Englischunterricht und Gehörlosigkeit

  • Hallo liebe KuK,


    die Ferien neigen sich nun auch in BW dem Ende entgegen und ich sitze an der Planung des neuen Schuljahres.


    Nun befinde ich mich schon seit zwei Jahren in einer schwierigen Unterrichtssituation. Ich unterrichte unter anderem das Fach Englisch an einer Schule für Hörgeschädigte. In allen meinen Klassen hatte ich bislang nur schwerhörige Schüler, die die englische Sprache (teilweise) über das Ohr verstehen und sie auch (teilweise) sprechen können.


    Nun unterrichte ich seit zwei Jahren einen Schüler, der komplett gehörlos ist (keine Hörgeräte, kein CI) und gehörlose Eltern hat. Er ist clever und lernt die neue Sprache recht gut. Allerdings weigert er sich konsequent die Lautsprache zu üben und im Unterricht zu sprechen. Er buchstabiert seine Antworten alle mit dem Fingeralphabet oder antwortet mir in deutscher Gebärdensprache.


    Ich kann ihn da schon verstehen, allerdings haben wir ein weitaus größeres Problem. Er muss am Ende seiner Schulzeit eine mündliche Prüfung ablegen. Dies muss er nach aktuellen Vorgaben in BW in gesprochener englischer Sprache machen, ansonsten muss er (laut Kumi) mit ungenügend bewertet werden.


    Bislang habe ich meinen Unterricht fast komplett visualisiert oder auf deutsch mitgebärdet (ich kann kein ASL oder BSL). Da der Unterricht in Klasse 7 nun aber immer komplexer wird, suche ich nach einer neuen Lösung.


    Die Eltern sahen das alles bislang eher locker. Hier werde ich noch einmal ein ernstes Elterngespräch suchen müssen. Alle früheren gehörlosen Schüler haben irgendwie gesprochen, so dass wir Lehrer sie "immer verstanden" haben. Daher haben auch die anderen Kollegen keine Ideen mehr. Er ist der erste Schüler, seit Einführung des Englischunterrichts für Gehörlose, der sich so konsequent weigert. Leider ist er der einzige gehörlose Schüler in seiner Klasse. Ich muss ja auch den schwerhörigen Schülern gerecht werden.


    Wer von euch hat hier Erfahrungen oder Tipps für mich?


    Danke.

  • Ich habe leider keine Antwort, bin aber über diese Vorgaben schokiert.

    Müssen in BaWü die körperlich behinderten Schüler*innen im Rollstuhl für deren Abschluss auch einen Sprint laufen?

  • Ich habe leider keine Antwort, bin aber über diese Vorgaben schokiert.

    Müssen in BaWü die körperlich behinderten Schüler*innen im Rollstuhl für deren Abschluss auch einen Sprint laufen?

    Wir sind alle schockiert.


    Es gibt ja jetzt die novellierten Abschlussprüfungen. Da müssen die gehörlosen / schwerhörigen Schüler auch an der Hörverstehensprüfung teilnehmen und dann mit ungenügend bewertet werden.

    Als Nachteilsausgleich soll ein schriftliche Erklärung der schlechten Noten beigelegt werden.


    Das sind die aktuellen Vorgaben des KuMi. Wir empfehlen den Eltern aktuell den Klageweg zu gehen.


    Tatsächlich habe ich von den anderen Förderschwerpunkten momentan keine Ahnung zu den Prüfungsmodalitäten. Es gibt eben keine zentrale Abschlussprüfung im Fach Sport.


    In den zentralen Abschlussprüfungen müssen ALLE teilnehmenden Schüler an ALLEN Prüfungsbereichen teilnehmen. So soll eine Vergleichbarkeit mit den Regelschülern gewährleistet werden :schreien:.

  • Warum kann Englisch nicht durch beispielsweise Latein ersetzt werden, wo es keine Kommunikationsprüfung in der Form gibt?

    Weil ich an einer Förderschule arbeite und wir keine Lateinlehrer haben. Zudem ist nicht vorgesehen, dass in der Hauptschule Latein unterrichtet wird. Es gibt dafür keine gesetzliche Grundlage.


    Wir bieten derzeit nur Englisch an. In der Realschule und der Oberstufe gibt es noch Französisch.

  • Gibt es in BW die Möglichkeit, dass eine Muttersprache anstelle einer Pflichtfremdsprache anerkannt wird?
    Dann könnte vielleicht in DGS eine Prüfung abgelegt werden, um die Note in Englisch zu ersetzen?

  • Gibt es in BW die Möglichkeit, dass eine Muttersprache anstelle einer Pflichtfremdsprache anerkannt wird?
    Dann könnte vielleicht in DGS eine Prüfung abgelegt werden, um die Note in Englisch zu ersetzen?

    Danke für diesen Tipp!


    Dazu habe ich eine Frage. Hier besteht die Prüfung im Fach Englisch an der Hauptschule aus der Kommunikationsprüfung (mündlich) und der schriftlichen Prüfung (inkl. Hörverstehen).


    Wie ist das bei den muttersprachlichen Prüfungen. Müssen dann alle Teile in der Muttersprache abgelegt werden? Man kann ja keine schriftliche Prüfung in DGS ablegen, bzw. gibt es hierzu ja auch keinen Bildungsplan.

  • Weil ich an einer Förderschule arbeite und wir keine Lateinlehrer haben. Zudem ist nicht vorgesehen, dass in der Hauptschule Latein unterrichtet wird. Es gibt dafür keine gesetzliche Grundlage.

    Wusste nicht, dass es um den Hauptschulbildungsgang geht.

  • Da die DGS / Gebärdensprachen mittlerweile auch offiziell im GERS drin sind, alles modalitätsübergreifend, müsste man eben das Niveau C1/C2 gut belegen können. Ich hab noch vor Kurzem einen Beitrag dazu von Prof. Rathmann (Deaf Studies HU Berlin) gesehen. Dozent*innen werden dazu fortgebildet.

  • M.m.n. sollte die Schulleitung das mit dem KuMi verhackstücken, nicht du mit dem Jugendlichen. Hörverstehen- geht's noch?

  • Natürlich verhackstückeln das die Schulleitungen der Hörgeschädigtenschulen in BW mit dem Kumi und nicht ich.


    Es geht mir auch eher um die konkrete Unterrichtssituation. Ich warte mal noch auf Frapper, die unterrichtet ja auch Englisch bei Hörgeschädigten.


    Mein größtes Problem ist die Klassenzusammensetzung. Die besteht eben aus jenem gehörlosen und gebärdendem Schüler, schwerhörigen und sprechenden Schülern, sprechenden Schülern mit einer auditiven Wahrnehmungsstörung und einer nichtsprechenden Schülerin (stark körperbehindert) mit einem Talker, den sie nicht gescheit bedienen kann.


    Dazu kommen dann noch die Vorgaben des Kumi.


    Ich suche nun nach Möglichkeiten und Ideen, all diesen Schülern irgendwie gerecht zu werden. Gerne auch mit technischen Hilfsmitteln. Ich kann ja den gehörlosen Schüler nicht komplett ausgliedern.

    In den letzten beiden Jahren habe ich eben Englisch gesprochen und dann auf deutsch unterstützend gebärdet. Das macht mich aber sehr unzufrieden, weil ich es für sehr ineffektiv halte.

    Amerkanische oder englische Gebärdensprache beherrsche ich leider nicht und kann diese ja auch nicht parallel zum Sprechen verwenden (andere Grammatik).

  • Mal ganz naiv: Kannst du nicht, genau wie Hörbeispiele aus der Konsola auch Beispiele in Gebärdensprache zeigen, dann als Video?

    Bin irgendwie darauf gekommen, weil ich mal vor Jahren von einer Schülerin auf die Serie "Switched at birth" aufmerksam gemacht wurde und da wurde sehr viel auch gebärdet, teilweise auch ganze Folgen. Das fand ich sehr spannend zu sehen und hab immerhin ein paar Gebärden aufgeschnappt, aber die komplette Grammatik wird wohl schwierig. Aber könnte man nicht so Hörverstehen umgehen und jemanden sprechen lassen?

    Only Robinson Crusoe had everything done by Friday.

  • Danke für deine Idee.


    Das Problem ist, dass wir keine Lehrer haben, die mal eben eine weitere Fremd-Gebärdensprache beherrschen.


    Und niemand von uns kann mal eben so eine weitere Fremdsprache in seiner Freizeit lernen.


    Ich müsste ja die Hörbeispiele selbst gebärden und aufnehmen. Da gibt es ja kein Material passend zum eingeführten Schulbuch.

  • Natürlich verhackstückeln das die Schulleitungen der Hörgeschädigtenschulen in BW mit dem Kumi und nicht ich.

    ...

    Vielleicht hab ich mich blöd ausgedrückt. Meiner Meinung nach ist das Problem so grundlegend, dass du es nicht durch Differenzierung ausbügeln kannst.


    Man kann doch auch keinem Blinden ein Bild hinlegen und sagen "mach mal ne Bildbeschreibung, geht natürlich nicht, aber ich muss dir das Bild hinlegen, damit ich das Nichtbestehen begründen kann." Das ist so hahnebüchen, dass ich erst lachen musste, als ich es las, aber es ist eben nicht witzig, sondern menschenverachtend.


    Insofern würde ich ihn weiterhin Deutsch gebärden lassen, wenn es keinen Gebärdenlehrer mit Amerikanischkenntnissen gibt. Und eben da Rabatz machen, wo er hingehört, in der Behörde. Besser noch die Eltern kümmern sich, Elternmeinung hat großes Gewicht in Schulbehörden.


    Ich wollte dich nur darin bestärken, den Irrsinn als solchen zu benennen und sich nicht für Unmögliches (hier zu diff. ) verantwortlich zu fühlen.

    Aber Frapper ist Profi in Sachen Hörgeschädigtenpäd...

  • Die Situation ist schon problematisch, aber ich habe es jetzt so verstanden, dass der Schüler theoretisch in der Lage wäre, die entsprechende Leistung zu zeigen, dies aber verweigert. Dann ist es ja kein fachliches/sonderpägagogisches Problem, sondern eher ein pädagogisches. Wenn der Schüler vernünftig ist, könnte man ja mal mit ihm in einer ruhigen Situation kommunizieren, ihn fragen, wo er sich genau unwohl fühlt und wie man diese Prüfung im beidseitigen Interesse durchführen kann - denn dass die Prüfung stattfinden muss, scheint ja formal vorgegeben zu sein.

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  • Es ist sowohl ein fachliches, als auch ein sonderpädagogisches und ein pädagogisches Problem.


    Wir leben im Jahr 2020 und nicht mehr im Jahr 1880 als auf einem Kongress von Hörgeschädigtenpädagogen die Gebärdensprache verboten und nur die Lautsprache als Kommunikationsmittel in Schulen erlaubt wurde.


    Heute ist die Deutsche Gebärdensprache auch in Deutschland als vollwertige Sprache anerkannt. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass Menschen mit einem Migrationshintergrund auch die deutsche Sprache sprechen lernen müssen. Diese Argumentation finde ich aber dann schwierig, wenn die körperlichen Voraussetzungen dieses nicht möglich machen.


    Aus sonderpädagogischer Sicht hat dieser Schüler das Recht, in seiner Muttersprache unterrichtet zu werden. Für das spätere Leben unter Hörenden stehen dem Schüler dauerhaft Dolmetscher rechtlich zu. In vielen Hörgeschädigtenschulen wird das nach Möglichkeit umgesetzt. Die deutsche Schriftsprache muss natürlich ebenso erlernt werden. Dies wird und wurde nie diskutiert. Für die Fremdsprache bedeutet dies einen entsprechend gebärdenkompetenten Lehrer. Bei gemischten Klassen (gehörlos, schwerhörig, Wahrnehmungsstörung) werden an dieser Stelle zwei Lehrer benötigt. Einer spricht in der englischen Lautsprache während der andere mit der korrekten Gebärdengrammatik gebärdet.


    Aus fachlicher Sicht müsste der Schüler neben der englischen Schriftsprache eine entsprechende Gebärdensprache (ASL oder BSL) erlernen, da die Kommunikationsfähigkeit in der Fremdsprache ja die zentrale Kompetenz ist. Leider ist dies aus personellen Gründen in der Regel in Deutschland nicht möglich (Hamburg und Berlin scheinen jeweils einen kompetenten Lehrer zu haben).


    Aus allgemeinpädagogischer Sicht ist zunächst einmal die Haltung des KuMis unerträglich für mich und meine Kollegen und zeigt die Verachtung und das Desinteresse gegenüber behinderten Schülern auf. Spätestens hier wird die Inklusion ad absurdum geführt. Ich finde es grundsätzlich schwierig, den Schüler viele Jahre lang mühsam die englische Aussprache einzutrainieren (ohne jegliche auditive Wahrnehmung!), nur damit er an einer Prüfung teilnehmen kann. Diese Zeit könnte er m.M.n. weitaus sinnvoller in vielen anderen Bereichen gebrauchen.

    Er könnte wohl eine rudimentäre Aussprache erlernen, die wir Lehrkräfte, die ihn kennen, dann ansatzweise in der Prüfung verstehen würden. Dort müssen wir dann aber wiederum seine schlechte Aussprache abwerten.


    Es ist ein Teufelskreis, gerade auch, weil es nur noch so wenige komplett gehörlose Kinder gibt. Ich glaube eben nicht, dass ich hier mit Zwang etwas erreichen kann. Der Schüler ist sehr willensstark...


    Natürlich kann ich diese Situation alleine nicht optimal lösen, daher auch die Frage oder Bitte nach suboptimalen Ideen, mit denen ich wenigstens Teile meines Unterrichts zufriedenstellender gestalten könnte.

  • Klar, Menschen, die sich NICHT hören können, dazu zwingen. / veranlassen, zu sprechen... aus der Zeit sind wir (eigentlich) lange raus. Google mal nach dem Stichwort Audismus. Schliesslich muss er ja auch nicht auf Deutsch sprechen (bitte bitte!). Einem gehörLOSEN Schüler oder nur schwerhörigen Schüler einem Hörverstehentest zu unterwerfen, darauf können wirklich nur voll gesunde Ministerialbeamte kommen.

    Der querschnittsgelähmte Schüler könnte ja auch anhand der Armkraft die 100 Meter Sprint zurücklegen... und wenn der Blinde sich ein bisschen anstrengt, kann er ja auch ohne Braille schreiben, oder?

  • Wenn meine Kollegen und ich völlig frustriert von unserem Dienstherr sind, dann werden wir schon mal gemein.


    Dann wünschen wir uns für die blinden und sehbehinderten Schüler nur Stift und Papier in den Prüfungen.

    Für die körperbehinderten Schüler gibt es ebenfalls keinerlei Hilfsmittel, v.a. in schriftlichen Prüfungen.

    Und die lern- und geistigbehinderten Schüler müssen ebenfalls an der zielgleichen Prüfung teilnehmen, damit sich deutlich zeigt, wie schlecht sie sind.


    Sorry, ich weiß, dass ist gemein. Aber mit meinen Schülern wird doch genauso umgegangen.

  • Ich stelle mir das so vor: Da käme einer und zwänge mich, in einem 6. Sinn zu kommunizieren. "Los, lesen Sie Gedanken! Versuchen Sie es doch wenigstens. Geht nicht? Ja scheiße, keine Zeit, keine Lust, mich damit zu befassen. PGH, nicht bestanden. Der nächste bitte!" :hammer:

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