Unterrichtseinheit "Zeitung" & "Fernsehen"

  • In unserem Deutsch-Curriculum befinden sich zwei Unterrichtseinheiten, die ich in ihrer jetzigen Form für anachronistisch halte, "Fernsehen" (Klasse 9) und "Zeitung" (Klasse 10).
    Diese würde ich gerne neu aufbereiten.


    Was in den alten UE vermittelt werden sollte, ist meiner Meinung nach Folgendes: In "Fernsehen" geht es um den Konsum von (Unterhaltungs-)Medieninhalten, in "Zeitung" darum, wie man sich informieren kann und sollte und welche Textsorten es gibt; dass es also Unterschiede zwischen sachlichen Artikel und den Textarten Kommentar/Kolumne/Glosse gibt, bei denen die Meinung des Autors mitschwingt.


    So betrachtet, haben beide Unterrichtsinhalte noch ihre Daseinsberechtigung, eventuell auch immer noch separat und nicht in eine schwammige Einheit "Medien" reingepackt (wobei auch das diskutierenswert ist).
    Mal abgesehen davon, dass das klassische Fernsehen nun erweitert (oder ersetzt) durch Youtube/Netflix/... wird und die klassische Printzeitung von entsprechenden Webseiten oder Handyapps, gibt es sicher noch Themen und anzusprechende Probleme, die durch diese neuen Formen hinzugekommen sind und die man besprechen sollte.
    Ein paar lose Stichworte dazu:
    - Bingewatching
    - Filterblase, gesteuerte Meinungsbildung
    - Kommentar
    - (benutzerzugeschnittene) Werbung, Produktplatzierungen,
    - Binnenöffentlichkeiten, wer kann meine Kommentare lesen
    - Klarnamen vs. Pseudonyme


    Frage(n) an euch:
    1) Wie unterrichtet ihr das in Deutsch? Eine oder mehrere Unterrichtseinheiten?
    2) Wann unterrichtet ihr das in Deutsch?
    3) Welche unterrichtenswerten Stichpunkte fallen euch noch ein?
    4) In welche Stunden habt ihr diese Unterrichtseinheiten aufgeteilt?

  • Vorsicht mit Begriffen wie "Filterblase" - das sind keine Qualitäten, die einer bestimmten Medienart intrinsisch sind. Auch der Bild-Zeitungsleser der 70er lebte in einer Filterblase.


    Übrigens stelle ich fest, dass ich keine einzige Papierzeitung mehr lese - und bin dagegen sehr viel politisch und gesellschaftlich detailinformierter als ich es Ende der 90er war.

  • mach bitte unbedingt weiterhin die klassischen textsorten der zeitung (damit sich nicht wieder ein eumel beschwert, ein kommentar sei nicht "neutral" und die karikatur sei "übertrieben" - you don't say), erkläre, wie eine redaktion funktioniert, wie eine zeitung sich finanziert, dass zeitungen politischen richtungen zuzuordnen sind, dass es einen boulevard, aber auch qualitätspresse gibt; vielleicht könnt ihr auch ein bisschen eine klassenzeitung erstellen oder einfach mal rumlesen für eine woche oder eine druckerei besuchen... zeige, dass immer alles aus einer bestimmten perspektive aufgenommen ist, selbst ein nicht bearbeitetes foto, dass aber viele fotos zusammen mir durchaus ein klarerers bild, also ein näher an der wahrheit liegendes bild, vermitteln können als ein zu einfaches" ja, das sieht halt jeder anders".


    dann kontrastierst du das mit "sozialen medien", nicht als "gut vs. schlecht", sondern als "was ist hier neu?" (wegfall des prinzips der massenmedien: konstruktion einer gemeinsamen bezugsrealität außerhalb des eigenen face-to-face-alltags, da jeder eine individuelle timeline sieht, die der algorithmus nach vergangenen vorlieben und abneigungen und denen der freunde erstellt --> filterblase, individuelle "realitäten", "fake-news"...; zudem wegfall der gatekeeper-funktion von klassischen medien; finanzierung: werbung, ergo sehr viel subtiles product placement, alles für den click), vielleicht auch erste bewertungsversuche (demokratisierung der medien vs. wahlbeeinflussung etc.) in 10 (sehr anspruchsvoll)


    erhebung zum eigenen medienkonsum, vergleich, problematisierung (eher so in richtung konzentration und produktivität, weniger in richtung "böse, weil bildschirm"; vorteile aufzeigen). das geht sehr gut, ich hatte da immer produktivste diskussionen.


    vorstellen von medienformaten (ein youtube-channel, ein videospiel, eine app, eine zeitung, eine zeitschrift, einen podcast, was auch immer) durch sus für dich: "zeig mir deine medienwelt, zeig mir was, was ich nicht kenne und was du gut findest". du zeigst ihnen dann auch deine. sie finden das sehr spannend und für dich ist es die beste fortbildung ever (also, für mich zumindest immer, sehr spannend, sehr lustig, sehr hilfreich, um auf augenhöhe zu bleiben)


    tv kann man eher in der unterstufe (5-6) gut veranstalten, da haben sie meist youtube und insta noch nicht so für sich entdeckt/da sind noch die eltern vor. eignet sich für integrativen deutschunterricht zu "zuhören" und "diskutieren" (was ist die beste tv-sendung? warum? verhaltensregeln fürs tv-schauen, wenn wir zusammen was anschauen wollen? blabla) und "filmanalyse" aka "sendungsanalyse" (erste unterscheidung info vs. unterhaltung und mischformate, z.b. "logo" vs. irgendeine gerade beliebte serie, vielleicht auch schon privat vs öffentlich-rechtlicher rundfunk). ich mache da immer kinderradio-formate, da gibt es tolle sachen, und man kann anrufen und so. die funkhäuser haben da auch kooperationsprogramme, wenigstens in bayern.


    ein bisschen verhaltensregeln fürs netz (alles privat setzen, keine adresse rausgeben blablaba) freilich auch machen, da gibt es viel fertiges material zu.

  • Als ich mir das Rezo-Video angesehen habe, hatte ich ein paar spontane und ungeordnete Ideen für meine Oberstufenklasse, die ich vielleicht umgesetzt hätte, wenn die nicht gerade Abi gemacht hätten.
    Die Leitfrage wäre so ungefähr, welche Auswirkungen die neueren medialen Kanäle mit sich bringen:
    Rezos Video erreicht eine Zielgruppe, die von klassischen Medien nicht erreicht werden. Duktus und Darbietungsform führen zu einer hohen Identifikation der Zielgruppe mit dem Sprecher. Sein Appell kommt also an und zeigt große Wirkung. Durch das Internet bzw. YouTube als Medium muss er an keinen Gatekeepern vorbei, die seine Inhalte oder seine Ausdrucksweise kontrollieren könnten.
    Auf der anderen Seite fehlt dadruch auch eine Instanz der Qualitätskontrolle. Ich glaube bei Spiegel Online habe ich einen Faktencheck gelesen, der ihm bei prinzipiell gründlicher Vorgehensweise doch einige Ungenauigkeiten und auch ein paar manipulative Vereinfachungen vorwefen. Bei ein paar seiner Interpretationen von Aussagen musste ich selbst ein wenig schlucken, weil er Dinge behauptet - und dann kritisiert - hat, die so nicht gesagt wurden.


    Die Frage, die während dieser Unterrichtseinheit nun im Raum stehen sollte, wäre nun, wie man die Möglichkeiten dieser neuen medialen Ausdrucksformen nutzbar machen kann, ohne die Qualtität der traditionellen Medien zu verlieren. Dass das Spiegel und SZ das Strache-Video ja wirklich beinahe zeitgleich veröffentlicht haben, könnte man nutzen, um eben auch auf den investigativen Charakter dieser Medien einzugehen und die - ergebnisoffene, nicht tendenziöse - Frage zu stellen, ob YouTube Influencer diese Aufgabe auch meistern können.

  • Übrigens stelle ich fest, dass ich keine einzige Papierzeitung mehr lese - und bin dagegen sehr viel politisch und gesellschaftlich detailinformierter als ich es Ende der 90er war.

    Ist bei mir genauso - deshalb habe ich gemerkt, dass ich den Schülern schlecht beibringen kann, wie wichtig es ist, regelmäßig Zeitung zu lesen, wenn ich selbst es schon seit Jahren nicht mehr mache.
    Deshalb möchte ich die Möglichkeit, sich über eine Nachrichten-App auf dem Handy zu informieren (und selbst wenn es nur 2 Minuten an der Bushaltestelle oder in der Bahn ist) nahe bringen.

  • @WillG
    Sehr gute Gedanken - in höheren Klassenstufen sicher sehr gut umsetzbar.
    Bei einigen Unterrichtsversuchen bei solchen Themen habe ich gemerkt, dass man solche Sachen frühestens in Klasse 10 thematisieren kann.
    Andererseits - ist da das Kind dann nicht schon in den Brunnen gefallen, wenn man erst "oben" mit dem Thema Nachrichten kommt?
    Wahrscheinlich müsste man es in mehreren Klassenstufen einbauen.


  • - (benutzerzugeschnittene) Werbung, Produktplatzierungen,
    - Binnenöffentlichkeiten, wer kann meine Kommentare lesen

    Die beiden Punkte werden bei uns eher im Fach Wirtschaft und Recht abgehandelt.
    Hier würde sich der Austausch mit den betreffenden Fachkollegen anbieten. Ob und wie er diese Themen schon behandelt hat oder ob er sich einen fächerübergreifenden Unterricht vorstellen könnte.

    Gerade in Elternzeit, deshalb fast nur stille Mitleserin :essen:

  • Ausgehend vom Bildungsplan für die Sek.I (BW) sind einige Bausteine auch bereits Thema in GK ab Klasse 7 ("Jugendliche in der Medienwelt") oder in WBS ("Werbung"). (WBS gibt es am Gymnasium erst ab 8, abgesehen davon nehmen die Bildungspläne sich aber meine ich nicht so viel in der Mittelstufe, unterscheiden sich abgesehen von Einzelaspekten lediglich bei den Operatoren.) Propaganda wird z.B. in Deutsch bei uns in 7 behandelt zeitgleich mit den beiden Bausteinen aus GK und WBS die ich benannt habe, um dann in 9/10 nochmal in G aufgenommen zu werden. Da lässt sich also manches fächerübergreifend thematisch verknüpfen. Viele der Stichworte die du nennst @Ummon bearbeite ich auch mit meinen 7ern im Rahmen von "Jugendliche in der Medienwelt" in GK.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

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