Beiträge von WillG

    Ich stelle fest:
    Diejenigen Naturwissenschaftler, die offenbar recht gut verstanden haben, was ich meine, erklären, dass es in Naturwissenschaften anders ist.
    Und dann gibt es eine Reihe von Naturwissenschaftlern, die offenbar nicht so genau verstanden haben, was ich meine und mit dem "Stoff" argumentieren, den sie an der Uni lernen und in der Schule nicht brauchen.
    Auch diese zweite "Gruppe" zeigt eigentlich, dass hier riesige Unterschiede zwischen beiden Zweigen bestehen - zumal die Geisteswissenschaftler mich in der Regel ganz gut verstanden haben.

    Ich hätte eigentlich alles gewettet, dass dieses "grundlegende Verständnis des Systems" oder dessen, "wie das Fach funktioniert" oder was ich auch sonst so an Formulierungen verwendet habe, in den Naturwissenschaften nochmal deutlich wichtiger ist als in den Geisteswissenschaften. Offenbar eine "geisteswissenschaftliche Denkweise" - oder die puren Inhalte in den NaWis sind so komplex, dass das System sekundär ist. In jedem Fall sehr interessant!

    Vielen Dank für die ausführliche - und interessante - Antwort!

    Sehr viel wichtiger ist es aber - meiner Ansicht nach - den Jugendlichen die grundsätzliche Denkweise eines Naturwissenschaftlers zu vermitteln. Es geht um Hypothesen, die einer Falsifizierung standhalten müssen, um Experimente, die Hypothesen stützen und reproduzierbar sein müssen, es geht ums Modelldenken und das Verständnis dafür, dass Modelle Grenzen haben und Naturwissenschaftler grundsätzlich niemals auf alles eine Antwort geben können. Es geht darum, sich als amoralische Instanz zu begreifen (ich erwähnte es erst kürzlich schon mal im Thread über die Kirche), die fürs rationale Argumentieren und Diskutieren von Fakten zuständig ist. All das würde ich in einem Lehramtsstudium jetzt mal ganz stark in der fachdidaktischen Ausbildung wähnen, [...]."

    Ich möchte mich mal auf diesen Teil beziehen, denn - völlig frei von chemikalischem Wissen - kommt das der Sache, die ich in meinem Post pauschal als "Systematik" des Faches bezeichne, schon recht nahe.
    In meiner Argumentation, basierend auf meinen Erfahrungen in geisteswissenschaftlichen Studiengängen, entwickelt man ein solches Verständnis von seinem Fach in der Auseinandersetzung mit den fachlichen Inhalten sozusagen "im Hintergrund". Es macht ja auch wenig Sinn, für solche grundlegenden Verständniszusammenhänge ein Didaktikseminar anzubieten, in der dann jemand stotternd ein Referat zum Thema "Grenzen von Modellen" hält. Ich polemisiere hier ein wenig. Vielmehr stelle ich mir - möglicherweise naiv - vor, dass man dieses Verständnis selbst entwickelt, wenn man eben mit Modellen arbeitet und dann im Labor oder sonstwo sieht, wo diese Modelle an ihre Grenzen stoßen. Und daraus entwickelt man dann Schritt für Schritt ein umfassendes naturwissenschaftliches Verständnis (- die "Systematik"), das man eben braucht, um Unterricht vorzubereiten, auch wenn dann im Unterricht doch nur über Osmose und das Gesetz der Erhaltung der Masse gesprochen wird (- wenn keckks mit Chemiewissen posen kann, kann ich das auch!).

    Jetzt war meine Annahme aber, dass man sich dafür vielleicht auch mit den abstrakteren Inhalten beschäftigt haben muss, damit so ein Grundverständnis eben auch entsprechend Substanz hat. Das wiederum scheinst du im folgenden Zitat zu verneinen, wenn ich dich richtig verstanden habe:

    Wichtig wäre es meiner Ansicht nach, mal überhaupt irgendeine Art von wissenschaftlicher Arbeit selbständig geplant und durchgeführt zu haben. Ob es da aus rein fachlicher Perspektive jetzt um eine simple Kondensationsreaktion geht oder um irgendeine depperte Metathese-Reaktion über die man eben erst im Hauptstudium erst was lernt, ist meiner Einschätzung nach wurscht.

    Wenn also die Kondensaktionsreaktion reicht, damit man sein Fach so weit verstanden hat, dass man den Schülern ein solides Grundverständnis dafür vermitteln kann, was Chemie eigentlich ist, wie das Fach "funktioniert" und dabei auch noch eine naturwissenschaftliche Denk- und Sichtweise erfolgreich vermitteln kann, dann ist es womöglich wirklich so, dass die vertieften Fachinhalte in einem Lehramtsstudium unnötig sind.
    Wenn aber ein Verständnis der Metathese-Reaktion möglicherweise doch notwendig ist, damit mein Verständnis von der Fachwissenschaft nicht nur oberflächlich ist, dann wäre es evtl. doch nötig. Das war ja meine These, die du - zumindest für mich - anschaulich widerlegt hast.
    Nicht dass ich wüsste, was eine Kondensaktionsreaktion oder eine Metathese-Reaktion sein sollen...

    So bissig und dünnhäutig kenne ich dich gar nicht, @Wollsocken80
    Ich fand Kecks' Bemerkung sehr interessant, da sie wertfrei verschiedene Denkweisen auf den Punkt gebracht hat - und mir im Nachhinein erklärt hat, warum so viele Diskussionen, die ich in der Vergangenheit mit Naturwissenschaftlern geführt habe, für mich so frustrierend verlaufen sind. Meine Diskussionpartner haben damals bestimmt auch "typisch Geisteswissenschaftler" gedacht...

    Dann haben wir wohl das Thema unterschiedlich verstanden. Mir ging es weder darum zu diskutieren, welche Fächer wichtiger, cooler, anspruchsvoller etc. sind, noch darum in Frage zu stellen, was man im NaWi-Studium in Deutschland lernt.
    Es ging mir um die Frage, wie viel Fachwissen ein Lehrer braucht - und um die spannende Beobachtung, dass dies von Geisteswissenschaftlern und Naturwissenschaftlern offenbar unterschiedlich wahrgenommen wird. Der Grund dafür hat mich interessiert.

    Und jetzt frage ich mich, ob das in den MINT-Fächern wirklich so viel anders ist. Brauche ich da denn kein vertieftes Verständnis für die Systematik des Fachs - auf einer abstrakten Ebene, die ich niemals im Unterricht verbalisieren werde - um meinen Unterricht angemessen planen und durchführen zu können? Irgendwie will ich das nicht glauben.

    Es spielt eigentlich keine Rolle, ob Du das glaubst oder nicht. Guck dir einfach die Studienpläne der entsprechenden Fächer an und vergleiche sie mit denen der zugehörigen MSc-Studiengänge.

    Mit andern Worten ist deine Antwort: Nein, um Naturwissenschaften zu unterrichten brauche ich kein vertieftes Verständnis für die Systematik des Fachs. Krass, irgendwie.
    EDIT: Bzw. ja nicht unbedingt deine Antwort, vielmehr die Antwort der Fachverantwortlichen für die Studienpläne. Nicht weniger krass, irgendwie.
    Nochmal EDIT: Es spielt eigentlich keine Rolle, was irgendwer von uns zu irgendeinem Thema glaubt, denkt oder meint. Warum diskutieren wir dann überhaupt?

    Chemie war bei mir sehr viel speziell für Lehramt. Aber auch da 2 Vorlesungen die Stoff haben, welcher für die Schule nicht relevant ist. Dafür hat man andere Modelle, die eher nötig sind nicht behandelt.

    Eigentlich wollte ich mich inhaltlich zu der Diskussion gar nicht mehr äußern, weil ich das schon so oft getan habe. Aber diese Aussage betrifft genau mein Kernargument in dieser Sache:
    Ich habe in meinem Studium (Germanistik/Anglistik) kaum Dinge gemacht, die ich inhaltlich in den Lehrplänen wiederfinde. Da geht es in Englisch um Grammatikregeln, um Multiculturalism, um Apartheid etc. In Deutsch geht es um Aufsatzarten wie Inhaltsangaben, Erlebniserzählungen, Gedichtanalysen oder um Schulgrammatik oder um klassische Schullektüren, angefangen bei Krabat bis hin zu Faust oder Homo Faber. Nicht eines dieser Themen habe ich im (Haupt-)Studium in irgendeinem Seminar behandelt. Da hatte ich Seminare zu Thomas Mann, zur sog. Kasusgrammatik (die mit Subjekt/Prädikat/Objekt) nichts zu tun hat oder zu frühneuhochdeutschen Bibelübersetzungen. In Englisch hatte ich Seminare zu Morphologie ("Bausteine" von Wörtern), zur Kultur von Irland und zu "English as a World Language!

    Mein Dauerargument ist jetzt aber, dass ich durch diese sehr speziellen Seminare gelernt habe, wie meine Fächer "funktionieren": Ich weiß, wie Sprache aufgebaut ist und habe linguistische Denk- und Herangehensweisen entwickelt. Ich kenne die Strukturelemente von Literatur und literaturwissenschaftliche Methoden zur Analyse und Interpretation. Ich habe verstanden, was der Begriff "Kultur" bedeutet und kann mich jeder Kultur mit interkulturellen und zum Teil sogar anthrologischen Fragestellungen nähern.
    Und das brauche ich jeden Tag für meine Unterrichtsvorbereitung. Denn dieses Wissen hilft mir, mich eben damit zu beschäftigen, wie so eine banale Erlebniserzählung oder auch eine Gedichtanalyse aussehen müssen, um wesentliche Dinge abzuprüfen. Ich kann mir nahezu jeden Text selbständig und schnell erschließen, egal ob es Krabat ist oder die "Iphigenie auf Tauris". Ich weiß, worauf ich achten muss, wenn im Lehrplan plötzlich Kanada auftaucht, obwohl ich mich mit diesem Land noch nie Beschäftigt habe.
    Und weil ich eben immer fachwissenschaftlich das große Ganze im Blick haben kann, weiß ich, wie ich meine Sequenzen aufbauben muss, wo mögliche Fallstricke für Schüler entstehen, wo ich "Abkürzungen" (aka didaktische Reduktion) nehmen kann und wo ich es den Schülern nicht ersparen kann, sich durch schwierige, abstrakte Inhalte durchzubeißen. Dafür brauche ich das Wissen aud dem Thomas Mann Hauptseminar und sogar die ätzend langweiligen Bibelübersetzungen sind Teil dieses Fachwissens.
    Und letztlich hilft mir dieses umfangreiche Fachwissen dabei, Schülerantworten richtig einzuordnen und darauf zu reagieren. Auch bei Korrektur und Bewertung. Sonst könnte ich nur "Kochrezpte" unterrichten und bewerten: "Als ersten Schritt müsst ihr das Metrum bestimmen. Alles andere ist falsch...". Das wäre furchtbar und würde meinen Fächern nicht im Geringsten gerecht werden.

    Das hat übrigens mit ausgefallenen Schülerfragen oder (insg. auch eher trivialen) LK-Ansprüchen überhaupt nichts zu tun. Das ist meine berufliche Realität, egal ob ich in der fünften Klasse unterrichte oder Abitur korrigiere.

    Und jetzt frage ich mich, ob das in den MINT-Fächern wirklich so viel anders ist. Brauche ich da denn kein vertieftes Verständnis für die Systematik des Fachs - auf einer abstrakten Ebene, die ich niemals im Unterricht verbalisieren werde - um meinen Unterricht angemessen planen und durchführen zu können? Irgendwie will ich das nicht glauben.

    So, jetzt habe ich mich doch wieder hinreißen lassen. Liegt aber auch daran, dass ich eigentlich korrigieren wollte.

    Die Diskussion hatten wir ja schon mehrfach. Kann man in verschiedenen Threads nachlesen.
    Ich habe ja nun keine Ahnung von Naturwissenschaften und den entsprechenden Studiengängen, bin aber immer wieder erstaunt, wenn MINT-Kollegen sagen, dass die Studieninhalte für den Unterricht so wenig relevant sind, während die Geisteswissenschaftler tendenziell eher auf das gesamte Fachstudium schwören.
    [ironie]Das kann ja nur bedeuten, dass der MINT-Unterricht inhaltlich deutlich weniger komplex ist als der Unterricht in den Geisteswissenschaften![/ironie] :stumm: :top: :pfeifen:

    DAs darf sie nur, wenn der AG sie nicht ins BV schickt und ihr eine Ersatztätigkeit gibt, denn sonst bekommt er ja die Ausgaben für sie wieder. Also ihre Arbeitskraft nutzen obwohl er sie ins BV geschickt hat, ist nicht erlaubt.
    Das entscheidet also der AG, ob sie arbeitet oder sie kann beantragen, dass sie das trotzdem will, aber einfach so trotz BV arbeiten geht nicht.

    Ich habe von der Materie keine Ahnung, deshalb ist dies hier kein Widerspruch, sondern eine interessierte Nachfrage:
    Dein Argument klingt so, als würde es nur für Angestellte gelten, bei denen die Ausgaben dann wohl von der Krankenkasse erstattet werden. Ist das bei Beamten in jedem Fall auch so?

    Und, allgemeiner: Wie definiert sich denn Beschäftigungsverbot? Wenn das quasi wie eine Krankschreibung ist, dann dürfte die betroffene Kollegin ja wirklich gar nichts machen. Wenn es aber sozusagen auf eine bestimmte Tätigkeit beschränkt ist (z.B. alles, was Kontakt mit Schülern bedeutet), würde das ja heißen, dass die Arbeitskraft weiterhin zur Verfügung steht, oder? Quasi wie bei einem Lehrer während der Ferien - außerhalb des Erholungsurlaubs.
    Wir hatten noch keinen Fall, bei der eine Kollegin länger mit BV ausgefallen ist, aber irgendwelche Aufgaben übernehmen mussten. Wohl aber Kollegen, die wegen Verletzungen nicht unterrichten konnten - deswegen krank geschrieben waren - und Zweitkorrekturen erledigen sollten. Auf Basis der Krankschreibung haben wir das als PR dann verhindert. Es wäre interessant, die rechtlichen Hintergründe bei Beschäftigungsverbot zu kennen, falls der Schulleiter mal auf komische Ideen kommt.
    Und, in diesem Zusammenhang: Dürfte eine Kollegin im BV freiwillig anbieten, Korrekturen zu übernehmen? Bei Mutterschutz und Krankschreibung ist ja nicht mal das möglich.

    "Todesangst im Urlaub?" wäre zweifelsohne eine kreative Überschrift, aber leider auch nicht im Sinne der Aufgabenstellung.

    Und deswegen ist die Aufgabgenstellung "Finde Überschriften" eben falsch. Weil eben auch du in Wirklichkeit keine Überschrift möchtest, sondern eine Kurzzusammenfassung der Kernaussage.

    Ich antworte mal, denn immerhin kam die Aussage ja auch von mir.
    Die Unterscheidung Überschrift-Kernaussage hat mit einfach oder schwer wenig zu tun. Eine Überschrift, wie man sie im außerschulischen Kontext von Zeitungsartikeln oder Kapitelüberschriften in Romanen kennt, erfüllt nun einmal nicht den Zweck, die Kernaussage auf den Punkt zu bringen. Im Gegenteil - sie soll Leseinteresse wecken und das macht sie, indem sie kreativ ist, bewusst obskur bleibt etc. Das kann auch eine nette Übung sein, hat aber mit Textverständnis auf erster Ebene nichts zu tun. Das wäre dann eine kreative Aufgabe auf einer höheren Ebene.

    Zur Illustration:
    Die Kurzzusammenfassung deines letzten Posts wäre so etwas wie "Vorteile von Überschriften gegenüber Kernaussagen".
    Eine Überschrift könnte sein: "Nicht mal ein Prädikat".

    "Erkläre einem anderen, was da steht."

    Etwas, mit dem ich am Gymnasium oft kämpfen muss, ist, dass Schüler oft kommen und die Arbeitsanweisung "Finde Überschriften für die Abschnitte" gewohnt sind. Der Begriff "Überschrift" ist aber völlig irreführend, denn eine Überschrift ist etwas völlig anderes als ein Benennen der Kernaussage oder meinetwegen sogar noch ein "Zusammenfassen in einem Satz". Da gefällt mir der Ansatz "Erkläre einem anderen..." deutlich besser als die Überschrift-Aufgabe.

    Ich bin dazu übergegangen, die Sache von hinten aufzurollen: Erst wird ein Text inhaltlich besprochen und dann systematisch zerlegt (in Sinnabschnitte mit Überschriften, die sich aus Schlüsselwörtern ergeben etc.), wobei die Textmarkierung ebenfalls nach einem festen Schema erfolgt.

    Aber nichts anderes macht doch die 5-Schritt-Lesemethode?
    Und ob du jetzt die einzelnen Schritte getrennt voneinander einführst und dann a, Ende plötzlich den Begriff "5-Schritt-Lesemethode" aus dem Hut ziehst oder ob du mit dem Begriff anfängst, ist ja nur noch eine methodische Entscheidung.

    Du hast natürlich recht: Davon, dass man eine Methode mal eingeführt hat, wird sie nicht verwendet. Schüler sind auch nicht selbständig genug, sie selbst (bei Hausaufgaben und Übungen) anzuwenden, bis sie genug trainiert ist, um auch in Prüfungssituationen nützlich zu sein. Das ist schon auch Aufgabe des Lehrers, die eingeführten Methoden immer und immer wieder im Unterricht einzuführen.

    Interessanterweise funktioniert das bei "Methoden, die zu Aufgabenstellungen" geworden sind sehr gut. Sprachenlehrer machen ständig Mediationen oder Sprachanalysen, wiederholen, wie man Argumente aufbaut. Bei Methoden, die nicht direkt abgeprüft werden, aber bei der Bearbeitung von Aufgaben helfen würden, klappt das weniger gut. Zumindest bei mir und bei Kollegen, mit denen ich enger zusammenarbeite. Schade eigentlich, wie weite Auswirkungen dieses "teaching for the test" bis in die Unter- und Mittelstufe hat.

    Ich habe den Thread eigentlich nur eröffnet um Resonanz zu erfahren; Eindrücke sammeln was andere (erfahrene) Menschen/Lehrkräfte davon halten oder ob es sie es total bekloppt finden. Es scheint 50/50 zu sein.

    Das finde ich eine spannende Wahrnehmung. Ich habe den Thread eben gelesen und würde die Gewichtung anders sehen: ca. 70% oder 80%, die dir dringend abraten.
    Meine Meinung ist, dass wir hier überhaupt nicht abschätzen können, ob de Job etwas für dich ist. Du hast ein paar Dinge gesagt, die mich durchaus zweifeln lassen, aber wirklich aussagekräftig wäre meine Prognose nicht.

    Ich möchte deshalb in eine andere Richtung argumentieren:
    Niemand hat eine konkrete Vorstellung von den Anforderungen eines Berufs, bevor man ihn ausübt. Man hat vage Ideen, vielleicht auch Anforderungsprofile gelesen, aber was weiß ich schon, wie es sich anfühlt Chirurg, Radiomoderator, Müllmann oder Architekt zu sein. Gerade die kleinen Ansprüche im Arbeitsalltag machen den großen Unterschied, und zwar reagiert jeder auf sie anders. Mich persönlich hat als Berufsanfänger der unglaublich große Anteil an Verwaltungskram im Lehrerberuf unglaublich überfordert. Andere haben das gar nicht wahrgenommen. Referendarskollegen waren mit so etwas wie "Lampenfieber" überfordert, wenn sie plötzlich vor einer Gruppe agieren mussten, das hat wiederum mich überhaupt nicht gestört. Das hätte man auch vorher nur bedingt absehen können, weil die Bedingungen eben so unvorhersehbar sind.
    Das alles gilt für jeden Job. Da ist "Lehrer" überhaupt nichts Außergewöhnliches. Was beim Lehrer aber möglicherweise anders ist als bei anderen Job ist die Illusion, dass man ja genau weiß, wie er abläuft. Man hat es ja jahrelang als Schüler beobachtet. Das ist zumindest der Irrtum, dem viele erliegen. Aber in Wirklichkeit weiß man es halt auch bei diesem Job erst, wenn man ihn selbst macht.

    Worauf ich hinaus möchte ist, dass du extrem verunsichert wirkst. Du redest dir ein, dass du nur noch eine einzige Chance hast, dein Leben auf die Reihe zu kriegen. Und du greifst nach dem Job, von dem du glaubst, dass du weißt, worauf du dich einlässt. Aber das tust du nicht. Das kannst du gar nicht wissen, ebenso wenig wie bei jedem anderen Job, den du jetzt angehen würdest.
    Deswegen wäre mein Tipp: Mach dich locker. Versuche dich wirklich von diesen Existenzängsten zu lösen und dir zu überlegen, was du wirklich, wirklich gerne machen würdest. Ganz unabhängig von Jobsicherheit etc. Und wenn du dann etwas gefunden hast, überlege dir, welche Variante davon realistisch ist - hier dann mit all den Überlegungen bzgl. Sicherheit. Und das machst du dann, egal ob das Lehramt ist, oder Reisekaufmann oder Diplommathematiker. Und gleichzeitig tust du das, was CDL oben vorgeschlagen hat: Du schaffst dir noch auf dem Weg dorthin Alternativen in Form der Pläne B, C und D. Denn du wirst bei keinem Job vorher wissen, ob er dann wirklich für doch klappt.

    Ich versuche, mich dem Stress weitestgehend zu verweigern. Dazu gehört einerseits die Work/Life Balance: Ich habe zwei aufwendige Hobbys, die mich regelmäßig vom Schreibtisch wegtreiben. Dazu gehört aber auch, dass ich mich weigere, die Verantwortung zu übernehmen, wenn ich aufgrund systemischer Probleme meine Aufgaben nicht so erfüllen kann, wie es vorgesehen oder vorgeschrieben ist. Wenn ich bspw. die gesetzlich vorgeschriebene Korrekturzeit von max. zwei Wochen nicht einhalten kann, weil es dem Schulleiter wichtig erscheint, in dieser Zeit mehrere Dienstversammlungen und Konferenzen einzuberufen, dann mache ich deswegen keine Nachtschichten. Dann ist das halt so. Das vertrete ich dann übrigens meinem Chef gegenüber auch offen. Ich bin Beamter auf Lebenszeit. Was soll schon passieren.

    Aber das sind alles ja noch "normale" Präventivmaßnahmen. Wenn Depression und Burnout erstmal da sind, ist es natürlich nicht mehr so einfach.

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