Ländlicher Raum: Erhöhte Gefahr von Schulschließungen?

  • Liebe Mitforisten,


    mein Mann und ich träumen eigentlich davon, aus unserem sehr urbanen Umfeld in einen ländlicheren Raum zu ziehen: Weniger Trubel, mehr Natur, Ruhe, Weitblick. Obwohl ich auch unheimlich gern etwas ländlicher wohnen würde, bin ich es, die stets auf die Bremse tritt:

    1. Fühle ich mich an meiner Schule sehr wohl und tue mich schwer mit dem Gedanken, sie zu verlassen. Aber: Auch andere Orte haben tolle Schulen, nehme ich doch mal an.

    2. - der wichtigere Grund - : Ich bin Gymnasiallehrerin durch und durch, das fachliche Arbeiten ist mir unheimlich wichtig und ich bin (so viel Ehrlichkeit muss sein!) zu "lieb" für ein nicht halbwegs bildungsinteressiertes Klientel. Nun ließe sich auch im ländlicheren Bereich sicher ein gutes Gymnasium finden, jedoch habe ich die Sorge, dass dieses eventuell aufgrund der Bevölkerungsentwicklung insbesondere im ländlichen Raum irgendwann (mittelfristig) schließen oder in eine Gesamtschule umgewandelt werden könnte.


    Liebe Gesamtschulkollegen, bitte seht das nicht als Kritik an euch oder eurer Schulform an - im Gegenteil: Meine Hochachtung für jeden, der mit einem (eventuell!) höheren Anteil weniger bildungsbeflissener SchülerInnen gut umgehen kann. (Aber) Für mich wäre das wirklich schwierig.

    Mein Gymnasium ist sicherlich kaum gefährdet: Wir sind eine große Schule mitten im Ruhrgebiet und dennoch mehr oder weniger das einzige Gymnasium vor Ort. Eine sichere Bank für mich.


    Meine Fragen:

    1. Für wie wahrscheinlich haltet ihr es, dass im ländlichen Raum bestehende Gymasien mittelfristig eventuell geschlossen oder in Gesamtschulen umgewandelt werden? Ist das mein Hirngespinst oder eine reelle Entwicklungsperspektive?

    2. Was geschieht mit den Kollegen an einer solchen Schule: Werden aus ihnen dann ggf. Gesamtschullehrer, oder werden sie an das nächste Gymnasium versetzt?


    Mir ist bewusst, dass das sicherlich auf die Bevölkerungsentwicklung und die jeweilige Lage vor Ort ankommt; aber vielleicht habt ihr ja doch eine Idee für eine generelle Entwicklung hinsichtlich der Schullandschaft in ländlicheren Gebieten. Jeder Denkanstoß kann für mich hilfreich sein.


    Daher schon im Voraus herzlichen Dank für jeden konstruktiven Hinweis.

    Warum Trübsal blasen, wenn man auch Seifenblasen kann?

  • Hallo!


    Keiner hat eine Kristallkugel. Im Prinzip hängt es auch sehr von der politischen Situation ab. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Grünen jetzt nicht so das Rieseninteresse an der Fortsetzung des dreigliedrigen Schulsystems haben.

    Stand jetzt ist es so, dass die Gymnasien durch den Philologenverband besonders geschützt werden. Ich weiß nicht, wie ländlich du gerne wohnen möchtest, aber zumindest in meiner Umgebung sind alle Schulformen angemessen vertreten. Jede Kommune hat mindestens eine Grundschule und in den größeren Kommunen sind dann die jeweiligen weiterführenden Schulen. Dass da ein Gymnasium oder ein gymnasialer Zweig in Gefahr kommen sollte, sehe ich derzeit nicht. Eher würde man da noch das Einzugsgebiet vergrößern.

    Nicht automatisch heißt ländlicher Raum = Bevölkerungsrückgang. Gerade im Osten gibt es leider einige Regionen, in denen das der Fall ist, anderenorts sieht es aber durchaus positiv aus, da sich nicht jeder die steigenden Mieten in den Großstädten leisten kann.


    Mit freundlichen Grüßen

    • Offizieller Beitrag

    Ach, Lindbergh und seine ganze Expertise.

    Midnatsol: ich kann die Bedenken verstehen. Meine nicht so ländliche Dienststadt hat noch zwei Gyms (eins davon privat, bringt dir nichts), der Schulentwicklungplan und die Gründung / Umwandlung der anderen Schulen führt aber meiner Meinung nach zum Tod des noch übrig gebliebenen Gymnasiums. Vielleicht nicht real (versuchen wir, realistisch zu bleiben!), aber für einzelne Fächer schon.
    KLeinere Gymnasien -> kleineres Angebot -> MEINE Fächer verschwinden, das muss ja jede*r mit seinen Fächern evaluieren und einschätzen.

    In der ländlicheren Umgebung kann ich es leider nicht vollständig überblicken, aber die Gesamtschulen und Sekundarschulen im Umbau lassen nichts Positives für die Gymnasien vermuten. Also: wenn es in einer Kleinstadt EIN Gymnasium gibt, glaube ich, dass es "geschützt" ist. Wenn es aber immer mehr Schulformen mit Oberstufen gibt, kommen sie sich ständig in die Quere...

    Also, Fazit: die Gefahr sehe ich auch, ich glaube aber auch, dass ich selbst zu pessimistisch bin. Und wenn ihr flexibel seid und so, kannst du die Zielschulen beobachten. ICH würde mich nicht zu einem 2-3 gliedrigen Gymnasium mit 3 Gesamtschulen am Ort versetzen lassen. Wenn ich allerdings Mathe/Englisch hätte, könnte es mir egal sein ;)

  • Ist das ein NRW-Problem?


    Ich habe es in Baden-Württemberg nämlich umgekehrt erlebt. Auf dem ländlichen Gymnasium war das Niveau weitaus höher, der Migrantenanteil viel niedriger. In der Stadt besuchen viel mehr Schüler ein Gymnasium, es gibt von vornherein einen höheren Migrantenanteil, der inzwischen auch das Gymnasium besucht (ich erwähne es, weil leider sehr viele große Probleme mit der deutschen Sprache haben), beides senkt das Niveau.


    Gesamtschulen spielen bei uns allerdings keine Rolle, Gemeinschaftsschulen fangen jetzt erst an, hochzuwachsen (konkret, ich kenne erst eine (städtische) mit Oberstufe, ein paar bemühen sich darum, noch sind sie keine Konkurrenz). Bei uns steigen immer noch die Zahlen am Gymnasium, obwohl wir immer noch G8 haben. Probleme haben eher Gemeinschaftsschulen, wenn sie mangels geeigneter Schüler doch keine Oberstufe einrichten können. Auch haben Gymnasien bei uns immer noch den besseren Ruf.

    Meine Beiträge werden auf einer winzigen Tastatur eines Tablets mit Autokorrektur geschrieben. Bitte entschuldigt Tippfehler. :mad:

  • Auf dem ländlichen Gymnasium war das Niveau weitaus höher

    Eben, so stelle auch ich mir das vor. Gilt wohl für alle Schulformen, selbst für SBBZ (Förderschulen).

    Es kann auch sein, dass es in 15 Jahren die Schulform Gymnasium überhaupt nicht mehr gibt.

    Sehr unwahrscheinlich. Das Gymnasium hat eine große Lobby.

  • 1. Für wie wahrscheinlich haltet ihr es, dass im ländlichen Raum bestehende Gymnasien mittelfristig eventuell geschlossen oder in Gesamtschulen umgewandelt werden? Ist das mein Hirngespinst oder eine reelle Entwicklungsperspektive?

    Das ist in vielen ländlichen Gebieten in NRW eine realistische Perspektive und der Prozess hat in einigen Orten schon begonnen. Oft reicht nämlich die Schülerzahl (und das Geld) auch für eine Sekundarschule und ein Gymnasium nicht mehr.



    Was geschieht mit den Kollegen an einer solchen Schule: Werden aus ihnen dann ggf. Gesamtschullehrer, oder werden sie an das nächste Gymnasium versetzt?

    Eine Schule kann nicht einfach umgelabelt werden. Die alte läuft aus, die neue wird gegründet.

    Die Kollegen können in so einem Fall in der Regel Wünsche angeben. In wie weit die realisiert werden können, hängt dann natürlich von den örtlichen Gelegenheiten im jeweiligen Regierungsbezirk ab.


    Aufgrund der unterschiedlichen Fachbedarfe zwischen aufbauender und schließender Schule ist in der Regel nur die Übernahme von ca. 1/3 des Kollegiums gesichert. Es ist also gar nicht unbedingt so einfach, an die neue Schule zu wechseln.

  • Zum gemutmaßten generellen Sterben der Gymnasien:


    Ob das formal NRW-weit passiert, muss man abwarten. Sicher wird das Gymnasium aber insofern sterben, als dass es die jetzige inhaltliche Form nicht mehr beibehalten kann.


    Nachdem die Hauptschulen gestorben sind, sterben gerade die Realschulen und die Sekundarschulen siechen auch mehr dahin, als ein Erfolgsmodell zu sein.

    Nur gibt es die entsprechenden Schüler halt weiterhin und sie müssen irgendwo hin. Das wird in Zukunft noch stärker dazu führen, dass Schüler an Gymnasien drängen, die früher nicht dem Gymnasium zugeordnet worden wären. Entsprechend wird sich auch das Gymnasium anpassen müssen.

    • Offizieller Beitrag

    Nur gibt es die entsprechenden Schüler halt weiterhin und sie müssen irgendwo hin. Das wird in Zukunft noch stärker dazu führen, dass Schüler an Gymnasien drängen, die früher nicht dem Gymnasium zugeordnet worden wären. Entsprechend wird sich auch das Gymnasium anpassen müssen.

    Genau das.
    aber nicht mehr alleine.
    Wer also (Klischee) das innenstädtliche, bildungsbürgerliche Münstersche Gymnasium haben möchte, wird auf dem Land an einem gesamtschulischen übrig gebliebenen Gymnasium weniger glücklich. Oder vielleicht doch. Manchmal mag man doch andere Sachen, als die, an denen man gewohnt ist.

  • Nach deiner Einschätzung gibt es dann gar keine Schulen mehr? Oder nur noch Gymnasien?

  • Keine Gymnasien mehr? Zahlen sagen nein.

    Und die neue Hauptschule ist das Gymnasium schon lange, wenn man "Hauptschule" in dem Sinne sieht, dass dort der Hauptteil der Schülerinnen und Schüler beschult wird.

    If you look for the light, you can often find it.
    But if you look for the dark that is all you will ever see.

  • Die Hauptschule soll eher die grundlegende Bildung für alle liefern. Sprich: Mehr geht immer, aber dieses Niveau sollten die Allermeisten mindestens erreichen. Quasi für den Querschnitt der Bevölkerung, der jetzt nicht im besonderen Maße intellektuelle Interessen oder Kapazitäten verfügt.

  • In BW sind es oft Hauptschulen (und teilweise die Realschulen), die in Gemeinschaftsschulen umgewandelt werden.

    Die Schülerzahlen in der Oberstufe sind dann aber später oft so gering, dass diese eigentlich gar nicht hätten eingerichtet werden dürfen. Da aber die grüne Landesregierungen pro Gemeinschaftsschule ist, führten auch zu optimistische Schätzungen oft trotzdem dazu.

    Ob sie sich auf Dauer durchsetzen, muss man abwarten.


    Von einem Gymnasien, das zu einer Gemeinschaftsschule wurde, habe ich hier noch nicht gehört. Über NRW sagt das aber natürlich nichts aus.


    LG DFU

  • In der ländlicheren Umgebung kann ich es leider nicht vollständig überblicken, aber die Gesamtschulen und Sekundarschulen im Umbau lassen nichts Positives für die Gymnasien vermuten. Also: wenn es in einer Kleinstadt EIN Gymnasium gibt, glaube ich, dass es "geschützt" ist. Wenn es aber immer mehr Schulformen mit Oberstufen gibt, kommen sie sich ständig in die Quere...

    In "kleinen" Städten mit mehreren weiterführenden Schulen sehe ich das Problem genau wie du. Das bedeutet aber auch, dass im wirklich ländlichen Raum (Kleinstadt, 1 Gymnasium für 20km Einzugsbereich der ganzen umliegenden Dörfer) die Gefahr einer Umwandlung des einzigen Gymnasiums sehr niedrig ist. Und damit bin ich bei der Ausgangsfrage von Midnatsol :

    1. Für wie wahrscheinlich haltet ihr es, dass im ländlichen Raum bestehende Gymasien mittelfristig eventuell geschlossen oder in Gesamtschulen umgewandelt werden? Ist das mein Hirngespinst oder eine reelle Entwicklungsperspektive?

    2. Was geschieht mit den Kollegen an einer solchen Schule: Werden aus ihnen dann ggf. Gesamtschullehrer, oder werden sie an das nächste Gymnasium versetzt?

    1. Das einzige Gymnasium in der näheren Umgebung wird vermutlich Gymnasium bleiben, bei mehreren Gymnasien vor Ort besteht durchaus die Möglichkeit der Umwandlung einzelner Schulen.

    2. Bei Umwandlung einer Schule bleibt das Kollegium i.d.R. erhalten und wird schrittweise umgebaut. Es gibt kein spezifisches "Lehramt Gesamtschule", insofern würden die bisherigen Lehrkräfte dort einfach weiter unterrichten.

  • Das Gymnasium ist ein absolutes Heiligtum, gerade im ländlichen Raum sehe ich da keinerlei Gefahr - gerade, weil die Schulform dann dort gar nicht mehr angeboten würde. Das geht nicht.


    Eher wären schon in den Städten, in denen mehrere Gymnasien existieren, Schulschließungen von Gymnasien zugunsten anderer Schulformen denkbar. Das gab es in NRW in den 1980er Jahren in mittleren und größeren Städten, in denen noch kein Gesamtschulangebot vorhanden war. Ich selbst bin auch auf so ein aufgelöstes Gymnasium gegangen, es verblieben aber in der größeren Mittelstadt trotzdem noch mehrere andere Gymnasien (teilweise in unmittelbarer Nachbarschaft des auslaufenden Gymnasiums, dessen Gebäude für ein Gesamtschulangebot verwendet wurde). Zu der Auflösung meines Ex-Gymnasiums wäre es wahrscheinlich übrigens nicht gekommen, wenn die Schule nicht extrem niedrige Neuanmeldungszahlen gehabt hätte (die hatten auch Gründe, neben der eigentlichen Überversorgung mit Gymnasien in der Stadt)

  • Ich würde mal behaupten, dass eine Zunahme an Gesamtschulangeboten eher dafür sorgt, dass die Beliebtheit der überbleibenden Gymnasien steigt. Mir fällt da spontan ein Gymnasium im Landkreis ein, das einen sehr guten Ruf genießt, gerade unter Eltern, die zum Bildungsbürgertum gehören.

  • Ich würde mal behaupten, dass eine Zunahme an Gesamtschulangeboten eher dafür sorgt, dass die Beliebtheit der überbleibenden Gymnasien steigt. Mir fällt da spontan ein Gymnasium im Landkreis ein, das einen sehr guten Ruf genießt, gerade unter Eltern, die zum Bildungsbürgertum gehören.

    Mehr als eine bloße Behauptung ist das allerdings nicht ;) Ausweichbewegungen sind allenfalls denkbar, wenn wirklich Gymnasien in Gesamtschulen umgewandelt werden würden. In Niedersachsen werden diese bislang aber eher parallel gegründet bzw. aus anderen Schulformen heraus aufgebaut und führen mit ihrem Angebot eher dazu, dass die Schülerzahlen an den Gymnasien etwas zurückgehen.

  • Faktencheck: Fake News über Niedersachsen

    Schülerzahlen Gymnasium +12%
    Schülerzahlen Gesamtschule +2,8%


    Der Anteil der Schüler am Gymnasium ist prozentual auf dem höchsten Stand, den es jemals gab (der von IGS und OBS aber auch, die Hauptschulen und Realschulen sind halt geschliffen worden)


    Es ist wie überall, wo es Gesamtschulen gibt. Die Eltern wissen wo es gute Bildung gibt. Oder glauben es zu wissen, gibt auch gute Gesamtschulen, aber Eltern die ihr Kind vorher zur Realschule geschickt haben, versuchen eher das Gymnasium als die Gesamtschule...

    If you look for the light, you can often find it.
    But if you look for the dark that is all you will ever see.

  • Dir ist dabei natürlich schon klar, dass sich die Aussage jeweils auf die betreffende Region bezieht, oder? Wenn innerhalb der gleichen Region parallel zu den bestehenden Gymnasien zusätzliche (!) Gesamtschulen mit vollen gymnasialen Oberstufen gegründet werden, dann verteilen sich die entsprechenden Schülergruppen durchaus auf nun mehr Schulen.


    Dass es insgesamt nach wie vor eine starke Präferenz für die Schulform Gymnasium gibt und sehr hohe Übertrittsquoten von den Grundschulen an die Gymnasien bestehen, ist davon unbenommen und widerspruchsfrei.

  • Die Zukunft von Gesamtschulen (Ich nehme an, dass wir hier von integrierten sprechen, denn kooperative finde ich persönlich gerade im ländlichen Raum gut.) hängt neben unser aller Wahlverhalten auch insbesondere von den Übertrittsempfehlungen durch uns Grundschullehrer ab. Zwar müssen sich die Eltern (leider) nicht daran halten, aber meine Hoffnung ist irgendwo, dass, wenn sie Argumente nur glaubhaft genug sind, sie auch zu den skeptischen Eltern durchdringen. Dann hätte die (integrierte) Gesamtschule eher schlechte Karten.

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