Ohhh, schicke Diskussion....
Schalhevet
Ich habe im gleichen Bundesland studiert wie du, Mathematik war mein Zweitfach im Studium für Kl. 7 bis 13, bin aber irgendwann in ein Grundschulstudium gewechselt. Nein, von den Mathematiksachen kann ich nichts mehr anwenden - mein Kopf hat den Platz, der damit gefüllt war, sehr schnell freigegeben.
Zitat
Original von Schalhevet
Ja entschuldige, aber genau DAS, also die Empathie und Sensibilität wird im Lehrerstudium ganz GROSS geschrieben. Zumindest in meinem Grundschulpädagogikstudium. Ich möchte behaupten, dass wir die menschliche Kompetente und die unterrichtende Kompetente in ihrer Bedeutung gleichsetzen.
Genau das habe ich in meinem Grundschulstudium auch erlebt. Ich hatte es bisher als eine Besonderheit meiner damaligen Uni angesehen und mich hinterher tierisch drüber aufgeregt.
Als Unterrichtende brauchst du einen gewissen "Führungsstil", konsequentes Setzen von Grenzen, Überblick über die gesamte Klasse gleichzeitig, schnelle Entscheidungsfähigkeit. Du musst eben auch mal "eintrichtern" und mal völlig unindividuell mit der ganzen Klasse was machen. Mit "mal" meine ich mindestens 1/3 der Unterrichtszeit, wenn du SEHR sehr gut organisiert bist und SEHR sehr viel Geld und Zeit für differenzierte Unterrichtsmatieralien hast und die Zusammensetzung der Klasse es zulässt (Fähigkeiten zum selbstständigen Arbeiten, Akzeptieren von Regeln etc.), passt da was nicht, wird es eher mehr.
Als Mensch kannst du Verständnis dafür haben, dass Fritzchen unter dem Tisch liegt und bockt, weil Mama ihn nie anlächelt und die 3 Papas sich die Klinke in die Hand geben. Als Unterrichtende kannst du sagen "Achtet mal nicht auf Fritzchen!" oder "Fritzchen, wenns dir besser geht, setzt du dich wieder hin!", aber du kannst in dem Moment nicht auf Fritzchen eingehen, weil sonst sehr schnell Sofiechen und Antonchen daneben liegen. Und wenn die Kinder selbstständig arbeiten und du landest nicht grad in Zehlendorf, dann kannst du auch in Wochenplan/Freiarbeitsphasen nicht viel Zeit für Fritzchen aufwenden, weil dich nämlich mindestens die Hälfte der Kinder gleichzeitig für sich zum Erledigen seiner Aufgaben, dem Erzählen seiner Erlebnisse oder zum Ausfechten von Kämpfen, die es zu Hause nicht ausfechten kann, benötigt. Und du musst in derartigen Arbeitsphasen dafür sorgen, dass die Kinder auch ruhig arbeiten können. Wenn dann einer pfeifend auf dem Tisch liegt und 2 Einkriegezeck spielen, dann musst du die zur Ruhe bringen - egal, ob sie am Wochenende stetig am Computer saßen oder irgendwo gedrillt wurden, mit netten Ansprachen erreichst du dann wenig.
Das Ideal, welches auch ich im Studium und im Referendariat kennen gelernt habe, war: "In der Wochenplanarbeit/Werkstattarbeit/etc. arbeiten die Kinder selbstständig an individuell erstellten Arbeitsmaterialien, nach individuellen vorgaben. Die Lehrerin wendet sich nach und nach verschiedenen Kinder(gruppe)n zu, um mit diesen Aufgaben zu lösen, etwas zu wiederholen etc."
Eine der härtesten Lektionen meines Berufslebens war es zu lernen, dass das nicht funktioniert. Zumindest nicht in dem Stadtteil, in dem ich unterrichte. Ich habe in diesem Thread das Wort "Dompteur" gelesen. Ja, so fühle ich mich. Ich bin froh, wenn ich mich mal eine Minute mit einem Kind beschäftigen kann. Lehrersein ist keine individuelle oder Kleingruppenarbeit. Du stehst immer der Großgruppe gegenüber. Und du kannst nicht neben 5 Kindern mit ausreichender Verwurzelung und vernünftiger Erziehung noch 10 Kinder, welche zu Hause keine Grenzen erfahren, 5 verhaltensauffällige und 5 (sozial/emotional) vernachlässigte Kinder erziehen und therapieren.
Kurz: So wie du als Therapeutin auf die Kinder eingehen könntest, kannst du es als Lehrerin nicht.
Wenn du mit den von dir beschriebenen Idealen an den Beruf herantrittst, wirst du Abstriche machen müssen - und zwar gewaltige.
Dabei wird dir vermutlich keiner zur Seite stehen - im Gegenteil. Seminarleiter, andere Ausbilder und Eltern werden meinen, du müsstest genauso individuell und differenziert auf die Kinder eingehen, wie du das in der Uni lernst. Genauso sensibel und empathisch und gleichzeitig konsequent mit dem oben beschriebenen Führungsstil. Das ist ein Drahtseilakt, du wirst es nie allen recht machen können. Du wirst alleine für dich entscheiden müssen, an welcher Stelle du Abstriche machst und wie du dafür sorgst, deine physische und psychische Gesundheit zu erhalten.
Was ich auch lernen musste: Auch wenn Dozenten und Seminarleiter das anders sehen: Man kann nicht für jede Stunde differenzierte Arbeitsmaterialien vorbereiten, zumindest nicht mit voller Stelle. Und nicht alle Kinder können mit differenzierten Materialien umgehen. Manche kommen damit gar nicht klar, weil sie zum Lernen generell eine 1:1-Betreuung benötigen würden, die du ihnen in den nächsten Jahren (solange das Klonen von Lehrern noch verboten ist) nicht bieten kannst.
Nach all dem, was ich geschrieben habe, möchte ich dir noch mit auf den Weg geben:
Probiere es aus. Mach deinen Vorbereitungsdienst, schau wie du klar kommst.
Du kannst in dem Beruf auch deine Menschlichkeit zeigen. Kinder spüren es, wenn du sie magst und sie ernst nimmst.
Gerade jüngere Grundschüler vertrauen dir und die meisten werden dich als Klassenlehrerin lieben.
Gerade in den nächsten Jahren hast du noch den Vorteil, dass Kinder es toll finden, wenn es junge Lehrerinnen gibt.
Und ich würde dir empfehlen, deine psychischen Probleme nicht vor Kollegen / Seminarleitern zu artikulieren. Wenn du Glück hast, zeigen sie Verständnis. Wenn du Pech hast, hast du einen Stempel weg, den du nie wieder los wirst (egal wie gut du deine Arbeit machst) und der dir eventuell die Zeit des Vorbereitungsdienstes vergällt und die Examensnote versaut.
Viele Grüße,
Conni