmen.

    Gruß
    #TheRealBolzbold

    Ceterum censeo factionem AfD non esse eligendam.

  • Und doch zum Ende des Schuljahres merke ich, dass es immer 1 bis 2 Kinder gibt, die gewissen Dinge immer noch nicht können oder Mühe haben. Hätte ich da mehr tun müssen? Oder ist es normal, dass es immer welch gibt, die die Ziele nicht zu 100% erfüllen.

    Das ist absolut normal!!! Du arbeitest mit Menschen und nicht mit vorgefertigten Tonklumpen, die du beliebig formen kannst. Das ist eine sehr vielschichtige Aufgabe und du kannst nichts erzwingen. Die Kinder sind soooo unterschiedlich (je jünger sie sind, desto deutlicher sieht man das). Die werden nie zu irgendeinem Zeitpunkt auf demselben Stand sein.
    Ich habe das hier im Forum zwar irgendwo schonmal geschrieben, wiederhole es aber immer wieder gerne, weil ich es sehr wahr finde (und es mir immer wieder hilft, wenn ich selbst am Hadern bin): "Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!" (wässern und düngen kann aber helfen...).


    Falls es dich tröstet: selbst jetzt noch (nach nun auch schon mehr als 10 Jahren) und regelmäßig immer wieder zum Ende des Schuljahres, vor allem dann, wenn man sie abgibt habe ich ähnliche Gedanken (... man schafft nie alles was man sich vorgenommen hat). Aber ich kann das mittlerweile recht gut relativieren. Ich überlege dann immer, was von dem was ich alles getan habe, hätte ich weglassen können um mehr Zeit für das zu haben, was ich nicht geschafft habe. Und Fakt ist: mir fällt nichts ein. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass wir die Zeit genutzt haben. Die Dinge die wir getan haben, waren gut und sinnvoll. Gerade die Dinge die vielleicht nicht explizit im Lehrplan stehen und die andere Kollegen so nicht machen, waren die, die für mich und die Kinder am bedeutsamsten waren. Für die ich mich bewusst entschieden habe und ohne die ich mir meinen Unterricht nicht vorstellen kann. Andere Lehrer machen dafür andere Dinge, die mit Sicherheit genauso sinnvoll sind. (Es lebe die Vielfalt!!!!)


    Was dann aber meiner Meinung nach einen "guten" Lehrer ausmacht ist darüber sachlich zu reflektieren und es für den nächsten Durchlauf weiter zu entwickeln. Man kann und sollte ruhig selbstkritisch sein, aber bitte ohne Selbstvorwürfe!

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Ich sehe es so:
    Man freut sich, wenn man sieht, dass man etwas bewirkt hat.
    Bei manchen kommt man eben nur kleine Schritte voran.

    Ja es gab immer wieder Momenten gerade in den letzten Wochen, da stand ich einfach nur da und hab gestaunt, was die doch schon alles können.


    Es ist mir klar, dass Kinder keine Maschinen sind und einfach funktionieren. Das ist auch gut so. In diesem 1. Jahr habe ich hauptsächhlich in den Bereichen gearbeitet, wo ich das Gefühl hatte, da sind Defizite da. Das fand ich aber auch das spannend. Sich einfach darauf einlassen, was gerade nötig ist.


    im August kommt durch einen internen Wechsel eine ganz neue Kindergruppe mit nochmals anderen Bedürfnissen.


    @Frechdachs
    eine Evaluation wäre vielleicht etwas, aber nicht mehr dieses Schuljahr. Das ligt an der Stufe, ich unterrichte im Kindergarten mit 4-6 jährigen. Da müsste ich zuerst etwas geeignetes zur Evaluation suchen. Ich weiss, dass praktisch alle Kindr mich mögen und auf der Stufe machen sie sehr vieles der Lehrperson zu liebe. Ziele fürs neue Schuljahr habe ich für mich. Es gibt Dinge, die ich anders machen möchte und machen werden.


    Auf jeden Fall tut es gut zu hören, dass ich mit meinen Gedanken doch nicht alleine bin.

  • Wenn ich manchmal nach paar Wochen (oder gar nach Ferien) sehe, wie wenig bei einigen hängen geblieben ist aus meinem Unterricht, ist das schon ziemlich deprimierend, wenn man dein Eindruck hat sich wirklich viel Mühe gegeben zu haben.


    Aber das ist normal und ich erlebe es bei erfahrenen Kollegen genauso. Man tut was man kann, aber retten kann man nicht alle.


  • Und doch zum Ende des Schuljahres merke ich, dass es immer 1 bis 2 Kinder gibt, die gewissen Dinge immer noch nicht können oder Mühe haben. Hätte ich da mehr tun müssen? Oder ist es normal, dass es immer welch gibt, die die Ziele nicht zu 100% erfüllen.

    Verstehe ich das richtig, dass du überlegst, ob du frustriert sein musst, weil du nicht zu 100% erreicht hast, dass die Kinder nicht zu 100% erreicht haben, was du erwartet hast, was sie erreichen müssten?


    Manchmal glaube ich, diese ganze Zielorientierung unserer Gesellschaft macht uns kaputt. Mal so als Gegenvorschlag: nimm dir mal Zeit und überlege, wie die Gruppe (oder Kinder) jetzt aktuell und komplett rundum so sind. Nicht werten, nur feststellen. Und wie du dich damit jetzt gerade fühlst (nicht werten, nur feststellen).


    Ihr habt ein Kindergartenjahr zusammen verbracht. Den Rest der Zeit sind die Kinder in ihren Familien und werden nebenbei immer mehr zu den Menschen, die sie mal werden. Diese Zeit teilen wir mit ihnen und geben weiter, was wir für richtig erachten. Nicht mehr und nicht weniger :)

  • Verstehe ich das richtig, dass du überlegst, ob du frustriert sein musst, weil du nicht zu 100% erreicht hast, dass die Kinder nicht zu 100% erreicht haben, was du erwartet hast, was sie erreichen müssten?

    nein ich überlege nicht, ob ich frustriert sein muss. Ich hab gute Arbeit geleistet. Nur ist da eine leise Stimme, die manchmal sagt, das wäre noch möglich gewesen oder das hätte man noch machen können.


    Und die Klasse ist mittlerweile an einem ganz anderen Punkt als noch im August 2017.

  • Oder ist es normal, dass es immer welch gibt, die die Ziele nicht zu 100% erfüllen.

    Das ist normal. Und man sollte als Lehrer im Beruf sehr schnell den Anspruch ablegen, dass man das Plansoll von 100% nicht nur erfüllt sondern sogar übererfüllt! Das ist nämlich unerfüllbarer Größenwahn, aus dem nur Frustration und Enttäuschungen erwachsen können. Bolzbolds Hinweis auf das Paretoprinzip ist sehr wichtig - das kann man Junglehrern nur empfehlen. (Und den Typen, die im Referendariat und so von den "120%" reden, die man jetzt geben solle, sollte man in den Hintern treten.)


    Mach deinen Job gewissenhaft aber sieh zu, dass deine Lebensprioritäten woanders an der Schule liegen. Du bist Profi, du arbeitest für Geld.

  • Hallo Monika!


    Du schreibst von deinen Gefühlen. Vielleicht schwingt auch etwas mit, das ich nach vielen Jahren Schuldienst immer noch kenne, was am Anfang aber besonders stark war. Du verabschiedest deine allererste Klasse, hast dich mit Haut und Haar hineingegeben in deine Arbeit. Vielleicht trauerst du einfach ein bisschen, ahnst, dass die zu erwartende Wertschätzung, sollte sie überhaupt geäußert werden (das ist oft nicht der Fall, im Gegenteil gibt es insbesondere auch am Schuljahresende ab und an unschöne Erlebnisse) deinen äußerlich und innerlich großen Einsatz nicht wirklich wiederspiegeln wird. Vielleicht wirst du auch zunehmend müde und gestresst, genau wie alle anderen, was es auch nicht leichter macht. Da können alle möglichen unnötigen Gedanken und Gefühle hochkommen. Damit muss man echt umgehen lernen.


    Feiere dich und deine Arbeit, sonst passiert das nämlich nicht. Nimm dir ein, zwei Stunden Zeit, deine Sachen durchzugehen, freue dich dran, schmecke deine Erfolge nochmal nach. Es hat sich gezeigt, dass du eine gute Lehrerin bist, überlege dir woran. Lobe dich selbst! Verabschiede dich bewusst von den Kindern, finde dafür Formen. Dann räumst du in Ruhe deinen Kram auf und lässt alles mal sacken. Was du besser machen kannst, fällt dir beim nächsten Mal mit Abstand und neuer Kraft fast von alleine ein.


    In unserem sehr fordernden Beruf, in dem ständig unerfüllbare und widersprüchliche Anforderungen von den verschiedensten Seiten auf uns einprasseln und den wir weitgehend auf uns allein gestellt ausüben, sind wir auch für uns selbst mehr oder weniger allein verantwortlich. Nachdenklich, auch durchaus sehr selbstkritisch zu sein, gehört zum Geschäft. Aber jetzt ist dazu nicht der beste Zeitpunkt.


    Genieße die letzten drei Wochen! Jetzt fährst du die Ernte ein! Du hast das erste Jahr prima gemeistert, freue dich und sei stolz!


  • Du verabschiedest deine allererste Klasse, hast dich mit Haut und Haar hineingegeben in deine Arbeit.

    Ja da ist was dran. Es ist die 1. Klasse, alles war das 1. Mal in diesem Jahr. Und ich muss mich von allem verabschieden (normal würde ich die Kinder aus dem 1. Kindergartenjahr für das 2. Jahr behalten. Aber ich wechsle innerhalb der Schule den Kindergarten, also nochmal anfangen. Das hat Vor- und Nachteile).


    Ich trauere nicht der fehlenden Wertschätzung nach, sondern ein bisschen den Kindern. Sie ziehen weiter, das ist auch gut so und doch sie sind mir ans Herz gewachsen. Einige werde ich vermissen.


    Was sehr schön war, war das Abschlussfest. Da habe ich auch von den Eltern sehr viel Wertschätzung erfahren.


    Ansonsten bin ich einfach am Limit. Gerade jetzt die letzten paar Wochen sind noch ziemlich voll (Projektwoche, Elterngespräche, 1. Elternabend, Kennenlernen der neuen Klasse...). Aber es wird rumgehen.

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