Beiträge von Antimon

    Warum junge Leute in so großer Zahl die AfD wählen, erklärt es für mich allerdings nicht unbedingt

    Das ist in der Tat ein beunruhigendes Phänomen, dass der Frust auf die nächste Generation vererbt wird. Meiner Meinung nach konnte das nur passieren, weil der Frust eben im Westen nie ernst genommen wurde. Nachvollziehen kann ich es wiederum auch. Ich meine, ich schrieb schon mal, ich bin mir sehr sicher, meine Mutter würde die AfD gut finden, würde sie noch leben. Natürlich bin ich damit aufgewachsen, dass mir ständig vorgeschimpft wurde, dass es der Türke nebenan ungerechtfertigterweise doch viel besser hat als wir. Das Gefühl dahinter ist "erst muss es *mir* besser gehen, dann darf auch der Türke da sein". Wie es dem Türken tatsächlich geht, wusste Mama freilich überhaupt nicht und dass ihre eigene Situation genau gleich schlecht wäre ohne den Türken, hat sie auch nicht verstanden. Wer dieses Gefühl nicht ernst nehmen kann, muss sich nicht wundern.

    Ja, irgendwie so Rätselraten wird wohl mein Weg zur Arbeit. Wir hatten mal die irrsinnige Idee ein Champions League Finale in der St Jakobshalle auszutragen. Da fuhr dann auch das Tram nicht mehr nach Muttenz durch, das tut es bei einem "normalen" Fussballspiel eben schon noch. Die Innenstadt war auch nicht mehr zu betreten weil die Polizei die rivalisierenden Fangemeinden an jeweils unterschiedlichen Lokalitäten zusammenpferchen und hüten musste. Aber das war nach einem Tag vorbei. Als nächstes bewerben wir uns dann für Olympia. Basel ist grössenwahnsinnig.

    ob ausgrechnet das taugt, um die Wahlen zu erklären

    Ich habe nur ein Symptom von vielen beschrieben. In der DDR hatten die Frauen Arbeit, die Kinder waren betreut, das haben z. B. viele als gut empfunden. Also waren gute Dinge dann weg und zu viele schlechte Dinge sind geblieben. In der Summe kann ich den Frust sehr gut verstehen. Er ist im Westen nie ernst genommen worden, was zu noch mehr Wut und Verbitterung geführt hat. Die Diskussion hier zeigt's ja grade sehr schön. Wo ist das Problem, im Ruhrgebiet ist auch irgendwo eine Strasse kaputt. Na dann. Wenn man das Verständnis auch nach 34 Jahren nicht aufbringen kann, besteht wohl wenig Hoffnung auf nachhaltige Veränderungen.

    Ah, stimmt, Luxemburg, also das Land, hat ja insgesamt nur 500000 Einwohner*innen. Es könnte also noch schlimmer sein! :aufgepasst:

    Im Ernst... Genf hätte das Veranstaltungszentrum nördlich ausserhalb der Stadt. Man kommt vom Flughafen oder mit dem Auto gar nie in die Stadt rein. In Basel hingegen fädelt man durch die komplette Stadt durch. Wir hatten 2014 eine OSZE-Sicherheitskonferenz in der Messe. Die ist im Kleinbasel mitten im Wohnquartier. Das Tram fuhr also bis zur Gewerbeschule, dort mussten alle aussteigen und um das Messegelände drumrum laufen. An der Clarastrasse durfte man wieder einsteigen. In mehreren Strassenzügen wurden die Leute beim Einkaufen von der Polizei eskortiert, weil sie zu dicht an Frau Merkel vorbeiliefen. Wir hatten das Licht der Flakscheinwerfer des Militärs im Wohnzimmer. Es gibt keinen blöderen Ort für solche Veranstaltungen als Basel.

    Und anderswo nicht?

    Ist das geschlossene Krankenhaus im Osten schlimmer als im Westen?

    Verstehe ich nicht.

    Wie hat es denn 1989 bei euch in Niedersachsen ausgesehen? Und kam dann Herr Kohl vorbei und hat euch blühende Landschaften versprochen? Wir hatten im Mai 1989 noch Besuch aus Mecklenburg, die Situation war damals so schlecht, es gab an manchen Tagen nicht mal mehr Brot zu kaufen. Die Leute hatten grosse Hoffnungen und sind vergessen worden, ich erwähnte das Plumsklo. Verstehst du dass zwei geschlossene Krankenhäuser je nach Kontext wirklich unterschiedlich schlimm wahrgenommen werden können?

    Für den Fall, dass uns in der Woche doch noch jemand von euch besuchen will:

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    Kein Witz. 95 % aller Unterkünfte sind bereits ausgebucht, selbst im 12 km entfernten Liestal zahlt man 2500 CHF für irgendwas mit einer 5.3 Bewertung. Es heisst, die komplette Infrastruktur um die St Jakob Halle sei für 6 Wochen blockiert. Ich beginne mich zu fürchten.

    Ich habe mal ein bisschen bei Wikipedia gescrollt, der ESC hat überhaupt nur 2 x in einer kleineren Stadt stattgefunden. Einmal in Lugano und einmal in Lausanne :lach2:

    Aber schaut man sich an, wie dünn besiedelt manche Ecken sind, kann man auch irgendwo verstehen, dass das keine priorisierten Entwicklungsgebiete waren

    Was denkst du denn, warum da keiner mehr wohnt? Meine Generation unter meiner Verwandtschaft hat sich komplett verpisst. Hamburg, Berlin, bloss weg vom Plumsklo in Mecklenburg. Die Übriggeblieben sind über die Jahre verbittert.

    Man sieht doch auch andernorts genau, wo Nachkriegssiedlungen gebaut wurden und immer noch bewohnt sind.

    Das meinst du jetzt bitte nicht ernst.


    Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst.

    Offensichtlich, ja. Das ist das Problem. Was haben die nur immer, die doofen Ossis? Ist doch eigentlich alles schick?

    Wenn man bedenkt, dass der Osten ja erst seit 1990 renoviert wird

    Wenn man bedenkt, dass da "erst" seit 34 (!!) Jahren renoviert wird. Es geht nicht um Timbuktu, es geht um Deutschland, eine der reichsten Volksrepubliken auf diesem Planeten. Das meine ich mit westdeutscher Arroganz. Ihr dürft das natürlich weiterhin anders meinen, aber ich bin mir schon sicher, dass ich das hier Geschriebene für mich richtig interpretiere. Missverständnisse gibt es da nicht.

    in einigen Städten in BW bei über 30%.

    In Basel liegt er bei 39.5 %. In Basel musste aber im Jahre 2000 keiner (mehr) zum Scheissen aufs Plumsklo gehen, weil einzelne Ortsteile immer noch nicht an die zentrale Abwasserentsorgung angeschlossen waren und es wäre interessant zu wissen, wann das im Baden-Württemberg zuletzt irgendwo der Fall war. Ich kenne auf jeden Fall Orte in Ostdeutschland, die man derartig "vergessen" hat. Man sieht in Sachsen bis heute (!!) an der Bausubstanz der Häuser abseits der grossen Städte, dass das 40 Jahre lang DDR war.

    Dann erkläre es bitte, aus deren Sicht

    Ich wähle keine AfD, meine Verwandtschaft auch nicht. Der Stimmanteil liegt aber bei über 30 %. Wenn du die alle für dumme Verschwörungstheoretiker halten möchtest, hast du wahrscheinlich wirklich ein Problem mit deinem Wohnort. Meine Gedanken dazu habe ich schon oft genug geäussert. Die Gefahr ist hoch, dass man dann selber als Nazi deklariert wird. Was soll ich also noch schreiben?

    Anerkennung dafür, dass zwei rechtsradikale Landesverbände die Möglichkeit erhalten das demokratische System, dass sie in dieser Weise nicht respektieren, weiter von innen zu unterwandern?

    Nein, Anerkennung dafür, dass es insbesondere die Sachsen waren, die die Wiedervereinigung auf den Weg gebracht haben. Aber ich glaube, da kommen wir auf keinen gemeinsamen Nenner und ich finde nicht, dass wir darüber streiten müssen. Ich verstehe deine Wut vor allem auch als Lehrperson, die im Bereich politische Bildung unterrichtet. Ich beobachte das als Person mit einem Grossteil der Verwandtschaft in ostdeutschen Bundesländern, die 40 Jahre lang unter der DDR-Diktatur gelitten hat. Ich verstehe den Frust der Menschen dort und ich verstehe, warum sie die AfD wählen, auch wenn ich es noch so dumm finde.

    Heute vor 35 Jahren begannen die Montagsdemos, die zur Einheit geführt haben. Guckt euch mal die Bilder von damals an. Unglaublich, wie fahrlässig ausgerechnet in Ostdeutschland mit der lang ersehnten Demokratie umgegangen wird :neenee:

    Wie Kapa bereits schrieb: Wo ist die westdeutsche Anerkennung dafür? Die AfD wurde demokratisch in zwei ostdeutsche Landtage gewählt, das ist das demokratische Recht der Sachsen und Thüringer. Ich sehe als grösstes Problem an der Sache immer noch ganz viel westdeutsche Arroganz und Gutsherrenmanier. Dass Höcke und Weidel natürlich Wessis sind... Geschenkt.

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