(gefühlt?) mehr psychische Erkrankungen von Schülern?

  • Ich bin nun etwas mehr als zehn Jahre in diesem Beruf und habe seit etwa der Hälfte das Gefühl, dass ich immer mehr SchülerInnen unterrichte (oder eben gerade nicht, weil sie in stationärer psychatrischer Behandlung sind), die eine attestierte psychische Erkrankung haben.


    Ich unterrichte an einer beruflichen Schule und kann dabei in der Häufigkeit des Auftretens bei der Schulform keine Unterschiede feststellen. Egal ob Berufsfachschule (mittlere Reife als Ziel), Fachoberschule oder gymnasialer Zweig: in nahezu jedem Schuljahr stehen X Klassenkonferenzen an, in denen über die psychische Erkrankung von A oder den Klinikaufenthalt von B berichtet wird. SchülerInnen fallen mehrere Wochen aus, haben Depressionen, suizidale Gedanken, Angst- und Suchtstörungen etc.


    Tritt das bei euch ähnlich gehäuft in den letzten Jahren auf oder nehme ich das persönlich nur sensibler wahr?
    Ich kann mich nicht daran erinnern, dass auch nur ein Mitschüler meines Jahrgangs derart lange ausgefallen ist wegen psychischer Probleme. Meine Schulzeit ist nun 20 Jahre her. Klar, wir hatten auch ein paar Kiffer im Jahrgang, einige haben zu lange nachts gezockt oder fielen bei familiären/sozialen Problemen mal ein paar Tage aus, aber geritzt hat sich zu meiner Zeit (denke ich) niemand offensichtlich bzw. ist mehrere Wochen/Monate ausgefallen.


    Ich bin sehr zwiegespalten und weiß häufig nicht, wie ich mit diesen SchülerInnen umgehen soll. Aktuell z.B. habe ich eine Schülerin in meiner Klasse, die nur die erste Woche nach den Sommerferien anwesend war und erst nach den Herbstferien wieder in die Schule kommen wird (u.a. waren wohl Versagensängste Ursache für die Einweisung in die Psychatrie). Um es mal ganz hart auszudrücken: In diesem Schuljahr wird sie (schulisch) jetzt wohl wirklich versagen, denn ca. 1/4 des Schuljahres aufzuholen wird nahezu unmöglich sein.


    Die Entwicklung, wie ich sie wahrnehme, finde ich schlimm. Das sind junge Menschen, die noch das gesamte Leben vor sich haben. Wenn ich auf meine Schulzeit zurückblicke (mir ist klar, dass die SchülerInnen das noch nicht können), war diese die unbeschwerteste Zeit meines Lebens. (Meist) kommen doch erst nachher finanzielle Sorgen, mehr Verantwortung und Organsisation etc. hinzu und ich frage mich, wie das einige meiner besagten SchülerInnen verkraften werden.

  • Ich behaupte das ist die hochgelobte, vermeintliche "Freiheit". Das Versprechen an eine Generation, die vermeintlich alles kann und nichts muss. Damit einher geht für viele der Druck sich richtig entscheiden zu müssen und daraus daß Beste zu machen, denn du hast den Weg ja selbst gewählt.
    Da sind Versagensängste fast vorprogrammiert. Dazu kommen die Medien, die außer (vorher bearbeiteter) Perfektion keinen realistischen Maßstab bieten, an dem es sich zu orientieren lohnt. Trotzdem sind wir permanent davon umgeben.

  • Das Gefühl kann ich bestätigen. Ich habe manche AV Klasse, in der sich über die Hälfte ritzt. Und von angedrohten bis durchgezogenem Suizid haben wir wöchentlich Fälle. Bisher endete zweiteres dank schnellem Eingreifen verschiedener Akteure immer glimpflich, dh "nur" mit KH Aufenthalt.
    Und es liegt nun wirklich nicht an einem schlechten schulklima. Die sus bringen ihre Probleme schon zur Einschulung mit.

  • Ich kann mich anschließen. Wir haben in allen Jahrgängen mehrere SchülerInnen mit psychischen Erkrankungen und haben auch den Eindruck, dass die Fallzahlen steigen.
    Ich war mir bisher nicht sicher, ob das bei uns nicht doch vielleicht an der Geschichte und dem Ruf der Schule liegt, weil wir eine integrative Modellschule waren und immer noch inklusiv besser aufgestellt sind als andere Schulen in unserer Stadt, und den Ruf "genießen", durch die jahrzehntelange Erfahrung Schülern mit besonderer Problematik professionellere Unterstützung bieten zu können.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Ich finde die angeführten Ursachen von EducatedGuess total nachvollziehbar. Es muss aber noch mehr sein, denke ich.


    Wie geht ihr als Kollegen damit um? Ich bin kein Psychologe, sondern Lehrer. Das ist vielfach "mein" Problem im Umgang mit den entsprechenden Schülern. Ich kann die Kids zu Sozialpädagogen und Schulpsychologen verweisen, empathisch sein etc., aber irgendwo hat das auch seine Grenzen. Eine schlechte Leistung eines Betroffenen bleibt eine schlechte Leistung bzw. wochenlage Abwesenheiten führen eben oft zum Nichterreichen des Klassenziels.

  • Ich finde die angeführten Ursachen von EducatedGuess total nachvollziehbar. Es muss aber noch mehr sein, denke ich.


    Wie geht ihr als Kollegen damit um? Ich bin kein Psychologe, sondern Lehrer. Das ist vielfach "mein" Problem im Umgang mit den entsprechenden Schülern. Ich kann die Kids zu Sozialpädagogen und Schulpsychologen verweisen, empathisch sein etc., aber irgendwo hat das auch seine Grenzen. Eine schlechte Leistung eines Betroffenen bleibt eine schlechte Leistung bzw. wochenlage Abwesenheiten führen eben oft zum Nichterreichen des Klassenziels.

    Ich gehe exakt so damit um wie Du.

  • Ich behaupte das ist die hochgelobte, vermeintliche "Freiheit". Das Versprechen an eine Generation, die vermeintlich alles kann und nichts muss. Damit einher geht für viele der Druck sich richtig entscheiden zu müssen und daraus daß Beste zu machen, denn du hast den Weg ja selbst gewählt.
    Da sind Versagensängste fast vorprogrammiert. Dazu kommen die Medien, die außer (vorher bearbeiteter) Perfektion keinen realistischen Maßstab bieten, an dem es sich zu orientieren lohnt. Trotzdem sind wir permanent davon umgeben.

    Ist eine sehr interessante These, über die ich nachdenken muss.


    Ich denke, was sich auf jeden Fall geändert hat ist die öffentliche Wahrnehmung von psychischen Belastungen und Therapie und ein veränderter öffentlicher Umgang damit. Damit liegt es sicherlich näher als früher, sich entsprechende Unterstützung zu suchen oder an diese verwiesen zu werden bzw. es wird auch etwas offener damit umgegangen, wo es entsprechende Hilfssysteme gibt, weil das Stigma einer psychischen Erkrankung nicht mehr ganz so groß ist. Depressionen, selbstverletzendes Verhalten und suizidale Tendenzen sind ja nun nichts Neues, nur eben öffentlich präsenter, als noch vor 10 Jahren, was es eben auch begünstigt, dass Menschen eher mit entsprechenden Problemen zum Arzt gehen und einschlägige Diagnosen (die ja tatsächlich, wie Krankenkassen immer wieder berichten, zunehmen) erhalten.
    Ich bin als ich den Beitrag gelesen habe mal ganz kurz im Schnelldurchlauf meine Schulzeit durchgegangen: Ich weiß von 5 Mitschülern, die damals schon therapeutische Unterstützung hatten (Anfang- Mitte 90er), ein paar Mitschülerinnen mit Essstörungen, hochproblematischer Alkohol- und Drogenkonsum einzelner, eine die sich geritzt hat, eine die sich mit Benzin übergossen und selbst angezündet hat... - Potential für Therapien und psychische Erkrankungen gab es auch damals schon mehr als genug an meinem Mittel-Oberschichtgymnasium.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Ich vermute auch, dass die größere Offenheit ebenfalls ein wichtiger Faktor ist. Das befürworte ich auch total.
    Wenn sich eine ganze Clique der Klasse ritzt, weil die anderen es eben auch machen, und kurzärmelig in die Schule kommt, habe ich aber schon arge Bedenken wegen der reinen Zurschaustellung. Zumal dies den wirklich Betroffenen gegenüber unfair ist. In solchen Klassen bin ich gänzlich überfordert.
    Das obskurste, was ich jemals in meiner Laufbahn hatte, war eine Schülerin, die panische Angst vor Blut, Spritzen etc. hatte und tw. den Klassenraum bei diesen Themen verließ (attestierte Angststörung), aber unbedingt den Schwerpunkt Medizintechnik an der Schule besuchen wollte.

  • Ich schließe mich den Vorschreibern an.
    Auch ich nehme an meiner Schule, aber auch im privaten Umfeld, die o.g. psychischen Auffälligkeiten wahr (und einen immens hohen Drogenkonsum!).


    Ich habe für mich selbst folgende Erklärung:
    Wo können sich Jugendliche heute noch reiben, woran noch stoßen, wo müssen sie sich noch körperlich etwas erkämpfen?
    --> irgendwie nirgends
    --> Folge: Ritzen, psychische Grenzen touchieren oder überschreiten etc.
    Das ist natürlich Küchenpsychologie light, aber mir hilft es, irgendwie.
    Denn etwas daran ändern kann ich nicht - da stimme ich Alterra und DemPaelzerBu zu.

  • Ich habe ebenfalls den Eindruck, es ist mehr geworden, vor allem in der Oberstufe bzw. bei den Älteren.


    Oft heißt es auch, dass es mit dem Schulstress (G8) zusammenhängt, aber ich denke, das kann nicht der einzige Faktor sein. Bie uns sind oft welche betroffen, die sich selbst so einen Stress machen und sich selbst unter Druck setzen.


    Aber genauso wird mit solchen Erkrankungen auch offener umgegangen. Früher hat man psy. Erkrankungen nicht so ernst genommen oder sie wurden als Schwäche gesehen und man hat eher versucht sie zu verdrängen, zu ignorieren.

  • Die Zahl der AUs von Beschäftigten wg. psychischer Erkrankungen hat laut diverser Studien zugenommen. Bleibt die Frage, ob mehr psychische Erkrankungen existieren oder ob mehr diagnostiziert werden...


    Interessant finde ich z.B., dass 2010 wesentlich mehr Menschen wg. Burnout krankgeschrieben waren als vorher und nachher. Deutet darauf hin, dass viel von der Diagnostik abhängt und auch von der Öffentlichkeit, worüber gesprochen und was gesellschaftlich anerkannter ist.


    Für meine Schulart kann ich die (gefühlte) Zunahme übrigens nicht bestätigen. Der Anteil Verhaltensauffälliger ist relativ hoch aber m.E. gleichbleibend. Ich bin aber noch nicht so ewig dabei...

  • AUch für den Bereich der GS kann ich das bestätigen. Die Zunahme an Aufenthalten in Kliniken etc. wegen psychischer Krankheiten hat zugenommen.
    Eine Bekannte von mir ist Oberärztin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
    Sie selbst hat mir schon gesagt, dass sie diese Zunahme auch feststellen und an die Grenzen ihrer Kapazitäten stoßen.

    Ich bin Grundschullehrer, ich muss nicht die Welt retten!!!

  • Ich habe das in den letzten Jahren ebenfalls verstärkt wahrgenommen, dachte aber, es hätte mit meiner Erfahrung als Lehrer und der Bereitschaft von SchülerInnen zu tun, sich mir gegenüber zu öffnen.
    In diesem Halbjahr hatte ich schon Gespräche mit 3 SuS - die auf mich zukamen - . Was da von Elternhaus und innerem Erleben berichtet wird, war, gelinde gesagt heftig.


    Ich möchte noch eine Beobachtung anschließen:
    Immer mehr KollegenInnen fallen auch länger aus aufgrund von psychischen Erkrankungen.

  • Mir ist auch aufgefallen, dass dies häufiger wird.


    Wie andere vor mir schon erwähnt haben, denke ich auch, dass das Bewusstsein für psychische Probleme gestiegen ist und die Menschen offener dafür geworden sind (zum Glück).


    Diese Zunahme habe ich mir aber auch durch die Inklusion erklärt, dass dadurch Kinder an den Regelschulen sind, die vielleicht vor einigen Jahren noch zur Sonderschule (Förderschule, ...) gingen.


    Wie ich damit umgehe?
    Ich bin Lehrerin und nicht Psychologin, Therapeutin, ... und habe die Verantwortung für den Unterricht einer ganzen Klasse. Diesen Aspekt muss man schon manchmal den Eltern nochmal aufzeigen. Unterricht muss möglich sein. Wer eine individuelle Einzelbetreuung wünscht, kann sein Kind von der Schule abmelden und selbst unterrichten. Allerdings versuche ich den Kindern (jedem Kind, egal ob irgendwie beeinträchtigt oder nicht) einen Platz in meinem Unterricht (und ein bisschen in meinem Herzen) einzuräumen.

  • Psychische Erkrankungen werden heute viel häufiger diagnostiziert als noch vor 10 Jahren, das ist ganz eindeutig so. Das DSM (Handbuch für psychische Störungen) wird mit jeder Auflage dicker, das ist allgemein bekannt. Erst letztens las ich irgendwo ein Interview mit einem Kinderpsychiater der erzählte, er hätte heute etwa 30 % kleine Patienten mehr in seiner Praxis obwohl die seiner Ansicht nach heute auch nicht mehr oder weniger krank sind als vor 10 Jahren. Dazu kommt, dass man mit der Wahrnehmung aus der eigenen Schulzeit verdammt aufpassen muss, weil die ja gleichermassen narzisstisch war wie auch heute unsere Jugendlichen vornehmlich mit dem eigenen "Leid" beschäftigt sind. Sprich, wenn man selbst nicht zu Gruppe der Betroffenen gehört hat, hat man diese auch mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht wirklich wahrgenommen. Da ich selbst z. B. so ein "Querschläger" war kann ich mich recht gut daran erinnern, dass irgendwie der ganze Jahrgang damit verseucht war und zwar in einem erheblich grösserem Ausmass, als ich es heute bei einer durchschnittlichen Klasse an unserer Schule wahrnehme.


    Die Symptome sind heute sicherlich andere, als sie es noch vor 10 oder 20 Jahren waren. Generell sind unsere Jugendlichen dank Instagram & Co. heute sehr viel extrovertierter was wahrscheinlich dazu führt, dass z. B. häufiger geritzt wird als zu unseren Zeiten. Ich finde es allerdings auch bedenklich, dass manchmal wahre Flächenbrände ausgelöst werden, wenn mal einer pro Klasse damit anfängt. Meine spärliche Erfahrung der letzten Jahre sagt mir aber auch, dass da die Klassenleitung doch einen gewissen Einfluss drauf hat, wie sehr das ausufert. Ich habe selbst als Klassenleitung bisher versucht mit den Fällen in meiner Klasse offen aber möglichst sachlich und unaufgeregt umzugehen. Meine Aufgabe besteht mehrheitlich darin an die zuständigen Institutionen (Schulpsychologin etc.) zu verweisen und im Gespräch mit den Eltern sicherzustellen, dass die Jugendlichen in ärztlicher Behandlung sind. Ansonsten versuche ich einfach zu schauen, dass die Stimmung in der Klasse gut bleibt. Bisher gelingt das.


    Wenn ich jetzt aber mal konkret an die mir bekannten Fälle von psychisch erkrankten Jugendlichen in meinen Klassen denke ist eigentlich bei den meisten davon tatsächlich eine biochemische Ursache diagnostiziert, d. h. es wird auch medikamentös therapiert. An rein psychischen (sofern das überhaupt möglich ist) Problemen sind Essstörungen bei den Mädchen wohl ein Dauerbrenner wobei hier die berühmt-berüchtigte Anorexie in meinem Umfeld nicht halb so häufig auftritt wie man meinen müsste, wenn man sich mal durchs Internet liest. Im 6. Jahr an unsere Schule fallen mir nur genau 2 Fälle ein und wir haben immerhin knapp 900 SuS im Schulhaus. Sehr viel häufiger dürften wahrscheinlich Formen des Binge Eating sein, aber dass das überhaupt eine ernstzunehmende psychische Erkrankung ist, wird in unserer Gesellschaft ja gerade jetzt erst so richtig wahrgenommen. Zumindest die Statistik für die Schweiz gibt meiner persönlichen Wahrnehmung Recht, dass Alkohol- und Drogenmissbrauch bei den Jugendlichen rückläufig ist, dafür speziell bei den jungen Männern Verhaltenssüchte aka "Gaming" häufiger auftreten.


    Sind unsere Jugendlichen wirklich vom Leben überfordert? Ich weiss es nicht. Gespräche mit den älteren SuS, so kurz vor der Matur, bestätigen den Verdacht ein bisschen. Vielen fällt es schwer sich aus dem schieren Überangebot an Möglichkeiten was rauszusuchen, was für sie passt. Dass unsere Bemühungen in Sachen Studienorentierung da so gar nicht nützlich sind, finde ich einigermassen frustrierend. Trotz einer Maturitätsquote von bundesweit nur ca. 20 % haben wir hier auch erschreckend hohe Studienabbruchquoten, ich meine mich an irgendwas um die 40 % zu erinnern die mind. 1 x das Studienfach wechseln. Das finde ich wirklich ernüchternd.

    Einmal editiert, zuletzt von Wollsocken80 ()

  • Ganz bestimmt gab es früher ganz genauso viele psychische Erkrankungen wie heute. Man denke nur an die kriegsgebeutelte Generation, die ihre inneren Konflikte auch an ihre Kinder weitergegeben hat (da unbehandelt). Oder dann das Aufbrechen der alten Strukturen in den 70ern. Ich bin mir ganz sicher, dass es heute nicht mehr gibt, nur redet man heute drüber. Das ist ja immerhin schonmal gut.

    Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert.

    Aldous Huxley

  • Ich habe so das Gefühl, es ist beides - einerseits wird mehr diagnostiziert, bzw zumindest "öffentlich", andererseits gibt es aber auch mehr mögliche "Trigger", die eine psychische Störung verursachen können. Immerhin kennen die SuS ja auch im Bereich Mobbing immer weniger Skrupel, und das hat natürlich Auswirkungen.
    "Gefühlt" haben wir durchaus mehr Autoaggression, Borderline und ähnlich bipolares. Bulimie n& Co. scheint sogar weniger zu werden, wobei das durchaus auch daran liegen kann, dass die möglichen Betroffenen (sind gefühlt eh nur Mädchen) gezielter nachfragen, wie sie sich sinnvoll ernähren können. Bin ich vielleicht nicht ganz unschuldig dran... und besser sie fragen nach, als dass sie sich im Netz "schlau" machen und sich auch noch toll vorkommen, wenn sie sich den Finger in den Hals stecken.

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

  • Ich werf mal meine küchenpsychologische Erklärung bzw Gedankengänge in den Raum:


    Schüler Onur spricht schlecht Deutsch, ist faul, findet sich (nach außen) unglaublich toll. Er möchte gerne Arzt werden. Mutti sagt "du kannst alles werden was du willst, du bist etwas ganz besonderes". Onur träumt von der Karriere im Kittel, denn er er muss nur nach den Sternen greifen, er ist nämlich etwas ganz besonderes... Dann kommt die erste 6. Wie kann das sein, fragt er sich. Er will doch Arzt werden. Und alle sagen, jedem steht die ganze Welt offen.


    Schülerin Chanel schwänzt permanent, hat schlechte Noten, keinen Bock auf nichts. Was sie mal beruflich machen will weiß sie nicht. Was sie kann, das weiß sie auch nicht. Sie weiß nur, dass sie nichts kann. Zumindest denkt sie das. Die Mutter ist arbeitslos, will dass Töchterlein es mal besser hat. "Mach was aus deinem Leben", sagt sie. Klappt aber irgendwie nicht. "Dir stehen doch alle Türen offen" hört man nur. Chanel kriegt trotzdem keinen Fuß auf den Boden. "Keine Ahnung was ich will" sagt sie.


    Zwei Prototypen von sus, die mir täglich begegnen. Was alle gemein haben ist die permanente stimme die sagt, dass einem alles möglich ist. Was genau das sein soll, weiß keiner genau. Und wenn man was versucht, dann gehts in die Hose. Dann kommt die Verwirrung, denn sie können sich nicht erklären, was da gerade passiert. Man bekommt ja schließlich immer gesagt, man wäre etwas ganz besonderes und alles sei möglich. Irgendwann bemerken die sus dann aber, dass die eigene Vorstellung mit der Realität nicht im Einklang steht. Und spätestens dann fangen die Probleme an.
    Ich finde, heute fehlt ganz oft eine Stimme die auch mal sagt, dass eben nicht jeder "Popstar" werden kann. Möglicherweise hängt das auch damit zusammen, dass viele Berufe so sehr an Ansehen verloren haben. Und dass da immer eine Wertung mitschwingt. So nach dem Motto "ja wieee, dein Sohn will nur fliesenleger werden?". Ich bin immer sehr bemüht zu vermitteln, dass a) der Beruf nicht über den wert des Menschen entscheidet, b) dass es für jeden eine passende Tätigkeit gibt und c) dass man nicht erst dann "jemand ist", wenn man studiert hat.
    Ich vermisse Eltern die Halt geben und dem Kind auch mal einen vernünftigen Rahmen stecken. Das soll natürlich nicht heißen, dass die Eltern Berufe vorgeben sollen. Aber die Ehrlichkeit zu sagen, dass irgendwas vielleicht doch eher unrealistisch zu erreichen ist und das gepaart mit Hilfestellungen beim finden der richtigen Bahnen, die vermisse ich sehr.

  • Ich habe mich auch schon oft gefragt, ob die Zunahme echt oder nur von mir eingebildet ist.


    Ich beobachte ebenfalls, aber auch das ist Küchenpsychologie, dass es häufiger Eltern gibt, die alle, wirklich alle, Hebel in Bewegug setzen, um Schwierigkeiten für ihre Kinder aus dem Weg zu räumen. Das führt nach meiner Beobachtung dazu, dass Kinder manchmal erst sehr spät mit echten Widerständen konfrontiert werden und dann nicht gelernt haben, sie selbst zu überwinden oder mit ihnen zu leben. Dann kommt der Einbruch.
    Dass Eltern nur Gutes für ihre Kinder wollen, ist klar und richtig. Ich wünschte mir aber manchmal, dass Eltern ihre Kinder dahingehend zu starken Persönlichkeiten erziehen würden, dass sie lernen würden, mit Schwierigkeiten zu leben. Und nicht, dass alle Schwierigkeiten direkt abgeräumt werden.

  • Hier werden aber jetzt m.E. alle möglichen Sachen durcheinander geworfen. Medikamentöse Einstellung hat nichts mit der Ursache einer psychischen Krankheit zu tun, Magersucht hat nur indirekt mit Ernährung und ein unreflektiertes Selbstbild zunächst nichts mit einer psychischen Störung zu tun. Und ob Jugendliche häufiger psychisch erkrankt sind als vor 20 Jahren (viel weiter wird sich hier niemand als Lehrer zurückerinnern können) ist ja noch nicht mal klar.


    Fakt ist sicherlich, dass Kinder anders aufwachsen als vor 20, 50 oder 70 Jahren. Und da es in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche psychische Erkrankungen gibt, halte ich es auch für wahrscheinlich, dass sich Krankheitsbilder verändern, neue entstehen und andere vielleicht sogar in den Hintergrund treten.



    ... Wenn ich auf meine Schulzeit zurückblicke (mir ist klar, dass die SchülerInnen das noch nicht können), war diese die unbeschwerteste Zeit meines Lebens.


    Erstens traf und trifft das sicher nicht auf alle zu (Liebeskummer, Scheidungseltern, Notensorgen, lästernde Mitschüler und "Beliebtheit", Stress mit Eltern und was zum Pubertätsschmerz für die meisten alles dazu gehört) und du bist ja vor allem psychisch gesund. Suizid gab es sicher in allen Epochen. Und Depressionen hießen vor 100 Jahren halt Schwermut oder so...

Werbung