Frage an alle Lehrer*innen

  • Ich hatte mir kürzlich ausschließlich negative Erlebnisse von Referendar*innen und Lehrer*innen durchgelesen. Da ging es zum Beispiel um arge Beleidigungen seitens der SuS gegenüber den LuL an Brennpunktschulen, aber auch an regulären Schulen.



    Wenn ihr auf euer gesamtes bisheriges Arbeitsleben zurückblickt, welche Erfahrungen überwiegen da? Die guten oder die schlechten? Mit Letzterem meine ich komplett chaotische Zustände bezogen auf die Klasse oder einzelne aber sehr respektlose SuS.


    Kann man es vermeiden auf eine Brennpunktschule versetzt zu werden? (EDIT: bzw. in eine solche eingesetzt zu werden?)

  • Bei mir überwiegen die guten. Bei Weitem.


    Brennpunktschule muss auch nicht notwendig schlecht sein. Ich kenne viele Kollegen von vielen Brennpunktschulen (es gibt in meinem Bezirk überwiegend solche).
    Das ist nicht der Punkt. Die Schule muss zur/m Lehrer/in passen. Die KollegInnen aus Brennpunktschulen sind oft tolle Teams, und genauso oft wollten sie genau mit den Kindern arbeiten, mit denen sie jetzt arbeiten.
    Wenn es Probleme gibt, sind die oft eher struktureller Natur: es gibt keinen Zusammehalt, nicht genug Personal, schlechte Führung, marode Gebäude, mangelnden Arbeits&Gesundheitsschutz, all das, oft in Kette. Die Kids sind oder werden nur das Problem, wenn der Rest nicht stimmt. Oer man für sich die falsche Wahl getroffen hat.


    Zwangsversetzungen gibt es selten (fast nie). Abordnungen (temporär) gegen den Willen schon eher, aber auch nicht häufig.
    Wenn du statt "versetzt" "eingesetzt" meinst, hängt es in Hessen zumindest an der Art der Einstellung: Via Rangliste (du bekommst eine Schule angeboten/zugewiesen) oder via Bewerbung auf eine schulscharfe Ausschreibung (du bewirbst dich aktiv). Bei letzterem hast du es in der Hand, bei ersterem kannst du ablehnen. Gibt halt Minuspunkte.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Definitiv die guten.


    Allerdings kenne ich fast ausschließlich bayr. Gymnasien.


    Trotzdem: Es ist schon so, dass die negativen Erfahrungen, auch wenn sie quantitativ nicht im Verhältnis stehen zu den positiven, einen manchmal ganz schön runterziehen können. Aber das ist in jedem Job so, denke ich. Man lernt daraus und wächst auch daran und bekommt ein dickeres Fell.

  • Die negativen Ereignisse, insbesondere wenn sie "heftig" waren, bleiben halt länger im Gedächtnis, als die Guten.
    Daher ist es oft schwierig.


    Ich bin erst seit 3,5 Jahren dabei, aber bei mir überwiegen die Guten! Auch auf eine Woche gesehen. Am Montag hat mich ein Klasse total genervt, aber die anderen beiden die ich an dem Tag hatte, haben das wettgemacht. Daran muss man sich dann eben hochziehen und sich die positiven Ereignisse bewusst in den Vordergrund ziehen.

  • Die Guten überwiegen.
    An einer Brennpunktschule, wie ich es bin, muss man aber in der Lage sein, diese wahrzunehmen.
    Ich wollte immer lieber im Brennpunkt arbeiten als in einer gutbürgerlichen oder generell bürgerlichen Schule.
    Das Ausmaß der Verarmung der Schüler ist allerdings schon krass bei uns. Über 80 Prozent Leistungsempfänger. Hab ein paar Hausbesuche hinter mir, mit Erlebnissen und Bildern, die andere nur aus dem Fernsehen kennen. Daran bin ich mittlerweile gewöhnt und generell sind die Stadtviertel des Einzugsgebiets mir bekannt, da ich in der Nähe aufgewachsen bin. Man kämpft jeden Tag mit den Schülern zusammen und wird eine feste Einheit... Ich hab schon Tränen gelacht und geweint wegen der Arbeit.
    Woran ich mich allerdings nur schwer gewöhnen kann, sind die Dinge, die ich nicht beeinflussen kann: Abschiebung, (falsche?) Entscheidungen des Jugendamtes, die getroffen werden, ohne die Schule angemessen zu involvieren/informieren, weil anscheinend in den Ämtern nicht klar ist, dass wir sehr viel mehr als Lehrer für die Kinder sind... Das sind Faktoren, an denen ich lang zu knabbern hab.
    Dass der Unterricht mal nicht läuft, ist in meinem Umfeld ganz normal. "Aufmüpfige" Schüler futtern wir quasi zum Frühstück ;)
    Die äußeren Bedingungen machen es hart. Die Stadt hat zB angedeutet, dass sie das Ausflugsgeld für Kinder von Leistungsempfängern, was wir Anfang eines SJ klassenweise als Sammelantrag beantragen, demnächst nicht mehr pauschal, sondern nur mit eingereichten Rechnungen für alle Ausgaben einzeln auszahlt. Wenn das passiert, bei 80 % betroffener Schüler, können wir Ausflüge eigentlich vergessen, denn den Verwaltungsaufwand kann das Sekretariat nicht leisten. Jedes Busticket, Eis, Eintrittskarte etc über Dritte abzurechnen mal zighundert Kinder zu zigverschiedenen Daten im Jahr - unmöglich.
    Diese Dinge sind belastend. Der Unterricht oder die Schüler eher nicht. Bzw. zwar anstrengend aber nicht negativ.

    Ich tippe am Handy.

    4 Mal editiert, zuletzt von MilaB ()

  • Die Guten!
    Klar gibt’s Tage, die braucht man nicht. Echt nicht. Und ich bekomme Schicksale mit, die mich lange beschäftigen und die ich auch in meiner Freizeit nicht einfach beiseite schieben kann. (Das ist aber Typsache.)
    Aber meine Schüler sind schon toll. Auch die spezielleren, von denen wir ja so einige haben. Ich gehe gerne arbeiten. :)

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Die Guten, mit weitem Abstand. Richtig schlechte gibt es nicht viele. - So oder so: Die intensiven Erfahrungen kamen bei mir in den ersten 15 Jahren; in den letzten 10 Jahren (ich habe gerade 25-jähriges Dienstjubiläum) wächst die Distanz oder die Gelassenheit.

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

  • Die Guten. Negative Erfahrungen betrachte ich eher professionell distanziert als pädagogische Herausforderungen. Am meisten nimmt mich mit, dass ich als Geschichtslehrer einen der Spinner aus der Wuppertaler Salafistenszene auf seinem Weg vom normalen jungen Mann hin zu einem zotteligen Islamisten beobachten und nichts dagegen machen konnte.

  • Zwangsversetzungen gibt es selten (fast nie). Abordnungen (temporär) gegen den Willen schon eher, aber auch nicht häufig.


    Wenn du statt "versetzt" "eingesetzt" meinst, hängt es in Hessen zumindest an der Art der Einstellung: Via Rangliste (du bekommst eine Schule angeboten/zugewiesen) oder via Bewerbung auf eine schulscharfe Ausschreibung (du bewirbst dich aktiv). Bei letzterem hast du es in der Hand, bei ersterem kannst du ablehnen. Gibt halt Minuspunkte.

    Danke für den Hinweis, habe die Frage bearbeitet.



    Eure Antworten hören sich bisher beruhigend an. Ich las, dass einer Lehrerin von einem Schüler das Wort "H***" hintergerufen wurde, oder einer anderen "F*** dich" entgegnet wurde, als diese ihn ansprach. Eine andere Lehrerin wurde vor der Klasse als "fett" und "hässlich" bezeichnet. Sind das sehr seltene Ereignisse oder kann man mit einem solchen Verhalten rechnen?



    Die Guten. Negative Erfahrungen betrachte ich eher professionell distanziert als pädagogische Herausforderungen. Am meisten nimmt mich mit, dass ich als Geschichtslehrer einen der Spinner aus der Wuppertaler Salafistenszene auf seinem Weg vom normalen jungen Mann hin zu einem zotteligen Islamisten beobachten und nichts dagegen machen konnte.

    Einen ähnlichen Fall gab es damals auf meiner Schule, bloß ging es in eine andere politische Richtung. Schwieriges Thema.

  • Ich habe sowas noch nie erlebt. Aber kenne KollegInnen, die sowas erleben. Nicht jeden belastet das, viele haben gelernt, zu abstrahieren, weil sie wissen, wie die Kinder aufwachsen. Wie auch hier im thread zu lesen, belastet viele eher, DASS Kinder so aufwachsen müssen.

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  • Die negativen Ereignisse, insbesondere wenn sie "heftig" waren, bleiben halt länger im Gedächtnis, als die Guten.
    Daher ist es oft schwierig.

    Genau, es gibt meist mehr gute, aber die schlechten sind einer heftiger und bleiben besser im Gedächtnis.


    Wobei ich sagen muss, wir haben schon einige Klassen, wo leider inzwischen soviele Verhaltenskreative Kinder sind, dass die negativen Dinge dort überwiegen und die Klassenlehrer der Klassen haben ja kaum andere Stunden, also sinds da dann doch die negativen Sachen, die überwiegen.

  • Eure Antworten hören sich bisher beruhigend an. Ich las, dass einer Lehrerin von einem Schüler das Wort "H***" hintergerufen wurde, oder einer anderen "F*** dich" entgegnet wurde, als diese ihn ansprach. Eine andere Lehrerin wurde vor der Klasse als "fett" und "hässlich" bezeichnet. Sind das sehr seltene Ereignisse oder kann man mit einem solchen Verhalten rechnen?

    Mit so was ist nicht unbedingt zu rechnen. Ich habe das noch nie erlebt. Ist bei uns eine absolute Ausnahme Ich kenne aber Kolleginnen und Kollegen, die ähnliche Beleidigungen erfahren haben. Meistens passiert so was, wenn die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler nicht stimmt.
    Irgendwann fangen die Schüler sogar an, sich in deinem Beisein für gegenseitige Beleidigungen untereinander zu schämen und deswegen zu reduzieren... Wenn das anfängt, ist man auf einem guten Weg.
    Man muss was aushalten können als Lehrer aber niemand muss sich beleidigen lassen.
    Sollte das passieren, zum Beispiel von einem Förderschüler, muss man das professionell betrachten und cool bleiben, so schwer das auch ist.

  • Die guten. Es gibt vereinzelt nervige Schüler und auch Klassen, aber deutlich überwiegen die, mit denen man arbeiten kann und wo man auch Spaß hat. Und ich denke gerade an eine meiner Klassen, die ich letztes Jahr als sehr anstrengend, da verschwätzt und lernunwillig empfand, und die mich vor einem Jahr viele Nerven und auch pädagogische Arbeit gekostet hat. Dieses Jahr habe ich sie wieder und ich habe mich bei dem Gedanken ertappt, dass ich nun ganz gerne da reingehe und ich freue zu sehen, wie sich der eine oder andere Schüler in dem Jahr entwickelt hat. (Einige der anstrengendsten Schüler haben die Klasse zum Schuljahreswechsel auch verlassen.)



    Sarek

  • Das f.... dich du f.... hat eine kollegin an einem von sehr wohlhabender Klientel besuchten Gymnasium von einem Schüler gesagt bekommen. Brennpunkte seelischer Art korrelieren meiner Erfahrung nach durchaus ebenso mit extremer Verarmung wie mit Wohlstandsverwahrlosung.

  • Tatsächlich ist das bei mir an der Schule auch schon mehrfach vorgekommen. Auch an meiner vorherigen Grundschule wurde ich als F..ze betitelt. An der aktuellen Schule sind gegenüber mir und anderen Lehrkörpern ebenfalls bereits kreative Namen gefallen oder absolut unangebrachte Kommentare (z.B. Bist du dumm? Geht´s noch. Kannst mich mal. Interessiert mich nicht.). Diese Schüler haben ein Problem. Zu sagen, in der Regel hat der Lehrkörper dann kein gutes Verhältnis zu diesen Schülern, finde ich kritisch. Da wird das Problem wieder dem Lehrkörper zugeschoben, der doch einfach an der Beziehung hätte arbeiten können, dann wäre es nicht passiert. In der Regel haben diese Kids jedoch starke, emotionale Probleme und ihnen fehlen häufig Handlungsalternativen, die Frustrationsgrenze ist gering etc... Die Kids haben ein Problem, nicht der Lehrer. Dass ein gutes Verhältnis zuträglich ist, steht außer Frage. Doch in der Pausenaufsicht muss ich mit Schülern umgehen, die ich nicht einmal kenne. Und selbst wenn ich diese Kids regelmäßig unterrichte und ein gutes Verhältnis habe, heißt das nicht, dass sie an einem schlechten Tag mir gegenüber nicht doch fies werden könnten.

  • Damit hast du auf jeden Fall erstmal Recht. Es liegt bestimmt nicht grundsätzlich an der Beziehung zueinander. Mein Kommentar müsste ich an der Stelle ändern. Anstatt "meist" sollte dort eher stehen "Es kann daran liegen". Ich hatte tatsächlich erstmal nur den eigenen Unterricht vor Augen. An Aufsichten etc hab ich nicht gedacht. Und wiegesagt, es gibt Kinder (nicht nur offizielle Förderkinder), die überschreiten die Grenzen. Man muss das schon aushalten können als Lehrer, aber man muss als Anfänger keine Sorge haben, dass der Arbeitsalltag von so was im Allgemeinen geprägt ist finde ich.

  • Die guten Erfahrungen überwiegen bei mir auch.


    Respektloses Verhalten ist mir auch schon begegnet ohne, dass wir eine wirkliche Brennpunktschule sind. Da ist dann die Frage wie man darauf reagiert. Ansonsten sehe ich auffällige Kinder immer als Herausforderung. Kinder suchen Grenzen, die spüren sie spätestens in der Schule.


    Wichtig für mich ist, sollte ein Kind mal eine Grenze überschreiten, es nicht persönlich zu nehmen. Angenemessen darauf reagieren und dann ist es auch wieder gut.

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