Ich bin auch kein Fan von lautem Vorlesen im Unterricht, wobei ich irgendwie immer wieder in Klassen gerate, die das total gerne machen und alles und jeden noch so kleinen Satz immer laut vorlesen möchten. Ich erkläre mir das so, dass die Schüler dabei zum einen eben kleine Erfolgserlebnisse haben, weil sie einen mündlichen Beitrag abliefern können, bei dem relativ wenig falsch zu machen ist (wobei ich bislang nie mit Schülern zu tun hatte, die überhaupt nicht lesen konnten), sie ihre Mitarbeit dadurch relativ einfach unter Beweis stellen und vor allem denke ich auch, dass die Schüler, die nicht laut lesen, jeweils vom Vorleser profitieren, weil sie nicht selbst lesen müssen, sondern praktischerweise von einem Mitschüler die Aufgabenstellung oder den Inhalt geliefert bekommen und nur noch zuhören müssen.
Ich versuche eher immer wieder durchzudrücken, dass alle leise für sich lesen, was in meinen Klassen immer wieder zu großem Gemaule führt. Einen Unterschied in der Sinnentnahme merke ich allerdings bei beiden Varianten nicht. Sie ist so und so meist nicht so prickelnd.
Der Vorschlag von Erika, das Lesen nicht mehr zu üben, weil die Schüler es noch nicht können, finde ich allerdings auch sehr.... äh.... spannend. Ganz neue Theorie.
Bevor ich mich da dran wage, hätte ich dafür gerne ein paar mehr statistische Belege, dass das funktioniert. Ich will ja nicht die erste Lehrerin von einer Klasse mit lauter sekundären Analphabeten sein.
Gerade die von dir herangezogenen skandinavischen Länder, allen voran Finnland, arbeiten nämlich genau anders: Es wird gelesen, gelesen, gelesen. 
Dass neben dem Üben des Lesens aber noch andere Übungen, die die jeweilige Lernschwierigkeit angehen, erfolgen müssen, halte ich allerdings auch für wichtig. Den Unterricht sollte man auf jeden Fall mit Übungen zur Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeit ergänzen, aber Platz für ausgearbeitete Therapiekonzepte ist im Unterricht natürlich nicht. Denn selbst an der Förderschule können wir keine spezielle Therapie anbieten und dürfen das auch gar nicht. Ich verweise die Eltern mit ihrem Kind, bei dem ich wirklich eine isolierte Lernschwäche vermute an die jeweiligen Therapeuten. Idealerweise gibt es direkt an der Förderschule selbst spezielle Therapieangebote, aber mangels finanzieller Zuwendung seitens unserer Länder können viele Angebote kaum noch aufrecht erhalten werden. (Unsere Schule z.B. muss zum nächsten Schuljahr die meisten der zusätzlichen Förderstunden, die noch nicht mal von Therapeuten angeboten worden sind, sondern von uns Lehrern, nahezu vollständig einstellen. Wie so oft, geht der Vorwurf, sich doch endlich mal verantwortlich zu fühlen mal wieder an die falsche Adresse, Erika.)
Der Großteil der Schüler mit Leseschwächen hat jedoch keine spezielle Lernstörung, sondern in den meisten Fällen liegt mangelnde Förderung im Elternhaus und fehlende Motivation und damit einhergehend mangelnde Übung zugrunde. Von daher ist der Ansatz "Übung macht den Meister" im Bereich Leseförderung im Unterricht meiner Meinung nach völlig richtig.
Ich habe jetzt am Ende meiner leseschwachen 5. Klasse das Buch "Wenn das Unugunu kommt" gelesen. Das Thema an sich gefiel fast allen Schülern, die Sprache ist einfach.
Allerdings muss ich sagen, dass ich grundsätzlich nicht gerne mit Klassen "Lektüren" lesen. Positivere Erfahrung habe ich mit einer Literaturwerkstatt gemacht, die man in allen Klassenstufen durchführen kann.
Je nach Alter und Lesekompetenz biete ich eine relativ große Auswahl von Büchern an, aus denen die Schüler völlig frei auswählen dürfen. Das Buch wird im Unterricht und daheim selbstbestimmt gelesen, es wird nur ein Termin vorgegeben bis wann das Buch ausgelesen sein soll. Die Lesezeiten im Unterricht gestalte ich so, dass man Lust auf's Lesen bekommt: gemütliche Leseecken mit Kissen, Tee und absolute Ruhe. Wenn ein Kind zwischendurch beim Lesen vor sich hinträumt, sage ich überhaupt nichts, nur rumlaufen und laut sein, darf niemand.
Parallel dazu läuft eine Literaturwerkstatt (Mappe gibt's vom Verlag an der Ruhr - ich hab's mittlerweile mit eigenen Arbeitsblättern ergänzt), so dass die Schüler mit ihrem Buch nicht allein gelassen werden und die Sinnentnahme gewährleistet wird. Am Ende stellt jeder sein Buch vor.
Damit habe ich sehr positive Erfahrungen gemacht, allerdings macht das beim ersten Mal deutlich mehr Arbeit als das übliche Lektüre lesen. Wenn man es öfter macht, wird die Arbeit allerdings deutlich weniger und beschränkt sich darauf, die Bücher selbst alle gut zu kennen, die die Schüler lesen, damit man jeweils helfen kann, wenn Schwierigkeiten auftreten.
Ach ja, bei der Buchvorstellung muss natürlich dann auch eine Stelle laut vorgelesen werden. Mit guter Betonung, geübt und allem drum und dran, damit wir Zuhörer auch Vergnügen dabei haben. 
LG
Mia