Ich habe deine Schilderungen aus China grade noch einmal intensiv durchgelesen und fand sie sehr spannend.
Dabei ist mir aber noch mal etwas ganz Wesentliches aufgefallen: Das Unterrichten und die Situation, die du dort beschreibst, unterscheidet sich ganz wesentlich von der, die wir hier an den Schulen haben:
Bei uns ist ein sehr sehr großer Teil Organisation und pädagogische Arbeit, leider viel Notengebung und Korrektur und das Verhalten der chinesischen Schüler, das du beschreibst, unterscheidet sich doch sehr von dem der Schüler an deutschen Schulen.
Ich kann dir mal ganz kurz versuchen, den Alltag einer Englischlehrerin in der SekI zu schildern:
vor der Schule: Organisatorisches, kopieren, irgendwas in Listen eintragen, mit Kollegen absprechen
Englischunterricht 6. Klasse: oje, das Pensum ist so hoch, die Englischstunden wurde nach Einführung der 2. Fremdsprache in Klasse 6 gekürzt, das Pensum aber nicht, das heißt, in einer für die Kinder meist großen Geschwindigkeit Unterrichtsstoff vermitteln müssen, du hast die Wahl zwischen a) wichtigem Stoff kürzen > geht meist nicht, weil die Grundlagen ja gelegt werden müssen b) mehr Hausaufgaben geben > geht auch meist nur begrenzt, da du die Kinder ja nicht überstrapazieren willst c) schneller vorgehen > geht ebenfalls nur begrenzt, damit die Schüler nicht total überfordert sind. Irgendwo musst du eine Mischung aus allem finden, was leider (leider auch deshalb, weil es eigentlich so viele schöne Möglichkeiten gibt, im Englischunterricht Projekte etc. zu machen) irgendwo in einen schlechten Kompromiss ausarten muss, also musst du leider viele Grammatikstunden machen, Übungen recht zügig machen etc. Viele Kinder - bei uns zumindest - haben familiäre Probleme oder Adhs oder sonstige Dinge, die ihnen das Lernen und vieles andere schwer machen. Also musst du zusätzlich zur Stoffvermittlung noch versuchen, in der großen Klasse auch auf diese Kinder gesondert einzugehen, was sehr schwierig ist - eben aufgrund der Klassengröße und der Stofffülle.
- dann Englischuntericht 8. Klasse: zu einem erheblichen Pensum kommt noch die Pubertät und damit verbundenes Desinteresse der Schüler, du musst ständig die Klasse im "Griff" haben, wieder ein ziemliches Pensum durchziehen und gleichzeitig die Schüler motivieren, nebenbei bist du Klassenleiter, musst Organisatorisches regeln
Pause: Schülergespräch im Klassenraum wegen irgendwelcher Vorfälle, Elterntelefonat im Lehrerzimmer, es klingelt: Pause schon um.
So geht es die nächsten Stunden weiter, dann sind wieder Klassenleiteraufgaben angesagt: Bei uns Gespräche mit Eltern, mit dem Jugendamt, mit der Schulleitung wegen irgendwelcher schwieriger Vorfälle, Schülern, die nicht in die Schule kommen... - alles Sachen, die bei uns einen Hauptteil der Arbeitszeit einnehmen und auf die man vorher nicht vorbereitet wurde und mit denen die meisten wahrscheinlich in dem Maße nicht gerechnet haben (ich meine damit nicht die ganz normalen Elterngespräche wegen Noten o.ä., sondern Gespräche mit Eltern, die überfordert sind, bei denen die ganze Familiensituation aus den Fugen geraten ist oder deren Kinder in Schlägereien etc. verwickelt waren usw.). Bei uns nehmen solche Sachen momentan einen großen Teil der Arbeit ein, das kann am Gymnasium vielleicht anders sein, aber ich höre Ähnliches mehr und mehr von Freunden und Bekannten an unterschiedlichsten Schulen.
Danach kommt dann die Unterrichtsvorbereitung und der Korrekturkram, aber ich vermute, der unterscheidet sich nicht so wesentlich von dem, was du in China erlebst.
Ich möchte den Schulalltag nicht schwarz malen, aber ganz deutlich machen, dass der Alltag in deutschen Schulen ganz ganz anders ist als dort, wo du in China arbeitest. Es ist trotzdem ein schöner Beruf, der oft auch Spaß macht, aber die Rahmenbedingungen sind hier mitunter schon äußerst anstrengend und frustrierend.
Vielleicht ist dir das alles auch schon bewusst, aber ich habe den Eindruck, dass du in China unter ganz anderen Bedingungen Englisch unterrichten kannst, als das in einer deutschen Regelschule der Fall wäre. Deshalb wollte ich dir nur mal den Arbeitsalltag einer Englischlehrerin in Deutschland schildern.