Seiteneinstieg als Informatiker?

  • Hallo zusammen,


    ich bin 28, Informatiker (Uni-Master) und derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Uni beschäftigt. Während meines Studiums und im Anschluss daran habe ich einiges an „Unterrichtserfahrung“ in Tutorien und Übungsgruppen sammeln können, nebenbei Mathe-Nachhilfe gegeben.


    Bei mir ist es leider so, dass ich zwar sehr gerne an der Uni unterrichte, jedoch kein sonderlich großes Interesse an Forschung habe und daher auch keine langfristige Zukunft für mich im Uni-Betrieb sehe. Deswegen überlege ich, ob der Seiteneinstieg ins Lehramt etwas für mich wäre. Ich komme aus Baden-Württemberg und könnte mich dort als Seiteneinsteiger fürs Referendariat an beruflichen Schulen (Informatik + Mathe) bewerben. Mir ist klar, dass sich meine „Unterrichtserfahrung“ von der Uni nicht direkt auf die Schule übertragen lässt: Bei mir sind alle Teilnehmer freiwillig, es gibt keine Disziplin-Probleme, die Gruppen bestehen aus höchstens 15-20 Personen, … Trotzdem glaube ich, dass der Beruf etwas für mich sein könnte.


    Da es hier bestimmt auch Informatik-Seiteneinsteiger gibt, würde ich mich über Erfahrungsberichte freuen, die mir vielleicht bei meiner Entscheidung helfen könnten. Warum seid ihr in den Schuldienst gewechselt? Seid ihr mit eurem Wechsel zufrieden? Worüber sollte ich mir vorab Gedanken machen?


    Vielen Dank!

  • Auch wenn ich nicht der Zielgruppe deiner Fragestellung entspreche, würde ich dir eine Hospitation an einer beruflichen Schule in den Zielfächern empfehlen, um einen persönlichen Eindruck davon zu erhalten, was dich tatsächlich erwarten kann.


    Ein Cousin von mir ist mit Physik und Mathe aus der freien Wirtschaft als Seiteneinsteiger (was in BaWü ja bedeutet mit Ref) in den Schuldienst gewechselt. Für ihn war für den Wechsel die berufliche Perspektive im Ausgangsberuf wichtig (er hätte infolge einer betrieblichen Neuorientierung in einem Bereich weiterarbeiten müssen, den er mit seinen persönlichen Werten nicht hätte in Einklang bringen können; eine andere Firma im ursprünglichen Berufsfeld wäre bei mehreren Kindern, eigenem Haus und Gattin mit eigener Praxis nicht so leicht umsetzbar gewesen), aber auch die Option sich beruflich verändern zu können eine spannende Herausforderung. Obwohl er gerne unterrichtet sucht er sich nach 5 Jahren im Schuldienst inzwischen aber innerhalb seiner Schule neue Herausforderungen, da er manche Dinge als eintönig empfindet: Bildungspläne ändern sich eben nur etwa alle 10 Jahre in BaWü. Positiv formuliert lassen sich daraus gute Routinen entwickeln, um Themen verschiedenen Lerngruppen gut nahezubringen, negativ formuliert kann sich daraus eine gewisse Eintönigkeit entwickeln, vor allem, wenn man bedingt durch Fachkräftemangel am Ende nur in einem seiner Fächer in den immer gleichen Klassenstufen eingesetzt wird. Glücklicherweise bietet der Schuldienst sehr viele Möglichkeiten sich beruflich weiterzuentwickeln und neue Aufgabenbereiche zu finden, insofern ist mein Cousin sehr zufrieden mit dem Schritt. Das Ref war für ihn allerdings eine enorme Belastung nicht zuletzt auch, da er im Vergleich zu seinem vorigen Verdienst erhebliche finanzielle Einbußen hatte. Sich viele Jahre nach dem eigene Studienabschluss noch einmal in die "Schülerposition" zu begeben war ebenfalls nicht leicht für ihn. Fachlich war er dank der Berufspraxis zwar herausragend, theretische Grundlagen zu Pädagogik und Didaktik musste er sich aber anders als die meisten Mitanwärter erst schrittweise erarbeiten im Hinblick auf die Prüfungen.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Fachlich war er dank der Berufspraxis zwar herausragend, theretische Grundlagen zu Pädagogik und Didaktik musste er sich aber anders als die meisten Mitanwärter erst schrittweise erarbeiten im Hinblick auf die Prüfungen.


    Das möchte ich gerne mal hervorheben-
    Nicht nur die reine Didaktik ist das Problem. Gerade wenn man lange an der Uni tätig war ist nach meiner Beobachtung (!) häufig das Problem die didaktische Reduktion! Es ist gar nicht so einfach etwas auf geringster nötiger Basis zu vermitteln. Bzw eben auf das Wesentliche reduzieren. Und das trifft einen gerade im Bereich der Naturwissenschaften.


    Ich empfehle auch die berufsbildenden Schulen, gerade weil dort das Niveau, was unterricht wird doch noch einmal die reinen Grundlagen übersteigt. Und ein Praktikum ist auch immer zu empfehlen!

  • Als ich in Berlin meinen ersten Referendariatsversuch am Gymnasium gestartet habe, war mein Wunsch nach einer Zusammenarbeit mit Personengruppen wie dir so groß gewesen...ich habe wirklich ein ganz ganz großes Interesse an pädagogischen Themen und von den Seiteneinsteigern hätte ich im Idealfall nötiges fachliches Basiswissen bekommen können. Das hätte einen echt guten Tausch geben können :top:


    Ich an deiner Stelle würde mich jetzt nicht auf eine bestimmte Schulform oder Schulbereich verbeißen und schließe mich den Vorrednern an. Schau´dir doch erstmal die verschiedenen Schulformen von innen an und gucke, wie Schüler- und Lehrerschaft auf dich reagieren. Du wirst erstaunt sein, was sich da so offenbart...womöglich fühlen sich die Grundschüler besonders von dir angezogen, oder, was ich eher vermute, hast du vllt. das Zeug zu nem Studienrat, der am Gymnasium einen Leistungskurs in Informatik leiten könnte.


    Es wird auch wirklich unterschätzt, dass man sich als Lehrer vor so vielen Personengruppen zu behaupten hat. Da sind zum Einen die Schüler und deren Eltern, und dann kommen da noch die Kollegen und die Schulleitung, die Institute für Lehrerbildung (Verwaltungsapparat des öffentlichen Dienstes) und eine Etage drüber noch die Kultusministerien...


    Ich habe in sehr unterschiedlichen Settings Schüler im Alter von 2 bis 55 JAhren in Musik unterrichtet und da fiel mir auf, dass ich die Schüler im Vor- und Grundschulalter und dann wieder die (jungen) Erwachsenen besser unterrichten konnte als andere Altersgruppen.

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