Ich gebe zu: Ich habe die letzten Beiträge nur überflogen...es sind mir dann doch etwas zu viele, um sie (jetzt) alle zu lesen.
Als Lehrer an einem Gymnasium bin ich froh, dass dort nicht das Fach Wirtschaft eingeführt wird.
Die einseitige Stärkung der ökonomischen Bildung und die neue Symbolik im Namen des Faches finde ich gefährlich.
Man bekommt oft den Eindruck, dass der Schulministerin gerade am Beginn ihrer Amtszeit nicht klar war, dass das Fach ohnehin schon "Politik/Wirtschaft" heißt (bzw. bald: hieß).
Ich empfinde gerade die Interdisziplinarität des Faches Politik/Wirtschaft bzw. Sozialwissenschaften als großen Gewinn. Ein Urteil sollte verschiedene Perspektiven abdecken. Gerade in den letzten Jahren/Jahrzehnten hat sich ja durchaus eine "neoliberale Hegemonie" ausgewickelt, bei der sich alles nur noch irgendwie wirtschaftlich lohnen muss, damit man es politisch umsetzen kann. Mein Standardbeispiel ist die Agenda 2010. Wenn ich die beurteilen will, muss ich doch sowohl die wirtschaftlichen als auch die politischen und sozialen/soziologischen Aspekte berücksichtigen.
Und wenn ich mir z.B. die Mitte-Studien oder die Wahlergebnisse der jüngeren Vergangenheit anschaue, kann ich beim besten Willen nicht behaupten, dass ich es für legitim hielte, (weiter) an der politischen Bildung zu sparen.
Also mich hindern zwei getrennte Unterrichtsfächer namens "WBS" und "GK" keineswegs daran im Wirtschaftsunterricht immer auch den Blick auf relevante politische Entwicklungen zu werfen, die mit dem jeweiligen Wirtschaft- oder Politikthema zsammenhängen. Nennt sich "fächerverbindender/fächerübergreifender Unterricht" (=Teil unsere Bildungsplans in BaWü) nicht "neoliberale Hegemonie" die zumindest in BaWü nicht so simpel unseren Bildungsplan in Wirtschaft umschreiben könnte (der Beutelsbacher Konsens gilt schließlich auch im Wirtschaftsunterricht). Getrennte Fächer bedeuten aber, dass man Lehrkräfte einsetzen kann, die tatsächlich studiert haben, was sie vermitteln sollen. Nicht jedes Wirtschaftsthema lässt sich allein auf Basis eines politikwissenschaftlichen Studiums fachlich sauber entwickeln. Ich erwähnte bereits, dass ich an meiner Schule die Einzige bin, die WL studiert hat. Im Ergebnis berate ich regelmäßig meine Kollegen- sämtlich hervorragende Lehrer mit jahrelanger Erfahrung im GK-Unterricht- wie man bestimmte Fachkonzepte reduziert und erarbeitet, verteile von mir entwickelte Arbeitsblätter zu Aspekten, die das Buch nicht verständlich (oder nicht kontrovers genug) darstellt.
@FreMe : Was genau bringt dich auf die Idee, dass ökonomische Bildung einseitig gestärkt würde oder deshalb an der politischen Bildung gespart werden würde? Was verstehst du unter "neuen Symbolik im Namen des Faches" und inwieweit soll diese gefährlich sein?
Mündigkeit ist der zentrale gemeinsame Nenner im Wirtschafts-, wie im Politikunterricht. Ökonomische Mündigkeit erzielt man auf vielen ähnlichen Wegen, wie die politische Mündigkeit, es beschreibt aber eben nicht dasselbe, sondern zwei Teilaspekte von Mündigkeit die am Ende ineinander greifen.
Das neue Fach WBS hat bei uns in BaWü zum ersten Mal GK- und Wirtschaftsunterricht bereits ab Klassenstufe 7 gebracht (damit also die Chance ein Schuljahr früher als bislang politische und ökonomische Bildung zu betreiben- ein echter Gewinn!). Zusätzlich sind die Bildungspläne der beiden getrennten Fächer deutlich geschärft worden, was der Fachlichkeit zugute kommt, aber eben auch mehr Möglichkeiten zu sinnvollen Verknüpfungen- anstelle von "Zwangsehen"- in Form von fächerübergreifendem Unterricht ermöglicht. In Wirtschaft arbeite ich beispielsweise in Klasse 7 zur Geschäftsfähigkeit und erarbeite grundständig, was man unter einem Kaufvertrag versteht (nein, das gehört nicht erst in die Berufsschulen, die gar nicht alle SuS besuchen. Das ist grundständiges rechtliches und ökonomisches Wissen, um als Konsument wenigstens halbwegs eine Ahnung zu haben, was man eigentlich macht, welche Rechte man ab welchem Alter hat etc.). Ich hänge das sehr gerne am Thema der Ingame-Währungen auf, weil so viele Jugendliche online zocken und auch Geld einsetzen, ohne zu wissen, wo Anbieter rechtliche Grenzen überschreiten (Stichwort "Loot-Boxes"). In GK arbeite ich etwa im selben Zeitfenster zu Jugendlichen in der Medienwelt und setze mich mit der jeweiligen Klasse dann z.B.damit auseinander welche Games sie spielen, diskutiere den Sinn von Altersfreigaben, werfe mit ihnen einen kritischen Blick auf Gaming in all seinen Facetten (unser Schulbuch beschränkt sich dabei auf eine Veurteilung, spricht lediglich von "Killergames", was weder dem Thema gerecht wird, noch der Lebensrealität von Jugendlichen entspricht). Am Ende schaffe ich in beiden Fächern konstante thematische Überschneidungen, wobei aber eben dennoch eigenständige Fachaspekte beleuchtet werden. Das machen übrigens alle Kollegen an der Schule so, nachdem fast durchgängig GK und WBS jeweils vom selben Lehrer unterrichtet werden.
Ganz gleich, welche politischen Prozesse so ein Fach hervorbringen: Bildungspläne werden am Ende nicht nur nach der Nase einer Partei entwickelt und vor allem am Ende nicht derart einseitig umgesetzt.
Betriebspraktika fordern meines Wissens nur die Fachhochschulen. Oder irre ich mich da?
War bei uns im Wirtschaftsstudium für die Sek.I ebenfalls Vorschrift: Wahlweise X Wochen Praktikum in einem ausbildenden Betrieb in verschiedenen Bereichen oder Nachweis einer einschlägigen Berufserfahrung. (Wie lange das Praktikum sein musste weiß ich nicht mehr, da ich die Berufspraxis nachweisen konnte.) Die Mehrheit der Wirtschaftsstudenten konnte das Ganze dabei dank Berufsausbildung/Berufserfahrung ohne Praktikumswochen nachweisen. Es ist also in diesem Bereich auf jeden Fall deutlich üblicher bereits eine berufliche "Vorgeschichte" zu haben, ehe man sich für Wirtschaftslehre als Studienfach entscheidet. Ich finde das auch sehr wichtig. Berufsorientierung ist schließlich ein zentraler Bestandteil des Wirtschaftsunterrichts. Wenn die eigene Arbeitsmarktkenntnis dann über Schule-Uni-Schule und vielleicht mal einen Ferienjob nicht hinausgekommen ist, wird das einfach sehr schnell sehr dürftig, was man Schülern tatsächlich an die Hand geben kann. Das ist einfach kein Bereich, in dem es ausreichend wäre, sich Fachwissen anzulesen und dann zu vermitteln.