Hi ihr,
wir haben auch die Reichen-Methode an der Schule in Ergänzung mit "Buchstabenstunden", in denen in extrem knapper Zeit Buchstaben eingeführt und geschrieben werden.
Es haben einige Kinder lesen gelernt. (Das hätten sie aber vermutlich mit jeder anderen Methode auch.) Es ist eine Klasse mit vielen "auffälligen" Kindern und nicht besonderes hohem Niveau, aber bei allen ist Deutsch die Muttersprache. 3 Kinder lesen so gut wie ein ruhiger, langsamer, nicht besonders an Schule interessierter Erstklässler einer anderen Schule, der analytisch-synthetisch Schreiben und Lesen lernte. 3 weitere Kinder lesen genauso sicher, aber eben noch deutlich langsamer. Das Mittelfeld kann Wörter mühevoll zusammenziehen und 5 Kinder (2 LB, 1 LRS, 1 ADHS und eins, was nichts dergleichen bescheinigt hat) können gar nicht lesen. (Das Schuljahr ist um, wir haben Sommerferien.)
Beim Schreiben sieht es etwas besser aus: Etwa 1/4 der Kinder schreibt lautgetreu und grammatikalisch korrekt und kann bestimmte Grundwortschatzwörter sicher, das (kleine) Mittelfeld schreibt teilweise lautgetreu, lässt oft noch Wörter aus und kann ein paar Grundwortschatzwörter. Ein paar Kinder schreiben halbphonetisch Einzelwörter, ein paar schreiben aus Einzelwörtern ein paar vorkommende Laute als teilweise noch spiegelverkehrte Schriftzeichen auf, oft noch ungeordnet und z.T. durch falsche Buchstaben ergänzt und mindestens einer hat überhaupt keine Ahnung, er findet z.B. zum Laut "s" nicht das entsprechende Bild der Anlauttabelle.
Ich finde das enttäuschend und ich würde freiwillig nicht wieder mit dieser Methode arbeiten. Selbst wenn wir die richtige, vollständige Reichenmethode (inkl. der sündhaft teuren Spiele und des ganzen Materials) hätten, würde ich sie nicht freiwillig einsetzen.
Viele Kinder malen die Buchstaben ab, wenn sie gleich mit der Anlauttabelle individuell schreiben. Das führt dazu, dass sie sich oft falsche Bewegungsabläufe einprägen und die Schreibschrift macht dadurch vielen jetzt erhebliche Probleme.
Die Kinder haben falsche Vorstellungen über die Anlauttabelle entwickelt, sich die Namen von Bildern trotz falschen Wiederholens eingeprägt. Manche sind wirklich auch schwer zu erkennen, die Ölflasche, da hatte ich selber Probleme und mit Dampfer-Schiff komm ich auch immer durcheinander (alte Reichen-Tabelle).
Es gab Probleme beim Erklären der Zwielaute vs. Anlaute hören. Bei "Eichhörnchen" hörten unsere genau analysierenden SchülerInnen nämlich kein "ei" am Anfang, sondern ein "a". Selbst das Einführen einer Regel führte nicht weiter, da die Kinder gar nicht so weit kamen, das ei zu hören, sondern immer beim a blieben. (Anmerkung: An unserer Schule hat niemand die Fortbildung gemacht, die Methode wurde "übergestülpt" und es steht nur eine Kollegin wirklich dahinter, die lässt die Kinder aber immer Wörter von der Tafel abschreiben und sagt, daran lernen die Kinder schreiben. Das ist ja dann auch nicht mehr wirklich Reichens Methode.)
Beim selbstständigen Aufschreiben mit der Anlauttabelle lernen die Kinder ja außerdem, dass lautgetreu schreiben der Schlüssel zum richtig schreiben ist. Blödsinn, es gibt viel mehr Wörter, die NICHT lautgetreu geschrieben werden! Habe eine Vorlesung bei R. Valtin gehört (hat mehrere Bücher über LRS veröffentlicht). Sie stellte als typische Rechtschreibstrategie rechtschreibschwacher Schüler in Kl. 5 und 6 fest: "Wenn ich mir bei einem Wort nicht sicher bin, schreibe ich es so, wie ich es spreche / höre." Die Rechtschreibstrategie leistungsstarker Rechtschreiber: "Wenn ich mir bei einem Wort nicht sicher bin, schlage ich es nach."
Bei unsern SchülerInnen, die jetzt alle mit der Reichen-Methode angefangen haben, herrscht aber die Ansicht, man schreibt wie man spricht vielfach noch bis in Kl. 6 vor. Ich weiß nicht, ob das generell so ist oder etwas mit der Methode zu tun hat, dazu hab ich zu wenig Erfahrung mit andern Methoden.
Ich habe inzwischen einige Fibeln gesehen, die mir gefallen, auch mit entsprechenden Ergänzungsmaterialien bzw. gleich mit Geschichtenheften dazu, wo also auch frei geschrieben werden kann und würde - falls ich mal ne Stelle bekommen sollte, gern so unterrichten.
Noch eine Frage an alle, die mit Anlauttabelle in Klassen mit hohem Anteil nicht so gut Deutsch sprechender Kinder arbeiten:
Gibt das keine Probleme, wenn in der Anlauttabelle ein Schuh abgebildet ist und manche Kinder vielleicht nicht gut genug Deutsch können, um das auf Deutsch zu denken sondern dann automatisch in ihrer Muttersprache denken und da fängt "Schuh" vielleicht mit keine Ahnung was an.... Wie geht ihr damit um?
Gruß,
Conni