Latein in der Schule: Bringt das so viel für Grammatik?

  • Ich denke, das ist aber genau der Punkt, den die Latein-Fraktion weiter oben schon mal genannt hat: Ein bisschen oberflächlich Konversation halten ist was anderes als die Sprache richtig zu beherrschen.

    Die Frage ist halt, ob im Schulunterricht "Latein" das richtige Beherrschen in dem Maße in den Schülerköpfen ankommt. Wenn man das Lernen ernst nimmt, lernt man sicherlich auch Spanisch ohne Latein vertieft.


    Die Grammatikaspekte die bisher so genannt wurden, da würde ich mir persönlich auch wünschen, dass die wieder im Deutschunterricht ankommen.


    (Aber ich würde mir auch wünschen, dass wieder mehr formale Mathematik statt Pseudoanwendungen unterrichtet wird, von daher passt das alles ganz gut ins Konzept: Oberflächlich, schnell, einfach, "kompetenz"orientiert, ...)

  • *seufz*


    Wobei die einzig wahre Kompetenz ja wäre das Prinzip verstanden zu haben und dieses auf jedes beliebige Beispiel anwenden zu können.

  • Was ein Adverb ist, habe ich übrigens erst im Englischunterricht verstanden.

    Ein Adverb im Englischen (oder Lateinischen) ist aber nicht das gleiche wie ein Adverb im Deutschen. Adverbien im Englischen werden im Deutschen überwiegend mit Adjektiven im adverbialen Gebrauch wiedergegeben (zumindest nach Kategorisierung der meisten Grammatiker und Grammatiken).

  • Ein Adverb im Englischen (oder Lateinischen) ist aber nicht das gleiche wie ein Adverb im Deutschen. Adverbien im Englischen werden im Deutschen überwiegend mit Adjektiven im adverbialen Gebrauch wiedergegeben (zumindest nach Kategorisierung der meisten Grammatiker und Grammatiken).

    Genau, und als Anglist macht mich das wuschig! Wieso sagt man, das Wort "der" kann zu drei Wortarten gehören (Artikel, Demonstrativ-, Relativpronomen), das Wort "schnell" aber nur zu einer (Adjektiv). Das Adjektiv kann dabei als Adverb verwendet werden - analog müsste man mit gleichem Recht sagen, der Artikel könne auch als Pronomen verwendet werden.


    Verlorener Posten, ich weiß; aber ich gehöre der Minderheit an, die neben dem Adjektiv gerne ein Adverb "schnell" hätte.

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

  • Latein in Deutschland bringt aber unglaublich viel, weil man einfach viel zu wenig Sprach- und Grammatikuntericht macht.

    Äh. Ja. Wenn man sich viel mit Grammatik beschäftigt, lernt man viel über Grammatik. Sinnvoll wäre dann doch, dass man mehr Sprach- und Grammatikunterricht in Deutsch macht, als in einer weitgehend anderen Sprache, die man weder spricht noch in der Regel nach dem Schulabschluss lesen kann und die auch über bloße etymologische Fragen keine Bedeutung mehr im Alltag hat. (Außer natürlich als social marker, der die Zugehörigkeit zu einer bürgerlichen Elite anzeigt.)

  • ich bin dabei! ;-)

    Und ich bin raus :zahnluecke:
    Ich dachte Adverb heißt sprachunabhängig "nähere Bestimmung eines Verbes". Also ist für mich "Ich fahre schnell" ein Adverb, da es das fahren näher beschreibt.


    Dem ist im Deutschen nicht so? Wäre das dann ein "Adjektiv in adverbialer Verwendung"? Dann bin ich auch dabei.

  • ich bin dabei! ;-)

    Dito.


    Übrigens hat die seltsame Meinung, dass Latein als Sprache ein besonders geeignetes Vehikel zum Grammatikerwerb sei, historische Gründe. Latein war neben Griechisch die Sprache, für die systematische Grammatiken verfasst wurden, tatsächlich schon in der Antike. In der Frühmoderne, d.h. in der Zeit, als die modernen Nationalsprachen systematisiert beschrieben wurde (z.B. im 16. Jh. von William Bullokar für das Englische), wurde Latein als präskriptiv verstandenes Modell verstanden. Das heißt, dass die grammatischen Strukturen der Lateinischen Sprache der modernen Sprache mit Gewalt aufgepropft wurden und es dabei zu Missverständnissen und Ungenauigkeiten kam, die z.T. bis heute ohne Nachdenken fortgeführt werden.


    Eins meiner Lieblingsbeispiele ist in englischen Schulgrammatiken die Vorstellung, dass es viele Zeiten (tenses) gäbe, eine Vorstellung, die ursprünglich aus dem lateinischen Inventar von morphologisch bestimmten Formen für den Ausdruck der Dimension von Zeit und Möglichkeit stammt. Die gibt es im Englischen aber nicht, im Verbsystem dieser Sprache gibt es nur zwei Zeiten im eigentlichen Sinne: Gegenwart und Vergangenheit. Die Dimension von Zeit und Möglichkeit wird nach dem Verschwinden des Flexionssystems durch die verschiedene Verbmodifikation erreicht - sei es durch die Progressivmarkierung, sei es durch Modalverben, sei es durch fixierte Phrasen zum Ausdruck von Zukunft. Diese Modifikationen können sehr frei miteinander kombiniert werden. ("I might have been doing this all day long, how will you ever know?" - welche "Zeit" nach morphologischer Definition hat das Verb im Hauptsatz?) Das englische Verb als grammatischer Komplex wäre für Lerner viel leichter zu verstehen, wenn man im Unterricht diese Perspektive wählen würde. Die Schulgrammatiken machen das aber nicht, weil Latein als Tradition.


    Ein anderes Beispiel ist, dass die Übernahme lateinischer Terminologie dem Verständnis der Grammatik einer modernen Sprache im Weg stehen kann. Nehmen wir die Begriffe "Perfekt" und "Imperfekt", wie ich die deutschen Zeiten noch in der Schule lernte. Im Lateinischen sind das völlig sinnvolle Bezeichnungen der Funktion der grammatischen Form. Das Perfekt von "laudare", "laudavi" bezeichnet eine abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit. Punkt, fertig. Der Imperfekt ist, wie der Begriff schon sagt, nicht abgeschlossen: "laudabam" kann einen Versuch ausdrücken, eine in der Vergangenheit wiederholte Handlung, eine noch andauernde Handlung...


    Wenn man diese Vorstellung auf die deutsche Sprache anwenden will, so wie in den Arbeitsblättern, in denen ich im Grammatikunterricht Perfekt- und Imperfektformen bestimmen sollte, gerät man aber in große Schwierigkeiten, denn die deutschen Zeitformen funktionieren anders als die lateinischen. Das deutsche Perfekt kann z.B. iterativ sein ("Tausendmal habe ich dir das gesagt!!!"), der deutsche Imperfekt drückt regelmäßig eine abgeschlossene Handlung aus ("50 v.Chr. ließ Schwanzus Longus alle Grammatiken verbrennen") und ist deshalb die Erzählzeit. Umgekehrt lernt man im Lateinunterricht, dass man die lateinischen Zeitformen tunlichst nicht mit ihren deutschen Entsprechungen übersetzen darf, weil das dann eben eine falsche Übersetzung ist.


    Warum dann eine fehlerhafte Begrifflichkeit in der deutschen Grammatik? Und warum überhaupt das Abfallprodukt des Grammatiklernens über den Umweg, dass man die eigene Sprache über die Unterschiede der anderen Sprache betrachtet, deren Grammatik man eigentlich im Unterricht lernt?


    Will sich mir nicht so recht erschließen.


    P.S. In zeitgemäßen deutschen Schulgrammatiken redet man glücklicherweise mehr und mehr vom "Präteritum" (dem "Vorhergegangenen") und nicht mehr vom Imperfekt

  • Ich dachte Adverb heißt sprachunabhängig "nähere Bestimmung eines Verbes". Also ist für mich "Ich fahre schnell" ein Adverb, da es das fahren näher beschreibt.


    Dem ist im Deutschen nicht so? Wäre das dann ein "Adjektiv in adverbialer Verwendung"? Dann bin ich auch dabei.

    Glückwunsch, du bist wieder dabei, so wie in der zweiten Aussage sehen das die meisten Grammatiken! (Mir ist die Aussage davor ja lieber, aber das sehen die meisten anders.)
    Dass ein Adverb ein Verb näher bestimmt, ist aber gar nicht so. Ein Adverb kann alles mögliche näher bestimmen. "Glücklicherweise" bezieht sich ja eher auf den ganzen Satz als auf ein Verb, und "sehr" kann sich auch auf Adjektive beziehen, falls man das überhaupt als Adverb sehen will und nicht als Partikel. Tatsächlich halte ich das Adverb ein bisschen für die Lumpensammlerwortart, wo sich ganz verschiedenes tummelt.


    Zu weiteren Verwirrung: Außerdem ist "Verb näher bestimmen" eher eine semantische Kategorie; da würde ich eher sagen (aber nicht unbedingt in der Schule!), dass das Satzglied Averbiale zusätzliche Angaben zum Prädikat (oder zum Satz?) macht, und ein Adverb ist dann ein Wort, dass alleine für sich die Funktion "Adverbiale" ausfüllen kann.

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

  • Und ich bin raus :zahnluecke: Ich dachte Adverb heißt sprachunabhängig "nähere Bestimmung eines Verbes". Also ist für mich "Ich fahre schnell" ein Adverb, da es das fahren näher beschreibt.


    Dem ist im Deutschen nicht so? Wäre das dann ein "Adjektiv in adverbialer Verwendung"? Dann bin ich auch dabei.


    "Ad verbum" heißt zunächst nichts weiter als "zum Verb" - das kann alles mögliche sein. Wenn du lateinische Wortarten betrachtest, siehst du morphologisch unterschiedliche Worte. "Celer" ist ein Adjektiv, "celeriter" ist ein Adverb, "bonus" ein Adjektiv, "bene" ein Adverb. Im Deutschen sind die Wortformen identisch - "schnell", "gut".


    Relevant wird die Angelegenheit, wenn du über die Funktion eines Wortes redest, dann kommt es darauf an, ob wir eine Adverbiale vor uns sehen oder ein Attribut. Das ändert aber nichts daran, dass die Unterscheidung bei der Einordnung in Wortarten, bei der das einzelne Wort für sich betrachtet wird, ohne Bedeutung ist. "Schnell" kann "celer" als auch "celeriter" sein - die Entscheidung für Adjektiv oder Adverb ist deshalb terminologisch sinnlos.


    Ein anders, noch krasseres Beispiel ist dabei die englische Sprache. Dort kollabiert zum Teil die Unterscheidung zwischen Substantiven und Verben. Ein Substantiv lässt sich im Regelfall problemlos als Verb verwenden und umgekehrt: "We need to bulldozer the school grammar." "This grammar is a has been."


    :) Grammatik macht Spaß.

  • Ich dachte Adverb heißt sprachunabhängig "nähere Bestimmung eines Verbes". Also ist für mich "Ich fahre schnell" ein Adverb, da es das fahren näher beschreibt. Dem ist im Deutschen nicht so? Wäre das dann ein "Adjektiv in adverbialer Verwendung"? Dann bin ich auch dabei.

    Das schnelle Auto ... -> Adjektiv in attributiver Verwendung
    Das Auto fährt schnell. -> Adjektiv in adverbialer Verwendung
    Das Auto ist schnell. -> Adjektiv in prädikativer Verwendung


    So nach traditioneller deutscher (Schul-)Grammatik.

  • aber ich gehöre der Minderheit an, die neben dem Adjektiv gerne ein Adverb "schnell" hätte.

    Gibts doch: "schnell mal" - nur in adverbialer Funktion verwendbar.

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • Zu weiteren Verwirrung: Außerdem ist "Verb näher bestimmen" eher eine semantische Kategorie; da würde ich eher sagen (aber nicht unbedingt in der Schule!), dass das Satzglied Averbiale zusätzliche Angaben zum Prädikat (oder zum Satz?) macht, und ein Adverb ist dann ein Wort, dass alleine für sich die Funktion "Adverbiale" ausfüllen kann.

    Genau so erkläre ich das in Latein: Unterscheidung von Satzgliedern, Füllungsarten, Wortarten.

  • im Deutschen gibt es kein Imperfekt, lediglich ein Präteritum. Das wird aber auch längst schon überall so gelehrt....

    Im Deutschen gibt es ein Tempus, das einen Namen braucht. Wie man das nennt, ist eine pragmatische Entscheidung und keine Frage, was es gibt. Und da bin ich auch für Präteritum, klar, eben weil das semantisch für Schüler und Schülerinnen nicht erschließbar ist.

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

  • im Deutschen gibt es kein Imperfekt, lediglich ein Präteritum. Das wird aber auch längst schon überall so gelehrt....

    Schön, wenn es überall so gelehrt würde. Google mal nach "Imperfekt" und "Grammatik", dann siehst du, dass das nicht so ist. Aber das habe ich ja auch so geschrieben.

  • Ich hab das zu meiner Schulzeit je nach Lehrer auch mal als Imperfekt, mal als Präteritum gelernt im Deutsch-Unterricht. War unproblematisch, solange es nur um deutsche Grammatik oder Lateinunterricht ging, wurde zur Herausforderung, als ich im Franözosisch-Unterricht den Unterschied zwischen passé composé und imparfait verstehen musste, der ein korrektes Verständnis des Imperfekts (und nicht dessen Vermengung mit dem deutschen Präteritum) erfordert. Den Unterschied habe ich dann auch tatsächlich erst im 1.Semester des Französischstudiums in allen Feinheiten verstanden, nachdem ich mich für die Übersetzungskurse in meinen Confais vertieft hatte, der das- anders als meine Französischlehrer am Gymnasium- verständlich erklären konnte.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • @CDL Das sind genau die Komplikationen, die ich meine, weswegen man nicht den Lateinunterricht als Vehikel für das Grammatikverständnis im Deutschen loben sondern lieber die deutsche Grammatik gründlicher unterrichten sollte.

  • @CDL Das sind genau die Komplikationen, die ich meine, weswegen man nicht den Lateinunterricht als Vehikel für das Grammatikverständnis im Deutschen loben sondern lieber die deutsche Grammatik gründlicher unterrichten sollte.

    Stimme ich dir uneingeschränkt zu. Wobei ich fairerweise sagen muss, dass meine Lateinlehrer die einzigen Fachlehrer waren die ausnahmslos und zuverlässig den Unterschied zwischen Imperfekt und Präteritum kannten und lehrten. Half nur nicht genug, angesichts der Verwirrung die der eine oder andere Deutsch- oder Französischlehrer stiftete.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

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