Gemeinschaftsschule ja oder nein?

  • Hallo Morse,


    wurden denn Kinder mit Behinderungen vor 2012 etwa nicht individuell und z.T. hoch spezialisiert an Förderschulen ausgebildet und wann immer möglich dem Arbeitsleben zugeführt?


    Genau das ist ja der Punkt.


    Ja! Früher und teilweise immer noch in "Werkstätten für behinderte Menschen", wo die Leut' aber in einem gewissen geschützten Rahmen eben nicht an der Konkurrenz des Arbeitsmarktes teilnehmen. Deshalb gilt das auch als umstritten, inwiefern das wirklich ein selbstständiges bzw. gleichberechtigtes Leben ist.
    Dafür setzt sich der Staat ein, dass auch diese Gruppen von Menschen ganz gleichberechtigt mitkonkurrieren dürfen. Frauen usw. dürfen das ja schon länger.
    Aus manchem vermeintlichen Privileg des Dürfens wird später ein Müssen.

  • Genau das ist ja der Punkt.


    Ja! Früher und teilweise immer noch in "Werkstätten für behinderte Menschen", wo die Leut' aber in einem gewissen geschützten Rahmen eben nicht an der Konkurrenz des Arbeitsmarktes teilnehmen. Deshalb gilt das auch als umstritten, inwiefern das wirklich ein selbstständiges bzw. gleichberechtigtes Leben ist.
    Dafür setzt sich der Staat ein, dass auch diese Gruppen von Menschen ganz gleichberechtigt mitkonkurrieren dürfen. Frauen usw. dürfen das ja schon länger.
    Aus manchem vermeintlichen Privileg des Dürfens wird später ein Müssen.


    Hallo Morse,


    die von dir genannten Werkstätten gibt es natürlich, aber das ist nicht das alleinige Ziel von Förderschulen (bzw. in BW neuerdings SBBZs), Menschen mit Behinderung dorthin zu bugsieren. Das ist eine Möglichkeit unter anderen.


    Beispielsweise gibt es an Förderschulen die Möglichkeit, unter besonders günstigen Bedingungen einen Abschluss (z.B. gleichbedeutend mit dem Hauptschulabschluss) zu machen. Das wissen viele Leute gar nicht. Die "Sonderschule" wird fälschlicherweise landläufig als Abstellgleis und Endstation missverstanden. Hardliner sind sich sogar nicht zu schade, die Faschismuskeule auszupacken, um diese Schulform moralisch zu verunglimpfen.


    Mitkonkurrieren - wie du so treffend schreibst - kann man nur, wenn man leisten kann. Das kann in Bereichen jenseits der individuellen Einschränkungen stattfinden oder dann, wenn diese Einschränkungen durch (Lern)Techniken innerhalb eines speziellen geschützten Rahmens kompensierbar gemacht wurden. Dass also behinderte Menschen im günstigsten Fall als Erwachsene gleichberechtigt auf dem Arbeitsmarkt mitmischen können, wird durch eine effiziente und möglichst passgenau ausgerichtete individuelle Frühförderung doch erst gewährleistet. Dass das nur schwerlich im Rahmen eines "normalen" Unterrichts stattfinden kann, ist doch logisch.


    Auch in Ländern, die oft als Vorreiter der Inklusion herhalten müssen, findet zwar eine Beschulung innerhalb derselben Schule statt, aber eben in gesonderten Lerngruppen und durch speziell ausgebildetes Personal. Das wird gerne unterschlagen. Das, was bei uns teilweise abläuft, ist schlicht und ergreifend fahrlässig und verantwortungslos gegenüber förderbedürftigen SuS.


    der Buntflieger


  • Ich weiß nicht, ob Du mich richtig verstanden hast oder ob ich mich deutlich genug ausgedrückt habe.


    Ich wollte weder für die eine oder andere Form der Beschulung von Menschen mit Behinderung plädieren, sondern ausdrücken, dass meiner Meinung nach der Politik für Menschen mit Behinderung ein politisches bzw. wirtschaftliches Interesse zugrunde liegt und keine Moral.

  • ...
    Dafür setzt sich der Staat ein, dass auch diese Gruppen von Menschen ganz gleichberechtigt mitkonkurrieren dürfen. Frauen usw. dürfen das ja schon länger.
    Aus manchem vermeintlichen Privileg des Dürfens wird später ein Müssen.

    Wer sind denn "Frauen usw."?


    Dass alle Menschen das Bedürfnis haben, nicht angestarrt zu werden, selbstbestimmt zu leben und ein Teil der Gesellschaft zu sein ist denke ich unbestritten. Dass Lehrer das Bedürfnis haben, in Ruhe zu unterrichten ist auch klar. Weiter werden wir wohl in dieser Frage nicht kommen, da niemand von uns Studien darüber hat, ob Inklusion an der Schule Menschen dabei hilft, selbstbestimmt zu leben und nicht mehr angestarrt zu werden. Vorstellen könnte ich mir aber zumindest das Letztgenannte.


    Ich glaube, auch einig sind wir uns weitestgehend darin, dass der normalbegabte Hans im Rollstuhl im Gymnasium kein Problem haben dürfte, der Hans, der vor Wut mit Stühlen schmeißt aber in gar keiner Schule klarkommt.


    Insofern sollte sich vielleicht die Inklusionsdebatte auf die Problematik der psychischen Störungen konzentrieren? Einfacher wird sie dadurch nicht, aber zumindest ehrlicher bzw. konkreter.

  • @Morse hat da einen Ansatz, der - leider - gar nicht mal unrealistisch ist, und vom Perversionsgrad schon Richtung "Matrix" geht - "Moral" ist irrelevant, die Maxime ist der größtmögliche (wirtschaftliche) Nutzen der "Ressource".


    Sprich, bekommt man ausreichend "Leistung" zurück, die eine Investition rechtfertigt, dann wird eben investiert, und sonst - nicht, weil es sich nicht lohnt. Das erklärt, wieso der von @Krabappel erwähnte "Hans im Rollstuhl" sinnvoll u fördern ist, denn der kann ja alles, nur nicht laufen, aber es gibt genug Arbeiten, wo das nicht wichtig ist, die kann er also.
    Der tobsüchtige "Hans" kann das aber alles nicht, weil er sich nirgends einfügen kann, und ihn dahingehend zu therapieren möglicherweise zu schwierig/teuer ist, also was passiert? Wird der einfach "weggesperrt"?
    Nach der "matrixorientierten" Maxime - genau das.

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

    Einmal editiert, zuletzt von Miss Jones ()

  • Ich wollte weder für die eine oder andere Form der Beschulung von Menschen mit Behinderung plädieren, sondern ausdrücken, dass meiner Meinung nach der Politik für Menschen mit Behinderung ein politisches bzw. wirtschaftliches Interesse zugrunde liegt und keine Moral.

    Hallo Morse,


    ein "politisches Interesse" ist immer eine bunte Mischung aus vielen "Interessen", darunter zählen natürlich auch diverse Moralvorstellungen (und wenn es nur diejenigen der Wählerschaft sind, die politisch gespiegelt werden), insofern ist es relativ sinnfrei zu behaupten, Politik und Moral ließen sich getrennt betreiben bzw. betrachten.


    Aber ich denke ich verstehe schon, auf was du hier abzielen möchtest. In der Regel wird der Wählerschaft die Inklusion als moralisch überlegenes Konzept verkauft und dabei die ganz rationalen Ziele verschwiegen oder verzerrt dargestellt. Zumindest zu Beginn dachte manch Politiker, dass man hier langfristig Kosten sparen könnte; inzwischen dürfte aber auch hier jedem klar geworden sein, dass das Gegenteil der Fall ist: Um die bisherige Qualität der Ausbildung zu halten, sind breit angelegte Umgestaltungen in der Bildungslandschaft erforderlich. Umso vehementer wird von Seiten der Inklusionsbefürworter wiederum die Moralkeule bemüht. Und die finden sich natürlich auch in politischen Kreisen.


    der Buntflieger

  • Dass alle Menschen das Bedürfnis haben, nicht angestarrt zu werden, selbstbestimmt zu leben und ein Teil der Gesellschaft zu sein ist denke ich unbestritten.

    Beide unterstrichenen Ziele sind sehr stark wahrnehmungsabhängig. Eine Bekannte, die bei der Telekom arbeitet, hat einen gehörlosen Kollegen. Sind Besprechungen angesagt, kommt er mit Dolmetscher. Er kann jetzt in der Firma auch nicht groß irgendwelche anderen Tätigkeiten übernehmen, die viel mit Kommunikation und Kundenkontakt zu tun haben. Die Pause eben mal so "locker" mit den Kollegen quatschen ist auch nicht drin. Er wird nie ein Kollege wie alle anderen sein. Ob er selbstbestimmt lebt und Teil der Gesellschaft ist, lässt sich nicht so klar beantworten. Das könnte man so oder so sehen und aus meiner Erfahrung heraus mit Gehörlosen würden sie das auch für sich unterschiedlich bewerten.



    Insofern sollte sich vielleicht die Inklusionsdebatte auf die Problematik der psychischen Störungen konzentrieren? Einfacher wird sie dadurch nicht, aber zumindest ehrlicher bzw. konkreter.

    Diese Reduktion nervt mich ja unglaublich! Neben LE und emsoz gibt es noch andere Fachrichtungen. Von den SuS gibt es nicht so viele wie LE-SuS und die sind auch vom Verhalten nicht so auffällig wie emsoz-SuS, aber sie sind mit ihren ganz anderen Baustellen nun mal da. Oft gehen sie einfach unter. Sie scheinen oberflächlich zu laufen und deshalb interessiert es keine Socke. Es gibt einige Kollegen mit LE/emsoz, die auch merken, dass sie von unserer Fachrichtung wenig Ahnung haben. Dann gibt es leider noch die anderen, die nach drei Stunden Weiterbildung bei uns im Haus meinen, sie könnten da jetzt auch noch beraten. "Die tragen ja nur Hörgeräte." war da mal ein Zitat einer Lehrerin aus meiner Ref-Schule (LE). Ne, da hängt jetzt noch deutlich mehr dran ...

  • Hallo Morse,
    ein "politisches Interesse" ist immer eine bunte Mischung aus vielen "Interessen", darunter zählen natürlich auch diverse Moralvorstellungen (und wenn es nur diejenigen der Wählerschaft sind, die politisch gespiegelt werden), insofern ist es relativ sinnfrei zu behaupten, Politik und Moral ließen sich getrennt betreiben bzw. betrachten.

    Die sind ja auch nicht getrennt, denn jede Politik hat ihre (moralische) Legitimation. Die Politik bleibt gleich, die Legitimation ändert sich - je nach aktueller Lage bzw. Wählerschaft.

  • Das ist die Definition von Hochbegabung.
    Gemein gesagt: wenn die SuS nach Begabung beschult würden (und nicht nach nase der Eltern), sollte die Majorität am Gymnasium hochbegabt sein. Zumindest rechne ich bei "Gymnasialschülern, die da auch hingehören" eigentlich mit 120+ als üblich, unter 100 sollte am Gymnasium nicht vertreten sein (wenn man schon mal mit Zahlen kommen soll).

    Das Gymnasium nimmt 41% aller Kinder in NRW auf.
    Der IQ ist so justiert, dass 100 der Mittelwert ist und die Hochbegabung bei den oberen 2 Prozent liegt.


    Angenommen alle Hochbegabten landen am Gymnasium (Was sie nicht tun.), dann sind am Gymnasium gerade mal 2/41 = 4,9% an Hochbegabten.
    Das ist rechnerisch etwa einer pro Klasse.

  • ... Eine Bekannte, die bei der Telekom arbeitet, hat einen gehörlosen Kollegen. Sind Besprechungen angesagt, kommt er mit Dolmetscher. Er kann jetzt in der Firma auch nicht groß irgendwelche anderen Tätigkeiten übernehmen, die viel mit Kommunikation und Kundenkontakt zu tun haben. Die Pause eben mal so "locker" mit den Kollegen quatschen ist auch nicht drin. Er wird nie ein Kollege wie alle anderen sein. Ob er selbstbestimmt lebt und Teil der Gesellschaft ist, lässt sich nicht so klar beantworten. Das könnte man so oder so sehen und aus meiner Erfahrung heraus mit Gehörlosen würden sie das auch für sich unterschiedlich bewerten...

    Das ist ja nun ein sehr spezielles Beispiel. Es sagt niemand, dass ein Gehörloser gerade in einem Telekommunikationsunternehmen den idealen Arbeitsplatz finden wird. Außerdem: was wäre deiner Meinung nach besser, als ein Dolmetscher? eine Firma nur für Gehörlose? Eine Parallelgesellschaft mit gehörlosem Metzger, Bäcker, Arzt?


    Eine Behinderung bleibt eine Behinderung, das ist ja ihre Definition, dass jemand in einem Bereich eingeschränkt ist, der für den Großteil der Bevölkerung problemlose Normalität darstellt und unsere Gesellschaft genauso eingerichtet ist, dass sie für die meisten praktikabel ist.


    Unter Inklusion verstehe ich auch das Ziel, dass andere damit klar kommen. Dass jemand nicht zum Deppen abgestempelt wird, sondern behandelt werden will, wie jeder andere auch.
    Wie sagte die Frau in der Doku neulich? (und sagt auch jeder Blinde oder Rollifahrer, der schon mal irgendwohin geschoben wurde, wo er nicht hin wollte) wenn die Leute nicht wissen, was ich für Bedürfnisse haben, sollen sie doch bitte einfach mich fragen und nicht über mich reden. Die Eltern müssten in der theoretischen Konsequenz die Möglichkeit haben, eine Schule für ihr Kind auszusuchen.


    Das größte Problem haben m.E. trotzdem verhaltensauffällige SchülerInnen, die zwar laufen und hören können aber eben nicht sozial integrierbar sind.

  • Sagen wir mal, die körperlich beeinträchtigten SuS lassen sich sicherlich idR "eiinfacher" integrieren, vor allem, wenn deren Handicap durch Hilfsmittel welcher Art auch immer ausgeglichen werden kann, sei es ein Hörgerät, ein Rollstuhl oder was auch immer. Wenn sie zumindest intellektuell in der Lage sind, alles im gleichen Maße zu erfüllen wie SuS ohne Beeinträchtigung, sind sie mMn an jeder Schulform zumindest "integrierbar", wenn auch ggf mit materiellem Mehraufwand und/oder geschultem Personal.


    Die geistig beeinträchtigten sind schwer zusammenzufassen. Wer wirklich "zurück" ist und nie das geistig leisten kann was andere können, muss damit leben, eben nicht an ein Abitur zu kommen. Das ist schlicht Fakt. Da wäre es angebracht, das zu fördern, was möglich ist, damit diese SuS etwas sinnvolles tun können, was ihnen auch Freude macht, und sie eben darauf vorzubereiten.
    Was mit diversen Autisten wie zB Aspergern zu tun ist - da scheiden sich die Geister, die sind oftmals durchaus in der Lage, hochkomplex zu denken, nur eben nicht so, wie es die Masse kennt... wäre wohl eine Einzelfallsache.


    Bleiben die EmSoz-Kinder (und ja, ich weiß es gibt noch viel mehr, aber das sind eben die "prominentesten" Gruppierungen), und da gibt es leider Fälle, die wirklich an gar keine herkömmliche Schile gehören bevor sie nicht austherapiert sind. Die Gründe für ihre Störung sind dabei nicht relevant, sondern die Tatsache, mit ihnen im Klassenverbund eben keinen Unterricht halten zu können, weil schon ein entsprechendes Kind alles zunichte machen kann.


    Und eine "Inklusionsidee", die da nicht endlich differenziert, kann nur schiefgehen, egal wie man nun welche Schule nennen will...

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  • Das ist ja nun ein sehr spezielles Beispiel. Es sagt niemand, dass ein Gehörloser gerade in einem Telekommunikationsunternehmen den idealen Arbeitsplatz finden wird. Außerdem: was wäre deiner Meinung nach besser, als ein Dolmetscher? eine Firma nur für Gehörlose? Eine Parallelgesellschaft mit gehörlosem Metzger, Bäcker, Arzt?
    Eine Behinderung bleibt eine Behinderung, das ist ja ihre Definition, dass jemand in einem Bereich eingeschränkt ist, der für den Großteil der Bevölkerung problemlose Normalität darstellt und unsere Gesellschaft genauso eingerichtet ist, dass sie für die meisten praktikabel ist.


    Unter Inklusion verstehe ich auch das Ziel, dass andere damit klar kommen. Dass jemand nicht zum Deppen abgestempelt wird, sondern behandelt werden will, wie jeder andere auch.

    Du versuchst mir wieder diese totale Separation zu unterstellen, was ich nicht fair finde. Ich habe mit meinem genannten Beispiel kein Problem, höre aber schon wieder Inklusionsidealisten, denen das alles nicht genug wäre. Und eine gehörlose Parallelgesellschaft gibt es übrigens überall dort, wo Gehörlose entsprechende Organisationen, Firmen, Angebote usw. aufgebaut haben. Das wollen sie sogar so. Alles viel unkomplizierter für sie als ständig irgendwo mit Dolmetscher an der Hacke aufschlagen zu müssen, wenn etwas Wichtiges zu klären ist.



    Sagen wir mal, die körperlich beeinträchtigten SuS lassen sich sicherlich idR "eiinfacher" integrieren, vor allem, wenn deren Handicap durch Hilfsmittel welcher Art auch immer ausgeglichen werden kann, sei es ein Hörgerät, ein Rollstuhl oder was auch immer. Wenn sie zumindest intellektuell in der Lage sind, alles im gleichen Maße zu erfüllen wie SuS ohne Beeinträchtigung, sind sie mMn an jeder Schulform zumindest "integrierbar", wenn auch ggf mit materiellem Mehraufwand und/oder geschultem Personal.

    Ein Hörgerät kann ein recht guter Ausgleich sein, wird aber den Hörverlust niemals komplett ausgleichen können - leider. Wer hochgradig schwerhörig ist, wird damit höchstens auf leicht- bis mittelgradig schwerhörig gepuscht. Ein Hörverlust von 25 dB wird bei den hochgradig betroffenen Frequenzen immer vorhanden sein. Das ist wie das Tragen eines Schallschutzes aus dem Baumarkt. Ich bin immer wieder erstaunt, was unsere Sehbehinderten trotz ihrer Blindheit noch so alles sehen können. Eines gibt ihnen die Technik aber nicht: Zeit! Zeit, die schwerhörige brauchen, um z.B. unbekannte Begriffe und Redewendungen nachzuschlagen oder erklärt zu bekommen (in PoWi und Geschichte besonders schlimm!); Zeit, die stark sehbehinderte SuS benötigen, um auf dem Vergrößerungsgerät zu lesen, zu schauen und zu schreiben.
    Eine Kollegin ist zwei Tage an einer einzügigen Dorfgrundschule bei einem blinden Mädchen. Bisher klappt es mit Computer und Braillegeräten dank I-Helferin mit einigem Engagement sehr gut, wobei man eine unbezahlte Fortbildung bei deren kärglichen Lohn wohl kaum erwarten sollte. Nächstes Jahr geht's an eine Gesamtschule. Ich bin gespannt, wie*s läuft. Sie wird vermutlich eine Gymnasialempfehlung seitens der Grundschule bekommen. Das Blindengymnasium in Marburg wäre also Plan B.

  • Siehst du @Frapper - da bist du Experte, nicht ich, aber zumindest denke ich, diese SuS können zumindest jeden Abschluss erreichen, wenn es auch vielleicht länger dauert, aber es ist da kein "intellektuelles Limit" gegeben. Von daher halte ich deren Integration immer noch für am ehesten irgendwie machbar.

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

  • Also im Grunde ist es ja ganz einfach: Entweder man "rettet" jetzt noch das dreigliedrige Schulsystem - erhält/ wiederbelebt gute Förder- und Hauptschulen, sowie die kostenlosen (!) Gymnasien. (In dem Fall könnte man über eine Selektion der Kiner erst ab Klasse 5 oder 6 nachdenken.)
    ODER: Man stopft alle auf Sekundar- Gemeinschafts- oder Gesamtschulen und fördert den Boom von Privatschulen.


    Zweites Szenario: Goodbye Sozialstaat.

  • Also im Grunde ist es ja ganz einfach: Entweder man "rettet" jetzt noch das dreigliedrige Schulsystem - erhält/ wiederbelebt gute Förder- und Hauptschulen, sowie die kostenlosen (!) Gymnasien. (In dem Fall könnte man über eine Selektion der Kiner erst ab Klasse 5 oder 6 nachdenken.)
    ODER: Man stopft alle auf Sekundar- Gemeinschafts- oder Gesamtschulen und fördert den Boom von Privatschulen.


    Zweites Szenario: Goodbye Sozialstaat.


    Hallo MilanB,


    das läuft doch schon alles. Die Realschule (in BW) wurde langfristig beseitigt durch Einführung des G-Niveaus. Das realisieren sie noch nicht so ganz, aber faktisch gibt es keine Realschule mehr. Das Niveau wird auf ländlichen Schulen noch eher dem einer eigentlichen Realschule entsprechen, in Ballungsgebieten sieht das inzwischen ganz anders aus. Man kann in einer Klasse, in der 20-40% der SuS die einfachsten Sachverhalte nicht nachvollziehen können, schlicht und ergreifend kein M-Niveau "nebenbei" vermitteln. Noch dazu die sozialen Probleme (Verhalten, Disziplin etc.).


    Stichwort: Restschule. Aber Hauptsache alles schön hübsch differenziert und individualisiert... so ein realitätsbefreiter Saftladen!


    der Buntflieger

  • Das Niveau wird auf ländlichen Schulen noch eher dem einer eigentlichen Realschule entsprechen, in Ballungsgebieten sieht das inzwischen ganz anders aus.

    Die Diskussion über die Folgen dieses Wahnsinns hatte ich gerade gestern wieder mit einem Kollegen bzgl. der Vollzeitschüler an unserer Berufsschule. Konkret ging es um Mathematik und darum von welchen Voraussetzungen wir bei den Schülern ausgehen können, die mit der Fachoberschulreife (mit oder ohne Q-Vermerk) nach Klasse 10 zu uns kommen, um die Fachhochschulreife zu erlangen, mit der sie dann an die Fachhochschulen oder auch einige Universitäten dürfen.


    Konkret entbrannte unser Streitgespräch an der Frage, wie wir mit Schülern umgehen sollen, die der Prozentrechnung mit Hilfe des Taschenrechners nicht mächtig sind?

    • Seine Meinung: Wir müssen auch die Schwächsten mitnehmen und das Niveau entsprechend runterschrauben.
    • Meine Meinung: Wir sind dazu verpflichtet die guten Schüler soweit zu bringen, daß sie anschließend auch eine Chance haben an einer Universität ein Maschinenbaustudium (wir sind halt ein technisches BK) beginnen zu können, ohne sofort im 1. Semester rauszufliegen.

    In der Folge habe ich die Unterlagen des Mathematik-Vorkurses, an dem ich damals in der Uni teilgenommen habe und in dem der Schulstoff vorab noch einmal komplett wiederholt wurde, herausgeholt. Das ist meine Meßlatte. Und um die Schüler, oder zumindest die Besten der Schüler, auf das Niveau zu bringen, kann ich die Zeit einfach nicht mehr mit Prozentrechnung verplempern. Ansonsten ist die Hochschulzugangsberechtigung, die wir verteilen, nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurde. Eine Ausfallquote an der Uni von über 80% allein im ersten Semester spricht ja wohl Bände?


    Motto: Wir sind auch der Differenzierung nach oben verpflichtet, was das Leistungsspektrum angeht, und nicht immer nur nach unten.

  • Ansonsten ist die Hochschulzugangsberechtigung, die wir verteilen, nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurde. Eine Ausfallquote an der Uni von über 80% allein im ersten Semester spricht ja wohl Bände?
    Motto: Wir sind auch der Differenzierung nach oben verpflichtet, was das Leistungsspektrum angeht, und nicht immer nur nach unten.


    Hallo plattyplus,


    das sind ehrliche Worte. Ich vertrete auch die Ansicht, dass ein undifferenziertes und leistungsmäßig weichgespültes Schulsystem mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Die Konzepte der Differenzierung/Individualisierung, mit denen man derzeit hantiert, taugen nichts und sind mehr Schein als Sein.


    Selektiert wird dann eben später umso härter an der Uni, die noch dazu die Defizite kompensieren muss in speziellen Vorkursen oder durch Aufnahmeprüfungen, weil die schulische Qualifikation nichts mehr wert ist. Und als Lehrkraft ist es doch mehr als unbefriedigend, solche ineffektiven "Zustände" verwalten zu müssen. Aber noch wird es in der Breite recht brav hingenommen, was wohl an der - vornehm gesagt - zurückhaltenden Mentalität des Beamtenstandes liegt.


    Irgendwo haben wir aber auch eine Verantwortung für unsere Schützlinge...


    der Buntflieger

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