Hm, nun ja, leider kann man nicht bei jedem Schüler davon ausgehen, dass er so ein Glückspilz ist, dass er an der Uni keine Klausuren schreiben muss und irgendwann eine Sekretärin hat, von daher sehe ich die Rechtschreibung nach wie vor als großes Problem an, dass wir in der Schule nun einmal haben und nicht einfach so ausblenden können, weil es für uns persönlich keine so hohe Priorität genießt.
Genau diesen Anfängerfehler habe ich nämlich auch im Referendariat begangen. Ein Schüler in einer Abschlussklasse hatte zwar keine ausgewiesene LRS, aber doch deutlich Probleme mit der Rechtschreibung. Dennoch war er sehr fleißig und hatte inhaltlich viele gute Gedanken und Ideen. Aus diesem Grund habe ich ihm als Abschlussnote eine 3 gegeben.
Ein halbes Jahr später gab's massive Beschwerden von Seiten der Berufsschule und auch von Seiten der Ausbildungsbetriebe, dass die Deutschnoten, die wir vergeben ein falsches Bild wiederspiegeln, weil die Schüler (mit Hauptschulabschluss) große Rechtschreibschwierigkeiten haben. Natürlich nicht nur wegen dieses einen Schülers, sondern weil generell an meiner Ref.schule die Rechtschreibung nicht sonderlich hoch gewichtet wurde.
Keiner unserer Schüler hat übrigens einen kaufmännischen Beruf oder sonst einen Beruf ergriffen, in dem die Rechtschreibung halbwegs von Bedeutung war.
Das Problem liegt daher in meinen Augen im Moment weniger in der Schule begründet, sondern vielmehr allgemein in unserer Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt, wo die Rechtschreibung fast schon als Indiz dafür genommen wird, wie leistungsfähig ein Schüler ist.
Für diese Schule hatte das zur Folge, dass wir gezwungen waren, die Deutschnoten abzusenken, weil unsere Schulabgänger sonst pauschal von Betrieben und Berufsschulen abgelehnt geworden wären. Diese Drohung wurde übrigens tatsächlich so ausgesprochen.
Daher denke ich, dass an der falschen Front gekämpft wird, wenn von Lehrern verlangt wird, dass sie die Rechtschreibung weniger hoch gewichten. Letzten Endes wird dieser Kampf dann nämlich ausschließlich auf den Rücken der Schüler ausgetragen.
Und meiner Erfahrung nach kann kaum ein Ausbildungsbetrieb etwas damit anfangen, wenn man auf eine LRS hinweist. Zu kompliziert, keiner weiß damit wirklich etwas anzufangen. Man hat die große Auswahl, also werden vorwiegend Schüler genommen, die rechtschreibsicher sind.
Mein Blickwinkel ist natürlich jetzt vorwiegend auf Haupt- und Sonderschüler gerichtet, wo man bei der unglaublich schwammigen LRS-Diagnostik eigentlich so ziemlich jedem 2. Schüler eine Legasthenie bescheinigen könnte.
Es greift also deutlich zu kurz, wenn man wieder einmal die Wurzel allen Übels im Unterricht der ach so bösgesinnten Lehrer sucht. Und auch kann ich es keineswegs so pauschal unterstreichen, dass Notenschutz der erste Schritt zur Förderung ist. Sicherlich gibt es Schüler, da handhabe ich es auch so, aber ich entscheide möglichst individuell, ob Notenschutz sinnvoll ist oder vielleicht eben kontraproduktiv.
Gruß
Mia