"Ich polier dir die Fresse", sagte der Lehrer.

  • Auf mich wirkt das recht polarisierend und allzu stammtischtauglich.

    Weiß nicht, ob's für den Stammtisch taugt, für uns ist es leider täglich Brot. Aber gut zu hören, dass andere es für ausgedacht halten. Das rückt alles ins rechte Licht, nämlich dass was gehörig schief läuft.

  • Eine Grundschule mit schwieriger Klientel ist überfordert. Einige Kolleginnen sind langzeitkrank, Quereinsteiger und Vertretungskräfte decken Bedarf an Fachunterricht. Sätze, wie der obige oder "ich verdiene hier mein Geld, mir ist es egal, was ihr macht" fallen vor Achtjährigen. Im Treppenhaus wird so geschubst, dass Kinder blaue Flecken davontragen.


    Was jetzt?

    Gut, es laeuft einiges schief und es muss sich was aendern. Was macht die Schule denn bisher? Augen zu und durch wird es nicht bringen.
    Wir sind auch eine Grundschule mit "schwieriger Klientel", allerdings anders als wohl hier angedacht. Bei uns landen mehrheitlich die, die an anderen Schulen gescheitert sind oder scheitern wuerden...aus welchem Grund auch immer.
    Ich habe letztes Jahr dort angefangen. Viele der Strukturen, die ich aus meinen Schulen in England kannte, hab ich hier vermisst. Meine Klasse ging damals buchstaeblich ueber Tische und Baenke. Inzwischen haben sie sich beruhigt. Unterrichtsstoerungen sind selten. Wenn sie doch vorkommen, schicken wir Kinder raus. Es ist dem Rest der Klasse gegenueber nicht fair wenn man ihren Unterricht stoert. Und ja, dann sitzt das Kind halt draussen...oder musste raus getragen werden. Das passiert bei den meisten auch nur einmal. Eltern muessen sie abholen kommen, denn so ist Unterricht nicht machbar und lernen wuerden sie sowieso nix.
    Ja, wir haben viele Schueler, bei denen es eine Erklaerung fuer ihr Verhalten gibt. Eine Entschuldigung ist es dafuer noch lange nicht und dulden muss man es auch nicht. Dabei sind wir nicht unhoeflich unseren Schuelern gegenueber. Respekt geht in beide Richtungen. Allerdings ist es die Konsequenz im Umgang mit unakzeptablen Verhalten an dem wir das letzte Jahr hart gearbeitet haben.
    Es gab vorher viele Beschwerden, die Lehrer wuerden ja nix machen, wegschauen, minimalisieren. Dem ist nun nicht mehr so, denn wir beziehen recht klar Stellung.
    Dafuer benoetigt man aber die Unterstuetzung der Schulleitung und der Eltern. Die Kinder ziehen meist von alleine mit, denn die wollen eigentlich auch nicht nervenaufreibenden Unterricht ueber sich ergehen lassen muessen.
    Wenn dann aber schon die Eltern aufgegeben haben, wie soll denn da ne Schulleitung oder gar die einzelnen Klassenlehrer noch was machen? Erziehung faengt zu Hause an...

  • Oh Mann, da kommen bei mir sofort so viele Erinnerungen und Gedanken hoch...
    Und nein: solche Zustände muss man leider nicht erfinden oder konstruieren. Ganz so extrem war es am meiner vorherigen Schule zwar nicht, aber schon sehr dicht dran und das obwohl Schulleitung und Kollegium echt versucht haben zu retten, was zu retten ist. Wobei ich mich, wenn ich das hier aus Elternsicht lese, schon frage, was davon für die Eltern sichtbar war und was nicht.
    Gerade wenn es viele verhaltensauffällige Schüler gibt, kann ich mit Eltern anderer Schüler ja nicht darüber reden, was da gerade läuft (Jugendamt schon eingschaltet, Kind ist in Therapie, zu Hause ist gerade Krise, welche Ordnungsmaßnahmen sind schon gelaufen...).
    Ich fürchte auch da werden Eltern gedacht haben, dass wir zu wenig oder alles falsch machen.
    Das Kollegium an solchen Schulen arbeitet immer am Rand der Erschöpfung (und oft auch darüber hinaus), da fehlt dann irgendwann einfach die Kraft für grundlegende Änderungen. Auch wenn die nötig wären. Denn Fakt ist ja auch: es gibt Schulen die trotz ähnlicher Schülerschaft besser zurechtkommen als andere.
    Es entsteht aber leicht ein Teufelkreis: der Alltag ist so anstrengend, dass irgendwann die Kraft fehlt etwas zu ändern, dadurch wird es immer noch schlimmer und die Erschöpfung und auch Resignation wächst weiter usw. .... Diese Schulen bräuchten dringend Unterstützung von außen.
    Von Schulen wird immer erwartet, dass sie sich bitte schön selbst an den Haaren aus dem Dreck ziehen. Was aber, wenn man nicht mehr die Kraft dazu hat? Oder einem einfach nichts mehr einfällt? Und vieles an äußeren Bedingungen hängt, die man nicht geändert bekommt?

    Wenn aber das eigene Kind Verletzungen davonträgt (physische wie dauerhaft auch psychische) und jedes Unterstützungsangebot durch Eltern an die Schule abgelehnt wird, frage ich mich, warum sich manche Schulen so abschotten.

    Welche Unterstützungsangebote waren das denn konkret?

    Ich kann mit meinem Kind gehen, frage mich aber, wie es dort weitergeht und wie es an vielen Schulen weitergehen wird.

    So bitter es ist: Sieh zu, dass du dein Kind da raus nimmst! Mir geht es heute noch so, dass ich mich für jedes Kind freue, dass zu mir an die Schule kommt, obwohl es eigentlich im Einzugsgebiet meiner alten Schule wohnt... Und ich sehe ja jetzt auch den Unterschied, den es macht.
    Ich habe an meiner alten Schule immer auch die Kinder gesehen, die gerne in Ruhe lernen wollten und den ganzen Tag dieses Chaos ertragen mussten. Ich hätte denen das so gewünscht :(


    Ich möchte nur sagen, dass es für die Kinder ebenfalls kein gesunder Zustand ist.

    Natürlich nicht! Aber geh mal davon aus, dass das die meisten Lehrer durchaus sehen und da genauso drunter leiden. Mir ging das jedenfalls so: ich hätte so gerne gewusst, wie ich den störenden Kindern hätte helfen können (die letztlich auch alles "arme Würstchen" waren, die z.T. unter Bedingungen aufwuchsen, die man keinem Kind wünscht) und gleichzeitig hat es mich oft wütend gemacht, wenn ich gesehen habe, wie sehr auch die anderen Kinder darunter litten.
    Ich bin letztlich gegangen, weil ich das nicht mehr ausgehalten habe, hatte aber auch dieses Gefühl, die Kinder da im Stich gelassen zu haben, bzw. frage mich generell an wievielen Schulen es wohl ähnlich (oder schlimmer) läuft und wie das perspektivisch weiter gehen soll.

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Ich bin letztlich gegangen, weil ich das nicht mehr ausgehalten habe, hatte aber auch dieses Gefühl, die Kinder da im Stich gelassen zu haben, ...

    Es ist völlig legitim, da ausschließlich an sich und die eigene Gesundheit zu denken. Ein schlechtes Gewissen ist dort völlig fehl am Platz.

  • Um hier einmal wieder den Vergleich zur, auch im Forum, immer wieder hochgelobten "freien" Wirtschaft zu ziehen:


    Wenn es in einem Unternehmen drunter und drüber zugeht, es vielleicht sogar kurz vor dem Zusammenbruch (Insolvenz) steht, dann ist es völlig legitim, wenn die Angestellten das "sinkende" Schiff verlassen: Warum sollte man dort auch ein "schlechtes" Gewissen gegenüber dem Unternehmen, seinen Aktionären, seinen Kollegen, oder gar seinen Kunden haben? Hat dort auch keiner. Insofern hat @icke vollkommen richtig gehandelt im Rahmen seiner Möglichkeiten und seines legitimen Selbstinteresses.


    Merke: Von der hochgejubelten "freien" Wirtschaft lernen heißt siegen lernen! Wird uns im öffentlichen Dienst ja von morgens bis abends so eingetrichtert.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Es ist völlig legitim, da ausschließlich an sich und die eigene Gesundheit zu denken. Ein schlechtes Gewissen ist dort völlig fehl am Platz.

    Ich weiß. Schlechtes Gewissen ist vielleicht auch das falsche Wort dafür. Aber man baut halt auch an so einer Schule menschliche Beziehungen auf und auch die Kinder wachsen einem ans Herz. Insofern hatte ich da doch eine gewisse Wehmut....
    Die richtige Entscheidung war es natürlich trotzdem. Mir macht mein Beruf wieder Spaß, ich bin wieder ich selbst und entwickele mich endlich weiter (und spätestens die Äußerung meiner Tochter, ich wäre viel fröhlicher seit ich gewechselt habe hat mir das nochmal bestätig :) ).

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Weiß nicht, ob's für den Stammtisch taugt, für uns ist es leider täglich Brot. Aber gut zu hören, dass andere es für ausgedacht halten. Das rückt alles ins rechte Licht, nämlich dass was gehörig schief läuft.


    Hallo Krabappel,


    danke für die Klarstellung, dann bin ich im Bilde.
    Wie wäre es, wenn ihr - wie im allseits bekannten Fall in Berlin - euch an die Öffentlichkeit wendet? Die von dir geschilderten Zustände sind ja jenseits von jeglicher Zumutbarkeit - sowohl den Kollegen als auch den Kindern gegenüber.


    Alles Gute! :gruss:


    der Buntflieger

  • @Buntflieger, klingt erst mal logisch, aber ich bin eben auch Lehrer. Stell dir vor, Eltern deiner Schule würden einen Brandbrief über die Zustände deines Arbeitsplatzes verfassen. Am Besten Eltern, die auch noch Kollegen sind...

  • @Buntflieger, klingt erst mal logisch, aber ich bin eben auch Lehrer. Stell dir vor, Eltern deiner Schule würden einen Brandbrief über die Zustände deines Arbeitsplatzes verfassen. Am Besten Eltern, die auch noch Kollegen sind...

    wir raten teilweise unseren Schülern bzw. Betrieben exakt dazu (allerdings geht es bei uns um die baulichen Bedingungen).


    Da der Schulträger/die Vorgesetzten Stellen auf uns sch...., und wir selbst an den Dienstweg gebunden sind, bleibt nur, dass Schüler/Eltern/Betriebe ordentlich Radau schlagen. Es gibt genau eins, was in unserem System hilft, und das ist schlechte Presse. DIE mag da oben keiner.

  • Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass hier in nennenswertem Ausmaß interessierte Laien mitlesen, oder?

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • wir raten teilweise unseren Schülern bzw. Betrieben exakt dazu (allerdings geht es bei uns um die baulichen Bedingungen).
    Da der Schulträger/die Vorgesetzten Stellen auf uns sch...., und wir selbst an den Dienstweg gebunden sind, bleibt nur, dass Schüler/Eltern/Betriebe ordentlich Radau schlagen. Es gibt genau eins, was in unserem System hilft, und das ist schlechte Presse. DIE mag da oben keiner.


    Hallo DePaelzerBu,


    das ist wohl richtig. Beamten ist es untersagt, selbst "innere" Konflikte an die Öffentlichkeit zu tragen. Falls aber eklatante Missstände vor Ort herrschen - und das lässt sich aus dem Eingangsposting ja unschwer herauslesen -, die von Seiten der Vorgesetzten ignoriert werden - auch dies ist offenbar der Fall -, dann bleibt im Sinne der Remonstration nichts anders übrig, als diesen nächsten Schritt zu gehen. Man kann solche Zustände ja schließlich nicht einfach stillschweigend ertragen und damit das Wohl der Schutzbefohlenen fahrlässig gefährden.


    der Buntflieger


  • Ich finde die Aussage im Titel gar nicht in deinem Text wieder??? Ich fände sie unmöglich. Lehrer müssen auch Vorbilder sein. Vielen scheint es leider doch nur um den "gutbezahlten Job" zu gehen. Das ist traurig und bestätigt die negativen Klischees von außerhalb.

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