Bekommt heute jeder die Fachoberschulreife hinterhergeschmissen?

  • Moin,


    sagt mal, bekommt eigentlich heute jeder Schüler die Fachoberschulreife egel welche Leistungen er abliefert?


    Bei uns an der Berufsschule schlagen jedenfalls immer mehr Schüler mit Fachoberschulreife (mit oder ohne Q-Vermerk) auf, die vom Leistungsstand eigentlich in die 3. Klasse einer Grundschule zurückversetzt werden müßten. Ich rede in diesem Zusammenhang wirklich von Analphabeten und/oder extremer Rechenschwäche, die sich darin äußert, daß die vier Grundrechenarten mit Hilfe des Taschenrechners noch so eben gerade beherrscht werden. Aber bereits beim Addieren von zwei Brüchen (kleinster gemeinsamer Nenner, man kürzt nicht in die Summe) hört es auf. An Prozentrechnung oder Dreisatz ist bei den Schülern gar nicht zu denken.


    Wie haben die es geschafft die Fachoberschulreife attestiert zu bekommen?


    Oder wurden die einfach immer weiter durch das System durchgewunken, weil man an einer Gesamtschule ja praktisch nicht sitzenbleiben kann? Motto in der Zeugniskonferenz: Gib ihm doch noch eine 4, denn wenn du ihm eine 5 gibst und er wiederholt, dann quittiert nächstes Jahr Kollege X mit Burnout den Dienst, weil er den Schüler noch ein Jahr länger ertragen muß.


    Und diesen Schülern soll ich dann die Fachhochschulreife attestieren, mit der sie an Fachhochschulen oder manchen Universitäten sogar Maschinenbau studieren dürfen. Wir sind halt ein technisches Berufskolleg. :autsch:
    Eigentlich traue ich von den beidne Parallelklassen nur insg. 4 Schülern zu, daß sie wirklich studierfähig werden könnten. Die anderen 55 müßte ich eigentlich im ersten Jahr bei uns absägen. :(

  • Ich musste erstmal schauen, was das ist. "Mittlerer Schulabschluss", entspricht dann wohl unserem SekI/Realschulabschluss (RSA)
    Hinterhergeworfen? In Niedersachsen jein. Also, den Hauptschulsabschluss nach 9 (HSA) bekommt tatsächlich fast jeder ohne attestierten Förderbedarf. Diejenigen, die bei mir die 9. nicbt geschafft haben, hatten alle irrsinnig hohe Fehlzeiten. Dummheit und Faulheit allein reichen nicht, um da durch die Abschlussprüfung zu fallen.
    Es gibt schriftliche Abschlussprüfungen, aber zumindest für Mathe sind die ein Witz. Einen großen Teil der Aufgaben können auch Drittklässler lösen.
    Wer die 9. geschafft hat bleibt meistens da und macht die 10. Allerdings nicht jeder mit dem Ziel, einen Realschulabschluss zu erlangen. Ziele können sein: Einfach ein Jahr rumbekommen I (Lehhrstelle in Aussicht, aber noch zu jung), einfach ein Jahr rumbekommen II (keine bessere Idee und irgendwie ist es ja ganz nett bei uns), das Jahr dranhängen und darauf hoffen, dass man den RSA dann doch einfach so bekommt.
    Aber letzteres klappt nicht. (Das muss man den Schülern auch erstmal klarmachen können.Die haben mit dem HSA gerade die Erfahrung gemacht, dass so ein Schulabschluss total leicht zu erreichen ist.)
    Die erste Hürde sind Kurse in Mathe, Deutsch, Englisch und Physik. Wenn man nicht mindestens 2 E-Kurse hat, kann es keinen RSA geben. Und obwohl unsere Schülerschaft insgesamt recht leistungsschwach ist, wird niemand aus Gefälligkeit in den E-Kurs gesteckt.
    Ich habe gerade Schüler in meinem Mathe G-Kurs, die wechseln wollen. Dafür müssen sie die nächtse E-Kurs-Arbeit mitschreiben. Dafür wiederum müssen sie erstmal das entsprechende Arbeitsverhalten zeigen und "nebenbei" Themens des E-Kurses erarbeiten.


    Also nee, jeder bekommt den Abschluss nicht.

  • "Mittlerer Schulabschluss", entspricht dann wohl unserem SekI/Realschulabschluss (RSA)

    Ja, sollte passen. Fochoberschulreife erlangt man bei uns nach Klasse 10 und berechtigt dazu die Fachoberschule bzw. Sek. II (bzw. Sek IIb = berufsbildent) zu besuchen. Der Q-Vermerk (=Qualifikations-Vermerk) auf dem Zeugnis bescheinigt, daß Deutsch, Mathe und Englsich mit 3 oder besser abgeschlossen wurden udn berechtigt zum Besuch der gymnasialen Oberstufe.


    Gleiches gilt für die Fachhochschulreife, die wir attestieren. Dieser Abschluß bescheinigt, daß der Schüler in der Lage ist die Fachhochschule zu besuchen. Er ist "reif" dafür. An den Universitäten in der Region werden aber auch studierende mit einschlägiger Fachhochschulreife in den technischen Fächern (Maschinenbau, Informatik, ...) aufgenommen. Die Schüler können also auch mit der Fachhochschulreife an die Universität. Wenn ich dran denke meine Spezis auf die Universität loszulassen... die haben doch nicht den Hauch einer Chance.

  • Könnt ihr nicht zu Aufnahmeprüfungen verpflichten? (=Qualifizierungseinschätzungsberatungsverfahren oder so). Nur wer die Inhalte des zehnten Schuljahres beherrscht, kann in den Bildungsgang, der zur HSR führt.


    Ansonsten bleibt dir wohl nichts anderes, als die Noten zu erteilen, die sich die Schüler erarbeitet haben. Sonst wärst du schließlich nicht besser, als die oben zitierten Kollegen mit der Gnadenvier.


    Ob dann allerdings Ärger von anderer Seite kommt? (Hm, Herr Plattyplus, 26 von 30 haben Ihren Kurs nicht bestanden, da muss wohl mal ein Fachberater hospitieren). Nicht meine Empfehlung, aber so mancher Schulleiter hat lieber mit einem Kollegen Stress, als mit entsprechend vielen SchülerInnen bzw. deren Eltern.

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  • An Prozentrechnung oder Dreisatz ist bei den Schülern gar nicht zu denken.

    Können sie es wirklich nicht, oder haben sie bisher nur zu wenig geübt? Ich bin mit dieser Art von Polemik mittlerweile SEHR vorsichtig geworden. Wenn man mal das Lehrwerk gesehen hat, nach dem bei uns an der Sek I im progymnasialen Zug Mathe unterrichtet wird, dann weiss man auch, warum unsere Jugendlichen sich so schwer tun mit Prozentrechnen. Und da schreibe ich jetzt über Gymnasiasten die tatsächlich INTELLIGENT sind.

  • Ich antworte mal ganz platt : ja, viele! Das ist politisch so gewollt und entspricht nicht unbedingt dem Wunsch der Lehrer an der RS.
    Bei uns benötigt man in den Hauptfächern D,M und E nur 3,3 und eine 4. Selbst Schüler , die vorher auf 5 stehen, schaffen in den Abschlussprüfungen oft eine 3, da diese viel zu einfach sind . Damit stehen wir immer ziemlich doof da und viele Kollegen ärgern sich darüber. Oft haben wir Klassen, in denen die Schüler dann durch die guten Abschlussprüfungen die 3 oder 4 erst gerade so schaffen und damit die FOS - Eignung .

  • Das mit der Prozentrechnung ließe sich ja reparieren. Überhaupt, Mathelehrer sind ja Kummer gewöhnt. Mich entsetzt das fehlende Textverständnis fast noch mehr. Sie haben keinen Begriff davon, was es heißt, sich mit etwas zu beschäftigen, etwas zu verstehen, selbstständig zu erarbeiten. Neulich wurde ich gefragt, wozu denn ein Stichwortverzeichnis gut sein soll.


    Die fehlenden Grundkenntnisse sind bei uns Dauerthema.

  • Bei uns benötigt man in den Hauptfächern D,M und E nur 3,3 und eine 4. Selbst Schüler , die vorher auf 5 stehen, schaffen in den Abschlussprüfungen oft eine 3, da diese viel zu einfach sind .

    Genau. Bei uns haben schon öfter Schüler, die z.B. in Mathe mit 4 vorbenotet sind, eine 2 geschrieben. Aufgrund der vorgeschrieben Gewichtung von Vor- und Prüfungsnote haben diese dann eine 3 in Mathe. Das ärgert und Mathelehrer auch. Wenn das das in Englisch und Deutsch auch passiert, dann sind die nötigen 3en eben da.


    Oft haben wir Klassen, in denen die Schüler dann durch die guten Abschlussprüfungen die 3 oder 4 erst gerade so schaffen und damit die FOS - Eignung

    So läuft das dann. Der Q-Vermerk kommt dann auch auf diesem Wege zustande.
    So kann ein Schüler mit Minimalaufwand den FOS Abschluss bekommen, wenn er bei den Prüfungen einmal in Deutsch, Mathe und Englisch eine halbwegs vernünftige Arbeit abliefert.

    Mich entsetzt das fehlende Textverständnis fast noch mehr. Sie haben keinen Begriff davon, was es heißt, sich mit etwas zu beschäftigen, etwas zu verstehen, selbstständig zu erarbeiten.

    Das entsetzt mich auch. Aber in der Mathe - Abschlussprüfung braucht man das aber nicht unbedingt.

    Freundlichkeit ist kostenlos, aber niemals umsonst.

  • Oder wurden die einfach immer weiter durch das System durchgewunken, weil man an einer Gesamtschule ja praktisch nicht sitzenbleiben kann? Motto in der Zeugniskonferenz: Gib ihm doch noch eine 4, denn wenn du ihm eine 5 gibst und er wiederholt, dann quittiert nächstes Jahr Kollege X mit Burnout den Dienst, weil er den Schüler noch ein Jahr länger ertragen muß.

    Wow, das ist fies :staun:

  • Du wunderst dich, dass Schüler mit immer größeren Wissenslücken aus den Realschulen zu dir kommen.


    Die Realschullehrer wundern sich, dass Schüler mit immer größeren Wissenslücken aus den Grundschulen zu ihnen kommen.


    Und wir Grundschullehrer sind schockiert darüber, dass Kinder bei der Einschulung immer häufiger nicht einmal grundlegende Fähigkeiten besitzen,
    wie z.B. Sprechen. Manche bekommen nicht mal einen vernünftigen Satz hin (und ich spreche nicht von Migrantenkindern!!).


    Ich denke man kann nicht alles in der Schulzeit aufholen und zumindest teilweise mag das Niveau dadurch sinken.


    Dennoch betrifft das nur einen Teil der Schüler.
    Ich bin mir sicher, dass es genügend gibt, die die Grundrechenarten auch ohne Taschenrechner bewältigen können und die wissen wie Prozentrechnung funktioniert. ;)

  • Rein gesellschaftlich/wirtschaftlich ist es ein wichtiges Ziel, dass so viele Menschen wie möglich die Basisqualifikation erwerben. Dadurch können sie am Arbeits- und somit auch Gesellschaftsleben teilnehmen. Wenn man nämlich als Staat das Ziel hat, dass jeder Bürger eine finanziell erträgliche Arbeit ausübt, stellt jeder Mensch, dem dieser Zugang aufgrund mangelnder Qualifikation verwehrt ist, eine Belastung für das System dar.
    Der Bildungsaspekt hat jedoch ein anderes Ziel, nämlich dass möglichst viele Menschen im Rahmen ihrer Schulzeit (und im Idealfall auch danach) einen möglichst hohen informellen Bildungsgrad erreichen. Das ist wiederum wichtig, um den Wert des Abschlusses hoch zu halten und einen angenehmen Übergang in höhere Schulformen zu ermöglichen.
    Im Idealfall erreichen also so viele Menschen wie möglich mindestens den Hauptschulabschluss, der wiederum verlässlich ein möglichst hohes Bildungsniveau attestiert. Problematisch wird ws hingegen, wenn einem Quantität über Qualität geht und Abschlüsse verteilt werden, die nicht verlässlich Auskunft darüber erteilen, was der jeweilige Avsolvent tatsächlich an Kenntnissen verfügt. Ergo, mangelnde Validität...

  • @ Luiselotte Beitrag 12
    Genau so ist es. Mich wundert nichts mehr....
    Wir motzen in der GS über KIGA und Eltern, die SEK 1 über die GS und dann geht das immer so weiter....

    Ich bin Grundschullehrer, ich muss nicht die Welt retten!!!

  • Ich musste auch schon einige Male resignieren.
    Ich unterrichte Fachrechnen und bin keine Mathe-Didaktikerin. Da komme ich stark an meine Grenzen, wenn Bruchrechnen und einfache Exponentialrechnungenn nicht beherrscht werden. Auch Logarithmus ist in der 12. Klasse scheinbar völlig unbekannt. Das macht das Fachrechnen dann schwierig. Viele sind in der Chemie überfordert mit der Mathematik. Habe ich aber auch im Studium gemerkt. Die Leute haben Abitur und haben Probleme eine Gleichung nach x aufzulösen. Zieht sich also komplett durch.

  • In dem spezifischen Fall hilft es wohl nur, Material zur Auffrischung der Kenntnisse in den mangelhaft beherrschten Bereichen zur Verfügung zu stellen, und wenn die Schüler dieses Angebot nicht wahrnehmen wollen, kannst du sie leider nicht den Kurs bestehen lassen, so unbefriedrigend das auch sein mag. Auf der anderen Seite: Man kann die Schulzeit mit einer 5 in Mathematik ohne Sitzenbleiben problemlos durchlaufen, solange man sie regelmäßig durch gute Leistungen in andere Fächern ausgleichen kann. Dabei dürfte klar sein, dass die Defizite im Laufe der Zeit eher größer als kleiner werden und eine 6 wird dann doch im Schnitt seltener vergeben als eine 5. Eine strengere Herangehensweise wäre ein Benotungssystem wie im Studium, nämlich dass man jeden Kurs bestanden haben muss (= Note 4 oder besser), um im Verlauf des Bildungsganges voranzukommen. Auch dann ist es keine Garantie, dass man am Ende noch Wissen aus dem ersten Semester solide beherrscht, aber die Wahrscheinlichkeit ist zumindest höher als wenn man direkt im ersten Versuch den Kurs nur mangelhaft absolviert (=Note 5).

  • An den Zubringerschulen wirst du denke ich kein Umdenken erreichen können. Das Einzige, das helfen wird, ist, die eigenen Standards hochzuhalten und den vorgesehenen Bildungsplan rigoros zu erfüllen.


    Meine Klassen schrumpfen regelmäßig von 31 Schülern auf knapp über 20. Aber das sind dann die 21, 22, 23 Schüler, die dann auch wirklich wollen UND können. Klappt aber halt nur, wenn man ein gutes Team im Rücken hat, das am gleichen Strang zieht.

  • Sei stark und gib realistische Noten, damit dieser Teufelskreis unterbrochen wird!

    Es gibt den schönen Spruch: "Den Letzten beißen die Hunde."


    Man kann aber auch darüber nachdenken, ob vielleicht die Uni "der Letzte" sein könnte...


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    Einmal editiert, zuletzt von Mikael ()

  • Es gibt den schönen Spruch: "Den Letzten beißen die Hunde."
    Man kann aber auch darüber nachdenken, ob vielleicht die Uni "der Letzte" sein könnte...


    Gruß !


    Ich weiger mich auch, den Schülern mit ausreichenden Noten die Studierfähigkeit zu bescheinigen. Bei uns reduziert sich die Schülerzahl auch stetig. Und da arbeiten die Kollegen gut zusammen.
    Aber auf der anderen Seite steht dann die Schulleitung und erwartet Abschlüsse.

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