Noteninflation beim Abitur, Reform notwendig

  • Wollsocken ist im Urlaub und schreibt nicht gerne am Handy. Vielleicht später noch mal irgendwas dazu. :)

  • Wer hat denn da die belastbareren Zahlen?

    Ich sprach von meinen Schülern, dort war es so. Habe in meinen Jahren als StuBo noch von keinem Betrieb gesagt bekommen, wir stellen keine HS ein. Für bestimmte Ausbildungsberufe erwarten sie jedoch teilweise mind. den FOR, für andere reicht ihnen der HS. Sobald es einen REWE, Deichmann, Aldi, EDEKA oder ähnliches gibt, werden dort bereits sehr viele Ausbildungsplätze mit HS angeboten. Auch die Deutsche Bahn sucht Azubis mit HS.


    Belastbare Zahlen: Die Daten werden jährlich erhoben vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und unter BERUFENET von der Arbeitsagentur in Tortendiagramme eingepflegt. Wenn man regelmäßig mit dieser Seite arbeitet, sieht man, welche Abschlüsse die letzten Azubis in den unterschiedlichen Berufen vorzuweisen haben.
    Den aktuellen Datenreport des BIBB findet man auf der Homepage.


    Bei Azubiyo momentan verfügbare Stellen noch für 2019, bei denen ein HS in der Ausschreibung steht: 11.665
    Wenn ich nur mal Dortmund und Umgebung angebe, werden noch 1937 Azubis mit HS gesucht in den unterschiedlichsten Bereichen, auch kaufmännische.

  • In HH gibt es gar kein Sitzenbleiben mehr, ab Klasse 1. Dies kann nur noch im Ausnahmefall und nur mit Antrag der Eltern geschehen. Die Schulbehörde genehmigt es so gut wie nie. Sprachliche Gründe sind zum Beispiel kein Grund zum Wiederholen (das soll man mal meinem supermotivierten syrischen Flüchtlingsjungen erzählen, der jetzt endlich so gut deutsch kann, dass er überhaupt dem Unterricht folgen kann, in Klasse 3, dem würde eine Wiederholung so gut tun).

  • 1960 hatten 40 % der US-Bevölkerung einen High School Abschluss,
    2018 waren es 90 %.


    Die Chancengleichheit der Lohnarbeiter (inkl. Eignungstests) kitzelt mit ihrer verschärften Konkurrenz schon noch ein Promille Wirtschaftswachstum raus.

  • 1960 hatten 40 % der US-Bevölkerung einen High School Abschluss,
    2018 waren es 90 %.

    Ist nicht diskriminierend, dass in Deutschland immer noch fast ausschließlich die kognitive Leistungsfähigkeit darüber entscheidet, wer ein Abitur bekommt und wer nicht?


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Ist nicht diskriminierend, dass in Deutschland immer noch fast ausschließlich die kognitive Leistungsfähigkeit darüber entscheidet, wer ein Abitur bekommt und wer nicht?


    Die BRD hinkt dem Trend aus Übersee eben noch hinterher - von 50 auf 90 % ist es noch ein weiter Weg.
    Aber dann sollte eine Chancengleichheit herrschen wie in den USA. Jeder kann Präsident oder Kanzler werden, wessen Eltern wen auf welche Uni schicken ist Privatsache und wer nicht in seiner Garage das nächste Apple oder Google gründet, strengt sich einfach nur nicht genug an.



    Mal zum Thema: wenn gegen die scheinbar unsinnige Inflation nichts getan, oder diese sogar weiterhin gefördert wird, sollte man mal darüber nachdenken, welchem Zweck das dienen kann anstatt es als bloßen Quatsch abzutun.

  • Meint Ihr das wirklich ernst?
    Wird da gerade der High School Abschluss mit dem Abitur gleichgesetzt?

    Lol, diese Aussage könnte glatt von den Philologen kommen. Und dabei dacht ich, du seist "progressiv"...


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Na ja, wenn die Aufnahmeprüfungen nur die für das Studienfach relevanten Inhalte überprüften, würde der naturwissenschaftlich interessierte Schüler in der Regel wohl keinen gesonderten Wert auf Deutsch und Latein legen und der geisteswissenschaftlich interessierte auf Mathematik und Physik (als prototypische Beispiele).

    Und? Wenn sie das lernen, was sie später brauchen, ist doch allen gedient. Aber! Ich halte es nicht für selbstverständlich, dass die Universitäten keinen wert auf Allgemeinbildung legen.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

  • Ist nicht diskriminierend, dass in Deutschland immer noch fast ausschließlich die kognitive Leistungsfähigkeit darüber entscheidet, wer ein Abitur bekommt und wer nicht?

    Ist dem denn so? Es wird doch immer auf die soziale Selektivität des deutschen Schulsystems hingewiesen? Bestimmt demnach nicht überwiegend der sozioökonomische und soziokulturelle Status, wer ein Abitur bekommt und wer nicht?

  • Ist dem denn so? Es wird doch immer auf die soziale Selektivität des deutschen Schulsystems hingewiesen? Bestimmt demnach nicht überwiegend der sozioökonomische und soziokulturelle Status, wer ein Abitur bekommt und wer nicht?

    Warum darf man nach der kognitiven Leistungsfähigkeit diskriminieren und nach der sozio-ökonomisch-kulturellen nicht? In beiden Fällen werden doch die Kinder in eine Situation hineingeboren, für die sie nichts könnnen (unabhängig davon, ob Intelligenz nun vererbar ist oder durch das Umfeld determiniert ist).


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Ist dem denn so? Es wird doch immer auf die soziale Selektivität des deutschen Schulsystems hingewiesen? Bestimmt demnach nicht überwiegend der sozioökonomische und soziokulturelle Status, wer ein Abitur bekommt und wer nicht?

    Für mich ist ja immer noch interessant, wo der echte Zusammenhang besteht. Der Nachhilfemarkt boomt und wird natürlich hauptsächlich von Familien in Anspruch genommen, die es sich locker leisten können. Die Abstiegs- und Zukunftsangst sitzt vor allem in der Mittelschicht zu tief.
    Schaue ich mal in meine Schulzeit zurück, kann ich mich wenig an so etwas wie Nachhilfe bei meinen Mitschülern erinnern. Punktuell in einem Fach vielleicht, aber heute werden häufig mehrere Fächer gebucht, um dem Niveau standhalten zu können. Das war früher nicht so von Bedeutung, denn man hatte keine große Angst, dass man später ohne etwas "Richtiges" dastehen würde. Das ist heute deutlich anders!


    Soziale Selektivität wird nie ganz auszumerzen sein, aber sie wird mehr von außen in das Schulsystem hineingetragen als dass sie von innen entstehen würde. Also wieder und wieder innerhalb des Schulsystems anzusetzen, führt logischerweise zu keinen erheblich veränderten Ergebnissen. Man muss sich auch noch einmal zu Gemüte führen, dass Ziffernnoten vor sehr, sehr langer Zeit erfunden wurden, um Leistung möglichst objektiv zu messen und darzustellen. Damit sollten auch Kinder aus einfacheren Verhältnissen die Bildungschance haben und nicht nur der Familienname und Familienstand der Eltern über die Aufnahme entscheiden. Eine Weichspülung des Prinzips der (Ziffern-)Noten ist doch wieder ein Schritt zurück und sorgt dafür, dass andere Faktoren greifen (müssen).
    Man schaue mal nach Japan und Korea, wo so viele das Abitur machen und studieren. Die wichtigsten Tage des Lebens sind die Aufnahmeprüfungen bei den Wunschunis - also bei denen, die man sich leisten kann, versteht sich. In den USA sind die staatlichen Community Colleges eh verschrien und es drängt alles auf die kostspieligen Privatunis mit teils sehr renommierten Namen. Von so etwas sind wir noch weit entfernt - zum Glück! Man hat hier in Deutschland nach innen nur eine sehr schräge, sozialromantische Wahrnehmung, wie katastrophal doch alles im System Schule sei. Wäre die Einkommenssicherheit deutlich mehr gegeben, wären einige Eltern wohl deutlich entspannter. Bildungspolitik ist da eher ein Herumwerkeln an den Symptomen als an den Ursachen. Da müsste man andere Maßnahmen ergreifen.

  • Extra für dich formuliere ich es mal um. Ja, er ist mehr wert als kein Abschluss. Er ist aber nicht mehr wert, was er früher mal wert war. Das gilt für alle Abschlüsse.
    Typisches Beispiel sind die Bürojobs. Vor einigen Jahren war der Realschulabschluss dafür der Regelabschluss. Wenn ich höre, dass in einer Klasse für Speditionskaufleute 95% Abitur haben, die allgemeine Hochschulreife, die eigentlich auf ein Studium vorbereitet, dann ist an der Inflation der Abschlüsse schon was dran.

    wo hörst du sowas?


    Als ich im Jahr 2000 Bankkauffrau gelernt habe gab es reine Abiturientenklassen. Mittlerweile sitzen selbst bei den Bankkaufleuten Schüler mit Quali mit drin. Der Fachkräftemangel ist hier schon angekommen. Die Betriebe bekommen nicht mehr die Azubis, die sie sich wünschen.



    Was mich eher nervt: seit wann ist Dummheit salonfähig geworden? Die Schüler schämen sich nicht mehr bei schlechten Leistungen, sondern finden sich auch noch cool damit.
    Wir hatten in diesem Schuljahr Abiturienten, die in der Berufsausbildung in Deutsch bei banalen "nennen Sie" Tests nur 5er schreiben.
    Andere Schüler verstecken sich hinter "Mathe gab ich noch nie gecheckt" (Fach beliebig austauschbar) und versuchen noch nicht mal sich anzustrengen. Wohlbemerkt bei banalen Themen wie Prozentrechnung oder Rechtschreibung. Gleichzeitig meckern sie wenn man z.B. Groß/Kleinschreibung im Unterricht übt ("wir sind doch nicht in der Grundschule")

    Sei konsequent, dabei kein Arsch und bleib authentisch. (DpB):aufgepasst:

  • das ist am gym eher umgekehrt. früher war es cool, nichts zu können und der klassenbeste war der streber, den man verprügelte. jetzt wird der klassenbeste zum klassensprecher gewählt und schlechte noten gelten als peinlich.

  • das ist am gym eher umgekehrt. früher war es cool, nichts zu können und der klassenbeste war der streber, den man verprügelte. jetzt wird der klassenbeste zum klassensprecher gewählt und schlechte noten gelten als peinlich.

    oh, das erlebe ich an meinem Gym aber wirklich ganz anders :-( Zugegeben, wir sind eher eine Gesamtschule ohne Differenzierung, aber _eigentlich_ ein Gymnasium.

  • Mir geht jedenfalls die Noteninflation bei allen Abschlüssen, die dazu geführt hat, daß heute der Hauptschulabschluß wirklich gar nichts mehr wert ist und manche Ausbildungsberufe als Zugangsvoraussetzung das Abitur haben, gewaltig auf den Keks.

    Das mit der Noteninflation habe ich zuletzt mit Kollegen auch hitzig diskutiert. Bei uns kommen die SuS schon mit der Erwartung in die Oberstufe, z.T. deutlich bessere Noten haben zu wollen als in der Mittelstufe (bei gleicher Leistung). Vorher immer Note 3 gehabt, bei 8 Punkten wird gesagt: WAS? So schlecht...?
    Hab ich grad ein ganzes Jahr wieder hinter mir, diese Diskussionen. Und die Eltern machen fleißig mit. Und leider auch manche Kollegen. Ich mach da nicht mit und habe deshalb Stress. Und es n e r v t mich...

  • Diese Logik finde ich sehr interessant, @Lehrerin2007. Normalerweise könnte man annehmen, dass die Noten im Laufe der Schulzeit eher schlechter als besser werden, da das Niveau auch immer mehr steigt. Klar, das Gehirn wächst an seinen Herausforderungen, aber irgendwann ist bei (fast) jedem eine Grenze erreicht - bei dem einen bereits bei binomischen Formeln, bei dem anderen macht selbst Analysis II an der Uni noch keine Probleme.

  • Die Noten meiner wirklich guten Schüler werden im Laufe der 4 Jahre tendenziell besser weil sie die Zusammenhänge immer mehr sehen.


    Grüsse aus Island :prost:

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