Hallo Ace,
damit ist doch schon mal vieles geklärt. Auch wenn es viel zu lange gedauert hat, finde ich es sinnvoll, dass man sich im Kollegium zunächst abspricht.
Auch wenn ich mit Maxens Wortwahl z.T. nicht glücklich bin, finde ich doch, dass er einige gültige Argumente auf den Tisch gebracht hat, auf die ich auch noch einmal eingehen möchte:
Ausgangspunkt ist die ideologische Schieflage an den deutschen Schulen, die von Schule zu Schule sehr unterschiedlich ist. Im Kleinen haben wir's vermutlich auch mit einem Generationskonflikt zu tun - ich freu mich über den kleinen Punk, der den Aufstand probt, und betrachte den Zackig-gescheitelten mit Misstrauen, der ältere Kollege macht's umgekehrt. Soweit menschlich und kaum vermeidbar.
Was Max jedoch als "Betroffenheitskult" bezeichnet, sehe ich genauso als Schwierigkeit, im Lehrplan angelegt und durch tradierte Verhaltensweisen verstärkt - ich habe einmal einen Deutschkurs 12 erlebt, der nicht in der Lage war, ein v. Schirach-Gedicht (Hitlerjugendlied) anständig zu analysieren, weil sich alle mit Unterstützung des Lehrers in Ekelbekundungen ergehen mussten. Der einzige Schüler, der versuchte, überhaupt auch nur das Gemeinte zu verstehen, wurde als Nazi-Sympatisant niedergebrüllt. Diese Art von Geschichtsvermittlung kann nur zu undifferenziertem Moralisieren auf der einen Seite und provozierendem Trotz auf der anderen Seite führen.
Dann kommen verleugnete gesellschaftliche Probleme hinzu - ein Geschichtslehrer sollte sich an dem Wort "überfremdet" die Finger verbrennen, aber dass unser Schulsystem nicht in der Lage ist, gemischten Schülergruppen mit vielfältiger ethnischer und sozialer Herkunft gerecht zu werden, ist mittlerweile offensichtlich. Glücklicher Justus - an den Gymnasien toben eher nur die "deutschen" Rechts- und Linksextreme, an den anderen Schulen gerade im Großstadtbereich kommen meiner Erfahrung nach die moslemischen und osteuropäischen dazu. Verbote und Sanktionen sind hier wichtig, damit die Schule nicht zum rechtsfreien Raum wird, aber als einzige Maßnahme reichen sie nicht aus. Ich kann Justus Forderung nach "Aufklärung" nur unterstreichen - aber wie macht man das?
Ich finde die Trennung zwischen "Propaganda" und dem "Herausbildung einer politischen Einstellung" sehr schwierig, gerade für Leute in einem Alter, in dem man seine politische Einstellung noch nicht im Hobbykeller aufhebt, sondern noch überzeugt davon ist, die Welt zu verändern. Ich versuche, mich in die Situation deiner Adolfs zu versetzen - sie sind der Meinung, etwas gefunden zu haben, was ihre Probleme löst, nebenher (oder hauptsächlich?) die verhassten Lehrer zum Quiken bringt und ihnen jede Menge Aufmerksamkeit verschafft. Sie schwimmen mutig und stark gegen den Strom, haben endlich Kameraden, auf die sie sich verlassen können bzw. die sie anerkennen, und ihr Handeln ist nicht mehr belangloser Teenykram, sondern hat eine tiefe gesellschaftliche Bedeutung (damit niemand das missversteht: das hier ist ein Versuch, ihre Gefühle zu paraphrasieren, kein Ausdruck meiner eigenen Meinung). Soweit die Ferndiagnose - alles andere, wieweit das Zuhause mitspielt, wie weit der Rest der Klasse (Systemtheorie -> auffällige Schüler sind Symptome des Systemfehlers in der Klasse/ Schule) usw. ist, kann nur jemand sagen, der mit den Schülern gesprochen hat. Hier könnten sich weitere Interventionsmöglichkeiten ergeben. Trotzdem, bei allem Verständnis: Was tun?
Mich würde interessieren, was passiert, wenn man die Schüler der Klasse zur offenen politischen Debatte einlädt, vernünftigen Diskursregeln folgt und sie ihre Positionen offen und klar darstellen lässt. Schon als Schüler habe ich die Verbieterei nicht verstanden; wenn diese Positionen so dumm und unmenschlich sind, sollen sie sich doch an ihren eigenen Widersprüchen aufhängen. Dabei geht's nicht darum, die entsprechenden Schüler vorzuführen, sondern die politische Debatte wieder in den Klassenraum zu holen, anstatt sie auf die Korridore und Schuleingänge zu verdrängen. Ist das irgendwie vorstellbar?
Muss los, mehr später,
w.