Von der Förderschule bis zum Abitur - ein Ding der (Un-) Möglichkeit?

  • Hallo liebe Forenmitglieder,


    da mir Ehrlichkeit wichtig ist hier vorab die Info: Ich bin kein Lehrer, Referendar, o.ä. Da mich jedoch ein Thema sehr umtreibt (weil es meine eigene Lebensgeschichte beschreibt) und ich glaube das zu dieser Thematik Lehrer (als Menschen direkt aus der "Praxis") am besten etwas sagen können und mich die Meinung von euch sehr interessiert, hoffe ich dass man mir diese nicht 100%-ige Befolgung der Forenregeln etwas nachsieht. Also kurzum: Man möge mir in dieser Hinsicht bitte verzeihen. Ich hoffe zudem, dass das hier die richtige Rubrik für das Thema ist da hier auch viel Ärger, Frust etc. mitschwingt. Wenn nicht würde ich gerne darum bitten den Beitrag in ein passenderes Forum zu verlegen.


    Zu dem Thema an sich: Ich bin 1998 an einer normalen Grundschule eingeschult worden. Dort zeigte sich mit der Zeit, dass ich wohl etwas langsamer bin in meinem gesamten Lerntempo, aber in Mahe ganz besonders. Um dem zu begegnen habe ich Extrastunden mit einer Sonderpädagogin bekommen. Dort wurde dann mit mir eben intensiv Mathematik geübt aber auch Sprache, lesen, etc. (heute bekannt als das Fach Deutsch-oder bezeichnet man in der Grundschule das Fach Deutsch als Lesen, Schreiben ?...Ich weiß es nicht). Jedenfalls wurde gesagt, als sich die 4.Klasse dem Ende neigte, dass meine Leistungen nicht den Anforderungen einer Hauptschule bzw. Realschule ( vom Gymnasium ganz zu schweigen) gerecht würden.


    Somit kam ich auf eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt "körperliche und motorische Entwicklung". Entgegen dem genannten Förderschwerpunkt wurden auch dort Schüler mit einer sog. "Lernbehinderung" (LB, ich kürze es der Einfachheit halber mal ab) und "geistigen Behinderung" (GB) unterrichtet. Allerdings waren die Klassen "durchmischt", so dass Schüler mit einer LB bzw. GB und Schüler mit körperlichen Einschränkungen gemeinsam unterrichtet wurden. Ich wurde wohl nach dem Förderschwerpunkt "Lernen" unterrichtet. Zumindest stand das immer in meinen Zeugnissen.) Der Fokus lag in der 5. und 6. Klasse sehr, sehr stark auf den sozialen Kompetenzen also richtig zu essen, Messer und Gabel richtig zu halten, Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit, etc. Wirklich "Unterricht" gemacht wurde kaum. Ich persönlich habe mich zu dem Zeitpunkt eigentlich wohl gefühlt, jedoch hatte ich ganz tief in mir drin, wahrscheinlich in meinem Unterbewusstsein, das Gefühl das mir etwas fehlte...Ich hatte manchmal den Eindruck als ob ich meinen Klassenkameraden durch eine Glasscheibe zusehen würde...das ist sehr schwer zu beschreiben...ich hoffe ihr wisst was ich meine...ich habe zwar alle akzeptiert und ich glaube umgekehrt war es genauso...jedoch fühlte ich mich in meinem tiefsten inneren dort fehl am Platze. Wirkliche Freunde hatte ich in der 5. bzw. 6. Klasse keine. Auf den schulischen Aspekt bezogen war ich (abgesehen evtl. von Mathe) mit an ziemlicher Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Klassenbeste.


    Da dies auch meinen Eltern nicht verborgen bleib kämpften sie darum, dass ich in eine Klasse kam in welcher die Schüler auf einem besseren Leistungsstand waren. Es gab an der Schule die Klassen A,B und C. In Klasse A waren die Kinder die am "stärksten" waren hinsichtlich ihrer schulischen Leistung. In Klasse B ( in der ich war) die mittleren und in Klasse C die schwächsten. Das Wort Kämpfen benutze ich deshalb weil es in gewisser Hinsicht ein Kampf war, da meine Lehrer sich erst weigerten mich in die stärkere Klasse gehen zu lassen. Letztendlich bin ich zum Glück doch dort reingekommen und blieb dort (also bis zur 10 Klasse) bis zu meinem Abschluss im Jahr 2010. Zwar hatte man dort (so sagte man es meinen Eltern) die Möglichkeit den Hauptschulabschluss nach Klasse 10 zu erwerben, jedoch habe ich die Schule mit dem "Abschluss im Bildungsgang des Förderschwerpunkts Lernen nach Klasse 10" verlassen.


    Danach kam ich (wie wohl alle) in eine Berufsvorbereitungsmaßnahme und habe danach im Jahr 2011 eine geförderte Berufsausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik begonnen die ich 2014 (mit offizieller IHK-Prüfung) erfolgreich abgeschlossen habe und somit den Hauptschulabschluss nach Klasse 10 erworben habe.
    Aufgrund meiner Erfahrungen, während der Ausbildung, die alles andere als schön waren, habe ich danach an einer Volkshochschule Anfang 2016 schließlich den Mittleren Schulabschluss (FOR) nachgeholt und bin danach an ein Weiterbildungskolleg in NRW gegangen um dort das Abitur nachzuholen, welches ich auch im Winter 2018 erfolgreich geschafft habe.


    Mittlerweile studiere ich an einer Uni einen Studiengang der sich auch genau mit diesen Themen (Chancengleichheit im Bildungssystem, "Stigmatisierung", etc.) befasst.


    Warum ich hier über dieses Thema schreibe? Ganz einfach: Weil ich am eigenen Leib erfahren habe, dass nichts schlimmer ist, als jemanden vorzuverurteilen oder jemandem Chancen vorzuenthalten. Weil man nie, NIE!! wissen kann wie weit sich ein Mensch im Laufe seines Lebens noch entwickelt. In meinen Zeugnissen der Förderschule stand "er hatte Probleme mit stereotypen Handlungen" Na und ?? Wenn ich überlege oder aufgeregt bin, zwirbel ich mir nunmal in den Haaren rum. Oder dort stand " Er besitzt in den Eigenschaften wie Flexibilität, Selbständiges Handeln, Eigeninitiative weiterhin großes Förderpotenzial". Und natürlich war ein elendiges Thema immer wieder meine schüchterne, zurückhaltende Art, ich sei zu ruhig und solle mich mehr melden. Da frage ich mich doch: Wenn ich tatsächlich so ruhig bin und ein so großes Förderbedürfnis in Sachen wie Selbstständigkeit und Eigeninitiative habe ( oder besser hatte), wie konnte ich dann den Mittleren Schulabschluss bekommen und danach erfolgreich eine Abiturprüfung ablegen die den höchsten schulischen Bildungsabschluss in Deutschland verleiht?...Fast alle meiner Mitstudierenden ( so nennt man die Mitschüler am Weiterbildungskolleg) und auch viele Lehrer wollten mir nicht glauben, dass ich als Regelschule eine Förderschule besucht habe... Was läuft hier bitteschön falsch in unserem Bildungssystem?


    Ich bin dankbar, dass ich so weit gekommen bin. Ich bin aber auch traurig und ein bisschen wütend, dass man immer alle (oder die meisten), die von solchen Schulformen kommen, erst stigmatisieren muss und diese sich aus eigener Kraft befreien und "hochkämpfen" müssen...Meiner Ansicht nach wurden damals bei mir viele Fehler von Seiten der Lehrer gemacht, denn wenn man schon in jungen Jahren spürt (und wenn auch nur im Unterbewusstsein), dass man das Zeug zu etwas hat, aber man keine Unterstützung erfährt und später dann seine Ziele, entgegen aller Behauptungen oder Prognosen, erreicht ist das schon sehr frustrierend...man fühlt sich nicht ernstgenommen...ja...eigentlich sogar verraten.


    Mich würde wirklich interessieren wie ihr darüber denkt, insbesondere über meine persönliche Lebensgeschichte aber auch natürlich über das Bildungssystem grundsätzlich.


    Ich bin gespannt auf eure Antworten, Meinungen und Argumente. Ob positiv oder negativ - für alles bin ich dankbar. Denn davon lebt ja gerade eine Diskussion...Und das macht es doch gerade so interessant.


  • Ich bin dankbar, dass ich so weit gekommen bin. Ich bin aber auch traurig und ein bisschen wütend, dass man immer alle (oder die meisten), die von solchen Schulformen kommen, erst stigmatisieren muss und diese sich aus eigener Kraft befreien und "hochkämpfen" müssen...

    Hey cera02, erst mal herzlichen Glückwunsch zu deinem Selbstbewusstsein und dass du nun das studierst, was dir am meisten am Herzen liegt!


    Was ich noch nicht verstehe, du schreibst, dass du stigmatisiert wurdest, nach dem du aus der Förderschule kamst. Ich sehe da eher ein gesellschaftliches, denn ein schulisches Problem, die von dir erlebte Stigmatisierung (worin bestand die genau?) fand ja offenbar nicht im Rahmen der Schule statt, sondern danach?


    Und "hochkämpfen", das kann man gut oder schlecht finden, müssen sich alle Menschen in dieser Gesellschaft. Wer aus "gutem Elternhaus" kommt, hat es bedeutend leichter als jemand aus der sozio-ökonomisch unteren Gsellschaftsschicht. Das ist leider Fakt.


    Bei dir im Speziellen ist ggf. falsch diagnostiziert worden. Bei uns läuft Diagnostik sehr differenziert ab, es gibt zu jedem Lernbereich eine eigene Einschätzung, es werden IQ-Tests gemacht, im Zweifel der Schulpsychologe zu Rate gezogen usw., rein theoretisch sind wir in Sachsen einige Jahre nach der Wende Dank der Professoren der Uni Leipzig von der Zuschreibungsdiagnostik zur Förderdiagnostik gekommen. Ganz praktisch ist das natürlich Kokolores, da das Schulamt Vorgaben gibt, wie zu entscheiden und an welcher Schule Platz ist.


    Ob es dir hilft, sich den Rest des Lebens zu ärgern musst du für dich rausfinden. Denn inwiefern der Aufenthalt in einer kleineren Schule dir gut getan hat kann man wohl kaum nachvollziehen. Es gibt sehr schlechte Haupt- und Realschulen, die weit größer sind als eine Körperbehindertenschule. Möglicherweise wärst du dort richtig krachen gegangen. Irgendwie werden wir alle groß, miss der Schule nicht zu viel Bedeutung bei.

  • irgedwie habe ich das Gefühl, dass ich diese Geschichte schon 2x irgendwo gelesen habe. :stumm:
    Warum hast du das Bedürfnis das zu erzählen? Was erhoffst du dir davon?

    Sei konsequent, dabei kein Arsch und bleib authentisch. (DpB):aufgepasst:

  • Und "hochkämpfen", das kann man gut oder schlecht finden, müssen sich alle Menschen in dieser Gesellschaft. Wer aus "gutem Elternhaus" kommt, hat es bedeutend leichter als jemand aus der sozio-ökonomisch unteren Gsellschaftsschicht. Das ist leider Fakt.

    Relevant ist die Einstellung zu Bildung, nicht die sozio-ökonomische Gesellschaftsschicht. Das ist nicht das Gleiche.
    Ich komme sozio-ökonomisch betrachtet aus dem Bodensatz der Republik, habe aber ganz regulär und ohne Probleme Abitur gemacht. Wie man es "leichter" hätte haben sollen, verstehe ich nicht. Kämpfen musste ich auch nicht. Warum auch? (Weil du mich schon mal missverstanden hast: das ist kein "Beweis durch Einzelbeispiel", sondern ein Aufzeigen der Tatsache, dass eine Korrelation keine allgemeingültige Aussage impliziert.)

  • Relevant ist die Einstellung zu Bildung, nicht die sozio-ökonomische Gesellschaftsschicht. Das ist nicht das Gleiche.

    stimmt, der Anteil armer, bildungsferner Haushalte dürfte aber doch n büschn höher liegen als der armer aber gebildeter. Zumal wir einer anderen Generation entstammen dürften als der TE.



    ... Wie man es "leichter" hätte haben sollen, verstehe ich nicht. Kämpfen musste ich auch nicht. Warum auch?

    Glückwunsch, ich zahle heute noch BAföG ab. Und irgendwie kenne ich ausschließlich Menschen, die für ihren Unterhalt hart arbeiten müssen, Zuckerschlecken ist das bei den wenigsten. Höchstens da, wo einer den Richtigen kannte oder zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, Ausnahmen halt.


    Achso und: sozioökonomisch beinhaltet ja nicht nur "ökonomisch". Ich weiß nicht, wie du aufgewachsen bist, aber ich rede nicht nur von geringem Einkommen der Eltern.

  • Herzlichen Glückwunsch zum Abitur und alles Gute für das Studium und den weiteren Weg wünsche ich.


    Ich frage mich jedoch: Ist dein Werdegang nicht eigentlich ein Beleg für die Wirksamkeit sonderpädagogischer Förderung und für die Durchlässigkeit des Bildungssystems?


    Natürlich müsste man zu einer genauen Einschätzung erst wissen, auf der Grundlage welcher diagnostischen Resultate bei dir ein Förderbedarf festgestellt wurde. Natürlich werden da auch Fehler gemacht oder nachlässig gehandelt. Ich würde davon jedoch nicht als Regelfall ausgehen. Zumal bei dir der Förderbedarf ja, wenn ich dich richtig verstehe, erst nach vier Schuljahren erhoben wurde und nicht bereits vor der Einschulung.


    Natürlich entwickeln sich auch Schüler anders als angenommen - man kann immer nur Prognosen stellen. Im Gegenzug kannst du auch nicht wissen, wie es gelaufen wäre, wenn du an Haupt-, Realschule oder Gymnasium gekommen wärst.

  • Ich lese bei ähnlichen Geschichten immer wieder davon, dass die Lehrer nicht das Potential erkannt oder einem am Aufstieg in einen höheren Bildungsgang gehindert hätten. Ganz ehrlich: Gerade im Förder- und Hauptschulbereich ist jeder Lehrer froh über die Leistungsspitze. Wenn ein Schüler das Gefühl hat, dass er unterfordert ist, muss er halt mal seinen Schweinehund überwinden und im Unterricht Gas geben. Wenn dann kontinuierlich gute Noten herausspringen, wird der Lehrer automatisch das Gespräch mit dem Schüler suchen und zumindest mal die Idee aufwerfen, es mit einer höheren Schulform zu versuchen. Jeder Förder- und Hauptschullehrer ist eigentlich dahingehend sensibilisiert und so viel Zeit wie die (in der Regel) Klassenlehrer in ihrer Klasse verbringen, kann sowas eigentlich gar nicht nicht auffallen. Ich glaube daher eher, dass jemand von sich selbst aus in eine "Keinen Bock auf Schule!"-Phase verfiel, mittelmäßige Noten schrieb und später erkannte, dass man doch in der Schule aufpassen sollte und dadurch den Aufstieg schaffte. Dann aber über die Lehrer herzuziehen ist ein bisschen billig, um die eigenen Unzulänglichkeiten zu kaschieren.

  • irgedwie habe ich das Gefühl, dass ich diese Geschichte schon 2x irgendwo gelesen habe. :stumm:

    letztes Mal war es eine ehemalige Schülerin einer Sprachheilschule, wenn ich recht erinnere...

  • ... Wenn ein Schüler das Gefühl hat, dass er unterfordert ist, muss er halt mal seinen Schweinehund überwinden und im Unterricht Gas geben.

    Naja, so einfach ist es halt auch nicht immer. Erstens lässt es das System nicht überall und jederzeit zu und zweitens sind die Lehrpläne abgespeckt, zu viel wäre aufzuholen. An der Förderschule im L-Bereich fehlt dir z.B. die Fremdsprache (nahezu) komplett. Dann hat das ja auch eine psychische Komponente, Unterforderung kann zermürben. Wie die Eltern ticken wissen wir auch nur ansatzweise, offenbar haben sie aber ständig gegen Schule gewettert, nicht hilfreich fürs Kind. Und: Hochbegabte haben dirchaus auch nicht immer super Noten, an Noten kann man nicht immer alle Fähigkeiten ablesen.

  • letztes Mal war es eine ehemalige Schülerin einer Sprachheilschule, wenn ich recht erinnere...

    Bei uns melden sich immer wieder ehemalige Schüler (die meist die Grundschulzeit bei uns waren) nach ihrem Realschulabschluss oder Abitur und schreiben/erzählen, dass sie es ohne den Start bei uns vielleicht nicht so weit geschafft hätten.
    Aber das ist natürlich auch nicht repräsentativ. Von denen, die im Nachhinein unzufrieden mit ihrer Beschulung bei uns sind, werden wir eher nichts mehr hören.

  • @samu: Du hast da ein paar sinnvolle Punkte genannt, die auf jeden Fall aufzeigen, warum ein Aufstieg im Bildungssystem zumindest schwierig (nicht unmöglich, denn dafür gibt es zu viele Positivbeispiele) ist. Mit dem letzten Satz habe ich jedoch ein paar Schwierigkeiten... Lehrer können vieles, sind aber keine Hellseher. Von daher denke ich, dass die meisten Lehrer bemüht sind, dass Bestmögliche aus ihren Schülern herauszuholen, aber der Schüler muss in irgendeiner Weise auch Bereitschaft und Fähigkeit dazu signalisieren. Sonst wären wir an dem Punkt, wo man prinzipiell eine Hochbegabung bei jedem vermutet - und das hätte wohl fatale Folgen in Form von kollektiver Überforderung.


    Plattenspieler: Super! Gerade für solche Erfolgserlebnisse strengen sich die Förderschulkollegen täglich an. Dafür ist die Förderschule da...

  • stimmt, der Anteil armer, bildungsferner Haushalte dürfte aber doch n büschn höher liegen als der armer aber gebildeter. Zumal wir einer anderen Generation entstammen dürften als der TE.

    Sicher. Es ist aber ein Unterschied, ob man fehlendes Geld oder fehlende Bildung der Eltern als Ursache für mangelnden Erfolg der Kinder betrachtet.
    Stimmt, es gab noch nie so hervorragende Bildungschancen wie heute. Als ich Abi gemacht habe, haben rund 1.9 Millionen Menschen studiert. Heute sind es 2.9 Millionen und >70% eines Jahrgangs haben eine Studienberechtigung. Ganz zu schweigen vom Srudienzugang als beruflich Qualifizierter.


    Glückwunsch, ich zahle heute noch BAföG ab. Und irgendwie kenne ich ausschließlich Menschen, die für ihren Unterhalt hart arbeiten müssen, Zuckerschlecken ist das bei den wenigsten. Höchstens da, wo einer den Richtigen kannte oder zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, Ausnahmen halt.

    Ich habe 4 Jahre lang den BAföG Höchstsatz bekommen und auf 400 Euro Basis ein paar Stunden gearbeitet. Damit bin ich in Frankfurt gut ausgekommen. Danach habe ich auf einen weiteren Antrag verzichtet, weil ich mit Arbeit genug verdient habe.
    Die paar tausend Euro habe ich als die Zahlungsaufforderung kam, auf einmal zurückgezahlt. In 5 Jahren hat man das doch gut zusammengespart. Heute zahlt man maximal 10.000 Euro zurück. Das sind 5 Jahre lang jeden Monat 166 Euro, die man zurück legen muss. Als Lehrer, selbst im Ref, ist das Ansparen so möglich.
    Die meisten meiner Freunde sind auch entspannt mit ihrem verdienten Geld (+ BAföG) und/oder Unterhalt der Eltern ausgekommen. Große Sprünge waren nicht möglich, aber man musste sich keine Sorgen um Wohnung, Essen, Semesterbeitrag oder Freizeitgestaltung machen. Ein bisschen mit Geld umgehen sollte man schon können/lernen.
    Probleme gibt es nur, wenn die Eltern sich weigern Unterhalt zu zahlen, obwohl sie es könnten oder so ungünstig verdienen, dass BAföG sagt, sie müssen Unterhalt zahlen, sie es aber wegen diverser Verbindl
    ichkeiten nicht können.

  • @samu Zu der Sache mit meinen Eltern würde ich sagen, dass sie alles andere als gegen die Schule gewettert haben...Im Gegenteil: Wenn meine Eltern nicht so hinter mir gestanden hätten und sich nicht dafür eingesetzt hätten, dass ich in eine höhere Klasse komme , dann würde ich höchstwahrscheinlich nicht mit Abi in der Tasche jetzt studieren...Meine Eltern haben nur dafür gesorgt, dass ich damals in eine bessere Klasse gekommen bin. Wäre ich das nicht hätte ich wahrscheinlich niemals meine FOR und schließlich mein Abitur nachgeholt.


    @Veronica Mars Ich erzähle das, weil mich einfach mal eure Meinung dazu interessiert...Dieses Thema ist ja nunmal ein riesen Fass. Ich habe hier meine Geschichte auch nur mal exemplarisch angeführt. Ich möchte nicht wissen wie viele Schülerinnen und Schüler das selbe erleben wie ich...man kommt sich hinterher einfach "falsch einsortiert" vor. Das meinte ich im Eingangspost mit "verraten vorkommen".


    Ich will damit sagen: Ich war früher auf einer Förderschule. Und diese Entscheidung mich dort hinzuschicken haben die Lehrer von meiner Grundschule zwar nicht gefällt aber "dringend" empfohlen. Was sollten meine Eltern also machen? Die Lehrer waren ja nunmal die pädagogischen Experten nicht meine Eltern. Also haben sie ihnen geglaubt und mich auf die Förderschule geschickt. Danach habe ich meine Ausbildung im Lager absolviert und nach der Ausbildung habe ich meine FOR nachgeholt und auf einmal zack bumm stand ich mit einem Abiturzeugnis in der Hand da. Also muss doch irgendwas in diesen 3 Jahren Ausbildung passiert sein was mir auf einmal die ich nenne es mal "Intelligenz" gebracht hat eine Abiturprüfung zu bestehen oder es wurde damals in meiner zeit an der Regelschule etwas übersehen...anders kann ich es mir nicht erklären. Ich möchte nicht meine Lehrer bzw. euren Berufsstand kritisieren. Das liegt mir total fern. Aber ich finde es wichtig und auch interessant wenn so eine Thematik mal diskutiert wird.

  • Und diese Entscheidung mich dort hinzuschicken haben die Lehrer von meiner Grundschule zwar nicht gefällt aber "dringend" empfohlen. Was sollten meine Eltern also machen? Die Lehrer waren ja nunmal die pädagogischen Experten nicht meine Eltern. Also haben sie ihnen geglaubt und mich auf die Förderschule geschickt.

    Man kann sein Kind nicht einfach an eine Förderschule schicken.
    Dazu muss ein sonderpädagogischer Förderbedarf bestehen (zu deiner Zeit hieß das vielleicht noch 'Sonderschulbedürftigkeit' o. ä.).
    Die Entscheidung darüber trifft die Schulaufsichtsbehörde auf der Grundlage eines sonderpädagogischen Gutachtens.
    Da reicht keine 'dringende Empfehlung' der Grundschullehrer.

  • ...Aber ich finde es wichtig und auch interessant wenn so eine Thematik mal diskutiert wird.

    das tun wir ja gerade :)


    Es ist nur manchmal schwierig, als Betroffener objektiv zu bleiben.
    Es wurden mehrere Punkte benannt, z.B.: Förderbedarf wurde festgestellt, ob damals Fehler gemacht wurden kann niemand beurteilen. Ob du in einer Hauptschule besser aufgehoben gewesen wärst, muss zumindest bezweifelt werden. Die Schule für Körperbehinderte ist oft der Notanker für Kinder, die nirgends so richtig "reinpassen", die Auswahl weist eher darauf hin, dass man dir den Abschluss zutraute, an Kö-Schulen kann man alle Abschlüsse außer Abi machen. Aber aus psychischen Gründen (siehe deine damaligen Förderziele) entschied man, dass du besonderer Förderung bedurftest.


    Dass unser Schulsystem trennt, und das recht rigide, ist so, darum gibt's auch die vielen Inklusionsdebatten. Ob es aber allen Kindern besser geht, wenn man sie einfach nur zusammen in einen Raum setzt, das bezweifeln alle Fachleute. Die Schule, so wie sie jetzt und hier ist, ist dafür nicht ausgelegt.


    Und: dein Gefühl des "Abgestempeltseins" ist m.M.n. nicht auf die Schule zurückzuführen, dir standen ja nun alle Wege offen und du hast den Abschluss, den du wolltest. Dieses Gefühl kommt entweder aus den Erfahrungen, die du außerhalb von Schule machen musstest ("Förderschülerbashing") oder aus deiner eigenen Unzufriedenheit mit dir und dem Leben heraus. Die Körperbehindertenschule als solche ist nicht verantwortlich für dein Lebensgefühl. Allenfalls einzelne doofe Lehrer, aber die gibt's überall.


    Ich wünsche dir auf alle Fälle alles Gute, vielleicht kannst du doch irgendwann damit innerlich abschließen, dass du entweder falsch eingeschätzt, dein Potenzial nicht erkannt wurde oder dass du tatsächlich Probleme hattest, denen man in der Regelschule nicht beikommen konnte. Der IQ allein ist kein Garant für Erfolg in der Schule oder gar im Leben. Und du hast Resilienz bewiesen, jetzt geht's weiter im Leben :troest:

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  • Hallo cera02,


    Hut ab vor deiner unglaublichen Beharrlichkeit! Und ich kann gut verstehen, dass du das Bedürfnis danach hast, deine Geschichte zu erzählen und damit zum Nachdenken über das Schulsystem anzuregen.
    Ein anderer Punkt hat sich mir aber sehr stark aufgedrängt, über den du vielleicht mal nachdenken möchtest: Ist dir mal in den Sinn gekommen, dass du im autistischen Spektrum sein könntest? Das würde sehr viel von dem, was du beschreibst, erklären. Auch, dass es damals so schwierig war, dich "richtig" einzuordnen.


    Ich wünsche dir alles Gute!

  • Glückwunsch, ich zahle heute noch BAföG ab.

    Ich hatte rund 12000 € BAföG-Schulden und musste während der Promotion mit 1200 € netto monatlich anfangen abzustottern. Selbst wenn ich bei den monatlich 100 € geblieben wäre, mit denen ich damals angefangen habe zu zahlen, wäre ich unterdessen fertig. Zahl halt einfach mit einer höheren Rate ab und gut ist's. Ich hatte 2011 einfach das Glück an der Uni Genf einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben und mit meinen ersten paar Schweizer Gehältern bei einem unglaublich günstigen Wechselkurs die Restschuld auf einmal zu tilgen, dafür bekommt man ordentlich Rabatt.


    Zum Thema "Kinder/Jugendliche werden falsch einsortiert": Ich unterrichte zwei verschiedene Bildungsniveaus und sehe an der FMS einfach wirklich niemanden, der falsch einsortiert ist und nicht ans Gymnasium wechseln "darf" oder kann. Es gibt immer einzelne SuS, die mit einem irrsinnig guten Notenschnitt an der FMS hocken und vollkommen zufrieden damit sind, die wollen dann halt nicht wechseln. Hab gerade wieder so einen Fall: Zeugnisschnitt eine 5.8, das Mädchen möchte Hebamme werden und dafür reicht die Fachmatura. Dagegen sehe ich selbst bei einer Übertrittsquote von nur ca. 22 % ans Gymnasium immer wieder Jugendliche, die ganz eindeutig zu hoch einsortiert sind und in der 1./2. Klasse im hohen Bogen wieder rausfliegen. Wenn's blöd läuft, schleifen wir die Leute mit bis in die 4. Klasse und dann scheitern sie an der Matura. In einer meiner Abschlussklassen stehen gerade 8 von 23 Personen bei einem ungenügenden Zeugnisschnitt und das ist nicht das erste mal, dass ich sowas sehe. Ich bin überzeugt davon, dass so viel Potential gar nicht irgendwo brachliegt, wie gerne mal behauptet wird. Zur Studierfähigkeit gehört obendrein schon noch ein bisschen mehr als Fleiss und gute Noten.

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