Hallo Morse,
die "Hattie-Studie" selbst bietet ja vor allem erstmal eine immense Zusammenstellung von Studien an und zwar in einer bis dahin im Bereich der (empirischen) Erziehungswissenschaft nicht dagewesenen Weise; in aller Kürze: Nur das zählt als effektiv, was überdurchschnittlich wirkt. Die schiere Anzahl an (Meta)Studien ist schon beeindruckend, auch wenn nicht jede einzelne davon überzeugt, was aber auf Grund der großen Zahl wiederum relativiert wird.
Die Interpretation der "Hattie-Studie" geht mit zahlreichen Worten einher, aber klassische "Worthülsen" (also Worte ohne erkennbaren Inhalt) sind mir dabei bisher nicht begegnet.
Wenn Hattie von Interaktionen zwischen Schülern und Lehrern spricht, die man "sehen" könne (er spricht überhaupt sehr oft von Sichtbarkeit des Lernens, denn das ist ja schließlich die Kernbotschaft der "Hattie-Studie" bzw. von "Visible Learning"), dann ist das keine "Worthülse" oder hohle Phrase, sondern er meint damit, dass ein Lernprozess stattfindet, der den Lernenden (die Kinder) als Feedback-Geber in den Vordergrund stellt. So wird Lernen sichtbar gemacht: Der Lehrende reflektiert so gut als möglich auf seine konkreten Interaktionen und deren Wirkung bei den Lernenden. Das kann z.B. durch Feedback-Bögen erfolgen (formative Evaluation), aber in der Regel sollte das permanent stattfinden: Eben keine Lehrermonologe, kein Abspulen von Lerneinheiten ohne Adaption an die Lernenden; allerdings auch kein blinder Aktionismus - denn im Falle von unkontrollierter z.B. Freiarbeit ist keine Interaktion mehr sichtbar, die ein gelingendes Lernen bzw. eine evidenzbasierte Reflexion auf den Lernprozess gewährleisten könnte.
Am Seminar und Päd. Hochschule (jedenfalls bei uns) wird Hattie nur als lästiges Beiwerk erwähnt, weil man sich lächerlich machen würde, wenn man es nicht täte. Die wenigsten Dozenten haben verstanden oder wollen verstehen, was sich hinter Begriffen wie "Visible Learning" verbirgt. Stattdessen wird u.a. darauf verwiesen, dass man das Lernen gar nicht sehen könne, weil es in den Köpfen stattfinde. Das ist eine Binsenweisheit und das wird von Hattie und anderen empirisch ausgerichteten Bildungsforschern gar nicht bestritten; vielmehr geht es denen darum, trotz der evidenten Schwierigkeit, den enorm komplexen Lernprozess zu erfassen, möglichst viele verbindliche Kriterien zu gewinnen/sammeln, um wenigstens nicht völlig im Dunkeln zu tappen und zumindest etwas Licht beizusteuern.
Denjenigen erziehungswissenschaftlichen Instanzen in Deutschland, die die wahren "Worthülsen" in Fülle produzieren, schmeckt so viel Verbindlichkeit und Transparenz natürlich ganz und gar nicht. Ideologie und Empirie waren sich schon immer spinnefeind.
der Buntflieger