Ich könnte jetzt aus dem "Aufreg-Thread" ne ganze Menge Zitate holen, in denen sinngemäss steht "man weiss doch, bei welchen Kindern geholfen wird", "man weiss doch, bei welchen Kindern man mehr helfen muss", "man weiss doch aus dem Elterngespräch, dass ...". Natürlich wisst ihr. Auch wenn es nicht irgendwo explizit steht. Natürlich erzählen die Eltern im Gespräch von der Schichtarbeit wenn's drum geht, wie gut sie jetzt zu Hause helfen können oder nicht. Dass alle hier immer nur das Beste im Sinn haben, daran zweifle ich nicht im geringsten. Warum man aber nicht eingestehen kann, dass man als Lehrperson und auch als Eltern natürlich Teil eines ungerechten Systems ist und dass man nicht sieht, welchen Teil man dazu beiträgt, dass die Dinge sich nicht ändern, das erschliesst sich mir wahrhaftig nicht. Ich glaube ferner, kaum jemand hat meinen ersten Beitrag zum Thema Hausaufgaben im "Aufreg-Thread" wirklich zu Ende gelesen. Da hing noch ein Zitat von Quittengelee an, die meinte, es könnte ja einen Grund geben, dass es in Bayern besser geht, als anderswo. Ich schrieb, ja das kann ich mir auch vorstellen, wenn dort die Lehrpersonen die Hausaufgaben, die sie aufgeben, wenigstens verpflichtend kontrollieren. Infolge wurde ich insbesondere von mehreren Lehrpersonen aus Bayern fast gelyncht.
Caro07 Ich stimme dir absolut zu bezüglich der Vermutung, dass viele bildungswissenschaftliche Erhebungen methodisch nicht sauber sind. Wann immer es um menschliches Verhalten und soziale Strukturen geht, ist es sehr schwierig, Kausalitäten herzustellen. Man kann verschiedene Korrelationen sehen, die unterschiedlich stark ausfallen und daraus Rückschlüsse ziehen. Und wir wissen alle, dass verschiedenste Gruppierungen jeweils unterschiedliche Motivationen haben, dass die Korrelationen in ihrem Sinne interpretiert werden. Uns Lehrpersonen eingeschlossen. Quittengelee wird eher an die Studien "glauben", die zeigen, dass ein stark differenziertes System schlecht im Sinne der Bildungsgerechtigkeit ist, ich werde eher an die Studien "glauben", die das Gegenteil zeigen. Weil es in meiner anekdotischen Welt Sinn macht.
Was man aber in Situationen, in denen es noch eine Übertrittsempfehlung gibt (scheint in einigen BL in Deutschland noch der Fall zu sein, bei uns sowieso) ganz sicher herausfinden kann ist, wie häufig bei formaler Erfüllung der jeweiligen Bedingungen diese oder jene Empfehlung ausgesprochen wurde. Jugendliche, die bei uns im Baselland am Progymnasium ein Zeugnis mit einer 4.0 im Schnitt haben, haben sich formal für den Übertritt in die gymnasiale Oberstufe qualifiziert. Ich kann dir allein aus persönlicher Erfahrung an meiner Schule schon versichert, dass mit dieser Qualifikation aber verdächtig viele Kinder aus Migranten- und Arbeiterfamilien an der Fachmittelschule landen. Ob es am Ende die Lehrpersonen sind, die auf die Eltern einreden oder die Eltern selbst sich nicht getrauen, die Kinder ans Gymnasium zu schicken ... keine Ahnung. Bei dem Prozess bin ich ja nicht dabei, ich sehe nur das Resultat. Eine messbare Tatsache ist auch das Ding mit der Übertrittsprüfung in Zürich und der bezahlten Nachhilfe. Ich habe ein Jahr Aargau gearbeitet als es dort auch noch eine Abschlussprüfung an der Bezirksschule gab. Da sind dann Kinder reicher Eltern mit sehr viel Druck und natürlich Geld für die externe Unterstützung ans Gymnasium gepusht worden wo sie schon ein halbes Jahr später kläglich abgesoffen waren. Ich war beim Wechsel ins Baselland am Anfang ziemlich erstaunt darüber, dass das Leistungsniveau unserer Erstis gar nicht schlechter, wenn nicht sogar besser ist, obwohl sie nur das 4er-Zeugnis haben müssen und keine Übertrittsprüfung schreiben. Das zeigt mir schon, wie krass die Rahmenbedingungen die Entscheidungsprozesse bei allen Beteiligten beeinflussen.
Eine Erhebung und Speicherung des Berufs der Eltern ist in NRW zum Glück nicht zulässig.
Diese Informationen sind auch nirgendwo gespeichert, die Jugendlichen füllen das Blatt entweder aus oder eben nicht. Ist ja freiwillig. Die meisten sind naiv genug, es zu machen, wenn's keine KLP gibt, die sagt, sie müssen das nicht.