Wagenschein u. Übergang weiterführende Schule

  • Hallo, ich bins mal wieder ;)


    Ich bereite mich gerade mit einer Freundin aufs Kolloquium vor und wir sind im Zusammenhang mit dem Bereich "Übergang zu weiterführenden Schulen" auf einen Ausspruch Wagensteins gestoßen, den wir nicht richtig deuten können: "Der Mensch darf nicht gespalten werden, wo er ganz bleiben kann". Dieser Ausspruch steht einfach mit auf dem Themenkatalog eines anderen Seminars an besagter Stelle (Übergänge) und so aus dem Zusammenhang gerissen, können wir ihn wie gesagt nicht richtig deuten. Wendet er sich gegen die Fächerorientierung der weiterführenden Schule? Oder vielleicht überhaupt gegen die Gliederung des Schulsystems? Wer kann weiterhelfen?
    Bin schon ganz gespannt auf eure Ideen


    LG
    RR

    Jeder Tag, an dem du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag.

  • Hallo Ronja,


    ich bin zwar keine Wagenschein-Expertin, aber da er bzw seine Pädagogik früher in der Schule als Thema vorkam und mich sehr beeindruckt haben, habe ich mal gegoogelt.


    Soweit ich das verstanden habe, hat dein Zitat mit der Art des Lernens bzw. der Art der Anschauung der Unterrichtsgegenstände nach Wagenschein zu tun. Auf http://www.sport.tu-muenchen.d…dpsydid/Zum%20Problem.doc habe ich dein Zitat gefunden und zwar in folgendem Zusammenhang:


    "Im Besonderen kann man das Prinzip der Kontinuität (des „enracinement“) so formulieren: der Mensch darf nicht gespalten werden, wo er ganz bleiben kann." (dort p. 106).


    Schaut man weiter oben bei "enracinement" (übrigens hat Wagenschein diesen Terminus bei der französischen Philosophin Simone Weil ausgeborgt) findet man folgendes:


    "2. „Enracinement“. Eine zweite Tugend des Gebildeten möchte ich vorstellen durch ein Zitat aus den Schriften von Simone Weil6:
    „Heutzutage kann ein Mensch den sogenannten gebildeten Kreisen angehören, ohne einerseits die geringste Vorstellung zu besitzen, worin das Wesen der menschlichen Bestimmung liegen könnte, oder andererseits etwa zu wissen, daß nicht alle Sternbilder zu jeder Jahreszeit sichtbar sind. Man ist gewöhnlich der Ansicht, ein kleiner Bauernjunge, der nur die Volksschule besucht hat, wisse darüber mehr als Pythagoras, weil er gelehrig nachplappert, daß die Erde sich um die Sonne dreht. In Wirklichkeit betrachtet er die Gestirne nicht mehr. Jene Sonne, von der im Unterricht die Rede ist, hat für ihn nichts gemein mit der Sonne, die er sieht. Man reißt ihn aus dem Allgesamt seiner Umwelterfahrungen heraus.“
    „Man reißt ihn aus dem Allgesamt seiner Umwelterfahrungen heraus.“ — Was diesem kleinen Bauernjungen fehlt (verweigert ist) und (in diesem Fall, wie wir mit einiger Betroffenheit spüren) wohl fast Allen, auch sogenannten Gebildeten, der zivilisierten Welt, nennt sie (weit gefaßt und nicht auf Naturwissenschaft beschränkt, am stärksten wohl auf die Geschichte bezogen) „enracinement“,Einwurzelung“. Ebenfalls ein beschädigtes Wort; wer aber Näheres über die geniale französische Jüdin Simone Weil weiß, kommt nicht in Versuchung, hier an so etwas wie „Blut und Boden“ zu denken.
    Der Begriff des Enracinement scheint mir für die Formatio und das genetische Unterrichtsprinzip zentral zu sein. Ich komme auf ihn zurück." (dort p. 78 f.).


    Vielleicht hilft dir das ein wenig weiter.


    Grüsse
    Maria Leticia

    Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr. Marie Curie

  • Hallo Maria Leticia!


    :rolleyes: Ehrlich gesagt kapier ich den Zusammenhang immer noch nicht :rolleyes:
    Aber vielleicht hat da ja auch nur jemand mal ein tolles Zitat in einen anderen Zusammenhang "gebastelt"? Ich werde wohl auch ohne diese Erkenntnis durch die Prüfung kommen :)
    Vielen Dank für deine Mühe
    RR

    Jeder Tag, an dem du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag.

  • Hallo Ronja,


    also, stark verkürzt und vereinfacht würde ich sagen, dass dein Zitat auf folgendes hinweisen möchte: Nach dem Übergang zu weiterführenden Schulen ist das Lernen nicht mehr durch eigene und auch innere Anschauung/Konkretisierung des Stoffes bestimmt (geht in Richtung genetisches Prinzip lt. Wagenschein), sondern durch blosse Abstraktion, die von aussen herangetragen wird (und dies läuft eben diesem erstrebenswerten Prinzip zuwider).


    Dies findet sich meiner Meinung nach im oben zitierten Text:
    "In Wirklichkeit betrachtet er die Gestirne nicht mehr. Jene Sonne, von der im Unterricht die Rede ist, hat für ihn nichts gemein mit der Sonne, die er sieht. Man reißt ihn aus dem Allgesamt seiner Umwelterfahrungen heraus.“


    Wagenschein zitiert in der Fussnote auf p.78 auch zustimmend eine kritische Einschätzung zum Gymnasium, die in diese Richtung geht.


    Ich denke im übrigen schon, dass der Text von Wagenschein ist, auch wenn ich das jetzt nicht belegen kann, die Ich-Form im Zusammenhang mit der Erwähnung des genetischen Prinzips, die Beispiele aus dem Bereich der Physik und Mathematik, lassen mir das schon sehr wahrscheinlich scheinen.


    Weiss nicht ob dir das mehr bringt...


    Grüsse
    ML

    Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr. Marie Curie

  • Hallo Maria!


    Ja, das bringt mir jetzt schon mehr! Danke dir.
    Vermutlich ist mein armes Hirn momentan zu sehr prüfungsgestress, um selbst mal auf gescheite Deutungsideen zu kommen :rolleyes:


    Ich hatte übrigens nie angezweifelt, dass der Text von Wagenschein ist. Meine Bemerkung mit dem "Zitat in einen anderen Zusammenhang basteln" war auf meine Kopie hier bezogen auf welcher bei jedem "Lernpunkt" (in diesem Fall "Übergang zur weiterführenden Schule") sozusagen als Überschrift ein Zitat angeführt wird und das war in diesem Fall eben der eine Satz von Wagenschein (ohne Zusammenhang)


    Danke noch mal
    RR

    Jeder Tag, an dem du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag.

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