
Ach Schrumpeldei,
ich glaube, du bist an dem Punkt, an dem wir alle irgendwann ankommen... und an dem wir dann liebe Menschen brauchen, die die richtigen Worte finden. Bei mir war das hier . Und dann tut's gut, zu heulen und sich in Selbstzweifel zu verlieren, damit jemand anders einem vor's Schienbein treten kann und sagen kann: Nimm dich zusammen und mach, das wird wieder. Es wird nämlich wieder. Und es wird noch viel schöner. Es wird so, dass man den Beruf nie wieder hergeben möchte...
Ich kau mir hier im Moment die Nägel ab, weil ich noch keine vernünftige Stelle hab und ich möcht so gern wieder richtig vor die Klasse und das dauert alles so laaange... aber glaub mir, ganz bestimmt und ungelogen, es wird viel, viel besser. Der Stress verändet sich - irgendwann registrierst du, dass deine SuS dich trotz deiner Macken sehr gern mögen, und dann lässt der Perfektionismus etwas nach. Die Examensarbeit stresst, aber deine Schüler halten dich hoch. Das Ref stresst, aber irgendwann merkst du, was für ein alberner Spiegeltanz das ist und dass es auf die Meinung der Fachleiter nur sehr begrenzt ankommt.
Am Anfang des Refs, als ich mich grad mal wieder für eine schlechte Stunde zerfleischt hab, hat ein Ausbildungslehrer mal gesagt "Mach dir nix draus, die SuS sind schlechten Unterricht gewöhnt." Ich dachte, der verarscht mich - besonders aufbauend fand ich das nicht. Hab dann irgendwann gerafft, dass er das ernst meinte und Recht hatte, so traurig es ist. Das heißt aber auch, dass die SuS dir verzeihen, wenn dein Unterricht mal nicht besser ist als der der anderen Lehrer. Oder wenn du mal unvorbereitet bist. DAS MACHT NIX. Wichtig ist, dass du die Schüler magst und ihnen was beibringen kannst, der Rest kommt von allein.
Tipps zur Bewältigung der akuten Krise:
1. Arbeit fallen lassen. Jetzt. Sofort. Beste Freundin anrufen und zum Kinogehen verabreden. Ist mir egal, ob du morgen Schule hast. Ins Kino gehen. Nachher mindestens drei Köl... Bier trinken und wenn möglich abtanzen.
2. Morgen mit dem Liebsten einen langen Spaziergang machen. Gemeinsam über's Mistwetter schimpfen und nachher zum Aufwärmen gemeinsam in die Badewanne. Der Rest ergibt sich.
3. Mitgliedschaft im Fitnessclub, in der Bauchtanztruppe oder dem Volleyballverein unterschreiben. Und auch hingehen, auch wenn du den Schreibtisch noch voll hast. Dich bewegen, Körpergefühl und Leistungsfähigkeit wiederentdecken. Spaß haben und Frust rauslassen. Auftanken. Feststellen, dass du noch da bist.
4. Schwellendidaktik üben. Bewusst mal nur grob vorbereitet hingehen - ungefähres Stundenziel, ungefähre Methodenvorstellung reichen. Mal den Schülern Platz zum Selber-Wege-Finden lassen: Biete ihnen einen Text, ein Thema an und lass sie mal selbst einen Weg rauskriegen. Ich stelle immer wieder mit Erstaunen fest, dass bei solchen Stunden der Lernerfolg viel höher ist als wenn ich da den minutengenauen Planungstanz mache.
5. Was Versagensängste angeht: Guck dir mal die Leute an deiner Schule genau an. Wenn's so ist wie bei uns, sind 10% davon Flaschen. Die haben das Ref auch hinter sich gebracht. Du willst Kinder unterrichten, keine Mondrakete fliegen und keinen Nobelpreis gewinnen. Das kriegst du hin. Fachleiter und Co machen nur den großen Buhmann darum, weil sie nicht ertragen können, nicht ganz schrecklich wichtig zu sein. Aber sie sind's nicht - schenk ihnen ein wenig Aufmerksamkeit, damit die armen Würstchen auch eine Freude haben, aber lass sie in deinem Kopf nicht zu groß werden. Sie sind's nicht wert.
Und jetzt sieh zu, dass du ins Kino kommst,
Umärmelung und liebe Grüße,
w.