Beiträge von Nettmensch

    es tut mir leid mich als Totenbeschwörer zu betätigen; da dies aber ein Sammlungsthread zu sein scheint stelle ich meine Frage hier ein, also:


    In Berlin ist es normal, dass über 90% der Stellen über ein zentrales Verfahren besetzt werden (das sogenannte "Lehrercasting"); prinzipiell können Schulen aber vorher ihren Stellenbedarf auch direkt ausschreiben. Da sich mein Interesse vor allem auf 2 Hände voll von Schulen bezieht, über die ich mich bereits ausführlich informiert habe, möchte ich es mit einer Schulspezifischen Anfrage versuchen. Ich sollte hinzufügen, dass ich mich als Quereinsteiger in Physik/Mathe/Wirtschaft bewerbe.



    Ich habe jetzt (m.E. höflich und unter Darstellung von Motivation und Qualifikation), die mich interessierenden Schulen angeschrieben (eMail). Wie lange ist es nun angemessen abzuwarten bis sie sich melden? Ein Schulleiter hat bereits heute zurück geschrieben und sehr höflich bedeutet, dass es gerade keinen Bedarf gebe (er sich aber sicher sei, dass ich etwas finde :) ). Die Schulleitung wird die eMail denke ich erst mal einen Tag liegen lassen; dann ggf. an die Fachbereiche weiter leiten, dort schaut man vielleicht 1-2 Tage später drauf. Deren Einschätzung geht dann zurück an die Schulleitung. Macht zusammen ca. 1 Woche.



    Ist es also angemessen, falls ich 7 Tage später telefonisch nachfrage? Und ist es üblich, dass man in jedem Fall eine Rückmeldung bekommt? Es handelt sich ja nur um Voranfragen.

    Ich finde die Einstellungspraxis ohnehin recht merkwürdig. Die Schulen sind in NRW ja effektiv eine Untereinheit des selben Arbeitgebers - offenbar der Regierungsbezirk. Auch der Einstellungsbedarf sollte sich ja zur selben Zeit ergeben, also entsprechend zu den Halbjahren.


    Wäre es da nicht für Schulen und Bewerber viel sinnvoller, ein zentrales Verfahren auf RB-Ebene zu etablieren? Solche Überschneidungsprobleme würden sich damit nicht ergeben. In Berlin gibt es z.B. das sogenannten "Lehrercasting". Alle Kandidaten für ein bestimmtes Fach und Schulleiter treffen sich zentral an einem Tag und handeln die Anstellungen aus. Keine Probleme mit Überschneidungen oder ungünstigen Fristen, falls man eine andere Schule als Favouriten hat aus Sicht der Kandidaten und eine schnelles Clearing und geringer Verwaltungsaufand aus Sicht der Schulen.



    Löst natürlich nicht das Problem, falls man sich auch für die anderen RB interessiert. Und die Schule bekommt man vorher auch nicht zu Gesicht (zugegeben ist das in Berlin praktischer, da man einfach mal vorher an 1-2 Tagen alle seine Favouriten mit der S-Bahn abfahren kann).

    hm... back to topic...


    aus meiner persönlichen Ansicht - ich habe hier keinen Vergleich zum Gymnasium, außerdem ist es ein technisch orientiertes OSZ - war das Unterrichtsbetragen der Schüler besser als erwartet. Selbst in der Einführungsklasse für Schüler von den Hauptschulen ging es relativ wild zu, sobald der Lehrer mal aus dem Raum war. Während des Unterrichts wurde der Lehrer aber respektiert. Das ist auch meine angehmenste Beobachtung: man hört ja immer über die schlimmen Schüler an ISS, Beleidigungen gegenüber Lehrern etc. ... das war hier absolut nicht der Fall. Das kann daran liegen, dass die Schüler eben bereits etwas älter sind oder die schlimmsten Störer es nicht auf ein technisches OSZ schaffen. Auch einige Lehrer, die früher an Gymnasien arbeiteten meinten, dass das Sozialverhalten insgesamt nicht schlechter als an Gymnasien ist; das Leistungsniveau ist aber doch deutlich unter dem eines Gymnasiums.



    Noch einmal in Bezug auf den Mangel an Physiklehrern: ja, richtig, das Thema ist nicht neu. Aber offenbar hat es sich in den letzten Jahren zunehmend verschärft - und das liegt zum Teil am Rückgang der Absolventenzahlen im Lehramtsstudium Physik. Der Grund für diesen Rückgang ist mir dabei nicht klar...



    Ansonsten stimme ich zu, dass man all die Vorlesungen in theoretischer Physik vorr. nicht unbedingt im Unterricht brauchen kann (wer die geschafft hat kann auch gleich das komplette Diplom machen); da würden einige zusätzliche Experimentalphysikvorlesungen aus den höheren Semestern und Fortgeschrittenen Praktika sinnvoller sein.

    So... mein Praktikum ist morgen zuende; ich konnte auch eine Reihe von Stunden selbst halten und haben einen Einblick in alle Bereich des OSZ erhalten (gar nicht so leicht, sich bei einigen vermeindlich einfachen Themen reinzudenken um sie anschaulich zu erklären).


    Was mich erstaunt ist der wirklich große Mangel an Mathe/Physik-Lehrern; das scheint ja auch kein rein Berliner Phänomen zu sein; ich habe hier folgende Statistik gefunden:
    http://www.dpg-physik.de/veroe…pix/Physik_Konkret_02.pdf


    und das sind die akkumulierten Zahlen von vor 5 Jahre; bereits 2007 war die Masse der neuen Physiklehrer Quereinsteiger - bei dem Trend dürfe der Anteil heute noch größer sein ("echte" Physiklehrer damit eine kleine Minderheit der Neueinstellungen sein).



    Wie kann das sein? Da läuft doch etwas vollkommen schief - es liegt offenbar daran, dass die Zahl der Studenten auf Physiklehramt in den letzten 15 Jahren in sich zusammengebrochen ist. Dabei bieten sich hier nicht erst seit heute die besten Einstellungschancen; das Studium ist auch nicht komplizierter als vor 10 Jahren. Es mangelt mir hier an Erklärungsansätzen. Ohne all die Quereinsteiger würde der Physikunterricht jedenfalls flächendeckend in Deutschland ausfallen.



    Das ist nicht gut.

    Auch wenn die äußeren Umstände aus heutiger Perspektive etwas seltsam anmuten (Mädchenschulen? der "Luxus" einer Hochhauswohnung ohne Fahrstuhl), spricht hier viel Wahrheit heraus:


    http://www.youtube.com/watch?v=jBCBNr35E5k


    dennoch geradezu erstaunlich, dass es scheinbar bereits in den 50er Jahren das Klischee des "faulen Lehrers" gab. Da ist es ausgerechnet der Lehrerschaft in den 60 Jahren danach nicht gut gelungen die Belastungen - und entsprechende Anerkennung - gegenüber der Gesellschaft zu vermitteln. So ein 8-Minuten Film würde ja ausreichen; und wir reden hier noch nicht einmal von Sekundarschulen in Neukölln.


    Als ich meinen Freunden erzählt habe, dass ich ein Praktikum an einer Schule machen habe ich tatsächlich auch polarisierende Reaktionen bekommen. Auch bei genauer Erklärung der Arbeitsbelastung, gerade für Junglehrer, war die ein Gruppe fest davon überzeugt, dass Lehrer ein leichtes Leben haben. Die anderen hatten die Interaktion mit schwierigen Kindern präsent. Das Lehrersein kein Vormittagsjob ist stand aber auch hier nicht im Vordergrund.


    Seltsam... verdammt schlechte PR... würde man das besser kommunizieren, würde auch das Ansehen von Lehrern steigen (das Leid der Deutsch-Englisch Lehrer hatte ich vorher auch nicht auf dem Radar). Und durch das bessere Ansehen würden sich vermehrt die "Besten" bewerben und ein geringerer Teil von jenen, die es vielleicht als entspannten Job betrachten.

    Ich denke dieses Zitat vom Ende fasst es gut zusammen (ich empfehle übrigens auch die Kommentare nach dem post):


    " [...] ein Teufelskreis: Die Schüler erwecken bei den “Lehrproben” gegenüber den Ausbildern den Eindruck, sie würden die besagten Arbeitsformen bereitwillig akzeptieren, und die Ausbilder sind dann umso mehr von der Effizienz ihrer methodischen Ansätze überzeugt. So entsteht eine Lehrerausbildung, in der Referendare für das Bestehen ihrer “Lehrproben” ausgebildet werden. Danach aber sind sie oft schutzlos dem Unterrichtsalltag ausgeliefert. Denn jetzt nehmen die Schüler nicht mehr solche Rücksicht, die sie ihnen als Referendaren noch entgegengebracht haben."


    was uns wieder vor das Problem stellt, wie der angehende Lehrer über seine Methodik entscheiden soll. Die Seminare sollen eben bestenfalls basierend auf Empirie und Erfahrung ausbilden. Falls diese Empirie aber systematisch verfälscht ist (und der Seminarleiter das nicht erkennt), steht der Junglehrer erstmal dumm da - im Extremfall ist er mit seiner Unterrichtsvorbereitung völlig überlastet, während die Schüler gleichzeitig weit hinter dem Lehrplan zurück liegen.



    (wie Meike dargestellt hat gilt das nicht für alle Seminare, aber der Junglehrer kann nun einmal "gute" von "schlechten" Unterrichtskonzepten noch nicht aus eigener langjähriger Erfahrung unterscheiden - hier wäre ein einheitlicher Konsens zwischen allen Lehrerseminaren hilfreich. Zumindest würde das die Anhänger der einen oder anderen Methodik zwingen bei der Erarbeitung eines einheitlichen Lehrerausbildungslehrplanes mit wissenschaftlich-empirischer Basis zu argumentieren).

    Zu dieser Thematik habe ich auch gerade folgenden Blogpost gefunden (hey, es gibt eine bloggende Lehrercommunity):


    http://www.jochenenglish.de/?p=3851
    (zur Anmerkung: ich möchte mit dieser Verlinkung nicht dem Frontalunterricht das Wort reden)


    der mir das ganze etwas einleuchtender erscheinen lässt und den ich bei Zeit zur Lektüre empfehle... Ich denke es ist für (angehende) Referendare wichtig zu wissen, dass man unter Umständen in ein Seminar gerät, in dem sich ein Impetus für eine unpraktische Lehrmethodik etabliert hat; und das man selbst nicht unreflektiert Lehrmethoden bei seinem künftigen Lehrerdasein einsetzt - selbst falls sie als Standardmethoden im Seminar präsentiert werden.


    Aus der Sicht eines Noch-Nicht-Lehrers (und noch viel mehr Quereinsteigers) ist das natürlich alles andere als befriedigend. Man hat selbst nicht die Kompetenz und Erfahrung um die Sinnhaftigkeit - und dazu gehört eben die praktische Umsetzung an 27 Stunden ebenso wie die Effektivität - einer Methode abschließend einschätzen zu können. Und je nach Lehrer-Typ/Persönlichkeit können auch verschiedene Methoden bei verschiedenen Lehrern unterschiedlich gut funktionieren (jetzt einmal unabhängig von der didaktisch korrekten Implementierung). Aber ich gehe einmal davon aus, dass man sich ggf. an einem Stil orientieren kann, den auch die Fachkollegen an der Schule an den Tag legen...




    Gibt es eigentlich eine Art empfehlenswertes "Handbuch" für Lehrer, dass eine Zusammenfassung dessen liefert, was scheinbar oft *nicht* oder kaum im Seminar thematisiert wird? Also ganz praktische Dinge wie "Führen eines Klassenbuches", "Elterngespräche", "Klausurkorrekturen" etc. die man im Eifer der ersten Jahre vielleicht nicht auf dem Radar hat? Lehrer stellen schließlich ca. 1% der Gesamtbevölkerung...

    8| ok... nochmal... ja, ich sehe, dass ich den Eingangspost zu offensiv verfasst habe - mein Fehler.


    Ich habe dieses "Wissen" - wie ich nun mittlerweile mehrfach geschrieben habe - aus sehr vielen Threads in diesem Forum und damit, wie ich bereits geschrieben habe nicht aus erster Hand (darum benutzt ich auch bewusst qualifier wie "offenbar" und "scheinbar"). Die Fragen zielten darauf, ob das zutreffend ist und man sich auf Feuerwerksstunden und Irreale Unterrichtskonzepte einstellen muss um zu bestehen (die Frage hattest du ja auch bereits qualifiziert beantwortet).



    Ein abschließendes Urteile darüber ob ich mir das Unterrichten vorstellen kann fälle ich nach meinem Praktikum und zur Not eben auch nach der ersten Zeit im Beruf. Es ist aber erforderlich die Zeit des Staatsexamens einordnen zu können, da man sonst in dieser Phase dem Anschein nach ein völlig verfälschtes Bild des Unterrichtens bekommt, falls die Aussagen zutreffend sein sollten (ich schreibe hier andauernd sehr allgemein über "Erfahrungsberichte" - bei Bedarf kann ich die entsprechenden Beiträge auch verlinken, um das an konkreten Beispielen zu klären).

    Wie bitte?!? Ich bin nicht sicher wo du das herausliest was du mir scheinbar unterstellst (mag natürlich auch daran liegen, dass ich den Tonfall falsch interpretiere... the dangers of written communication...)





    Es ging mir um die in viele Seminaren vorhandene Realititätsferne und z.T. Willkür der Lehrerausbildung. Ich wollte damit nicht zum Ausdruck bringen, dass ich mehr Ahnung von Pädagogik habe als Seminarleiter oder Lehrer – wie auch. Im Gegenteil habe ich mittlerweile einen ziemlichen Respekt davor wie man seinen Stoff so strukturiert und unterrichtet, dass bei heterogener Schülerschaft dabei etwas hängen bleibt (hier bitte nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen). Gerade deshalb finde ich es ja so perplex was man hier im Forum liest. In vielen Seminaren lernt man in vielen Fällen offenbar eben nicht wie man guten Unterricht macht, wie man seinen Stoff entsprechend aufbereitet und in einer pragmatischen Art arbeitet. Das muss ich mir im Fall des Falles dann eventuell autodidaktisch erschließen (und mit Unterstützung freundlicher Kollegen). Ja, es gibt hier viele Komponenten (fachliches, methodisches, persönliches Auftreten unter vielerlei Umständen etc.) – das habe ich doch auch gar nicht in Frage gestellt.



    In dem Zitat ging es darum, dass es (ich wiederhole: entsprechend den meisten Erfahrungsberichten im Forum) offenbar oft nicht Maßstab in Seminaren ist "Wie ist die Realität" oder "Was funktioniert in der Praxis" (=Empirie) sondern "Welche Theorie - relativ losgelöst von Praxisfragen des alltägliche Unterrichtens - klingt gut." (=Ideologie). Das sind grundlegende Ansätze, ob es nun um Erziehungswissenschaft geht oder Naturwissenschaft.




    Es mag sein, dass du sehr kompetente Seminare hattest (oft merkt man so etwas ja auch erst im Nachhinein). Ich spreche hier noch nicht aus erster Hand. Es macht einen aber schon stutzig, dass sehr oft die Rede von realitätsferner Ausbildung ist, die auch nicht gerade den Eindruck macht, dass man dort die pädagogischen Feinheiten oder differenziertes Herangehen für den praktischen Unterricht lernt. So zumindest das häufige Fazit - um diese zusammenzufassen hilft es sicher ein Seminar zu absolvieren. Aber das war nun einmal der Ausgangspunkt meiner Fragen: ob die Erfahrungsberichte zutreffend sind und wie man damit umgeht.



    P.S. ich glaube das ist was MSS mit aneinander vorbeireden meinte :_o_)

    Hallo Kielja,



    noch ein paar Infos zu Berlin:


    es ist eigentlich vorgesehen, dass die Schulen im Normalfall ihre Stellen direkt ausschreiben - ein Telefonat mit der Bewerbungsstelle der Schulbehörde hat aber ergeben, dass das de facto nicht passiert. Ca. 90% der Stellen werden über die sogenannte "zentrale Nachsteuerung" besetzt. Dafür musst du eine Bewerbung versenden, am besten frühzeitig, damit du noch Zeit zum Nachreichen von Unterlagen hast.


    Im April/Mai gibt es dann für die entsprechenden Fächer je einen zentralen Bewerbertag, bei dem sich die interessierten Schulleiter und die Bewerber in einem Gebäude treffen und die Anstellungen ausgehandelt werden (laut Auskunft gehen die Schulleiter von Kandidat zu Kandidat die sie sich vorher auf der zentralen Liste ausgeschaut haben und machen Angebote).



    Edit: bzgl. der Fächer kannst du der Bewerberstelle auch eine eMail senden. Du musst aber vorr. genau belegen, dass du einen entsprechend hohen Anteil von Chemie im Studium hattest. Außerdem benötigst du ein 2.-Fach mit mindestens 20 SWS, dass sich zusätzlich aus deinem Studium ableiten lässt. Schau doch aber auch mal, ob es nicht eine Berufsschule gibt, die in dein Profil fällt. Es gibt 2 OSZ mit Gesundheitsprofil - die kannst du z.B. auch einfach mal anschreiben und dich nach entsprechendem Bedarf erkundigen.


    2. Edit: falls du es bei den paar direkt ausgeschriebenen Stellen probieren möchtest kannst du hier schauen
    http://www.berlin.de/sen/bwf/s…usschreibungen/anwendung/
    dort inserieren ein paar OSZ eine Hand voll stellen die auch alle für Quereinsteiger geöffnet sind; Chemie ist (neben Physik/Mathe/Musik/Informatik/Sozialpädagogik/Psychologie/technische Fächer an OSZ) als Mangelfach ausgeschrieben - d.h. es gab in den letzten Jahren nicht genügend Lehrämter für die offenen Stellen. Das dürfte sich auch in den kommenden Jahren nicht ändern, da durch den Baby-Boom im Osten in den letzten Jahren die Schülerzahlen noch bis ca. 2020 steigen und die Berliner Lehrer den höchsten Altersdurchschnitt der BRD zeigen.

    Danke Meike für deine Einschätzung. Mag sein, dass ich bedingt durch meine Entrüstung über die Seminarzustände (hey, hab sogar drüber geschlafen) einen etwas "aggressiven" Tonfall an den Tag gelegt habe - in real life bin ich eigentlich recht umgänglich und humorvoll, wenn auch oft direkt in der Kommunikation (hier muss ich mich dann zurück halten), also keine Sorge.


    MSS: Ok, falls man genau weiß woran man ist, kann man sich für die Stunden auch entsprechend vorbereiten. Da es am Ende wirklich auf den Prüfer ankommt bringt es mir scheinbar wirklich nicht viel mir jetzt bereits Gedanken darüber zu machen. Ich werde ggf. wohl auch versuchen in Teilzeit einzusteigen, um den Stressfaktor zu reduzieren und ein didaktisch akzeptables Unterrichten zu lernen (also gemessen an dem was wirklich effektiv ist, nicht dem Pyrotechnik-Training).




    Dennoch ist es erschreckend, wie sich so ein System selbsterhaltend etablieren konnte. Sprecht ihr nicht mal mit Seminarleitern über diese Sachverhalte? z.B. nachdem "euer" Referendar seine Lehrproben mit einem unsinnigen Methodenfeuerwerk bestanden hat, könnt ihr ja mal den SL kurz zur Seite nehmen und mal Klartext reden, dass seine Vorstellungen von gutem Unterricht völlig lebensfremd und so nicht auf Dauer umsetzbar sind oder überhaupt auch nur einen Lernerfolg bringen. Euch und dem geprüften Referendar kann er ja nichts mehr anhaben, so dass ihr ihm eine offene und sachlich formulierte Meinung sagen könnt. Es klingt zumindest oft so, als ob die Seminarleiter nur selten "geerdet" werden.

    Hallo,



    ich überlege als Quereinsteiger Physik in das berufsschulische Lehramt einzusteigen, und beginne nächste Woche diesbzgl. auch ein nicht allzu langes Praktikum. Ich kenne mich entsprechend im "System Lehrerausbildung" nicht sonderlich gut aus.


    In Berlin - wo ich es zunächst versuche - müssen Quereinsteiger im ersten Jahr ihr 2. Staatsexamen nachholen (neben 20 Stunden Unterrichtsverpflichtung - hier ist brechender Stress natürlich vorprogrammiert :tot: ) und sind folglich einem Seminar zugeteilt. Nun habe ich etwas im Forum rumgelesen und bin gelinde gesagt verdammt schockiert über die scheinbaren Zustände an den Seminaren. Natürlich kann man argumentieren, dass die Leute die in diesem Forum schreiben selbstselektiert sind und diejenigen ohne jede Probleme nicht aktiv sind - richtig. Dennoch klingen die Zustände für Referendare ja generell grauenhaft. Was läuft hier schief?



    Mein Eindruck ist im Augenblick folgender:



    1.)
    - sehr viele Seminarleiter haben keine Ahnung von der wissenschaftlichen Basis ihrer pädagogischen Theorien, und wurden auch nicht aufgrund ihrer entsprechenden empirisch-wissenschaftlichen Fachkompetenz befördert; respektive es fehlt ihnen die Reflexionsfähigkeit ihr Gebiet objektiv zu evaluieren. Ideologie zählt mehr als Empirie.


    - die Bewertungskriterien bei Unterrichtsbesuchen und Lehrproben sind entsprechend schwammig (bei einer Diplomprüfung in Physik dagegen weiß man woran man ist - es gibt einigermaßen objektive Bewertungsmaßstäbe die nur sehr beschränkt im Ermessen der Prüfer liegen und es muss ohnehin alles genau protokolliert werden)

    2.)
    - hinzu kommt, dass auch unter Seminarleitern die charakterlich-emotionale Reife nicht immer auf hohem Niveau ist (nach welchen Kriterien werden diese dann bitte noch ausgesucht?). Klar, Idioten gibt es überall - auch unter Physikern - aber was man hier zum Teil liest ist ja hanebüchen.


    - das führt zu einer Lage, bei der ein Seminarleiter völlig realitätsferne Unterrichtskonzepte fordert und/oder einzelne Seminarteilnehmer aufgrund rein emotionaler Unliebsamkeit schlecht bewertet


    3.)
    - das resultiert nicht selten in völlig absurden Situationen, bei denen die Kollegen und Schulleiter den Unterricht loben, die Seminarleitung einen aber unter Umständen in Grund und Boden kritisieren


    - die Folge sind Duckmäusertum im Seminar und seltsame "Feuerwerksstunden" bei den Lehrproben



    Versteht mich nicht falsch, natürlich plädiere ich nicht dafür im Seminar den "Maker" zu geben und den Leuten auf den Schlips zu treten. Ich bin aber eine offene Diskussionskultur gewöhnt und gewähre das auch ziemlich liberal gegenüber meinen Studenten. Es scheint jedoch bei der Lehrerausbildung viele Seminarleiter zu geben, die normal vorgetragene sachliche Rückfragen bzgl. Sinn und Unsinn eines Vorgehens oder Methode - oder einfach empirische Belege - als Majestätsbeleidigung auffassen. Und die leben das auch voll aus :autsch: !


    Ok, man kann Argumentieren, dass es hier gilt die Zähne zusammen zu beißen - um das Stundenpensum zu schaffen aber vor allem auch um keine "falschen" Fragen zu stellen. Dennoch ist das ganze System, falls es so stimmt, ungeheuer frustrierend und absurd. Meine Fragen daher:



    1. Es gibt sicher auch sehr viele menschlich gute Seminarleiter (ich nehme an die weitaus meisten). Das Problem der Verblendung bzgl. der Methodik bleibt jedoch ungelöst. Wird man daher generell das Problem haben, dass man nur mit Feuerwerksstunden die Lehrproben übersteht und sachliche Rückfragen ein großes NO-GO sind?


    2. Wie verhalte ich mich, falls ich an einen selbstherrlichen oder missgünstigen Serminarleiter gerate? Anbiedern entspricht nicht gerade meinem naturell. Wie bei den meisten.


    3. Wie sind denn nun die Durchfallquoten beim 2. Staatsexamen? 10%? Oder unter 5%? Hängt das auch von der Fächerkombination ab?




    So langsam könnte das erste Jahr mich verschrecken es mit dem Lehramt zu versuchen, und ich rede hier nicht vorrangig von der zeitlichen Belastung.

    Die intrinsische Motivation bei den Medizinern die sich bei uns prüfen lassen ist zwar auch nicht gerade ausgeprägt, wobei das zugegeben ein meilenweiter Unterschied zu einer heterogenen Schulklasse sein dürfte.


    Ich sehe, dass ein Praktikum sehr viel Sinn macht. Werde morgen mal anfragen, wo das möglich ist. Aus Sicht der Schule bedeutet das wohl einfach Mehrarbeit, aber wenigsten kostenfrei - zur Not muss ich einfach mitlaufen und hospitieren und vielleicht lassen sie mich am Ende an eine Klasse ran. Der ganze Prozess wird ja vorr. weniger formal als in einem Großkonzern ablaufen.

    Ich habe ein Diplom in Physik mit umfangreichem Nebenfach Wirtschaft (ggf. habe ich auch genügend Mathe-Scheine zur Zulassung als Fach in Berlin).


    Das mit dem Praktikum ist eine gute Idee! An wen sollte ich mich hier wenden? Direkt an die Schulleitung? Oder eine höhere Ebene?


    Für ein längeres Praktikum fehlt mir leider aktuell die Zeit, aber es würde wohl für eine Woche reichen. Da meine Bekannten nur Gymnasien aus erster Hand kennen würde eine Berufsschule wohl Sinn machen.



    EDIT:


    In Berlin kann man die genaue Zusammensetzung der Schülerschaft (Leute die in Fachabikursen sind, geschlecht, Migrationshintergrund) und Abiturnoten (inklusive Fächeraufschlüsselung) an allen Schulen (inklusive OSZ) öffentlich einsehen:
    http://www.berlin.de/sen/bildu…verzeichnis_und_portraets



    Könnte sich vielleicht noch jemand kompetentes im Berufsschulbereich dazu äußern, wie es mit Einsätzen in anderen Bereichen steht? Würde man mich z.B. ggf. in die reinen Ausbildungsgänge ohne oberstufenbezug stecken? Mathematik für Lehrlinge bekomme ich sicher hin - auch wenn man die ersten Wochen zu tun hat Disziplin zu etablieren. Bei anderen Fächern fehlt mir dann aber technisch gesehen die Ausbildung(?).

    Ganz ehrlich?
    Wenn Du "vordergründig" Deine Fächer "im Kopf" hast und DIch auf Deine Schüler so wenig wie möglich einlassen möchstest, solltest Du Deinen Plan, an die Schule zu gehen, noch einmal überdenken. Egal wo Du unterrichten wirst, du solltest Dich darauf einstellen, dass es sehr anders sein wird als an der Uni.


    Das scheine ich nicht gut ausgedrückt zu haben - sorry. Ich MAG den Umgang mit Studenten/Schülern und ihnen etwas beizubringen, die Zusammenhängen in den verschiedenen Gebieten zu veranschaulichen etc. - andernfalls wäre ich nie auf die Idee gekommen. Was ich aber nicht mag ist ein Lernumfeld in dem man mehr Sozialpsychologe als Lehrer ist und seinen Schülern erst grundlegendste soziale Umgangsformen beibringen muss, statt Zeit zu haben sie für die Themengebiete zu motivieren. Und hier unterscheiden sich die Schultypen nun einmal. Einem Lehrer an der Grundschule oder Hauptschule liegt diese Erziehungsaufgabe sicher sehr. Dafür hat er tendentiell nicht die fachliche Tiefe um einen Oberstufenkurs motivierend und fachlich überzeugend zu unterrichten. Es ist einfach ein Frage der persönlichen Präferenz.


    Meine Liste an Vor- und Nachteilen sollte also mehr mit dieser Brille gelesen werden.


    Und nein, aus meiner Schulzeit (damals Gymnasium) empfinde ich es nicht als "normal", dass Eltern Abends regelmäßig gegenüber den Lehrern mit deren Abendessen konkurrieren. Leider habe einige mir bekannte Lehrer dies und anderes für heutige Zeiten als nicht ungewöhnlich beschrieben - das bitte nicht missverstehen, dass mir meine Studenten egal sind. Im Gegenteil. Je weniger mentale Energie ich in solchen Auseinandersetzungen verlieren, desto mehr bin ich in der Lage einen motivierenden Unterricht zu gestalten. Das ist aber nur ein Aspekt, wie man in meinen Eingang aufgeührten überlegungen sieht.



    Falls du diese vielleicht auch kommetieren oder spezifischer korriegeren kannst wäre ich dir dankbar.

    Hallo,



    ich stehe momentan als potentieller Quereinsteiger für Physik und Wirtschaft (promoviere an der Uni und habe bislang nur Seminare von Studenten betreut) vor dem Problem mich zwischen Bewerbungen an grundständigen Gymnasien oder Berufsschulen zu entscheiden. In Berlin - wo ich es zunächst versuche - firmieren letztere unter dem Begriff "Oberstufenzentrum/OSZ", haben tausende Schüler und sind relativ spezialisiert. Das OSZ Banken z.B. hat allein ca. 500 Leute die ihr Abi/Fachabi machen. Ich sehe die Sache momentan so und bitte euch um Korrekturen/Kommentare:




    berufliches Gymnasium / Fachoberschule gegenüber grundständigen Gymnasien


    Vorteil:


    - die Leute sind älter, im Schnitt selbständiger und disziplinierter; keine 13-jährigen pubertierenden Jugendlichen
    ACHTUNG: ja ich weiß, dass es ganz stark vom OSZ abhängt; einige dienen in Berlin scheinbar als "letzte Chance" (OSZ Gastgewerbe etc.); andere ziehen ein deutlich zielstrebigeres Publikum an - das sieht man auch am Anteil der Abiturienten und den Abischnitten; das OSZ für Banken z.B. hat einen relativ hohen Anteil an Leuten die Abi/Fachabi machen und die Abischnitte sind besser als bei den meisten OSZ


    - es ist vor allem Oberstufen-Unterrichtsstoff, was für mich motivierender zu unterrichten ist als der Stoff der 7. Klasse


    - man muss effektiv nur den Stoff von 3 Jahren vorbereiten (?), statt 6 Jahre am Gymnasium - was gerade zu Beginn für einen Quereinsteiger eine zeitlichen Entlastung darstellt


    - man kann auch mal einen Wirtschaftskurs geben, was an Berliner Gymnasien scheinbar nur selten angeboten wird (ich nehme an, dass ist vom verfügbaren Lehrpersonal abhängig?)


    - das Drumherum ist im Schnitt weniger nervenaufreibend; die Eltern rufen nicht beim familiären Abendessen an um noch mal die Noten zu diskutieren; die Schule hat keinen Ganztagscharakter mit erforderlicher Nachmittagsbetreuung etc.



    Nachteil:


    - man würde mich wohl vorrangig als Physiklehrer einsetzen, was die Betreuung vieler nur 2/3-stündiger Kurse bedeuten kann (statt Leistungskursen die es eher an Gymnasien gibt)


    - es gibt mehr soziale Extremfälle als an Gymnasien, wobei das in den jüngeren Jahrgangsstufen am Gymnasium nicht anders sein muss


    - das Leistungsniveau ist insgesamt im Schnitt geringer; die Lernmotivation für das Fach Physik mag zudem z.B. bei Schülern des OSZ-Recht oder -Banken verhalten sein


    - man wird auch außerhalb des (Fach-)Abituriellen Bereichs eingesetzt(?) (ist das üblich? oder ein Ausdruck von reiner Personalnot? ist hier eine Zustimmung erforderlich, falls man die Zulassung zum gymnasialen Lehramt hat?)




    Ihr würdet mir sehr helfen, falls ihr mir sagen könntet, ob diese kleine Systematisierung zutreffend ist oder welche Aspekte ich nicht ausreichend berücksichtigt habe :engel: . Auch anderen Berufsanfängern sind sicher bereits mal ähnliche Gedanken gekommen.



    P.S.
    Macht es aus eurer Sicht Sinn, sich bei Schulen in der Reihenfolge ihrer Abitur-Durchschnitte (Zentralabitur) zu bewerben falls man die Begeisterung für seine Fächer vordergründig im Kopf hat statt den rein sozialpädagogischen Aspekt?

Werbung