Mogelpackung Ganztag

  • Aber warum? Ob die Kinder in der Schule Basketball spielen oder im Verein ist doch egal. Also wer auf Schützenfest und sowas steht, der braucht vielleicht Vereine aber sonst geht's doch um das, was die Kinder machen und nicht, wer es anbietet. Ich verstehe gerade eure Sorge nicht :weissnicht:


    Prinzipiell wäre es egal, wo die Kinder Sport treiben und als an meiner Schule der offene Ganztag begann, war das auch einmal so gedacht, aaaaaber:


    Zeitfenster für AGs ist hier 14.30 - 15.30 Uhr. Jugendtrainer in Sportvereinen machen das in der Regel ehrenamtlich und haben dann schlicht und ergreifend noch keine Zeit. Das Training der Sportjugend findet am Spätnachmittag außerhalb der Schule statt. Für die Ganztagszeit hat sich einmal für ein Jahr ein Rentner gefunden, der dann aber bald ein besseres Jobangebot fand, als eines, wo er mitten am Tag täglich für sage und schreibe eine Stunde gebunden ist.
    Hinzu kommt, dass die Schule am äußersten Rand eines großen Flächenlandkreises liegt und man zu den nächstgelegenen beiden Städten eine ganze Weile fährt. Wir haben jede Menge Musikinstrumente, selbst schöne Geigen, aber keine Musiklehrer, die darauf Lust haben, insgesamt länger zu fahren, als sie dann hier unterrichten können. Viel zu unrentabel.


    Das Ergebnis: Eine Nachmittagsverwahrung mit unattraktivem Bildungsangebot. Überlege einmal, wer Lust und Zeit hat, sich den Tag komplett zerreißen zu lassen durch wenige Stunden schlecht bezahlter Arbeit. Wir haben sehr nette Kräfte im Ganztag, die halt mal etwas Nettes machen wollten, um mal herauszukommen. Ist ja sonst nicht so viel los auf´m Dorf. Unsere AGs heißen "Freies Spiel" oder "Tiere erkunden" (Ausmalbilder und Becherlupen).


    Dann kommen die Kinder heim und müssen trotzdem noch evtl. nicht geschaffte Hausaufgaben bearbeiten, Leseübungen oder Einmaleinsübungen machen, zum Musikunterricht, Sport etc. Eine Ganztagsschule, wie sie gedacht ist, sollte das abdecken, idealerweise auch sowas wie Ergotherapie oder Logopädie.

  • Unsere AGs heißen "Freies Spiel" oder "Tiere erkunden" (Ausmalbilder und Becherlupen).

    Gehst du denn mit deinen Kindern zu Hause mit den Becherlupen los und bestimmst Käfer?
    Ist ja nicht so, dass man mit den eigenen Kindern ein privates Wissens- und Kulturprogramm von Montag- Freitagnachmittag auffährt. Und am Wochenende mal Burg oder Museum macht man doch trotzdem.


    Ich kenne es so, dass in Horten aus der Musikschule Lehrer anreisen und dann Interessierten, die sich dort privat anmelden, Klavier oder Gitarre beibringen. Und die Erzieher bieten das an, was sie können, z.B. werken mit Holz, Schach, Experimentieren, Fußball, Sportspiele, Tischtennis, Inlinern, Schreibwerkstatt... kann mir keiner erzählen, dass er das zu Hause besser oder überhaupt regelmäßig leisten würde.


    Und ich finde Vereinsleben ziemlich ätzend, dankbar nie auf dem Dorf gewohnt zu haben. Ich kenne auch genug abkotzende Mütter, die samstags in der Früh auf Dreikäsehochturnieren rumfrieren und den Nachwuchs 3x die Woche irgendwohin fahren. Wozu? 8-Jährige haben in den seltensten Fällen so spezielle Begabungen, dass es unbedingt Eiskunstlauf oder Dudelsack sein muss. Und selbst wenn: das geht auch einmal die Woche nach dem Hort.


    Gebundener Ganztag ist mir allerdings neu, das Konzept finde ich auch seltsam.

  • Gehst du denn mit deinen Kindern zu Hause mit den Becherlupen los und bestimmst Käfer?

    Nein, nur ... die Art wie ... es ist halt Kinderverwahrung. Mehr nicht. Vielleicht besser als daheim vor dem Fernseher. Gerade so. Knapp. Definitiv nicht besser als allein im Kinderzimmer mit der Legokiste und um Längen schlechter als mit einem Kumpel im Garten. Ein Traumland weit entfernt von der Hortbetreuung, die es im Ort dermaleinst gab, bis die Ganztagsschule kam.



    Ich kenne es so, dass in Horten aus der Musikschule Lehrer anreisen und dann Interessierten, die sich dort privat anmelden, Klavier oder Gitarre beibringen. Und die Erzieher bieten das an, was sie können, z.B. werken mit Holz, Schach, Experimentieren, Fußball, Sportspiele, Tischtennis, Inlinern, Schreibwerkstatt... kann mir keiner erzählen, dass er das zu Hause besser oder überhaupt regelmäßig leisten würde

    So sollte es auch sein. Zu uns kommt aber keiner, immer die gleiche Begründung, es ist zu weit.
    Unsere Erzieher bieten auch an, was sie können. Tja.
    Erzieher sind das übrigens nicht. Mitarbeiter, die sich halt so fanden. Eine bunte Mischung und alle sehr nett - da lasse ich auch gar nichts drauf kommen. Halt keine Erzieher mit Ausbildung oder so.
    Übrigens habe ich auch gar nichts gegen die AG "Freies Spiel", das muss auch sein und ist für einige Kinder ganz, ganz wichtig. Nur - wie gesagt ...die Art...Aufbewahrung.

  • Im Idealfall hast du recht Symmetra, weil Familien ausreichend engagiert und bemüht umeinander sind, Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder im Blick haben, deren Grenzen kennen und achten, sie fördern wo möglich und nötig. Was ist mit den vielen Kindern aller sozialer Schichten (denn Fürsorge und Erziehung sind ja keine spezifischen Merkmale einer besonderen Bildungs- oder Einkommensschicht), die dieses Glück nicht haben? Ignorieren wir als Gesellschaft, was auch bereits deren Famiien ignorieren, nur weil unser bisheriger Lösungsweg noch weit weg von einer optimalen Lösung (die es kaum gibt) ist? Ich bin persönlich kein Fan des gebundenen Ganztags in der aktuellen Form, sondern präferiere den offenen Ganztag, sehe aber eben auch, wer dabei auf der Strecke bleibt.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Ich sehe es auch so, dass der Ganztag eine Betreuungssache ist.
    In der Grundschule finde ich ein Ganztagesangebot noch notwendiger als in der Sekundarstufe. Grundschüler können schlecht alleine zuhause bleiben, sich Mittagessen aufwärmen, bis die Eltern von der Arbeit kommen.


    Unsere Schule bietet einen geschlossenen Ganztageszug (in jeder Jahrgangsstufe eine Klasse) an. Wir haben das Konzept selbst entwickelt und ganz gute Erfahrungen damit gemacht: Eine Ganztagesklasse wird von 2 Tandemlehrern, die eng zusammen arbeiten, betreut. Ein Nachmittag ist AG- Nachmittag (teilweise durch andere Lehrkräfte oder externe Partner), die 3 restlichen Nachmittage werden von den beiden Klassenlehrern im Wechsel (der Hauptlehrer hat 2 Nachmittage) übernommen. So haben die Schüler bis auf den Fachunterricht (Religion und WG) nur wenige Bezugspersonen, denn alle Stunden werden durch die beiden Tandemlehrer abgedeckt. Allerdings unterrichten beide Lehrer gleichzeitig nur wenige Stunden (wegen der Einsparungen). In unseren Ganztagesklassen ist es nachmittags relativ ruhig und es läuft teilweise projektartiger Unterricht.
    Dennoch gibt es ebenso das Problem, dass manches Lernen zuhause stattfinden sollte und schlecht gewährleistet ist, da die meisten Eltern dazu nicht in der Lage sind, das zu überwachen.


    Wir haben auch eine OGTS. Da wird die Hausaufgabenbetreuung angeblich von einem geschulten Personal geleistet. Ich kann nur sagen, dass die Hausaufgaben oft fehlerhaft sind und ich manchmal denke, das Kind hätte das zuhause genauso geleistet. Wenn 20 Kinder in einem Raum gleichzeitig Hausaufgaben machen und es nur 2 Betreuungen gibt, die im Unterrichtsstoff nicht fit sind, dann ist das unbefriedigend.
    Die Spielzeiteinteilung und das Mittagessen sind bei uns gut rhythmisiert und geregelt. Dennoch ist die Lautstärke zu Stoßzeiten ziemlich hoch, denn am Aufsichts- und Betreuungspersonal wird gespart. Wir Lehrer sind in die OGTS, die nur 2 Betreuungszeiten anbietet (mit oder ohne Hausaufgabenbetreuung, also kurz und lang) nicht involviert.


    In Ausnahmefällen empfehlen wir manchen Eltern die OGTS, wenn es zuhause immer nur Stress mit den Hausaufgaben gibt. Dennoch finde ich prinzipiell das Konzept, dass die Kinder nachmittags in Ruhe zuhause die Hausaufgaben machen, lernen und danach Freizeit haben, entspannender bzw. gesünder.

  • @CDL


    Du hast recht, den Idealfall wird es nicht geben, muss es aber auch gar nicht unbedingt. Soll die Schule jedoch heilen, was gesellschaftlich schief läuft, so sollte vielleicht auch hier der Grundsatz der Ärzte gelten: "Zuerst einmal nicht schaden..."

  • zu a) hast du Kinder?Zu b) nenne mir einen Menschen, der ohne Arbeit glücklich ist.


    a) Nein
    b) Es geht um Lohnarbeit und vor allem um das "müssen", das deshalb auch kursiv hervorgehoben ist (nicht um "Arbeit" per se, wie auch immer definiert).


    Aber den Spruch merk ich mir, falls sich mal ein Paketzusteller oder Pflegekraft beklagt.

  • Aber den Spruch merk ich mir, falls sich mal ein Paketzusteller oder Pflegekraft beklagt.

    Moment, da geht es um beschissene Arbeitsbedingungen. Dass Paketzusteller von outgesourcten Firmen wie Sklaven gehalten werden und Pflegefachkräfte sich für Mindestlohn im Schichtdienst krummschuften müssen. Die Probleme sind nicht die Arbeit als solche, mit der man sich den Lebensunterhalt verdient.

  • Moment, da geht es um beschissene Arbeitsbedingungen. Dass Paketzusteller von outgesourcten Firmen wie Sklaven gehalten werden und Pflegefachkräfte sich für Mindestlohn im Schichtdienst krummschuften müssen. Die Probleme sind nicht die Arbeit als solche, mit der man sich den Lebensunterhalt verdient.


    Es geht um Lohnarbeit und vor allem um das "müssen", das deshalb auch kursiv hervorgehoben ist (nicht um "Arbeit" per se, wie auch immer definiert).

  • Weiß nicht, wie ich mir das vorstellen soll. Teilzeitarbeiten, Mittach kochen, Kind A zum Ballett kutschieren, Kind B vom Reiten holen? Und, lass mich raten, wer macht's am Ende und wer geht arbeiten?

    Ich könnte mir nicht vorstellen, Vollzeit zu arbeiten und damit weite Teile der Erziehung in fremde Hände zu geben.

  • Ich könnte mir nicht vorstellen, Vollzeit zu arbeiten und damit weite Teile der Erziehung in fremde Hände zu geben.

    Was als individuelle Entscheidung völlig in Ordnung ist, nicht aber das Konzept sein sollte, worauf sich eine Gesellschaft bei der Planung von Betreuungsmöglichkeiten verlassen sollte, da es sonst eben doch wieder nur mehrheitlich an den Müttern hängen bleibt, die wahlweise Kinder-Beruf-Haushalt wuppen dürfen oder sich halt zu entscheiden haben.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Ich könnte mir nicht vorstellen, Vollzeit zu arbeiten und damit weite Teile der Erziehung in fremde Hände zu geben.

    Okay und wie machst du das mit der Betreuung/Beschäftigung genau? Ich meine, erziehen tut man seine Kinder sowieso. Frühstück machen, Brote schmieren, Freunde einladen, zu Freunden bringen, Hausaufgaben überwachen, Vokabeln lernen, Dummheiten verbieten, Hobbies ermöglichen (oder ggf. erzwingen), abends was zusammen spielen, Wochenende gestalten, Essen kochen, gesellschaftsrelevante und persönliche Gespräche inszenieren, trösten, aufmuntern, anmeckern, zum Aufräumen anhalten, bei größeren Problemen verzweifeln, Pubertät verstehen, Streit schlichten, vorlesen, in die Bücherei bringen, Ferien planen... neben der (Vollzeit)Arbeit bin ich permanent mit Kindererziehung beschäftigt.


    Müsste ich auch noch von 13-16 Uhr mit meinen Kindern basteln, experimentieren, werkeln, chinesisch lernen und eine Fußballmannschaft ersetzen, fühlte ich außer Erschöpfung wohl nicht viel anderes. Und sicher würde ich all das nicht besser machen als die ausgebildeten Erzieher und die anwesende Kindergruppe im Hort. Zur Erinnerung: wir reden hier nicht von Wochenkrippen ;)


    Daher mein ehrliches Interesse: was machst du mit deinen Kindern den ganzen Tag, was sie woanders nicht hätten?

  • Darf ich an der Stelle mal einwerfen, dass ich es auch mit halber Stelle nicht geschafft hätte, mein Kind um 13.00 Uhr aus der Schule abzuholen...


    (Und ansonsten: Bitte, bitte jetzt nicht die Debatte wie viel man sich idealerweise selber um sein Kind kümmern möchte/sollte... )

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • ...
    (Und ansonsten: Bitte, bitte jetzt nicht die Debatte wie viel man sich idealerweise selber um sein Kind kümmern möchte/sollte... )

    aber genau darum geht's doch: Wer gegen nachmittägliche Betreuung ist, hat handfeste Gründe. Die würden mich interessieren, denn Nachmittagsbetreuung funktioniert in meinem Umfeld gut

  • @Krababbel:


    Ist das so? Ich dachte es geht eigentlich um die Frage gebundener vs. offener Ganztag. Sprich einem System, das Betreuung optional hält gegenüber einem System, dass Schüler zu einer Betreuung verpflichtet (und das formuliere ich absichtlich so absurd).

  • @Krabappel


    Also wenn ich das richtig gelesen habe, hat hier niemand grundsätzlich etwas gegen nachmittägliche Betreuung, sondern


    1) etwas gegen "zwangsweise" nachmittägliche Betreuung im gebundenen Ganztag, vor allem dann, wenn es partout gar nicht möglich ist, Kinder für andere Aktivitäten freizustellen (wobei das ja z.B. an der Schule meiner Tochter problemlos ging)


    2) etwas gegen schlechte nachmittägliche Betreuung (egal ob gebunden oder im offenen Ganztag). Natürlich gibt es auch Schulen, wo die Betreeung gut ist (wie offensichtlich in deinem Umfeld), aber es gibt leider sehr häufig auch das: viel zu viele Kinder in viel zu kleinen Räumen und nicht genügend Personal für vernünftige Angebote.


    Und dann gibt es noch Menschen, die sagen: ich selber möchte gerne möglichst viel Zeit mit meinen Kindern verbringen.
    Auch das ist in Ordnung. Aber was ich immer grässlich finde ist dieser unterschwellige Vorwurfston in beide Richtungen: Wenn du arbeiten gehst und dein Kind betreuen lässt bist du eine schlechte Mutter vs. wenn du "nur" halbtags arbeitest um dich mehr um die Kinder zu kümmern, bist du automatisch "Hausfrauchen" und "Glucke".
    Das ist m.E. eine extrem unfruchtbare Diskussion, die zu nichts führt, weil sowohl äußere Lebensumstände als auch persönliche Lebensentwürfe nun mal sehr sehr unterschiedlich sein können. Ich mag einfach dieses ständige Werten nicht (mit dem gerade Frauen sich häufig genug gegenseitig das Leben schwer machen)

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

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  • Ein Traumland weit entfernt von der Hortbetreuung, die es im Ort dermaleinst gab, bis die Ganztagsschule kam.

    Bei uns auch: Hort in der Grundschulzeit war super, gebundener Ganztag in Klasse 5/6 grauenhaft, würde ich nicht nochmal machen. Betreuung außer Haus kann für die Kinder toll sein, wenn es anregende Angebote gibt, sie raus können, sich zurückziehen können und selbst steuern können, was sie machen und mit wem. Dann kommen die Eltern immer zu früh. Ganztagsschule im Dauernotbetrieb und in bedrängender Enge ist ätzend, laut, purer Stress.

  • Ist das so? Ich dachte es geht eigentlich um die Frage gebundener vs. offener Ganztag.

    Stimmt, das ist richtig, ich kann mich offenbar nicht reindenken, weil ich das so nicht kenne.

  • ...Aber was ich immer grässlich finde ist dieser unterschwellige Vorwurfston in beide Richtungen: ...

    kannst du ja finden, ich finde, wer sagt, dass er die Nachmittagsbetreuung nicht gut genug findet und die Erziehung seiner Kinder komplett selbst übernimmt, darf erzählen, was er in dieser Zeit mit seinen Kindern macht. Zwischen Schule und Nachmittag liegen ja bloß rund 3 Stunden, ich würde gerne wissen, wie andere diese qualitativ füllen, weil mir wirklich die Ideen ausgehen. Vorm Computer parken will man sie ja schließlich nicht...

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