Umgang mit Flüchtlingskindern

  • Soll heißen, dass wir als LehrerInnen selbstverständlich NICHT psychische Erkrankungen diagnostizieren oder Kinder therapieren ABER eben Kinder, mit denen wir aufgrund von solchen Erkrankungen / Verhaltensauffälligkeiten Schwierigkeiten haben (die sich nicht durch die üblichen Erziehungsmaßnahmen oder das gegenwärtig erarbeitete Handwerkszeug beheben lassen) NICHT als unbeschulbar (oder was auch immer) betrachten und weiterreichen oder uns von unserer Verantwortung für Bildung / Erziehung / Entwicklung loslösen, bzw. sie abschieben (seien es andere Fachkräfte, wie z.B. die Sozialarbeiter, oder Förderschulen...). Schon klar, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit, Reflexionen und kollegialer Austausch im Zusammenhang mit verhaltensauffälligen (insbesondere traumatisierten) Kindern wichtig sind. Und dass man sich Hilfe suchen können muss, wenn man selbst nicht weiter weiß....

    Entschuldige, aber das halte ich für eine Unterstellung. Wir Lehrkräfte, also diejenigen mit Schreibberechtigung in diesem Forum, die den Beruf tatsächlich bereits ausüben, wedeln nicht mal eben mit Urteilen von Abschulung bis Unbeschulbarkeit rum, weil uns danach ist oder wir unsere Arbeit nicht machen wollen würden! Übliche Erziehungsmaßnahmen, Elternarbeit, Hinzuziehen von Schulsozialarbeit/Beratungslehrern/schulpsychologischer Beratungsstelle/Jugendamt... sind Teil unserer normalen Arbeit, um die wir uns auch nicht aus Bequemlichkeit drücken.




    Abschulungen sind sehr klar geregelt, ob sie überhaupt stattfinden dürfen im jeweiligen Bundesland oder an der jeweiligen Schulart und mit Sicherheit nicht das Mittel der Wahl im Umgang mit SuS, sondern nicht zuletzt auch weil Elternwünsche und Lernvorraussetzungen und-bedürfnisse der eigenen Kinder nicht immer kompatibel sind leider immer wieder unumgänglich. Ziel einer Abschulung ist es nicht sich als Lehrkraft von einer Bildungsverantwortung freizusprechen, sondern vielmehr SuS ein Lernumfeld zu ermöglichen, wo sie mit ihren Voraussetzungen und Potentialen bestmöglich abgeholt und gefördert werden können. Wenn Eltern meinen eine Werkrealschulempfehlung (Hauptschulempfehlung) der Grundschule werde ihrem Nachwuchs nicht gerecht und diesen am Gymnasium anmelden ist das eben im Regelfall eine extrem frustrierende Erfahrung für die Schüler bis im Laufe der Orientierungstufe (wenn ich von BW ausgehe) die Werkrealschüler normalerweise vollständig abgeschult wurden um endlich in einem Lerntempo und in einem Klassenverband lernen zu können, der ihnen gerechter werden kann, damit sie sich auch als erfolgreich erleben können. In vielen Bundesländern gibt es Schularten, die so aufgestellt sind, dass eine Abschulung nicht nötig ist, unabhängig vom tatsächlichen Lernniveau von SuS (Gesamtschulen/Gemeinschaftsschulen). Eltern, die eine Abschulung in der Sek.I verhindern wollen, können ihre Kinder dort anmelden, aber eben nicht erzwingen, dass ihre Kinder auf Gymnasialniveau beschult werden, wenn dies den Kindern (Notenbild) nicht gerecht werden würde. Kinder vor den Bildungsaspirationen (und der damit einhergehenden Überforderung) der eigenen Eltern zu schützen ist nämlich auch ein Teil der Wahrnehmung von Verantwortung für die Bildung und Entwicklung von SuS, wobei am Ende an vielen Stellen ganz ungeachtet des Kindeswohls der Elternwille eben doch greift. So habe ich in einer Klasse einen Schüler sitzen, der auf Elternwunsch nur auf Hauptschulniveau beschult werden darf, obgleich er problemlos einen Realschulabschluss machen könnte. Die Eltern finden HS reicht in der Familie als Abschluss; da in diesem Fall natürlich die Noten nicht dagegen sprechen, können die Eltern das durchsetzen als Erziehungsberechtigte, so unangemessen wir Lehrkräfte das auch finden mögen. In einer anderen Klasse habe ich Kinder mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwickung sitzen, die in einem SBBZ deutlich besser gefördert werden könnten (ich bin nunmal keine Sonderschullehrkraft und dieses Lehramt nicht umsonst ein eigener Studienbereich)- Elternwille sagt Inklusion, also müssen die Kinder auch an Unterrichtsfächern teilnehmen die nicht Teil ihres Bildungsplans sind und die sie inhaltlich an vielen Stellen völlig überfordern, während ich versuchen muss dem Bildungsanspruch dieser Kinder so gut wie möglich gerecht zu werden.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Soll heißen, dass wir als LehrerInnen selbstverständlich NICHT psychische Erkrankungen diagnostizieren oder Kinder therapieren ABER eben Kinder, mit denen wir aufgrund von solchen Erkrankungen / Verhaltensauffälligkeiten Schwierigkeiten haben (die sich nicht durch die üblichen Erziehungsmaßnahmen oder das gegenwärtig erarbeitete Handwerkszeug beheben lassen) NICHT als unbeschulbar (oder was auch immer) betrachten und weiterreichen oder uns von unserer Verantwortung für Bildung / Erziehung / Entwicklung loslösen, bzw. sie abschieben (seien es andere Fachkräfte, wie z.B. die Sozialarbeiter, oder Förderschulen...). Schon klar, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit, Reflexionen und kollegialer Austausch im Zusammenhang mit verhaltensauffälligen (insbesondere traumatisierten) Kindern wichtig sind. Und dass man sich Hilfe suchen können muss, wenn man selbst nicht weiter weiß....


    Entschuldige, aber das halte ich für eine Unterstellung. Wir Lehrkräfte, also diejenigen mit Schreibberechtigung in diesem Forum, die den Beruf tatsächlich bereits ausüben, wedeln nicht mal eben mit Urteilen von Abschulung bis Unbeschulbarkeit rum, weil uns danach ist oder wir unsere Arbeit nicht machen wollen würden! Übliche Erziehungsmaßnahmen, Elternarbeit, Hinzuziehen von Schulsozialarbeit/Beratungslehrern/schulpsychologischer Beratungsstelle/Jugendamt... sind Teil unserer normalen Arbeit, um die wir uns auch nicht aus Bequemlichkeit drücken.

    Ich kann CDL nur beipflichten, mir ist der gleiche Satz auch sauer aufgestoßen,
    meine Perspektive ist vielleicht etwas anders.


    Wenn ich in einem Team mit Sozialpädagogen, Schulpsychologen, FörderschulkollegInnen arbeiten könnte, wäre es doch eine gemeinsame Arbeit mit und an dem Kind. Wie kann man dies in den Zusammenhang damit bringen, dass man das Kind abschieben wolle oder sich selbst aus der Verantwortung stehlen würde.
    M.E. ist es professionelles Handeln, die eigenen Grenzen zu kennen und an dieser Stelle auf andere zu verweisen.


    Kollegialer Austausch ist an unserer Schule gut möglich, mit allen Lehrkräften. Weitere Professionen sind nicht existent, es braucht immer Aufwand, um diese mit hinzuzugewinnen.
    Im Zuge der Inklusion knirscht es in manchen Kollegien gewaltig, weil Grundschullehrkräfte (recht) plötzlich die nahezu komplette Arbeit der FöS-KollegInnen mit übernehmen müssen. Hier fehlt es an Fortbildung, auch an klaren Richtlinien und Strukturen, an Handreichungen, in denen die Grenzen weitaus deutlicher gesetzt sind, welche Aufgaben in wessen Bereich gehört und wer die Zuständigkeit erhält.


    Ich betrachte SuS per se nicht als unbeschulbar, dennoch habe ich gelernt, dass es SuS gibt, die in Regelschulen unter gegebenen Umständen nicht tragbar sind, weil sie sich selbst, andere SuS und Lehrkräfte gefährden und man irgendwann am Ende eines umfangreichen Maßnahmenkataloges angekommen ist, über den man diesem Kind nicht helfen konnte.
    Es war hilfreich, in einer Fortbildung zu lernen, dass Lehrkräfte genau hier am Ende ihrer Möglichkeiten sind: Sie sind nicht für die Therapie pathologischen Verhaltens verantwortlich. Genau an dieser Stelle muss man dann einen Strich ziehen. Auch das ist professionelles Handeln.
    Mein Erleben ist dabei übrigens, dass die Klassenlehrerin häufig weit darüber hinaus geht und andere Lehrkräfte braucht, die ihr mit der notwendigen Distanz helfen, die Grenzen anzuerkennen.


    Unter anderen Bedingungen, mit enger Begleitung und guten Absprachen, wäre es bei einigen dieser Kinder sicherlich möglich, sie in der Schule zu integrieren. Wenn dies politisch erwünscht ist, sollte die Politik für die notwendigen Voraussetungen sorgen.

  • Soll heißen, dass wir als LehrerInnen selbstverständlich NICHT psychische Erkrankungen diagnostizieren oder Kinder therapieren ABER eben Kinder, mit denen wir aufgrund von solchen Erkrankungen / Verhaltensauffälligkeiten Schwierigkeiten haben (die sich nicht durch die üblichen Erziehungsmaßnahmen oder das gegenwärtig erarbeitete Handwerkszeug beheben lassen) NICHT als unbeschulbar (oder was auch immer) betrachten und weiterreichen oder uns von unserer Verantwortung für Bildung / Erziehung / Entwicklung loslösen, bzw. sie abschieben (seien es andere Fachkräfte, wie z.B. die Sozialarbeiter, oder Förderschulen...). Schon klar, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit, Reflexionen und kollegialer Austausch im Zusammenhang mit verhaltensauffälligen (insbesondere traumatisierten) Kindern wichtig sind. Und dass man sich Hilfe suchen können muss, wenn man selbst nicht weiter weiß....

    Moin,


    ich muss auch tatsächlich noch mal darauf eingehen.


    Diese Kinder benötigen professionelle Hilfe. Dafür sind wir Lehrer nicht ausgebildet. Ich schiebe diese Kinder nicht ab, sondern ich hoffe, dass ich ihnen durch meine Maßnahmen helfen kann (indem ich den Job anderen Leuten überlasse). Es kann sein, dass wir die Kids bei einer Psychologin andocken, oder in einer Tagesklinik, oder "nur" bei der Schulsozialarbeit, dass wir Kurzbeschulung einräumen etc.
    Es hat auch teilweise mit Selbstschutz und Schutz der anderen Schüler zu tun. Wir hatten bereits Diagnosen von Psychologen vorliegen, die äußerten, sie können nicht bestätigen, dass der Schüler keine Gefahr für Andere darstellt. Wir mussten ihn wieder aufnehmen.
    Es dauert meist Jahre, bis ein Kind als unbeschulbar bezeichnet wird oder überhaupt mehr gemacht werden kann, als der metaphorische Schlag auf die Finger. Viele von diesen Kids bekommen nicht die Hilfe, die sie brauchen, da die psychologischen Anlaufstellen völlig überlaufen sind. Sie werden einfach nur im härtesten Fall von der einen Schule geschmissen und landen bei der anderen. Dort schaffen sie meist nicht den Abschluss und landen dann in etwaigen Berufsvorbereitungsmaßnahmen der Berufskollegs. Die Spirale nach unten hat schon lange begonnen.
    Noch eine Anekdote: Ein Schüler hat eine sehr schlimme familiäre Vergangenheit hinter sich, ein sehr auffälliges Verhalten dadurch entwickelt, rastet schnell aus, wirft mit Gegenständen, zerstört Gegenstände, zeigt Gewalttätigkeit ggü. Mitmenschen, beleidigt Lehrkräft aufs Übelste und das bereits mehrfach. Der Schüler sagt in 4 Augen Gesprächen selber, dass er Hilfe benötigt und ist einsichtig. Im Alltag kann er sich aber nicht kontrollieren und seine Umgebung hat nun einmal auch ein Recht auf ungestörten Unterricht und eine gewaltfreie Umgebung. Der Schüler möchte Hilfe, wir möchten ihm helfen, alle Termine belegt...
    Das System ist Mist. Natürlich. Aber es liegt nicht in meiner Kompetenz Schülern mit so schwerwiegenden Problemen zu helfen. Hier muss die Politik handeln. Solcher Grenzen muss sich ein guter Lehrer auch bewusst sein.

  • vielleicht ist das deutlich werdende kommunikationsproblem hier im thread auch darin begründet, dass momentan an vielen unis - so mein subjketiver eindruck aus gesprächen mit angehenden refis und praktikanten - viele ehemalige gymnasiasten sitzen und lehramt studieren und dann von "inklusion" lesen und "kein kind darf zurückbleiben" und schöne träume mehr, weltrettung inklusive, und das alles noch fast ganz ohne erdende realweltliche erfahrungen mit kindern oder gar jugendlichen mit anderen hintergründen jenseits der eigenen akademikereltern-behütetekinderjetztstudierende-bubble.


    da wird so eine für den studierenden ganz neue erfahrung mit einem traumatisierten kind, das auch noch deutlich als "anders" und "neu hier" markiert ist ("flüchtling"), die sich auch noch mit einem durch eigene einstellungen, vielleicht auch durch medienkonsum erworbenen bias deckt (die anderen/fremden/unbekannten vs. "wir" aka biodeutsch- akademiker-jung-halbwegsnormalohnegroßenstressbeschulbar), schnell im eigenen erleben und denken zu einer riesengroßen sache.


    praxis heilt das aber meist ganz schnell.


    für jetzt rate ich wiederholt zum lehrbuch. du brauchst derzeit keine superspecial-neue-extratipps für den umgang mit traumatisierten kindern - egal woher - sondern ein solides grundwissen in theoriie und praxis. dafür sind lehrbücher und vorlesungen und praktika usw. genau das richtige. das zeug wird ja nicht zum lehrstoff, weil es gar so ein schmarrn und völlig unbrauchbar ist. genau das gegenteil ist der fall. bleib dran, viel erfolg.

  • ich muss auch tatsächlich noch mal darauf eingehen.

    Da habe ich wohl einen Nerv getroffen, sorry!
    Zum einen meinte ich andere Dimensionen und offensichtlich habe ich da auch vorschnell etwas rausgehauen (und ungünstig formuliert), wo mir noch der Überblick fehlt. Das war nicht meine Absicht.
    Danke für eure vielen Antworten und Informationen, so konnte ich einiges dazulernen und natürlich habe ich noch lange nicht ausgelernt... ;)

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